Beschluss vom 27.09.2012 -
BVerwG 8 B 65.12ECLI:DE:BVerwG:2012:270912B8B65.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.09.2012 - 8 B 65.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:270912B8B65.12.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 65.12

  • VG Potsdam - 03.02.2011 - AZ: VG 1 K 1852/10
  • OVG Berlin-Brandenburg - 19.01.2012 - AZ: OVG 12 B 11.11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. September 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen den Beschluss des Senats vom 10. Juli 2012 - BVerwG 8 B 36.12 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge der Klägerin mit dem Antrag, das Verfahren in die Lage vor Erlass des Beschlusses des Senats vom 10. Juli 2012 - BVerwG 8 B 36.12 - zurückzuversetzen und die Revision zuzulassen, ist unbegründet. Der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt.

2 Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind (BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392 f.> m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 m.w.N. und vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 367). Eine Verletzung des Anspruchs ist allerdings nur dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 - 2 BvR 1086/74 - BVerfGE 40, 104 <104 f.>). Dazu muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1976 - 2 BvR 558/75 - BVerfGE 42, 364 <373>). Nur der wesentliche Kern des Tatsachenvorbringens einer Partei, der nach der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist, muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden (Urteil vom 20. November 1995 a.a.O.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG ist dann festzustellen und gegeben, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, Beschlüsse vom 1. Februar 1978 - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <187 f.> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>). Solche Umstände sind vorliegend nicht erkennbar.

3 Die Klägerin meint, sie habe mit ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 26. März 2012 die Anforderungen hinsichtlich der Darlegung des geltend gemachten Verfahrensmangels der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung durch das Berufungsgericht erfüllt, indem sie die aufklärungsbedürftigen Tatsachen im Hinblick auf den Willen des Satzungsgebers, das erforderliche und geeignete Mittel zur Aufklärung - die Einholung einer Auskunft der Klägerin - und das voraussichtliche Ergebnis der Sachverhaltsaufklärung ausdrücklich und ausführlich benannt habe. Die Annahme des Senats, die Beschwerdeführerin habe diese Anforderungen verfehlt, beruhe damit auf einem Rechtsanwendungsfehler, der für die Beschwerdeführerin nicht vorhersehbar gewesen sei, oder auf einer ungenügend sorgfältigen Lektüre der Ausführungen in der Beschwerdebegründung. Der Senat hat das Vorbringen der Klägerin in ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 26. März 2012 jedoch zur Kenntnis genommen. Es kam jedoch nicht entscheidungserheblich darauf an, weil die Klägerin unabhängig davon nicht dargelegt hat, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht durch einen Beweisantrag auf die Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat oder dass sich dem Berufungsgericht eine Sachverhaltsaufklärung auch ohne Hinwirken der Prozessbeteiligten hätte aufdrängen müssen.

4 Der Senat hat auch das Beschwerdevorbringen der Klägerin berücksichtigt, dass das Stellen von Beweisanträgen nicht verlangt werden könne, weil die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts völlig überraschend gewesen sei und außerhalb des Vorstellbaren liege. Hierzu hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts für die Klägerin nicht so fernliegend gewesen sein könne, dass ihr ein Hinwirken auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich gewesen wäre. Selbst wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - a.a.O. <144 f.>; Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263>; Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 1 BvR 178/09 - juris). Die Klägerin hätte sich schon wegen des streitgegenständlichen Bescheids und der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf die unterschiedlichen Rechtsstandpunkte im Berufungsverfahren einstellen können. Dem kann sie sich nicht dadurch entziehen, dass sie von ihr selbst nicht geteilte Ansichten für fernliegend erklärt.

5 Das rechtliche Gehör der Klägerin wird auch nicht verletzt, wenn das Gericht ihren Standpunkt nicht teilt.

6 Mit ihrem weiteren Vorbringen wendet sich die Klägerin sowohl gegen die materiellrechtliche Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zur Teilbarkeit der Hauptsatzung als auch gegen die Bewertung durch das Revisionsgericht, dass wegen dieser materiellrechtlichen Sicht der Dinge, das Berufungsgericht zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts keinen Anlass hatte. Die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 10. Juli 2012 machen gerade deutlich, dass der Aspekt der weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht von ihm abgewogen und bewertet wurde.

7 Gleiches gilt für den Einwand, das Revisionsgericht stelle unter Begehung von Fehlern, die für die Beschwerdeführerin unvorhersehbar gewesen seien, in Abrede, dass das Oberverwaltungsgericht eine überraschende Entscheidung erlassen habe. In dem angefochtenen Beschluss hat sich der Senat im Einzelnen damit auseinander gesetzt, weshalb die Klägerin mit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts so wie geschehen, rechnen musste.

8 Mit ihrer Kritik an dem Beschluss des Senats, den sie für unverständlich und unvorhersehbar hält, berücksichtigt die Klägerin nicht, dass sich der Senat gerade mit dem Inhalt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts einerseits und den bis zu dieser Entscheidung zwischen den Parteien streitigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten andererseits auseinandergesetzt hat, um zu prüfen, ob eine Überraschungsentscheidung vom Berufungsgericht gefällt wurde. Sinn des Rechtsbehelfs nach § 152a VwGO ist es nicht, das Gericht zu einer erneuten Prüfung oder Erläuterung seiner Entscheidung zu veranlassen (vgl. Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 152a Rn. 10). Die Anhörungsrüge steht deshalb nicht offen, wenn das Gericht einem Beteiligtenvorbringen, das es zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, nicht gefolgt ist (Beschluss vom 11. Juni 2007 - BVerwG 5 B 143.07 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 3).

9 Schließlich ergibt sich auch aus dem angefochtenen Beschluss, dass der Senat die Ausführungen der Klägerin zum Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zur Kenntnis genommen und beschieden hat. Dass die Klägerin dieses Ergebnis nicht teilt, begründet keinen Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.