Verfahrensinformation
Die Kläger begehren die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der im Jahr 2007 eingeführten Altfallregelung des § 104a Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Klägerin zu 1 ist eine iranische Staatsangehörige. Sie reiste als Schwangere im März 2001 nach Deutschland ein, begleitet von ihren zwei bereits im Iran geborenen Kindern - den Klägern zu 2 und 3. Im Juni 2001 wurde hier ihr drittes Kind geboren - die Klägerin zu 4. Die noch im Transitbereich des Flughafens gestellten Asylanträge der Kläger zu 1 bis 3 wurden im April 2001 gemäß § 30 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als offensichtlich unbegründet abgelehnt, ebenso der für die Klägerin zu 4 im Jahr 2003 gestellte Asylantrag. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung der ablehnenden Bescheide führte zu keinem anderen Ergebnis. Die Durchsetzung der Ausreisepflicht der Kläger scheiterte an der mittlerweile abgelaufenen Gültigkeit der Pässe und einer Weigerung der Kläger, eine vom iranischen Konsulat geforderte Erklärung über die Freiwilligkeit ihrer Rückkehr in den Iran zu unterzeichnen. Im August 2007 beantragten sie die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der gerade in Kraft getretenen Altfallregelung des § 104a AufenthG, was die Ausländerbehörde ablehnte. Die hiergegen gerichteten Klagen hatten in erster Instanz Erfolg, wurden aber in zweiter Instanz abgewiesen. In dem Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht geht es insbesondere um die Frage, ob die Ablehnung der Asylanträge als offensichtlich unbegründet der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Altfallregelung von 2007 entgegen steht.
Pressemitteilung Nr. 52/2009 vom 25.08.2009
Zur aufenthaltsrechtlichen Sperrwirkung offensichtlich unbegründeter Asylanträge in Altfällen
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die gesetzliche Sperre für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die durch die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet ausgelöst wird, nicht eingreift, wenn die Asylablehnung vor dem 1. Januar 2005 bestandskräftig geworden ist. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) darf einem Ausländer vor der Ausreise keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sein Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) - etwa infolge Täuschung oder gröblicher Verletzung von Mitwirkungspflichten - als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. Diese Regelung gilt seit 1. Januar 2005.
Grundlage der Entscheidung bildeten zwei parallel gelagerte Revisionsverfahren. In einem Fall geht es um einen 2002 nach Deutschland eingereisten pakistanischen Staatsangehörigen. Sein Asylantrag wurde 2003 bestandskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Sein weiterer Aufenthalt wurde geduldet. Die Ausländerbehörde lehnte seinen 2005 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ab. Das Verwaltungsgericht und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wiesen die Klage ab. Eine Aufenthaltserlaubnis dürfe dem Kläger schon deshalb nicht erteilt werden, weil sein Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei. Die zum 1. Januar 2005 eingeführte Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gelte mangels einer besonderen Übergangsvorschrift auch für Altfälle. Die hiergegen eingelegte Revision des Klägers hatte Erfolg. Erfolgreich war auch die Revision einer iranischen Klägerin und ihrer drei Kinder gegen Beschlüsse des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der die Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnisse ebenfalls für rechtmäßig hielt, weil vorausgegangene Asylanträge nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden waren.
Nach Auffassung des 1. Revisionssenats findet die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur Anwendung, wenn der Ausländer den für ihn nachteiligen asylrechtlichen Bescheid gerichtlich auch darauf überprüfen lassen konnte, ob der Asylantrag zu Recht nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. Das war bei Asylablehnungen, die vor dem 1. Januar 2005 bestandskräftig geworden sind, nicht möglich. Im Übrigen fehlte es teilweise auch deshalb an den Voraussetzungen für die Sperrwirkung, weil die Asylablehnungen nicht eindeutig auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützt waren. Die beiden Verfahren wurden vom Bundesverwaltungsgericht an die zuständigen Berufungsgerichte zur weiteren Aufklärung und Entscheidung darüber zurückverwiesen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen vorliegen.
BVerwG 1 C 20.08 - Urteil vom 25.08.2009
BVerwG 1 C 30.08 - Urteil vom 25.08.2009
Beschluss vom 27.08.2008 -
BVerwG 1 B 15.08ECLI:DE:BVerwG:2008:270808B1B15.08.0
Beschluss
BVerwG 1 B 15.08
- Hessischer VGH - 27.05.2008 - AZ: VGH 9 A 452/08
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. August 2008
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig sowie
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
- Die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen seinen Beschluss vom 27. Mai 2008 wird aufgehoben.
- Die Revision wird zugelassen.
- Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 GKG).
Gründe
1 Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.
2
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob die Soll-Vorschrift des § 104a Abs. 1 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG vermitteln kann.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 1 C 20.08 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt einschließlich Diplomjuristen im höheren Verwaltungsdienst oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt einschließlich Diplomjuristen im höheren Verwaltungsdienst anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Beschluss vom 26.11.2008 -
BVerwG 1 C 20.08ECLI:DE:BVerwG:2008:261108B1C20.08.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 26.11.2008 - 1 C 20.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:261108B1C20.08.0]
Beschluss
BVerwG 1 C 20.08
- Hessischer VGH - 27.05.2008 - AZ: VGH 9 A 452/08 u.a.
In den Verwaltungsstreitsachen hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. November 2008
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Urteil vom 25.08.2009 -
BVerwG 1 C 20.08ECLI:DE:BVerwG:2009:250809U1C20.08.0
Leitsätze:
1. Die verkürzte Mindestaufenthaltsdauer von sechs Jahren nach der Altfallregelung in § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gilt nur für Eltern, die zum Stichtag 1. Juli 2007 in häuslicher Gemeinschaft mit ihren eigenen minderjährigen ledigen Kindern leben. Diese Kinder können hieraus auch für sich ein Aufenthaltsrecht ableiten. Für weitere Familienangehörige, auch für die zum Stichtag bereits volljährigen Kinder, ist hingegen eine Mindestaufenthaltsdauer von acht Jahren erforderlich.
2. Die eigenständige Altfallregelung für geduldete volljährige ledige Kinder geduldeter Ausländer nach § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG fordert nicht, dass die Kinder selbst die Aufenthaltszeiten von sechs oder acht Jahren erfüllen. Es genügt insoweit der sechs- oder achtjährige Aufenthalt eines Elternteils.
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Rechtsquellen
AsylVfG § 30 Abs. 1, § 30 Abs. 3 AufenthG § 10 Abs. 3, § 23 Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 5, § 104a Abs. 1, § 104a Abs. 2 -
Instanzenzug
VGH Kassel - 27.05.2008 - AZ: VGH 9 A 452/08 u.a. -
Hessischer VGH - 27.05.2008 - AZ: VGH 9 A 452/08 u.a.
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 25.08.2009 - 1 C 20.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:250809U1C20.08.0]
Urteil
BVerwG 1 C 20.08
- VGH Kassel - 27.05.2008 - AZ: VGH 9 A 452/08 u.a. -
- Hessischer VGH - 27.05.2008 - AZ: VGH 9 A 452/08 u.a.
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. August 2009
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
für Recht erkannt:
- Die Beschlüsse des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Mai 2008 in den Verfahren 9 A 452/08, 9 A 441/08, 9 A 450/08 und 9 A 442/08 werden aufgehoben.
- Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
- Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
II
9 Der Senat konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters des Beklagten im Sinne von § 67 Abs. 4 VwGO verhandeln und entscheiden, weil dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
10 Die Revisionen der Kläger sind zulässig und begründet. Die angefochtenen Berufungsentscheidungen beruhen auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen mit einer Begründung verneint, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält: Zu Unrecht ist es davon ausgegangen, dass der Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe. Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts zum Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 104a AufenthG oder anderen Vorschriften kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
11 1. Der Erteilung der von den Klägern begehrten Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen steht die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht entgegen. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Gemäß Satz 2 darf, sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes abgelehnt wurde, vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Allerdings erfasst die in § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG geregelte Sperrwirkung - entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts - auch Aufenthaltserlaubnisse nach § 104a AufenthG. Dem steht nicht entgegen, dass § 104a AufenthG in einem anderen Kapitel des Aufenthaltsgesetzes (10. Kapitel) steht als § 10 AufenthG (2. Kapitel). Denn die in § 104a AufenthG geregelten Aufenthaltserlaubnisse werden entweder als Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt (§ 104a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG) oder gelten zumindest als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes (§ 104a Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 AufenthG).
12 Die in § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG geregelte Sperrwirkung greift aber nicht bei solchen auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützten asylrechtlichen Ablehnungsbescheiden ein, die bei Inkrafttreten der Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG am 1. Januar 2005 bereits bestandskräftig waren. Die Gründe hierfür hat der Senat in seinem Urteil vom selben Tag in der Sache BVerwG 1 C 30.08 (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) im Einzelnen dargelegt; hierauf wird Bezug genommen. Die im Fall der Kläger ergangenen Ablehnungsbescheide des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Bundesamt - sind bereits seit 2002 (Kläger zu 1 bis 3) und 2003 (Klägerin zu 4) bestandskräftig, sodass sie keine Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zum Nachteil der Kläger entfalten.
13 Eine Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entfaltet der an die Klägerin zu 4 gerichtete Bescheid des Bundesamtes von 2003 auch deshalb nicht, weil sich aus ihm nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit ergibt, dass die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht nur auf die im Bescheid genannte Vorschrift des § 30 Abs. 1 AsylVfG gestützt war, sondern auch auf § 30 Abs. 3 AsylVfG, von dem allein die Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgeht. Wie der Senat in seinem bereits zitierten Urteil vom selben Tag in der Sache BVerwG 1 C 30.08 näher ausgeführt hat, geht die Sperrwirkung nur von solchen ablehnenden asylrechtlichen Bescheiden aus, aus denen sich durch ausdrückliche Nennung von § 30 Abs. 3 AsylVfG oder auf andere Weise für den Betroffenen eindeutig ergibt, dass der Offensichtlichkeitsausspruch gerade auf diese Vorschrift gestützt wird. Das ist bei dem an die Klägerin zu 4 gerichteten Bescheid des Bundesamtes nicht der Fall. Die allgemeine Bezugnahme auf die Tatsache, dass die Asylanträge der Eltern der Klägerin zu 4 rechtskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden waren, reicht hierfür nicht.
14 Auf die vom Berufungsgericht für grundsätzlich bedeutsam gehaltene, vom Senat bisher noch nicht entschiedene Frage, ob auch eine Soll-Vorschrift einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG begründen kann, der die Anwendung der Sperrwirkung des Satzes 2 der Vorschrift ausschließt (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - Rn. 24 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen = Buchholz 402.242 § 10 AufenthG Nr 2), kommt es daher im vorliegenden Verfahren nicht an.
15 2. Da das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen schon die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen steht, hat es - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104a AufenthG oder anderen Vorschriften (z.B. § 25 Abs. 5 AufenthG) erfüllt sind. Dies wird in dem erneuten Verfahren vor dem Berufungsgericht nachzuholen sein. Hierzu bemerkt der Senat Folgendes:
16 Bei der Anwendung des § 104a Abs. 1 AufenthG wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass die Privilegierung in Gestalt einer nur sechsjährigen Mindestaufenthaltsdauer im Sinne dieser Vorschrift nur für Eltern gilt, die in häuslicher Gemeinschaft mit ihren eigenen minderjährigen ledigen Kindern leben. Diese Kinder können hieraus auch für sich ein Aufenthaltsrecht ableiten. Für weitere Familienangehörige, auch für die zum Stichtag bereits volljährigen Kinder, ist hingegen eine Mindestaufenthaltsdauer von acht Jahren erforderlich. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
17 Nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll unter bestimmten, dort aufgeführten Voraussetzungen eine vom Erfordernis der Unterhaltssicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) unabhängige „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“ mit einer Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2009 (§ 104a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) erteilt werden. Erforderlich dafür ist zunächst, dass sich der Ausländer zum Stichtag 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder auf der Grundlage einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat. Falls der Ausländer zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, genügt ein entsprechender Aufenthalt von sechs Jahren. Die minderjährigen Kinder erhalten nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ebenfalls ein von der Aufenthaltserlaubnis der Eltern bzw. eines Elternteiles abhängiges Aufenthaltsrecht (so die Gesetzesbegründung der Bundesregierung vom 23. April 2007 zu § 104a AufenthG, BTDrucks 16/5065, S. 202; ebenso Hailbronner, Kommentar zum AufenthG, Stand Februar 2008, § 104a Rn. 19). Die Privilegierung in Gestalt eines lediglich sechsjährigen Aufenthalts beschränkt sich nach dem Sinn und Zweck der Regelung auf Eltern, die zum Stichtag mit ihren eigenen minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft leben. Zwar spricht § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG in diesem Zusammenhang nur vom Erfordernis einer „häuslichen Gemeinschaft" mit minderjährigen Kindern, so dass dem Wortlaut nach nicht nur die Eltern, sondern auch volljährige Geschwister und sonstige Familienangehörige sowie weitere im Haushalt lebende Dritte erfasst sein könnten. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, soll die kürzere Aufenthaltsdauer von sechs Jahren jedoch nur Eltern mit eigenen minderjährigen Kindern privilegieren, nicht aber Dritte, die mit diesen Kindern in häuslicher Gemeinschaft leben (vgl. Gesetzesbegründung der Bundesregierung, BTDrucks 16/5065, S. 201 f., die als „ausschlaggebend“ für die Differenzierung zwischen dem sechs- und dem achtjährigen Aufenthalt den Umstand ansieht, dass „der Ausländer Kinder hat und mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft lebt“; ebenso im Ergebnis Maaßen, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, S. 315 Rn. 686).
18 Die Klägerin zu 1 dürfte daher die erforderliche Mindestaufenthaltsdauer nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllen. Dies hätte zur Folge, dass auch die Klägerinnen zu 2 und 4, sofern sie zum Stichtag mit ihr in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach dieser Vorschrift erhalten können. Für den Kläger zu 3 kommt dagegen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift nicht in Betracht. Denn er war zum Stichtag 1. Juli 2007 - anders als seine beiden Schwestern - bereits volljährig und benötigte daher nach dieser Vorschrift einen Aufenthalt von mindestens acht Jahren, über die er zum Stichtag nicht verfügte.
19 Bei dem Kläger zu 3 dürfte jedoch die gesetzlich geforderte Mindestaufenthaltsdauer für den Ermessensanspruch nach § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen. Diese Vorschrift enthält eine eigenständige Altfallregelung für volljährige ledige Kinder geduldeter Ausländer (vgl. Maaßen, a.a.O. Rn. 686). Die volljährigen Kinder im Sinne dieser Vorschrift müssen nicht selbst die Aufenthaltszeiten von sechs oder acht Jahren erfüllen, sondern können ihr Aufenthaltsrecht insoweit von dem sechs- oder achtjährigen Aufenthalt eines Elternteils ableiten. Dafür spricht schon der Wortlaut der Vorschrift. Danach kann eine Aufenthaltserlaubnis dem geduldeten ledigen Kind eines geduldeten Ausländers erteilt werden, „der“ einen Mindestaufenthalt von acht Jahren oder bei häuslicher Gemeinschaft mit minderjährigen Kindern von sechs Jahren im Sinne der Vorschrift aufzuweisen hat. Die für die Aufenthaltszeit maßgebliche Person wird durch das Relativpronomen „des“ eindeutig als eines der Elternteile des geduldeten volljährigen Kindes identifiziert. Es sind auch keine Gründe dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen dem eindeutigen Wortlaut die Mindestaufenthaltszeiten nicht nur in der Person des Elternteils, sondern zugleich auch in der Person des ledigen Kindes erfüllt sehen wollte. Der nicht näher begründeten gegenteiligen Auffassung, die verlangt, dass das volljährige ledige Kind selbst die Mindestaufenthaltszeiten nach § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllen müsse (so OVG Lüneburg, Urteil vom 27. September 2007 - 11 LB 69/07 - DVBl 2008, 57 Rn. 80; ihm folgend Maaßen, a.a.O. S. 332 Rn. 741), ist daher nicht zu folgen (ebenso: Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: Oktober 2009, § 104a, Rn. 25; Albrecht, in: Storr u.a., ZuWG 2. Aufl. 2008, § 104a AufenthG, S. 776 Rn. 21). Dies führt im Übrigen im Ergebnis auch nicht zu einer ungerechtfertigten Privilegierung der volljährigen ledigen Kinder. Denn sie brauchen zwar nicht selbst über bestimmte Mindestaufenthaltszeiten zu verfügen, müssen aber die besonderen Integrationserfordernisse nach dieser Vorschrift erfüllen und als Minderjährige eingereist sein. Außerdem steht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in diesen Fällen - anders als nach Absatz 1 der Vorschrift - im Ermessen der Behörde.
20 Auch für die Klägerin zu 2 dürfte nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht ein Ermessensanspruch nach § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Betracht kommen. Sie ist zwar erst im Verlauf des Revisionsverfahrens volljährig geworden. § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG soll aber auch auf Kinder von Ausländern Anwendung finden, die zum Stichtag noch minderjährig waren, mittlerweile aber volljährig geworden sind (vgl. Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, BRDrucks 669/09 Rn. 104a 1.9) und OVG Koblenz, Beschluss vom 19. Juni 2009 - 7 B 10468/09 - InfAuslR 2009, 345, 346).
21 Ob die weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerinnen zu 1, 2 und 4 nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG und einen Anspruch der Kläger zu 2 und 3 auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen, wird vom Berufungsgericht zu prüfen sein, gegebenenfalls auch das Vorliegen der Voraussetzungen weiterer möglicher Rechtsgrundlagen für die begehrte Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (z.B. nach § 25 Abs. 5 AufenthG).
22
Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorbehalten.
Eckertz-Höfer Prof. Dr. Dörig Richter
Beck Prof. Dr. Kraft
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 20 000 € (4 x 5 000 €) festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG, § 39 Abs. 1 GKG).