Beschluss vom 26.07.2017 -
BVerwG 1 VR 6.17ECLI:DE:BVerwG:2017:260717B1VR6.17.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 26.07.2017 - 1 VR 6.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:260717B1VR6.17.0]
Beschluss
BVerwG 1 VR 6.17
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Juli 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph
beschlossen:
- Der Antrag der Antragstellerin, den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - zu ändern und den Antrag des Antragsgegners auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung der Antragstellerin vom 16. März 2017 ohne die vom Senat ausgesprochene Maßgabe abzulehnen, wird abgelehnt.
- Die Antragstellerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag der Antragstellerin auf Änderung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - im Wege einer Abänderung nach § 80 Abs. 7 VwGO hat keinen Erfolg. Mit dieser Entscheidung hat der Senat den Antrag des Antragsgegners auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung der Antragstellerin vom 16. März 2017 mit der Maßgabe abgelehnt, dass der Antragsgegner erst nach Erlangung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abgeschoben werden darf, wonach ihm in Algerien keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (Art. 3 EMRK).
2 Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter Umstände beantragen. Ob diese Voraussetzung hier bereits dadurch erfüllt ist, dass es der Antragstellerin bislang nicht gelungen ist, die vom Senat im Beschluss vom 31. Mai 2017 geforderte Einzelfallzusicherung einer algerischen Regierungsstelle zu erlangen, und das Landgericht deshalb angekündigt hat, der Haftbeschwerde des Antragsgegners stattzugeben, oder ob die Annahme "veränderter Umstände" mehr erfordert als ein derartiger, dem Vollzug der Abschiebungsanordnung entgegenstehender Hinderungsgrund, kann hier dahinstehen. Denn gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit von Amts wegen ändern oder aufheben. Insoweit ist der Antrag der Antragstellerin gleichzeitig als Anregung an das Gericht zu verstehen, den Beschluss des Senats vom 31. Mai 2017 von Amts wegen zu ändern.
3 Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene Entscheidung richtig ist; es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage eine andere Entscheidung bezüglich der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2011 - 8 VR 2.11 - juris Rn. 8 m.w.N.). Dies ist nicht der Fall.
4 Der Senat hat den Vollzug der gegen den Antragsgegner auf der Grundlage des § 58a AufenthG ergangenen Abschiebungsanordnung von der Einholung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abhängig gemacht und dies damit begründet, dass den algerischen Behörden spätestens bei der im Falle einer Abschiebung zu erwartenden Befragung durch die Polizei bekannt würde, dass der Antragsgegner wegen der Gefahr der Begehung einer terroristischen Tat abgeschoben wird. Weiter ist der Senat davon ausgegangen, dass zu befürchten ist, dass der Antragsgegner in diesem Zusammenhang für einige Zeit in Polizeigewahrsam genommen wird und dabei die Gefahr der Folter oder einer anderen gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung oder Bestrafung nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Dabei hat sich der Senat mit dem in Algerien eingeleiteten Reformprozess auseinandergesetzt, ist aber zu dem Ergebnis gekommen, dass dies unter den hier gegebenen Umständen allein noch keinen ausreichenden Schutz vor der Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gewährt. Vielmehr bedarf es zusätzlich einer Absicherung durch eine diplomatische Zusicherung, weil es nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes in Algerien regelmäßig zu Anschlägen mit "Al Quaida im Islamischen Maghreb" oder der Terrormiliz "Islamischer Staat" zuzurechnenden Terroristen kommt und es ernst zu nehmende Hinweise gibt, dass es im Polizeigewahrsam - vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus - nach wie vor zu Übergriffen bis hin zu Folter kommt (Lagebericht des Auswärtigem Amtes vom 13. Februar 2017 S. 6 und 20). Damit bestehen ernsthafte und stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Antragsgegner im Falle seiner Abschiebung nach Algerien Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Dieser Einschätzung hat sich das Bundesverfassungsgericht im Verfassungsbeschwerdeverfahren des Antragsgegners angeschlossen und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einholung einer Zusicherung im vorliegenden Verfahren erforderlich ist und - über den Tenor des Senatsbeschlusses hinaus - mit spezifischen Garantien verbunden sein muss (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 Rn. 46 und 50). Diesen Anforderungen wird die Verbalnote der algerischen Botschaft vom 4. März 2016 nicht gerecht, da sie ein konkretes Auslieferungsverfahren betrifft, an dessen Bewilligung ein ausländischer Staat regelmäßig ein eigenes Interesse hat, und sich auf ein bestimmtes Strafverfahren und die dabei garantierten Haftbedingungen bezieht. Demgegenüber geht es im vorliegenden Verfahren vor allem um Repressionen durch die Sicherheitsbehörden bzw. die Polizeigewalt im Zusammenhang mit der vom Antragsgegner ausgehenden Gefahr der Begehung einer terroristischen Tat. Allein der Umstand, dass ein anderer Algerier inzwischen - entgegen einer vom Senat geforderten Zusicherung, dass ihm in Algerien keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht - allein auf der Grundlage einer Zusicherung, dass er "nicht Gegenstand eines Strafverfahrens" sei, abgeschoben worden ist, ohne dass es in diesem Zusammenhang zu einer rechtsstaatswidrigen Behandlung gekommen ist, rechtfertigt noch nicht die Einschätzung, dass hiervon generell und speziell im Fall des Antragsgegners mit einer gänzlich anderen "vita" und anderen Beziehungen nach Algerien und zum "IS" auszugehen ist.
5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und die Festsetzung des Streitwertes auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.