Pressemitteilung Nr. 80/2010 vom 22.09.2010

Eilantrag eines Naturschutzvereins gegen den Bau der Ortsumgehung Freiberg im Zuge der B 101 und B 173 erfolgreich

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat dem Eilantrag eines in Sachsen anerkannten Naturschutzvereins gegen den Bau der Ortsumgehung Freiberg im Zuge der Bundesstraßen B 101 und B 173 stattgegeben. Damit darf ungeachtet des Ausgangs noch anhängiger Eilverfahren weiterer Kläger nicht mit Arbeiten zur Vollziehung des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses begonnen werden. Der ergangene Gerichtsbeschluss bedeutet keine Vorentscheidung über den Ausgang des Hauptsacheverfahrens.


Das planfestgestellte Straßenbauvorhaben soll in zwei Bauabschnitten verwirklicht werden. Der Träger des Vorhabens hat die Absicht bekundet, mit Rodungsarbeiten im Freiberger Hospitalwald zur Ausführung des ersten Bauabschnitts in Kürze zu beginnen. Wann es zur Ausführung des zweiten Bauabschnitts kommen soll, ist noch nicht absehbar. Mit seiner Klage macht der Naturschutzverein geltend, die geplante Trassenführung verstoße insbesondere gegen europäisches Arten- und Gebietsschutzrecht.


Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung über den Baustopp aufgrund einer Interessenabwägung getroffen: Bezogen auf den ersten, westlichen Bauabschnitt sei zu berücksichtigen, dass der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache offen sei. Die Klage werfe eine Vielzahl zum Teil schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen des europäischen Naturschutzrechts auf, die erst im Hauptsacheverfahren verlässlich geklärt werden könnten. Unter diesen Umständen sei es trotz des öffentlichen Interesses an einem zügigen Baubeginn vordringlich, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, die die Beeinträchtigung gewichtiger, auch gemeinschaftsrechtlich geschützter Gemeinwohlbelange des Naturschutzes zur Folge haben könnten. Da die Behörde - trotz gerichtlicher Anfrage - zur gesicherten Finanzierung des zweiten Bauabschnitts keine Angaben gemacht habe und schon deshalb dessen Realisierung noch nicht absehbar sei, fehle es insoweit von vornherein an einem dringlichen Vollzugsinteresse.


BVerwG 9 VR 2.10 - Beschluss vom 22.09.2010


Beschluss vom 22.09.2010 -
BVerwG 9 VR 2.10ECLI:DE:BVerwG:2010:220910B9VR2.10.0

Beschluss

BVerwG 9 VR 2.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. September 2010
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Domgörgen
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:

  1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 24. Februar 2010 für den Bau der Ortsumgehung Freiberg im Zuge der Bundesstraßen B 173 und B 101 wird angeordnet.
  2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller, ein im Freistaat Sachsen anerkannter Naturschutzverein, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 24. Februar 2010 für den Bau der Ortsumgehung Freiberg im Zuge der Bundesstraßen B 173 und B 101. Er macht vor allem geltend, die geplante Trassenführung sei mit europäischem Naturschutzrecht unvereinbar, weil das Vorhaben zu erheblichen Beeinträchtigungen von FFH-Gebieten führe und gegen artenschutzrechtliche Verbote verstoße.

II

2 Der Antrag ist begründet. Das Interesse des Antragstellers am Unterbleiben von Vollzugsmaßnahmen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens überwiegt das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses.

3 1. Soweit es um den Bau der geplanten Umgehungsstraße auf dem Teilstück östlich des Knotenpunktes 4 bis zum Planfeststellungsende geht, fällt die Interessenabwägung schon deshalb zu Lasten des Antragsgegners aus, weil die Realisierung dieses Teilstücks noch gar nicht ansteht. Nach den Planungen des Antragsgegners ist es Gegenstand eines zweiten Bauabschnitts, dessen Beginn weder für dieses noch für das Folgejahr disponiert ist und für den der Antragsgegner trotz entsprechender gerichtlicher Anfrage keine Angaben zur Finanzierbarkeit gemacht hat. Abweichend vom gesetzlich vorausgesetzten Regelfall fehlt es insoweit mithin an einem aktuellen Vollzugsinteresse. Dies geht zu Lasten des Antragsgegners, da dieser es in der Hand gehabt hätte, die Vollziehung des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses hinsichtlich des zweiten Bauabschnitts gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO von Amts wegen behördlich auszusetzen, um die für die Planbetroffenen ansonsten unausweichliche, weil fristgebundene Einleitung eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes entbehrlich zu machen (vgl. Beschlüsse vom 17. September 2001 - BVerwG 4 VR 19.01 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 66 und vom 7. Juli 2010 - BVerwG 9 VR 1.10 - juris Rn. 2).

4 2. Bezogen auf die Vorhabenteile, die in den vom Anfangspunkt der Planfeststellung bis zum Knotenpunkt 4 einschließlich reichenden ersten Bauabschnitt fallen, überwiegt gleichfalls das Interesse des Antragstellers am Unterbleiben von Vollzugsmaßnahmen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.

5 Für die Interessenabwägung ist insoweit zunächst zu berücksichtigen, dass der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache offen ist. Auf der Grundlage des Klagevorbringens stellen sich zahlreiche teils schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen, die den gemeinschaftsrechtlich veranlassten Gebiets- und Artenschutz betreffen. Deren Beantwortung kann mit der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend sicher prognostiziert werden. Ebenso wenig lässt sich aufgrund summarischer Prüfung verlässlich beurteilen, ob und inwieweit sich eine Klärung dieser Fragen wegen Einwendungsausschlusses nach § 17a Nr. 7 Satz 2 FStrG erübrigt. Von den im Klageverfahren geltend gemachten Einwänden des Antragstellers finden manche in seinem Einwendungsschreiben vom 4. Dezember 2008 gar keine Entsprechung, andere sind darin teils nur in sehr allgemeiner Form angesprochen, teils näher ausgeführt. Unter diesen Umständen bedarf im Klageverfahren eingehender Klärung, welche Anforderungen an die Substantiierung und ggf. auch die rechtliche Einordnung von Einwendungen anerkannter Naturschutzvereine in Anbetracht der Verfahrensmodalitäten des § 17a Nr. 3 Satz 1 FStrG i.V.m. § 73 Abs. 4 VwVfG zu stellen sind, inwieweit für die Vielzahl erhobener Einwendungen diesen Anforderungen Genüge getan ist und ob, soweit dies nicht zutreffen sollte, die Planunterlagen eine ausreichende Anstoßwirkung zur Erhebung von Einwendungen entfaltet haben. Auch eine verlässliche Beantwortung dieser Fragen ginge über den Rahmen summarischer Prüfung deutlich hinaus.

6 Hiervon ausgehend entspricht es trotz des gesteigerten Vollzugsinteresses, das mit der Aufnahme des Vorhabens in den Fernstraßenbedarfsplan als vordringlicher Bedarf indiziert ist, ohne dass für den ersten Bauabschnitt besondere Umstände diese Indizwirkung entkräfteten, einer angemessenen Interessenabwägung, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; denn diese könnten zur Folge haben, dass gewichtige, auch gemeinschaftsrechtlich geschützte Gemeinwohlbelange des Naturschutzes beeinträchtigt werden (vgl. Beschluss vom 14. April 2005 - BVerwG 4 VR 1005.04 - BVerwGE 123, 241 <243 ff.>). Zu vollendeten Tatsachen würden insbesondere auch Maßnahmen führen, die der Antragsgegner zeitnah verwirklichen will, wie die Rodung von Teilen des Hospitalwaldes im bahnparallelen Trassenverlauf; unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers lässt sich nicht mit der nötigen Sicherheit ausschließen, dass es bereits durch sie zu negativen Auswirkungen auf Schutzgüter der einschlägigen artenschutzrechtlichen Bestimmungen kommt.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG.