Verfahrensinformation
Die Klägerin, eine amtsangehörige Gemeinde, wendet sich gegen einen Zinsbescheid infolge der überhöhten Gewährung einer Zuwendung. Für sie wurde im Verwaltungsverfahren ein Rechtsanwalt tätig, ohne eine schriftliche Vollmacht vorzulegen. Nach dessen Akteneinsicht und zweimaliger Bitte um Verlängerung der Anhörungsfrist teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten mit, die Frist werde nicht erneut verlängert. Ein Zinsbescheid werde am selben Tage ergehen. Den Bescheid versandte der Beklagte mit einfacher Post an die Klägerin über das für sie zuständige Amt. Dem Bevollmächtigten übermittelte sie den Bescheid erst über einen Monat später, nachdem sich dieser nach dem angekündigten Bescheid erkundigt hatte.
Die Klägerin macht geltend, der Bescheid sei ihr zuvor nicht zugegangen. Auf ihre mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist verbundene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Zwischenurteil die Zulässigkeit der Klage festgestellt. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil geändert und die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Bescheid sei als drei Tage nach seiner Absendung an die Klägerin bekannt gegeben anzusehen. Die Bekanntgabe gegenüber der Klägerin sei ermessensfehlerfrei gewesen. Dass die Klägerin den Zugang des Bescheides bestreite, begründe angesichts der im Berufungsverfahren ermittelten Besonderheit, dass damals beim Amt ein mittlerweile nicht mehr auffindbares Postbuch geführt worden sei, keine Zweifel am Zugang. Die Klägerin hätte das Postbuch aufbewahren müssen und trage deshalb die Verantwortung dafür, dass nicht mehr aufgeklärt werden könne, ob der Bescheid zugegangen sei. Ihr sei keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision.
Pressemitteilung Nr. 59/2022 vom 21.09.2022
Bekanntgabefiktion: Anforderungen an die Darlegung von Zweifeln am Zugang eines an eine Behörde mit Posteingangsdokumentation gerichteten Bescheides
Ein Gericht darf Zweifel am Zugang eines mit einfacher Post an eine Behörde gesandten Bescheides verneinen, wenn diese den Zugang zwar bestreitet, ihre lückenlose Dokumentation des Posteingangs für den fraglichen Zeitraum aber nicht offenlegt und die zu Beginn des Verwaltungsprozesses noch verfügbare Dokumentation nicht aufbewahrt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Die Klägerin, eine amtsangehörige Gemeinde, klagte gegen einen subventionsrechtlichen Zinsbescheid des beklagten Ministeriums. Der Bescheid wurde mit einfacher Post an sie und nicht an den Bevollmächtigten gesandt, der sich im Verwaltungsverfahren - ohne Vorlage einer Vollmacht - für sie bestellt hatte. Nach der Bekanntgabefiktion des § 41 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz gilt ein als einfacher Brief versandter Bescheid als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post bekanntgegeben. Erst mehr als einen Monat später hat die Klägerin Klage erhoben und geltend gemacht, sie habe keinen Bescheid erhalten. Im Berufungsverfahren hat sie auf Nachfrage vorgetragen, sie habe im fraglichen Zeitraum ein Posteingangsbuch geführt; es sei heute nicht mehr vorhanden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Vortrag der Klägerin angesichts dieser Umstände keine Zweifel am Zugang des Bescheides begründen könne.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision zurückgewiesen. Nach den Vorschriften über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten durfte das Ministerium den Bescheid unmittelbar an die Klägerin senden. Das Berufungsgericht musste aufgrund ihres Vortrags nicht am Zugang des Bescheides zweifeln. Zwar genügt regelmäßig einfaches Bestreiten des Zugangs, Zweifel zu begründen, weil der Adressat typischerweise keine genaueren Umstände darlegen kann, die gegen einen Zugang sprechen. Bei behördlichen Adressaten, die eine Posteingangsdokumentation führen, ist dies anders. Sie können beispielsweise darlegen, dass dort für den möglichen Zugangszeitraum kein entsprechender Eingang verzeichnet ist. Solche Adressaten trifft außerdem ab Prozessbeginn eine verfahrensrechtliche Obliegenheit, die Dokumentation bis zum Abschluss des Verfahrens zu Beweiszwecken aufzubewahren. Geht die Dokumentation in dieser Zeit aus Gründen verloren, die sie zu vertreten haben, führt dies nicht dazu, dass nun wieder schlichtes Bestreiten des Zugangs genügte. Von einem solchen von der Klägerin zu vertretenden Verlust ist das Oberverwaltungsgericht hier revisionsrechtlich fehlerfrei ausgegangen.
Fußnote:
§ 41 Verwaltungsverfahrensgesetz:
(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden.
(2) Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder in das Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
BVerwG 8 C 12.21 - Urteil vom 21. September 2022
Vorinstanzen:
OVG Greifswald, OVG 2 LB 108/17 - Urteil vom 28. Oktober 2020 -
VG Greifswald, VG 4 A 401/13 - Urteil vom 06. Dezember 2016 -
Beschluss vom 19.10.2021 -
BVerwG 8 B 10.21ECLI:DE:BVerwG:2021:191021B8B10.21.0
-
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 19.10.2021 - 8 B 10.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:191021B8B10.21.0]
Beschluss
BVerwG 8 B 10.21
- VG Greifswald - 06.12.2016 - AZ: VG 4 A 401/13
- OVG Greifswald - 28.10.2020 - AZ: OVG 2 LB 108/17
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Oktober 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:
- Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 28. Oktober 2020 wird aufgehoben.
- Die Revision wird zugelassen.
- Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren und für das Revisionsverfahren - insoweit vorläufig - auf 15 630,43 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Beschwerdevorbringen führt auf die Frage, ob einfaches Bestreiten des Zugangs eines Verwaltungsakts genügt, Zweifel am Zugang im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG zu wecken, wenn die Posteingänge des Adressaten dokumentiert werden, die Dokumentation für den fraglichen Zeitraum aber nicht mehr verfügbar ist.
2
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Rechtsbehelfsbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 C 12.21 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.
Urteil vom 21.09.2022 -
BVerwG 8 C 12.21ECLI:DE:BVerwG:2022:210922U8C12.21.0
Bekanntgabefiktion für an Behörde mit Posteingangsdokumentation adressierten Bescheid
Leitsatz:
Bestreitet eine Behörde den Zugang des an sie adressierten, von ihr angefochtenen Bescheides und verfügte sie bei Prozessbeginn noch über eine Dokumentation ihres Posteingangs im fraglichen Zugangszeitraum, darf das Gericht Zweifel am Zugang im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG verneinen, wenn die Behörde die Vorlage der Dokumentation unter Berufung auf deren Verlust verweigert, ohne darzutun, dass sie diesen nicht zu vertreten hat.
-
Rechtsquellen
VwGO § 60 Abs. 1 und 2, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwVfG § 14 Abs. 3, § 41 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 und 3 VwZG § 7 Abs. 1 Satz 2 -
Instanzenzug
VG Greifswald - 06.12.2016 - AZ: 4 A 401/13
OVG Greifswald - 28.10.2020 - AZ: 2 LB 108/17
-
Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 21.09.2022 - 8 C 12.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:210922U8C12.21.0]
Urteil
BVerwG 8 C 12.21
- VG Greifswald - 06.12.2016 - AZ: 4 A 401/13
- OVG Greifswald - 28.10.2020 - AZ: 2 LB 108/17
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Hoock und Dr. Rublack sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller und Dr. Meister
für Recht erkannt:
- Die Revision wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1 Die Klägerin, eine amtsangehörige Stadt in Mecklenburg-Vorpommern, wendet sich gegen einen subventionsrechtlichen Zinsbescheid.
2 Der Beklagte gewährte ihr eine Zuwendung für ihre Schmutzwasserkanalisation. Die Klägerin verbrauchte den von ihr abgeforderten Zuwendungsbetrag nur zum Teil. Mit Änderungsbescheid vom 12. Oktober 2011 verringerte der Beklagte seine Zuwendung entsprechend und hörte die Klägerin zur beabsichtigten Erhebung von Erstattungsbegleitzinsen und Vorgriffszinsen in Höhe von insgesamt 15 630,43 € an. Daraufhin meldete sich für die Klägerin ein anwaltlicher Bevollmächtigter, kündigte die Nachreichung einer Vollmacht an und beantragte unter anderem Akteneinsicht sowie die Verlängerung der Anhörungsfrist. Der Beklagte gewährte ihm Akteneinsicht und verlängerte die Anhörungsfrist ihm gegenüber bis zum 22. Dezember 2011.
3 Einen Antrag des Bevollmächtigten vom 22. Dezember 2011 auf weitere Verlängerung der Anhörungsfrist lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 28. Dezember 2011 ab und teilte ihm mit, der Zinsbescheid ergehe mit Datum vom heutigen Tage. Seinen am 28. Dezember 2011 erlassenen Zinsbescheid adressierte der Beklagte unmittelbar an die Klägerin über das für sie zuständige Amt und gab ihn zum Versand mit einfacher Post an seine Poststelle, die auf der Aktenverfügung einen Absendestempel anbrachte.
4 Auf die Nachfrage des Bevollmächtigten vom 3. Februar 2012, wann mit einem Zinsbescheid gerechnet werden könne, übermittelte der Beklagte ihm den an die Klägerin adressierten Bescheid vom 28. Dezember 2011. Die Klägerin hat am 8. Februar 2012 Klage gegen den Bescheid erhoben und vorsorglich Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragt. Der Bescheid sei ihr nicht zugegangen. Deshalb greife die gesetzliche Fiktion des Zugangs drei Tage nach seiner Absendung in ihrem Fall nicht ein. Zudem sei die Bekanntgabe unmittelbar an sie und nicht an ihren Bevollmächtigten ermessensfehlerhaft gewesen.
5 Das Verwaltungsgericht hat durch Zwischenurteil entschieden, die Klage sei zulässig. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin auf gerichtliche Verfügung mitgeteilt, der Posteingang sei beim Amt im fraglichen Zeitraum über ein Postbuch erfasst worden. Auf die anschließende gerichtliche Anforderung der Postbücher von 2011 und 2012 hat sie erklärt, diese seien nicht vorhanden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Der Zinsbescheid sei gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG als am 31. Dezember 2011 zugegangen anzusehen. Die Ausnahme des § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG von der gesetzlichen Bekanntgabefiktion greife nicht ein, denn der klägerische Vortrag begründe noch keine Zweifel am Zugang des Verwaltungsakts. Da der Zugang von Anfang an umstritten gewesen sei, hätte die Klägerin das Postbuch aufbewahren müssen. Sie trage deshalb die Verantwortung für die fehlende Möglichkeit der Aufklärung. Der Bescheid sei ihr ermessensfehlerfrei bekanntgegeben worden. Eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist scheide aus, weil diese nicht unverschuldet versäumt worden sei.
6 Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil kehre die Beweislast rechtsfehlerhaft zu ihren Lasten um. Sie sei weder zur Führung noch zur Aufbewahrung des - nach ihren Angaben in der Revisionsverhandlung bei Prozessbeginn noch vorhandenen - Postbuches verpflichtet gewesen. Überdies sei die für solche Bücher geltende fünfjährige Aufbewahrungsfrist im Zeitpunkt der gerichtlichen Aufklärungsverfügung abgelaufen gewesen. Das Risiko der Nichterweislichkeit des Zugangs des mit einfacher Post versandten Bescheides trage nach § 41 Abs. 2 VwVfG der Beklagte.
7
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. Oktober 2020 zu ändern und die Berufung zurückzuweisen.
8
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9 Er verteidigt das Berufungsurteil.
II
10 Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil hat die Zulässigkeit der Klage in Übereinstimmung mit revisiblem Recht wegen Überschreitens der Klagefrist verneint. Diese ist ab der Bekanntgabe des Bescheides (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) und damit ab dem Zugang des Zinsbescheides bei der Klägerin zu berechnen. Der Beklagte hat der Klägerin den Bescheid wirksam bekanntgegeben (1.). Dessen Zugang drei Tage nach seiner Absendung wird gesetzlich fingiert, weil das Berufungsgericht Zweifel an ihm ohne Verletzung revisiblen Rechts verneint hat (2.). Eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist scheidet wegen verschuldeter Fristversäumnis aus (3.).
11 1. Die Klagefrist begann mit der Bekanntgabe des Bescheides an die Klägerin über das für sie zuständige Amt zu laufen. Diese Bekanntgabe war wirksam.
12 Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe nach Satz 2 der Norm ihm gegenüber vorgenommen werden. Diese Regelung räumt der Behörde pflichtgemäß auszuübendes Ermessen bei der Auswahl des Bekanntgabeadressaten ein, ohne einer Bekanntgabe gegenüber dem Bevollmächtigten den Vorrang einzuräumen. Sie verdrängt als Sonderregelung für verfahrensbeendende Entscheidungen die Regelung des § 14 Abs. 3 VwVfG, wonach sich die Behörde im Verwaltungsverfahren an einen bestellten Bevollmächtigten wenden soll. § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG schränkt daher die Wirksamkeit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts unmittelbar an den Betroffenen nicht ein, sondern erweitert die Handlungsmöglichkeiten der Behörde um diejenige, den Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten bekanntzugeben (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 - BVerwGE 105, 288 <292 ff.>). Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten zulässig ist (vgl. den Bericht des Innenausschusses vom 18. Dezember 1975, BT-Drs. 7/4494 S. 8). Dass damit keine Pflicht zur vorrangigen Bekanntgabe an den Bevollmächtigten eingeführt werden sollte, bestätigt neben dem Wortlaut des § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG auch das Scheitern einer Regelungsinitiative, eine solche Pflicht in der Parallelregelung des § 37 Abs. 1 SGB X zu verankern (vgl. BT-Drs. 8/4022 S. 24; BT-Drs. 8/4330 S. 2; Mutschler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2021, § 37 SGB X Rn. 13 m. w. N.).
13 Der Beklagte hat sein Ermessen gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG fehlerfrei zugunsten einer Bekanntgabe des Zinsbescheides unmittelbar an die Klägerin ausgeübt. Da ihm keine schriftliche Vollmacht vorgelegt worden war, bedarf keiner Erwägung, ob und gegebenenfalls inwieweit sein Ermessen in diesem Fall bei Übertragbarkeit des Rechtsgedankens aus der § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG entsprechenden Zustellungsregelung des § 101 Abs. 1 Satz 2 VwVfG MV zugunsten einer Bekanntgabe an den Bevollmächtigten beschränkt gewesen sein könnte. Dass der Beklagte zuvor mit dem Bevollmächtigten der Klägerin korrespondiert und ihm Akteneinsicht gewährt hatte, reduzierte sein Ermessen nicht auf eine Bekanntgabe an ihn. Die Ermessensgrenze des Willkürverbots wäre überschritten, wenn der Beklagte Verwaltungsakte bislang stets dem Bevollmächtigten gegenüber bekanntgegeben hätte und während des Verfahrens ohne sachlichen Grund zu einer Bekanntgabe unmittelbar an die Klägerin übergegangen wäre (vgl. für Zustellungen BFH, Urteil vom 3. Februar 2004 - VII R 30/03 - BFHE 204, 403 Rn. 22 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. November 2007 - 11 LA 172/07 - InfAuslR 2008, 78 f.). Das war hier jedoch nicht der Fall. Die Bescheide in dem subventionsrechtlichen Verwaltungsverfahren wurden zuvor ebenfalls der Klägerin - teilweise über das für sie zuständige Amt - bekanntgegeben. Die Klägerin musste als eine mit den verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen besonders vertraute Behörde daher mit einer Bekanntgabe unmittelbar an sich selbst rechnen.
14 2. Das Oberverwaltungsgericht ist in tatrichterlicher Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhaltes und des Vortrages der Klägerin von einer Bekanntgabe des Zinsbescheides am dritten Tage nach seiner Absendung durch den Beklagten ausgegangen. Diese Annahme steht in Einklang mit revisiblem Recht.
15 Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt am dritten Tag nach seiner Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Nach Satz 3 der Norm gilt dies jedoch nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Als Datum der Aufgabe zur Post hat das Berufungsgericht den 28. Dezember 2011 festgestellt. Dagegen hat die Klägerin keine wirksamen Verfahrensrügen erhoben. Ausgehend hiervon ist nach der Fiktionsregelung des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG eine Bekanntgabe des Bescheides an sie am 31. Dezember 2011 anzunehmen. Zweifel am Zugang, derentwegen dem Beklagten davon abweichend nach Satz 3 der Regelung der Nachweis des Zugangs obläge, hat das Berufungsgericht verneint. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
16 Ob Zweifel im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG am Zugang eines Verwaltungsakts bestehen, unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Zweifel im Sinne der Regelung sind schon dann gegeben, wenn das Tatsachengericht den Zugang des Verwaltungsakts für ungewiss hält. Bestreitet der Kläger den Zugang, hat das Gericht die Glaubhaftigkeit seines Vortrages und seine Glaubwürdigkeit zu bewerten. Zur Darlegung von Zweifeln im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG genügt regelmäßig das einfache Bestreiten des Zugangs, weil einem Adressaten, der den Zugang überhaupt bestreitet, anders als bei verspätetem Zugang eine weitere Substantiierung typischerweise nicht möglich ist (zu § 122 Abs. 2 AO vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2016 - 9 C 19.15 - BVerwGE 155, 241 Rn. 18; BFH, Urteil vom 14. März 1989 - VII R 75/85 - BFHE 156, 66 <71> und Beschluss vom 14. Februar 2008 - X B 11/08 - BFH/NV 2008, 743; zu § 37 Abs. 2 SGB X vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 - B 13 R 4/06 R - SozR 4-2600 § 115 SGB VI Nr. 2 Rn. 20). In aller Regel liegen die Umstände der Postbeförderung und -zustellung, aus denen sich Schlüsse auf den Zugang oder Nichtzugang eines mit einfacher Post versandten Bescheides ziehen ließen, außerhalb der Sphäre des Klägers, so dass er aufgrund eigener Wahrnehmung nicht mehr vortragen kann als die Tatsache, den Bescheid nicht erhalten zu haben.
17 Anders liegt der Fall jedoch bei einem behördlichen Adressaten, der - wie hier - im fraglichen Zugangszeitpunkt eine Posteingangsdokumentation geführt hat. Sie ermöglicht es, den behaupteten Nichtzugang des Bescheides mit dem Fehlen eines Eintrags der Sendung in die Eingangsdokumentation zu substantiieren und diese - gegebenenfalls auszugsweise - vorzulegen. Diese Möglichkeit, konkrete Indizien für das Fehlen eines Zugangs vorzutragen, begründet für den Adressaten eine Darlegungsobliegenheit, deren Nichterfüllung das Tatsachengericht je nach Lage der Umstände im Einzelfall zu seinen Lasten würdigen darf. Das gilt auch, wenn der behördliche Adressat die Vorlage der Eingangsdokumentation mit der Begründung verweigert, sie sei während des Verwaltungsprozesses in Verlust geraten, und keine Umstände vorträgt, aus denen sich ergibt, dass er diesen Verlust nicht zu vertreten hat. Mit Beginn des Verwaltungsstreitverfahrens entsteht ein Prozessrechtsverhältnis, in dem die Beteiligten zur Mitwirkung an der Sachaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet sind. Daher obliegt es einer Behörde, die den Zugang des von ihr beklagten, an sie adressierten Bescheides bestreitet, ihre bei Prozessbeginn noch vorhandene Eingangsdokumentation als Beweismittel für das Gericht vorzuhalten und vor einer Vernichtung oder einem Verlust zu sichern, sofern sie für die Aufklärung des bestrittenen Zugangs des Bescheides erkennbar entscheidungsrelevant ist. Diese Pflicht läuft entgegen dem Revisionsvorbringen der Klägerin nicht auf eine § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG zuwiderlaufende Beweislastumkehr zum Nachteil des Adressaten hinaus, der den Zugang bestreitet. Die Beweislast für den Zugang trifft die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, wenn Zweifel am Zugang bestehen. Dem Adressaten obliegt es nur, diese Zweifel darzutun, und nicht etwa, die negative Tatsache des fehlenden Zugangs zu beweisen.
18 Kann vom Adressaten über das regelmäßig ausreichende einfache Bestreiten des Zugangs hinaus - wie hier - auch die Vorlage in seiner Sphäre angefallener Indizien gegen einen Zugang verlangt werden, entsprechen die Darlegungsobliegenheit und die Aufbewahrungspflicht hinsichtlich solcher Umstände, die ausschließlich in seiner Sphäre liegen und deren Aufklärung notwendigerweise seine Mitwirkung voraussetzt, der Mitwirkungspflicht der Beteiligten aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO bei der Sachverhaltsermittlung. Ihre Verletzung kann die Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht des Gerichts herabsetzen, die dort endet, wo das Vorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Zugleich kann sie bei der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung zum Nachteil des Betroffenen berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Juni 1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174 <177> und vom 30. Januar 2013 - 9 C 11.11 - BVerwGE 145, 354 Rn. 28; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 45).
19 Im Einklang mit diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren, im fraglichen Zugangszeitraum ein Postbuch geführt zu haben, und den Umstand, dass es auf gerichtliche Aufforderung wegen zwischenzeitlichen Verlusts nicht vorgelegt wurde, ohne dass Entschuldigungsgründe vorgetragen oder erkennbar wurden, der Sache nach als Verletzung ihrer prozessualen Pflicht zur Mitwirkung an der Sachaufklärung gewertet und bei seiner tatrichterlichen Beweiswürdigung zu ihren Lasten berücksichtigt. Gegen seine Bewertung, der Vortrag der Klägerin begründe noch keine Zweifel am Zugang des Zinsbescheides, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Damit greift im Falle der Klägerin die Fiktion des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ein. Ist deshalb von einer Bekanntgabe des Bescheides am 31. Dezember 2011 auszugehen, lief die Klagefrist gegen ihn gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO am 31. Januar 2012 ab. Die erst am 8. Februar 2012 erhobene Klage ist verspätet erhoben worden.
20 3. Das Berufungsgericht hat eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist ohne Verstoß gegen Bundesrecht abgelehnt. Zwar hat die Klägerin eine Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis ihres Bevollmächtigten vom Erlass des angegriffenen Bescheides beantragt (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Sie war jedoch nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert (§ 60 Abs. 1 VwGO). Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war. Nach diesen Grundsätzen war die Versäumung der Klagefrist hier verschuldet, weil der Bevollmächtigte der Klägerin es unterlassen hat, sich angesichts der Ankündigung des Beklagten, am 28. Dezember 2011 einen Zinsbescheid zu erlassen, rechtzeitig vor dem bei dessen Versendung am selben Tag frühestmöglichen Ablauf der Klagefrist vorsorglich bei seiner Mandantin oder dem Beklagten nach einem solchen Bescheid zu erkundigen. Die Klägerin muss sich das Verschulden ihres Bevollmächtigten nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2022 - 2 C 12.21 - juris Rn. 24 m. w. N.).
21 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.