Verfahrensinformation

wie BVerwG 8 C 16.02


Pressemitteilung Nr. 34/2003 vom 30.07.2003

Bürgermeisterwahl in Arnstadt (Thüringen)

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute in zwei Revisionsverfahren über die Anfechtung der Wahl des Bürgermeisters der thüringischen Stadt Arnstadt im Mai 2000 entschieden.


Zwei wahlberechtigte Bürger hatten die Wahl mit der Begründung angefochten, dass die in den Wahllokalen abgegebenen Stimmzettel ohne Verwendung von amtlichen Wahlumschlägen nach Zusammenfalten unmittelbar in die Wahlurne eingeworfen worden seien. Das mache die Stimmen nach dem Kommunalwahlgesetz des Landes Thüringen (ThürKWG) ungültig. Bei Berücksichtigung nur der - mit amtlichem Wahlumschlag abgegebenen - Briefwahlstimmen wäre eine andere Kandidatin in die Stichwahl gekommen.


Das Verwaltungsgericht Weimar hat die Wahl für ungültig erklärt, auf die Berufung des beigeladenen Bürgermeisters hat das Thüringer Oberverwaltungsgericht diese Entscheidung aufgehoben und die Klagen mit der Begründung abgewiesen, es habe sich um eine Verhältniswahl gehandelt, für die nach dem ThürKWG die Verwendung von amtlichen Wahlumschlägen nicht vorgeschrieben sei. Die dagegen gerichtete Revision der Kläger hatte teilweise Erfolg:


Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass das Thüringer Oberverwaltungsgericht mit seiner Rechtsauffassung, bei der Wahl habe es sich um eine Verhältniswahl gehandelt, Bundesrecht verletzt. Seine Folgerung, den Wählern habe kein Wahlumschlag ausgehändigt werden müssen, brauche deswegen aber nicht falsch zu sein. Dieses Ergebnis bemesse sich nach Thüringer Landeswahlrecht, welches auszulegen und anzuwenden zuvörderst Aufgabe des Thüringer Oberverwaltungsgerichts sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.


Das vom Thüringer Oberverwaltungsgericht vertretene Begriffsverständnis der unterschiedlichen Wahlarten weicht von dem der Wahlvorschriften des Bundes und dem ab, welches der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegt. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Mehrheitswahl ist gewählt, wer die meisten Stimmen (entweder absolut oder mit einfacher Mehrheit) erhält, während nach den allgemeinen Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt ist, wer auf einer vorgeschlagenen Liste den Platz einnimmt, der bei der Verteilung der Wahlämter nach dem Verhältnis der Gesamtstimmenzahl zu der auf die einzelne Liste abgegebenen Stimmen Berücksichtigung findet. Der wesentliche Unterschied beider Wahlsysteme liegt also darin, dass der Wähler bei der Mehrheitswahl eine bestimmte Person wählt, während die Verhältniswahl mehrere zu vergebende Ämter und Listen von Kandidaten voraussetzt, die von Wählergruppen (etwa Parteien) aufgestellt worden sind. Die Direktwahl eines Bürgermeisters als Personenwahl ist hiernach ein besonders prägnanter Fall einer Mehrheitswahl. Die mit dem vorstehend umschriebenen Inhalt versehenen Begriffe "Verhältniswahl" und "Mehrheitswahl" sind Rechtsbegriffe des Bundesrechts. Sie gehören als Grundsätze dem Bundesrecht an. Die enge Verknüpfung zwischen den im Bundesrecht verwurzelten Wahlprinzipien, zu denen die bundesverfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze gehören, und dem vom Land gesetzten Kommunalwahlrecht macht die Anwendung des hier vom Thüringer Oberverwaltungsgericht für einschlägig befundenen Rechts einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung auf Vertretbarkeit zugänglich. Die abschließende Auslegung des Landeswahlrechts obliegt dem Thüringer Oberverwaltungsgericht.


BVerwG 8 C 16.02 - Urteil vom 30.07.2003

BVerwG 8 C 24.02 - Urteil vom 30.07.2003


Beschluss vom 19.09.2002 -
BVerwG 8 B 83.02ECLI:DE:BVerwG:2002:190902B8B83.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.09.2002 - 8 B 83.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:190902B8B83.02.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 83.02

  • Thüringer OVG - 13.11.2001 - AZ: OVG 2 KO 436/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. September 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r und die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht K r a u ß und G o l z e
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Entscheidung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 13. November 2001 aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf einer Abweichung von den in der Beschwerde bezeichneten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 1, 208; 6, 84) beruht. Dem steht nicht entgegen, dass diese Entscheidungen sich nicht mit dem Thüringer Kommunalwahlgesetz, sondern mit anderen Landes- bzw. Bundeswahlvorschriften befassen; denn die Begriffe "Mehrheitswahl" und "Verhältniswahl" liegen den einzelnen Wahlvorschriften mit ihrem vorgegebenen Inhalt einheitlich zugrunde.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13, 14 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 C 24.02 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch die Beschwerdeführerin bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.