Verfahrensinformation

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim zugelassenen Revision verfolgt der Kläger, ein serbischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo, seinen Antrag auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit weiter. Er wurde im Juli 1993 als politischer Flüchtling nach § 51 Abs. 1 AuslG anerkannt und ist seit November 2001 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Seinen Einbürgerungsantrag stellte die beklagte Stadt Ende Oktober 2003 zunächst zurück, da sie beim Bundesamt angefragt hatte, ob die Flüchtlingsanerkennung aufrechterhalten werde. Auf die Untätigkeitsklage des Klägers verpflichtete das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Beklagte, den Kläger nach § 85 AuslG (jetzt § 10 StAG) einzubürgern, obwohl das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zwischenzeitlich im Februar 2004 die Flüchtlingsanerkennung widerrufen hatte. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim gab der Berufung der Beklagten teilweise statt und verpflichtete die Beklagte nur noch, über den Einbürgerungsantrag erneut zu entscheiden. Nach seiner Auffassung hat der Kläger aufgrund des Widerrufs keinen Anspruch auf Einbürgerung ohne vorherige Entlassung aus der serbischen Staatsangehörigkeit. Eine - bisher von der Beklagten nicht geprüfte - Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG sei allerdings nicht ausgeschlossen.


Urteil vom 03.05.2007 -
BVerwG 5 C 3.06ECLI:DE:BVerwG:2007:030507U5C3.06.0

Leitsätze:

1. Von dem Einbürgerungserfordernis der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) ist jedenfalls nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG abzusehen, wenn der Herkunftsstaat zwar nicht allen Staatsangehörigen, aber doch einer großen, nach der Volkszugehörigkeit bestimmten Personengruppe die Entlassung regelmäßig verweigert.

2. Hat nach der Erkenntnislage ein Angehöriger der Personengruppe, der durch eine nach ethnischen Kriterien diskriminierenden Entlassungspraxis betroffen ist, keine Möglichkeit, seine reguläre Entlassung aus der Staatsangehörigkeit auf legale Weise, insbesondere ohne Bestechung, und in zumutbarer Zeit zu erreichen, ist ihm auch kein Entlassungsantrag abzuverlangen.

  • Rechtsquellen
    StAG §§ 8, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4,
    § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 6, Abs. 3
    Europäisches Übereinkommen über Staatsangehörigkeit Art. 16

  • VGH Mannheim - 24.11.2005 - AZ: VGH 12 S 1695/05 -
    VGH Baden-Württemberg - 24.11.2005 - AZ: VGH 12 S 1695/05

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 03.05.2007 - 5 C 3.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:030507U5C3.06.0]

Urteil

BVerwG 5 C 3.06

  • VGH Mannheim - 24.11.2005 - AZ: VGH 12 S 1695/05 -
  • VGH Baden-Württemberg - 24.11.2005 - AZ: VGH 12 S 1695/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24. November 2005 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der am 23. November 1976 geborene Kläger, ein albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo und serbischer Staatsangehöriger, begehrt seine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit.

2 Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stellte mit Bescheid vom 16. Juli 1993 zugunsten des Klägers fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien vorlägen. Der Kläger ist im Besitz eines am 21. Dezember 1995 ausgestellten Reiseausweises nach Art. 28 der Genfer Flüchtlingskonvention. Am 5. November 2001 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

3 Unter dem 15. Oktober 2002 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Die Beklagte fragte mit Schreiben vom 9. Juli 2003 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) an, ob das Abschiebungshindernis nach § 51 AuslG weiter vorliege und teilte dem Kläger mit, vor der Einbürgerung müsse die Entscheidung des Bundesamtes über das eventuell eingeleitete Widerrufsverfahren abgewartet werden. Mit Schreiben vom 28. November 2003 teilte das Bundesamt mit, dass es ein Widerrufsverfahren eingeleitet habe.

4 Auf die am 6. Februar 2004 erhobene Untätigkeitsklage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte, den Kläger einzubürgern (Urteil vom 8. Dezember 2004). Es vertrat dabei die Auffassung, das Ausstehen einer Entscheidung des Bundesamtes stelle keinen zureichenden Grund für das Unterlassen einer Entscheidung durch die Beklagte dar. Die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 85 AuslG lägen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vor. Von dem Erfordernis der Aufgabe oder des Verlusts der bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG) sei nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Variante 1 AuslG abzusehen, weil der Kläger - wie das Bundesamt in seinem Bescheid vom 16. Juli 1993 festgestellt habe - politisch Verfolgter im Sinne von § 51 AuslG sei. Solange das Bundesamt noch keine Entscheidung über den Widerruf getroffen habe, sei dieser Bescheid nach § 4 Abs. 1 AsylVfG in allen Angelegenheiten verbindlich, in denen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG rechtserheblich sei. Für eine Aussetzung des Einbürgerungsverfahrens gebe es keine Rechtsgrundlage.

5 Nachdem das Bundesamt (nun: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) inzwischen mit Bescheid vom 24. Februar 2005 die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen hatte, hat der Verwaltungsgerichtshof die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden (Urteil vom 24. November 2005). Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

6 Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Einbürgerungsanspruch sei nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage § 10 StAG (i.d.F. des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004). Der Kläger erfülle außer dem Erfordernis der Aufgabe oder des Verlustes der bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) alle Voraussetzungen des gesetzlichen Einbürgerungsanspruches nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG. Zwar sei er in der Vergangenheit mehrfach wegen Straftaten zu Geldstrafen verurteilt worden, doch blieben diese Verurteilungen nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG außer Betracht.

7 Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG könne nicht gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG deshalb abgesehen werden, weil der Kläger seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben könne; der Kläger könne sich auf keine der in § 12 Abs. 1 Satz 2 StAG genannten Fallgruppen, in denen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG abzusehen sei, berufen.

8 Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG lägen nicht vor. Zwar „besitze“ der Kläger noch seinen Reiseausweis nach Art. 28 der Genfer Flüchtlingskonvention, doch könne er sich bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung der Widerrufsproblematik nicht auf den Besitz des Reiseausweises und damit im Ergebnis auf den Fortbestand der Flüchtlingseigenschaft berufen. Von der Einhaltung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG könne auch nicht nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StAG (regelmäßige Verweigerung der Entlassung durch den ausländischen Staat) abgesehen werden, denn es fehle an einem vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag, der den im Recht des Heimatstaates für die Entlassung zwingend vorgeschriebenen Voraussetzungen entspreche. Der vom Prozessbevollmächtigten an die Beklagte übersandte Entlassungsantrag enthalte nicht die nach dem Informationsblatt des Generalkonsulats in S. erforderlichen Angaben und Unterlagen wie einen Auszug aus dem Geburtenregister und eine nicht mehr als sechs Monate alte Bescheinigung über die Staatsangehörigkeit von Serbien und Montenegro; auch ein Pass müsse danach vorgelegt werden. Auch lasse sich eine regelmäßige Verweigerung der Entlassung durch den ausländischen Staat nicht feststellen; die regelmäßige Verweigerung der Entlassung allein hinsichtlich bestimmter Personengruppen bzw. besonderer Kategorien von Staatsangehörigen genüge insoweit nicht. Soweit nach den Erkenntnissen der deutschen Botschaft in Belgrad ethnisch albanische Personen serbisch-montenegrinischer Staatsangehörigkeit aus dem Kosovo von der Gewährung konsularischer Dienstleistungen de facto ausgeschlossen seien, rechtfertige dies die Annahme einer regelmäßigen Verweigerung der Entlassung aus der serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigkeit nicht, denn diese Feststellungen beträfen weder Angehörige anderer Volksgruppen aus dem Kosovo noch serbisch-montenegrinische Staatsangehörige aus dem übrigen Teil Serbiens oder Montenegros. Es sei auch fraglich, ob diese Feststellungen für alle serbisch-montenegrinischen Auslandsvertretungen in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere das Generalkonsulat in S. zuträfen; ausweislich eines vom Innenministerium Baden-Württemberg mit dem Generalkonsulat geführten Gesprächs sei es nicht richtig, dass Anträge kosovo-albanischer Antragsteller oder sonstiger Minderheiten nicht entgegengenommen würden.

9 Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG sei auch nicht gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG abzusehen. Die erste der drei Fallgestaltungen (Versagung der Entlassung) setze grundsätzlich eine einen vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag ablehnende schriftliche Entscheidung voraus. Der Kläger habe aber bislang weder einen den Anforderungen des Generalkonsulats S. entsprechenden Entlassungsantrag gestellt - der nach dem Informationsblatt des Generalkonsulats beim Konsulat persönlich zu stellen sei - noch sich ernsthaft und nachhaltig erfolglos um eine Antragstellung bemüht. Die dritte Fallgestaltung (Nichtbescheidung eines vollständigen und formgerechten Entlassungsantrags in angemessener Zeit) sei daher ebenfalls nicht erfüllt. Auch auf die zweite Fallgestaltung (Koppelung der Entlassung an unzumutbare Bedingungen) könne der Kläger sich nicht berufen, weil es (noch) an der entsprechenden Einleitung eines Entlassungsverfahrens fehle. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten werde, diese Fallgestaltung umfasse auch die Fallkonstellation, dass von vornherein klar sei, die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit werde zumindest für Angehörige bestimmter Personenkreise von unzumutbaren Bedingungen abhängig gemacht und ein Entlassungsantrag könne dann wegen erkennbarer Erfolglosigkeit nicht verlangt werden, komme dies für den Kläger mit Blick auf das spezielle Erfordernis der Erfüllung der Wehrpflicht nicht in Betracht. Zwar ließen nach vorliegenden Erkenntnissen die serbisch-montenegrinischen Behörden die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit durchweg an der Forderung nach Erfüllung der Wehrpflicht scheitern, obwohl in der Praxis wehrpflichtige albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo seit Jahren nicht zum Wehrdienst eingezogen würden. Ob eine Koppelung der Entlassung an die Ableistung des Wehrdienstes vorliege und Serbien und Montenegro die Entlassung des Klägers aus der Staatsangehörigkeit von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig machten, könne sich aber erst in einem Entlassungsverfahren herausstellen, denn es sei nicht auszuschließen, dass der Kläger - etwa aus gesundheitlichen Gründen - gar nicht der Wehrpflicht unterliege oder aus anderen Gründen von der Wehrpflicht freigestellt sei. Dies könne nur im Entlassungsverfahren durch den ausländischen Staat zuverlässig festgestellt werden. Die Einleitung des Entlassungsverfahrens sei dem Kläger auch zumutbar. Zwar sei er nach seinen Angaben nicht im Besitz eines gültigen Passes von Serbien und Montenegro und werde nach vorliegenden Erkenntnissen ohne einen gültigen Pass ein Entlassungsverfahren vom Generalkonsulat nicht eingeleitet und ein Pass nur ausgestellt, wenn der Kläger durch eine behördliche Bescheinigung nachweise, dass die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erloschen sei. Da nach dem Merkblatt des Generalkonsulats der Kläger jedoch zunächst einen Staatsangehörigkeitsnachweis beschaffen müsse und erst wenn dieser vorliege - das Innenministerium spreche insoweit von längeren, unter Umständen mehrjährigen Verfahrenszeiten - ein Reisepass beantragt werden könne, komme es auf die Flüchtlingseigenschaft zunächst nicht an. Es stelle auch grundsätzlich keine unzumutbare Bedingung dar, dass die Behörde des Herkunftsstaates den Einbürgerungsbewerber auffordere, zunächst seine pass- oder personenstandsrechtlichen Angelegenheiten zu ordnen. Stelle sich allerdings heraus, dass dem Kläger aus von ihm nicht zu vertretenen Gründen die Beibringung der erforderlichen Unterlagen in absehbarer Zeit nicht möglich sei, komme das Vorliegen der zweiten Fallgestaltung ernsthaft in Betracht. Zum jetzigen Zeitpunkt könne davon aber noch nicht ausgegangen werden.

10 Der Kläger könne auch nicht auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert werden. Selbst wenn § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG im Verhältnis zu den Tatbeständen des Satzes 2 als (Auffang-)Generalklausel zu verstehen sein sollte, käme ein Rückgriff darauf nur in Betracht, soweit keine der in Satz 2 genannten Fallgruppen einschlägig sei. Seien - wie hier - die geltend gemachten Gründe für eine Hinnahme der Mehrstaatigkeit diesen Fallgruppen zuzuordnen, lägen deren Voraussetzungen aber nicht vor, komme ein Rückgriff auf § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG nicht in Betracht. Etwas anderes folge hier auch nicht aus Art. 16 des Europäischen Übereinkommens über Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997.

11 Eine Ermessenseinbürgerung auf der Grundlage des § 8 StAG sei jedoch rechtlich nicht ausgeschlossen. Soweit sich dabei die Frage einer durch eine Folgenbeseitigungslast ausgelösten Ermessensverdichtung stelle, fehle es an einer rechtswidrigen Untätigkeit der Beklagten, die aufgrund des späteren Erlasses des Widerrufsbescheides gemäß § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG zum (zumindest vorübergehenden) Untergang des Einbürgerungsanspruchs nach § 10 StAG geführt habe. Die zur zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens verpflichtete Beklagte habe zu Recht zunächst beim Bundesamt angefragt, ob die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, welche nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG Voraussetzung für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit gewesen sei, nach wie vor Bestand habe, und den rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens bzw. (nach der ab 1. Januar 2005 geltenden Rechtslage) den Erlass des Widerrufsbescheides abgewartet. Sie habe dabei das berechtigte Anliegen verfolgt dafür Sorge zu tragen, dass die Einbürgerungsvoraussetzungen möglichst dauerhaft erfüllt seien und nicht möglicherweise - ohne Möglichkeit einer nachträglichen Aufhebung der rechtmäßig vollzogenen Einbürgerung - kurz nach erfolgter Einbürgerung wieder wegfielen.

12 Mit der hiergegen eingelegten Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 12 StAG und macht geltend, das Berufungsgericht überspanne die Anforderungen an das Vorliegen einer Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Entlassung aus der serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigkeit. Er teilt mit, dass inzwischen das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit rechtskräftigem Urteil vom 27. Dezember 2005 die gegen den Widerrufsbescheid gerichtete Klage abgewiesen habe.

13 Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

14 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das angefochtene Urteil in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium des Innern und dem Auswärtigen Amt für unzutreffend. Vor dem Hintergrund der Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad an das Auswärtige Amt sowie ihrer Stellungnahme an das Verwaltungsgericht München vom 3. März 2006 könne seinen Feststellungen zu § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StAG nicht gefolgt werden. Auch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG seien unter Berücksichtigung der bestehenden Erkenntnislage gegeben.

II

15 Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hätte die auf Verpflichtung der Beklagten zur Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG gerichtete Klage nicht unter Beschränkung der Verpflichtung der Beklagten auf erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nach § 8 StAG abweisen dürfen, ohne geklärt zu haben, ob die Stellung eines formgerechten Entlassungsantrags mit den damit voraussichtlich verbundenen langjährigen Bemühungen um Beschaffung vorbereitender Unterlagen wegen von vornherein feststehender Aussichtslosigkeit bzw. Abhängigkeit von Schmiergeldzahlungen unzumutbar war. Der Senat sieht sich - auch unter Berücksichtigung der von den Beteiligten hierzu weiter eingereichten Unterlagen - insoweit an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Die Sache ist daher zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

16 1. Die Beteiligten gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass der ursprünglich geltend gemachte Ausnahmegrund nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG (Besitz eines Reiseausweises nach Art. 28 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge; BGBl II 1953 S. 559 - GFK -) entfallen ist, nachdem die gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gerichtete Klage rechtskräftig abgewiesen worden ist.

17 2. Der Senat lässt dahingestellt, ob der Revision bereits auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StAG im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung stattzugeben gewesen wäre. Nach dieser Bestimmung wird von den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG abgesehen, wenn der ausländische Staat die Entlassung regelmäßig verweigert und der Ausländer der zuständigen Behörde einen Entlassungsantrag zur Weiterleitung an den ausländischen Staat übergeben hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes mit der doppelten Begründung verneint, dass der Kläger der Beklagten weder einen vollständigen Entlassungsantrag vorgelegt habe noch eine regelmäßige Entlassungsverweigerung im Sinne dieser Bestimmung vorliege.

18 Der erkennende Senat ist hierzu der Auffassung, dass auch ein unvollständiger oder formwidriger Antrag ausnahmsweise ausreichen kann, wenn es dem Entlassungsbewerber unzumutbar ist, zur Vervollständigung des Antrags erforderliche Dokumente beizubringen, auf die der Heimatstaat trotz Bemühungen nicht verzichtet. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof - von seinem gegenteiligen Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine abschließenden Feststellungen getroffen. Was das weitere Erfordernis einer „regelmäßigen“ Verweigerung der Entlassung aus der Staatsangehörigkeit betrifft, ist der Verwaltungsgerichtshof von einer staatenbezogenen Betrachtung ausgegangen. Danach liegt eine regelmäßige Verweigerung der Entlassung erst dann vor, wenn die Entlassung nie oder fast nie ausgesprochen wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat deshalb die regelmäßige Verweigerung der Entlassung allein hinsichtlich bestimmter Personengruppen, auch wenn sie - wie im Falle der Kosovo-Albaner - ethnisch bestimmt sind, als nicht ausreichend angesehen. Auf der Grundlage einer solchen - im Staatsangehörigkeitsrecht für den Fall einer einheitlichen, nicht diskriminierenden Entlassungspraxis auch nahe liegenden - staatenbezogenen Betrachtung kann nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts wegen der allein auf die albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo abstellenden Auskunftslage der Botschaft in Belgrad eine „regelmäßige“ Entlassungsverweigerung nicht angenommen werden, weil bei dieser Sichtweise auch die Entlassungen serbischer oder montenegrinischer Volkszugehöriger zu berücksichtigen wären. Der Senat hält es jedoch für erwägenswert, in Fällen, in denen eine große, nach staatsangehörigkeitsrechtlich an sich irrelevanten Kriterien wie der Volkszugehörigkeit bestimmte Personengruppe hinsichtlich der Entlassungspraxis rechtlich oder tatsächlich einem diskriminierenden Sonderregime unterworfen wird, für die Anwendung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StAG nicht auf die Gesamtheit aller Staatsangehöriger und die Entlassungspraxis in Bezug auf diese Gesamtgruppe, sondern auf die einer diskriminierenden Sonderbehandlung unterworfenen Teilgruppe abzustellen. Diese Frage bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil - ebenfalls mit der Folge einer Zurückverweisung - § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG eingreift.

19 3. Es verstößt jedenfalls gegen die zweite Alternative des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG, dass der Verwaltungsgerichtshof vom Kläger die Stellung eines formgerechten Entlassungsantrages verlangt, ohne aufgeklärt zu haben, ob für ihn - unabhängig von den Fragen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht des Klägers, welche nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs die Durchführung eines förmlichen Entlassungsverfahrens rechtfertigen - überhaupt die Möglichkeit besteht, seine reguläre Entlassung aus der - nunmehr serbischen - Staatsangehörigkeit auf legale Weise und in zumutbarer Zeit zu erreichen.

20 Das vom Verwaltungsgerichtshof bejahte Erfordernis der Stellung eines Entlassungsantrages ist für die Fallgestaltung der zweiten Alternative des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG nach dem Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen und folgt auch nicht aus der systematischen Stellung dieses Ausnahmegrundes. Die vom Verwaltungsgerichtshof herangezogene Gesetzesbegründung zur Vorläuferregelung in § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AuslG (BTDrucks 14/533, 19) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Wenn es dort heißt, diese Bestimmung betreffe „hauptsächlich Fälle, in denen ein Entlassungsantrag gestellt wird, das Entlassungsverfahren aber im Einzelfall scheitert“, erhellt dies, dass der Gesetzgeber auch andere Fallgruppen vor Augen hatte.

21 Die zweite Alternative erfasst (u.a.) die Fallgruppe der generellen Entlassungsverweigerung bei nach staatsangehörigkeitsrechtlich nicht anzuerkennenden Kriterien ethnischer Diskriminierung gebildeten Untergruppen von Staatsangehörigen, soweit diese nicht bereits § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StAG unterfallen sollten, sowie weitere Fälle erkennbar aussichtsloser Anträge. Zwar ist dem Verwaltungsgerichtshof zuzugestehen, dass sich die Frage, ob unzumutbare Entlassungsbedingungen gestellt werden, in einer Reihe von Fällen erst im Verfahren nach gestelltem Antrag ergibt oder sinnvoll beantwortet werden kann. Dies rechtfertigt indes nicht, auch in solchen Fällen, in denen auf Grund einer Praxis ethnischer Diskriminierung der negative Ausgang des Verfahrens absehbar ist bzw. nur durch Bestechung abgewendet werden kann, einen ordnungsgemäßen Entlassungsantrag zu verlangen. Ob eine solche Situation besteht, ist indes zwischen den Beteiligten umstritten und vom Verwaltungsgerichtshof nicht abschließend geklärt worden. Der Verwaltungsgerichtshof hat insbesondere keine abschließende Bewertung der divergierenden Informationen in Bezug auf die Entlassungspraxis bei albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo vorgenommen und auch keinen Versuch unternommen, diese weiter aufzuklären. Da die im Zuge des Revisionsverfahrens vorgebrachten Fakten und die vom Verwaltungsgerichtshof nicht ausdrücklich ausgewerteten Akteninformationen - insbesondere die Berichte und Stellungnahmen der Deutschen Botschaft in Belgrad - vom Bundesverwaltungsgericht nicht selbst tatrichterlich geklärt werden können, ist eine Zurückverweisung geboten. Dies gilt auch mit Blick auf die Überprüfung der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen über angeblich reibungslos, jedenfalls aber „bestechungsfrei“ bewirkte Entlassungen albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo.

22 Soweit der Verwaltungsgerichtshof die Einleitung eines Entlassungsverfahrens - im Ansatz zutreffend - als grundsätzlich zumutbar ansieht und ebenso, dass ein Einbürgerungsbewerber für die Entlassung seine staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse zu ordnen hat, verhält er sich gerade nicht zu den Unzumutbarkeitsgründen, die sich nach der Auskunftslage der Botschaft in Belgrad ergeben. Wenn er in diesem Zusammenhang dem Kläger, der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen gültigen Pass hatte, auferlegt, zunächst als Voraussetzung für den Passantrag beim Konsulat den erforderlichen Staatsangehörigkeitsnachweis zu beschaffen, bei dem „längere, unter Umständen mehrjährige Verfahrenszeiten“ zu erwarten sind, könnte dies für sich allein schon die Unzumutbarkeit begründen. Dass die Ordnung der personenstandsrechtlichen Angelegenheiten keine - abstrakt - unzumutbare Entlassungsbedingung bildet, setzt für die Anwendung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG voraus, dass der Einbürgerungsbewerber eine realistische Chance hat, diese Entlassungsvoraussetzung unter zumutbaren Bedingungen erfüllen zu können.

23 Zu Recht geht der Verwaltungsgerichtshof auch davon aus, dass die Ableistung der Wehrpflicht eine grundsätzlich zumutbare Entlassungsvoraussetzung bildet, die den Staatsangehörigkeitsbewerber nicht vom Erfordernis eines Entlassungsantrages befreit. Das rechtfertigt jedoch nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, ein solcher Entlassungsantrag sei auch im vorliegenden Falle notwendig und zumutbar, weil sich erst im Entlassungsverfahren herausstellen könne, ob die Entlassung tatsächlich wegen der Ableistung des Wehrdienstes scheitere. Bei den aus dem Kosovo stammenden serbischen Staatsangehörigen albanischer Volkszugehörigkeit ist nach dem vom Verwaltungsgerichtshof angeführten Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 10. März 2005 und einem Schreiben des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 3. Juni 2005 (vgl. UA S. 14) davon auszugehen, dass bei ihnen die Wehrpflicht zwar grundsätzlich besteht, aber mangels Einberufung nicht erfüllt werden kann. Unter diesen Umständen ist vom Kläger die Durchführung eines förmlichen Entlassungsverfahrens zwecks Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens seiner Wehrpflicht nicht zu verlangen, zumal wenn für ihn - wie unter Berufung auf die Erkenntnisse der deutschen Botschaft in Belgrad geltend gemacht - unabhängig davon, ob eine Wehrpflicht besteht oder durchgesetzt werden soll, de facto überhaupt keine Möglichkeit bestünde, eine reguläre Entlassung zu erreichen. Träfe diese - vom Verwaltungsgerichtshof von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig (vgl. UA S. 16/17) nicht abschließend geprüfte - Erkenntnislage zu (vgl. hierzu auch die von dem Vertreter des Bundesinteresses mit Schriftsatz vom 21. August 2006 vorgelegten Berichte und Stellungnahmen), wäre bereits die Einleitung eines Entlassungsverfahrens, dessen negatives Ende feststeht und bei dem nur unklar ist, warum es - legal - nicht zum Erfolg führen kann, eine unzumutbare Entlassungsvoraussetzung. Einem Einbürgerungsbewerber ist auch nicht zuzumuten, den Verlust seiner bisherigen Staatsangehörigkeit - wie vom Kläger ebenfalls eingewendet - ggf. nur mit Hilfe einer Bestechung herbeizuführen. Ohne Klärung dieser Tatsachenfragen durfte der Verwaltungsgerichtshof einen Einbürgerungsanspruch nicht verneinen.

24 4. Der Senat kann schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Ermessensreduzierung (§ 8 StAG) ohne Aufhebung und Zurückverweisung zu Gunsten des Klägers entscheiden. Der vom Kläger behauptete Folgenbeseitigungs- bzw. Herstellungsanspruch vermag eine solche Ermessensreduzierung nicht zu bewirken. Das folgt hier schon daraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung wegen vom Kläger begangener Straftaten nicht vorlagen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG). Eine Ermessensreduzierung scheidet im Ergebnis aber auch dann aus, wenn dem Kläger seine Straftaten nach ihrer anstehenden Tilgung aus dem Strafregister nicht mehr als Einbürgerungshindernis entgegengehalten werden dürfen. Allein der Umstand, dass ihm bei Antragstellung noch der Reiseausweis nach Art. 28 GFK zustand, der als Abwägungselement bei der nach § 8 StAG zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist, lässt eine Einbürgerung nicht als einzig richtige Ermessensentscheidung erscheinen, weil der Kläger nach den gesamten Umständen auf den Fortbestand seiner Anerkennung als politisch Verfolgter nicht vertrauen konnte.

25 5. Auch aus Art. 16 des Europäischen Übereinkommens über Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 - EuStAngÜbk -, dessen Beachtung der Kläger über § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG für geboten hält, lassen sich keine weitergehenden Ansprüche als die aus § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 StAG herleiten; denn die Frage, ob die Aufgabe oder der Verlust der anderen (serbischen) Staatsangehörigkeit unzumutbar ist, ist nicht geklärt.