Beschluss vom 31.07.2003 -
BVerwG 4 B 61.03ECLI:DE:BVerwG:2003:310703B4B61.03.0

Beschluss

BVerwG 4 B 61.03

  • Hamburgisches OVG - 04.02.2003 - AZ: OVG 3 E 3/01.P

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Juli 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Aus-nahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Verfahrensrüge geht fehl.
Soweit ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO geltend gemacht wird, genügt die Beschwerde nicht den formellen Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Der Kläger legt nicht dar, in welcher Richtung sich der Vorinstanz weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen. Er vermisst eine Auseinandersetzung des Oberverwaltungsgerichts mit der Frage, ob zum Schutz der Betroffenen vor unzumutbaren Fluglärmauswirkungen auch eine Änderung der Bahnbenutzungsregelungen in Betracht gekommen wäre. Das Erstgericht hat nicht verkannt, dass sich mit einer anderen Bahnverteilung die Lärmbelastung bestimmter Personengruppen verringern ließe. Nach seinem Verständnis der §§ 8 und 9 LuftVG war die Beklagte jedoch rechtlich nicht verpflichtet, gerade dieses Mittel einzusetzen, um die durch das Planvorhaben aufgeworfenen Lärmschutzprobleme zu lösen (UA S. 60 ff.). Von diesem materiellrechtlichen Ansatz her hatte es keinen Anlass, den Sachverhalt unter dem vom Kläger angesprochenen Blickwinkel weiter aufzuklären.
Auch wenn das Beschwerdevorbringen so zu verstehen sein sollte, dass die Vorinstanz gegen den in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verankerten Überzeugungsgrundsatz verstoßen habe, greift die Verfahrensrüge nicht durch. Der Kläger hält dem Oberverwaltungsgericht vor, dem Planfeststellungsbeschluss Erwägungen unterschoben zu haben, die die Beklagte gar nicht angestellt habe. In der Planungsentscheidung werde zum Ausdruck gebracht, dass Bahnbenutzungsregelungen nicht im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens, sondern nur unter den in § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 LuftVG genannten Voraussetzungen geändert werden könnten. Das angefochtene Urteil trage dem nicht Rechnung. Es beruhe auf Überlegungen, für die es im Planfeststellungsbeschluss keinen Beleg gebe. Die Beklagte sei davon ausgegangen, im Hinblick auf die Bahnverteilung kein Planungsermessen ausüben zu können. Mit dieser Sichtweise wird der Kläger indes den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat der Planfeststellungsbeschluss die Bahnverteilung "im Rahmen des durchgeführten Planfeststellungsverfahrens für nicht änderbar angesehen ..., eine Änderung aber zugleich auch mit planerischen Erwägungen als nicht notwendig abgelehnt" (UA S. 60). Diese Darstellung wird durch die Gründe des Planfeststellungsbeschlusses bestätigt. Zwar handelt es sich bei den Bahnbenutzungsregelungen nach Auffassung der Planfeststellungsbehörde um einen Teil der Flughafengenehmigung, deren Änderung nur nach Maßgabe des § 6 Abs. 4 Satz 1 LuftVG in Betracht kommt. Mit dieser Erklärung lässt es die Beklagte indes nicht bewenden. Nach ihrer Einschätzung "ist eine Änderung auch nach dem Ergebnis der Abwägung zur Fluglärmbelastung nicht notwendig ..., da die Belange des Fluglärmschutzes mit der bestehenden Regelung angemessen berücksichtigt sind". In diesem Zusammenhang nimmt sie auf die in Kapitel 2.3.5 getroffene Abwägungsentscheidung Bezug (PFB S. 177). Der Einwand des Klägers, das Erstgericht habe in diesem Punkt das Tatsachenmaterial unzulänglich gewürdigt, vermag angesichts dieser Begründungsstruktur nicht zu verfangen.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beilegt.
Der Kläger hält für klärungsbedürftig, "ob wegen eines planfestgestellten Vorhabens oder aus Anlass eines planfestgestellten Vorhabens die Planfeststellungsbehörde gemäß § 9 Abs. 2 LuftVG befugt ist, eine Änderung der bestehenden luftrechtlichen Betriebsgenehmigung als Maßnahme des aktiven Schallschutzes anzuordnen, ohne dass die als Maßnahme des aktiven Schallschutzes in Betracht kommende Änderung der Betriebsgenehmigung explizit Gegenstand des Antrages auf Planfeststellung und des Planfeststellungsverfahrens ist". Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision anhand des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sie würde sich auf der Grundlage der vom Erstgericht getroffenen, vom Kläger ohne Erfolg angegriffenen (vgl. oben unter 1.) Tatsachenfeststellungen in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht in dieser Allgemeinheit stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 30. Mai 1984 - BVerwG 4 C 58.81 - BVerwGE 69, 256 <277>, vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C 13.85 - BVerwGE 75, 214 <243> und vom 27. Oktober 1998 - BVerwG 11 A 1.97 - BVerwGE 107, 313 <323>) nicht in Abrede gestellt, dass auch betriebliche Regelungen Gegenstand der Planfeststellung sein können (vgl. § 8 Abs. 4 LuftVG n.F.). Es hat dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss entnommen, dass die Beklagte die Möglichkeit, Bahnbenutzungsregelungen im Wege der Planfeststellung zu ändern, nicht generell ausgeschlossen, sondern nur in dem konkreten Planfeststellungsverfahren verneint hat. Das Erstgericht hält es aus Gründen, die es näher darlegt (UA S. 61 ff.), für ein tragfähiges Konzept, von einer Änderung der Bahnbenutzungsregeln jedenfalls dann abzusehen, wenn der Planfeststellungsbeschluss nach den zum Abwägungsgebot entwickelten Grundsätzen auf andere Weise die Gewähr dafür bietet, dass sich die Fluglärmbelastung in den Grenzen des Zumutbaren hält.
Im Übrigen offenbart der Kläger mit seiner Fragestellung, dass er Bahnbenutzungsregelungen eine Bedeutung beimisst, die ihnen unter Lärmschutzgesichtspunkten nicht zukommt. Richtig ist, dass Schutzvorkehrungen i.S. des § 9 Abs. 2 LuftVG nur dann notwendig sind, wenn die Planfeststellungsbehörde sich unter Beachtung der Anforderungen des Abwägungsgebots außerstande sieht, die anstehenden Lärmprobleme durch eigene planerische Maßnahmen zu lösen. Die Planungsbehörde hat im Wege der Abwägung von den Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, die ihr nach § 8 LuftVG zu Gebote stehen, um die durch das Planvorhaben hervorgerufenen Probleme zu bewältigen. Das bedeutet aber nicht, dass Maßnahmen des aktiven Schallschutzes absoluten Vorrang genießen. Ob Betriebsregelungen im Einzelfall geboten sind, hängt vielmehr von den jeweiligen Erfordernissen und rechtlichen Möglichkeiten ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - BVerwGE 87, 332 <346/347>). Der Kläger legt nicht dar, inwiefern das erstrebte Revisionsverfahren Erkenntnisse erwarten lässt, die geeignet sind, zur Fortentwicklung dieser Rechtsprechung beizutragen.
3. Auch die Divergenzrüge greift nicht durch.
Das Erstgericht hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht. Nach seiner Auffassung muss weder der Maximalpegel zum Schutz vor dem Aufwachen auf 52 dB(A) oder einen anderen Wert unter 55 dB(A) begrenzt (UA S. 82 ff.), noch der Dauerschallpegel zum Schutz vor erinnerbarem Aufwachen auf einen Wert unter 36 dB(A) reduziert werden (UA S. 87 ff.). Mit dieser Ansicht befindet sich das Oberverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - a.a.O. S. 372 ff. und vom 27. Oktober 1998 - BVerwG 11 A 1.97 - a.a.O. S. 329). Der 11. Senat hat es im Urteil vom 27. Oktober 1998 unter Berücksichtigung des derzeitigen Standes der Lärmwirkungsforschung ausdrücklich abgelehnt, "das für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze für nächtlichen Luftlärm letztlich maßgebliche Schutzziel abweichend von dem bislang in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung überwiegend anerkannten und auch vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. Januar 1991 (BVerwGE 87, 332 <372>) gebilligten Schutzziel - Vermeidung höherer Schallpegel als 55 dB(A) im Rauminnern bei ausreichender Belüftung, ggf. Einbau von Belüftungsanlagen - neu festzulegen".
Die vom Kläger geltend gemachte Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 1999 - BVerwG 11 A 4.98 - (BVerwGE 110, 81) liegt nicht vor. In dieser Entscheidung findet sich allerdings die Aussage, "dass für die unter dem Gesundheitsaspekt entscheidenden Innenraumpegel nach dem derzeitigen Stand der Lärmwirkungsforschung Dauerschallpegel am Ohr des Schläfers in einem Bereich zwischen 30 und 35 dB(A) und Pegelspitzen in der Größenordnung von 40 dB(A) nicht überschritten werden sollten" (a.a.O. S. 90). Gleichwohl kann von einer Divergenz keine Rede sein. Der Kläger räumt selbst ein, dass sich hinter den im Urteil vom 17. November 1999 genannten Lärmwerten keine Aussagen zur Zumutbarkeit von Fluglärm verbergen. Vielmehr geht es in der von ihm zitierten Entscheidung um die Bewertung von Schienenlärm. Dass es nicht die Absicht des 11. Senats ist, mit den Pegelangaben den maximalen Dauerschallpegel oder den höchstzulässigen Spitzenpegel festzuschreiben, legt bereits die Formulierung nahe ("nicht überschritten werden sollten"). Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. April 1997 - BVerwG 11 A 17.96 - (Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 13), das in diesem Zusammenhang zitiert wird, höhere Werte ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Die vom 11. Senat als Anhaltswerte für den Schienenlärm genannten Pegel sind im Übrigen ohne Aussagekraft für die Beurteilung der Zumutbarkeit luftverkehrsbedingter Lärmbeein-trächtigungen. Der Gesetzgeber differenziert nach den verschiedenen Lärmquellen. Nach § 1 Abs. 1 BImSchG gehört es zu den Gesetzeszwecken, Menschen vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen, die in § 3 Abs. 1 BImSchG als Immissionen definiert werden, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Wie aus den §§ 7, 23, 43 und 48 BImSchG erhellt, überlässt es der Gesetzgeber indes untergesetzlicher Regelung, die jeweils maßgebliche Erheblichkeitsschwelle bereichsspezifisch festzulegen. Die einzelnen Regelwerte, die gestützt auf die jeweilige Ermächtigungsnorm erlassen worden sind, legen ein je nach Lärmart (Gewerbe-, Sportanlagen-, Straßen-, Schienenlärm) unterschiedliches Schutzniveau fest. Eine gesamthafte an allen Lärmquellen ausgerichtete Betrachtungsweise ist ihnen fremd. Die für das jeweilige Lärmsegment maßgeblichen Grenz- oder Richtwerte sind nicht beliebig austauschbar. Dies gilt für Lärmeinwirkungen im Anwendungsbereich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, beansprucht Geltung aber erst recht bei der Bewertung von Fluglärm. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BImSchG unterliegen Flugplätze nicht den Vorschriften dieses Gesetzes. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Fluglärm stehen keine Grenz- oder Richtwerte auf gesetzlicher Grundlage oder in untergesetzlichen Regelwerten zur Verfügung. Schon dieser Umstand verbietet es, auf Schutzstandards zurückzugreifen, die in anderen Bereichen als normative Richtschnur dienen. Die Zumutbarkeitsgrenze beim Luftlärm anders zu ziehen als beim Straßenverkehrs- oder beim Schienenlärm, entbehrt nicht der sachlichen Rechtfertigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - a.a.O. S. 373). Eine äußerste unüberwindbare Schranke richtet Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf. In den Schutzbereich dieser Vorschrift fallen Fluglärmbeeinträchtigungen nicht erst, wenn ihre Gesundheitsschädlichkeit erwiesen ist, sondern bereits dann, wenn sich eine Gesundheitsgefährdung nicht ausschließen lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 9.95 - BVerwGE 101, 1 <9 ff.>). Der Kläger macht selbst nicht geltend, dass das angefochtene Urteil mit dieser Rechtsprechung nicht in Einklang steht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.