Beschluss vom 31.05.2017 -
BVerwG 1 VR 4.17ECLI:DE:BVerwG:2017:310517B1VR4.17.0

Beschluss

BVerwG 1 VR 4.17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Mai 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph
beschlossen:

  1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsanordnung der Antragsgegnerin vom 16. März 2017 anzuordnen, wird mit der Maßgabe abgelehnt, dass der Antragsteller erst nach Erlangung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abgeschoben werden darf, wonach dem Antragsteller in Algerien keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 3 EMRK).
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Antragsverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller, ein 1980 geborener algerischer Staatsangehöriger, begehrt einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf die Anordnung seiner Abschiebung nach Algerien.

2 Mit Verfügung vom 16. März 2017 ordnete der Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen - gestützt auf § 58a AufenthG - im Ermessenswege die Abschiebung des Antragstellers nach Algerien an. Er begründete seine Entscheidung mit der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr eines terroristischen Anschlags. Der Antragsteller bewege sich in einem radikal-islamistischen Umfeld und sympathisiere offen mit dem sogenannten "Islamischen Staat" ("IS") und dessen Zielen. Sein Verhalten deute auf eine gewaltbereite Haltung und - seit seiner Rückkehr aus Frankreich im Oktober 2015 - auf einen zunehmend dynamischer werdenden Prozess der Radikalisierung hin, durch den der Antragsteller in dem Willen bestärkt werden könnte, aufgrund seiner salafistischen Orientierung und seiner pro-jihadistischen Gesinnung Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Durchsetzung radikal-islamistischer Ziele einzusetzen. Angesichts der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr überwiege bei der Ermessensentscheidung auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass mit der Geburt der Tochter eine nach Art. 6 GG schützenswerte familiäre Beziehung entstanden sei, das Interesse an einer Ausreise das private Interesse am Verbleib. Die Verfügung wurde dem Antragsteller am 21. März 2017 ausgehändigt. Am gleichen Tag wurde gegen ihn Abschiebungshaft bis einschließlich 20. Juni 2017 verhängt.

3 Am 28. März 2017 hat der Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt und am 21. April 2017 Klage gegen die Abschiebungsanordnung erhoben. Er macht vor allem geltend, die Verfügung beruhe auf einer unrichtigen und unzureichenden Tatsachengrundlage und berücksichtige nicht hinreichend seine familiäre Situation. Er lebe zusammen mit seiner ihm nach islamischen Recht angetrauten deutschen Lebensgefährtin und der gemeinsamen im Februar 2017 geborenen Tochter; außerdem sei er Vater eines 2006 geborenen Sohnes, der in Deutschland bei der Kindesmutter lebe. Auch fehle es an einer rechtmäßigen Befristungsentscheidung und bestehe ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, da zu befürchten sei, dass die algerischen Behörden von dem vermeintlichen Terrorismusverdacht Kenntnis erlangten und ihn nach Rückkehr im Gefängnis folterten. Dem könne nur durch eine geeignete diplomatische Zusicherung Algeriens begegnet werden.

4 Die Antragsgegnerin verteidigt die angegriffene Verfügung.

5 Der Senat hat eine Liste von Erkenntnismitteln über die abschiebungsrelevante Lage in Algerien erstellt und den Beteiligten zur Kenntnis gebracht.

6 Nach Angaben des Antragstellers hat die Antragsgegnerin ihn inzwischen auch für Dauer von zehn Jahren aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

II

7 Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung der Antragsgegnerin vom 16. März 2017 anzuordnen, ist zulässig (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), auch ist das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zuständig (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO). Dem steht nicht entgegen, dass § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO - ebenso wie die daran anknüpfende Regelung in § 58a AufenthG - auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das Zuwanderungsgesetz aufgenommen worden ist. Denn auch die Beschränkung des Rechtsschutzes auf eine Instanz hält sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Kompromissfunktion des Vermittlungsverfahrens (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 6 ff.). Der Antrag ist aber unbegründet. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Klageverfahrens in Deutschland zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt das öffentliche Interesse. An der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsanordnung, die sich allein durch den nachträglichen Erlass einer Ausweisung nicht erledigt hat, bestehen keine ernstlichen Zweifel (1.). Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, die einer Abschiebung des Antragstellers nach Algerien entgegenstehen könnten, liegen nicht vor (2.).

8 1. Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 58a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Diese Regelung ist - wie der Senat in seinem Beschluss vom 21. März 2017 im Einzelnen dargelegt hat - formell und materiell verfassungsgemäß (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 5 ff.).

9 1. Die Verfügung ist bei der hier gebotenen umfassenden Prüfung (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 13) nicht zu beanstanden.

10 a) Der formellen Rechtmäßigkeit steht nicht entgegen, dass der Antragsteller vor Erlass der Verfügung möglicherweise nicht angehört worden ist, denn eine Anhörung war vorliegend jedenfalls entbehrlich.

11 § 58a AufenthG schreibt eine Anhörung weder ausdrücklich vor noch verbietet er eine solche, so dass § 28 BremVwVfG anzuwenden ist. Nach dieser Regelung ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach § 28 Abs. 2 BremVwVfG kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, etwa wenn Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen (Nr. 5) oder wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (Nr. 1). Es kann offenbleiben, ob vor der Übergabe der Abschiebungsanordnung eine hinreichende Anhörung auch durch die für deren Erlass zuständige Behörde stattgefunden hat oder diese in der Folgezeit nachgeholt worden ist; denn jedenfalls durfte hier auf eine Anhörung zwar nicht nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 BremVwVfG, wohl aber nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 BremVwVfG verzichtet werden.

12 Eine Anhörung war nicht schon nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 BremVwVfG entbehrlich. Denn eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ist keine Maßnahme allein der Verwaltungsvollstreckung im Sinne dieser Regelung. Sie birgt materiellrechtliche Elemente eines Grundverwaltungsakts, weil sie zugleich auch zum Erlöschen des Aufenthaltstitels (§ 51 Abs. 1 Nr. 5a AufenthG) führt, der die gesetzliche Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) erst bewirkt (nicht vergleichbar daher BVerwG, Urteil vom 29. April 1983 - 1 C 5.83 - Buchholz 402.241 2. AsylBeschlG 2 Nr. 3). Mit ihrem Erlass wird somit in einem verkürzten Verfahren uno actu zunächst wie mit einer Ausweisung der legale Aufenthalt beendet und zugleich die Abschiebung als Vollstreckungsmaßnahme angeordnet, was verwaltungsvollstreckungsrechtlich der Festsetzung eines Zwangsmittels entspricht. Die Abschiebungsanordnung bildet mithin zum einen eine notwendige Voraussetzung und Grundlage für die Verwaltungsvollstreckung (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt <Hrsg.>, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 9), zum anderen leitet sie diese Vollstreckung bereits ein.

13 Von einer Anhörung konnte hier indes abgesehen werden, weil eine sofortige Entscheidung zumindest im öffentlichen Interesse notwendig war (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 BremVwVfG). § 58a AufenthG zielt auf die Bewältigung von beachtlichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter. Bei der mit einer Anhörung verbundenen "Vorwarnung" bestünde regelmäßig die Gefahr, dass sich der Betroffene durch Untertauchen der Abschiebung entzieht. Der Gesetzgeber selbst anerkennt dies in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1a AufenthG, nach dem ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen ist, wenn eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann; auch ist bei einer Abschiebungsanordnung eine freiwillige Ausreise nicht zu ermöglichen. Besondere, atypische Umstände, die hier eine Anhörung ohne Gefährdung des Zwecks der Abschiebungsanordnung oder zumindest eine eingehendere Begründung der Ermessensentscheidung für den Verzicht auf eine Anhörung erfordert hätten, liegen nicht vor; der Antragsteller hat vielmehr in der Vergangenheit ein nicht unerhebliches Maß an Mobilität erkennen lassen.

14 b) Die Verfügung ist auch materiell nicht zu beanstanden. Die Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ist gegenüber der Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG eine selbstständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie zielt auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr.

15 aa) Der Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist - wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinem Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120> = juris Rn. 17). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 17).

16 Der Begriff der "terroristischen Gefahr" knüpft an die neuartigen Bedrohungen an, die sich nach dem 11. September 2001 herausgebildet haben. Diese sind in ihrem Aktionsradius nicht territorial begrenzt und gefährden die Sicherheitsinteressen auch anderer Staaten. Im Aufenthaltsgesetz findet sich zwar keine Definition, was unter Terrorismus zu verstehen ist, die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus setzen aber einen der Rechtsanwendung fähigen Begriff des Terrorismus voraus. Auch wenn bisher die Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition des Terrorismus zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts doch im Grundsatz geklärt, unter welchen Voraussetzungen die - völkerrechtlich geächtete - Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln anzunehmen ist. Wesentliche Kriterien können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs liegt nach der Rechtsprechung des Senats eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern geeignet sind (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 16).

17 Das Erfordernis einer "besonderen" Gefahr bei der ersten Alternative bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen. Dafür spricht auch die Regelung in § 11 Abs. 5 AufenthG, die die Abschiebungsanordnung in eine Reihe mit Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt. Geht es um die Verhinderung schwerster Straftaten, durch die im "politischen/ideologischen Kampf" die Bevölkerung in Deutschland verunsichert und/oder staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmten Handlungen genötigt werden sollen, ist regelmäßig von einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und jedenfalls von einer terroristischen Gefahr auszugehen. Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 17).

18 Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbstständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG). Da es keiner Abschiebungsandrohung bedarf (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG), erübrigt sich auch die Bestimmung einer Frist zur freiwilligen Ausreise. Zuständig sind nicht die Ausländerbehörden, sondern grundsätzlich die obersten Landesbehörden (§ 58a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG). Die Zuständigkeit für den Erlass einer Abschiebungsanordnung begründet nach § 58a Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugleich eine eigene Zuständigkeit für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG ohne Bindung an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren. Die gerichtliche Kontrolle einer Abschiebungsanordnung und ihrer Vollziehung unterliegt in erster und letzter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO), ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss innerhalb einer Frist von sieben Tagen gestellt werden (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Die mit dieser Ausgestaltung des Verfahrens verbundenen Abweichungen gegenüber einer Ausweisung lassen sich nur mit einer direkt vom Ausländer ausgehenden terroristischen und/oder dem gleichzustellenden Bedrohungssituation für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 18).

19 Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten, bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen von 11. September 2001 damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mit Hilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 19).

20 Diese Auslegung steht trotz der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Einklang mit dem Grundgesetz. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche der Gefahrenabwehr mit dem Ziel schon der Straftatenverhinderung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Dann bedarf es aber zumindest einer hinreichend konkretisierten Gefahr in dem Sinne, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr bestehen. Hierfür reichen allgemeine Erfahrungssätze nicht aus, vielmehr müssen bestimmte Tatsachen im Einzelfall die Prognose eines Geschehens tragen, das zu einer zurechenbaren Verletzung gewichtiger Schutzgüter führt. Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, aber bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, kann dies schon dann der Fall sein, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Angesichts der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist eine Verlagerung der Eingriffsschwelle in das Vorfeldstadium dagegen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen, etwa allein die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. - BVerfGE 141, 220 Rn. 112 f.).

21 Für diese "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen nicht ausreichen. Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen kann (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 20).

22 Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Dabei kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - in der Gesamtschau ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, auch schon daraus ergeben, dass sich ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 21).

23 Der obersten Landesbehörde steht bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose aber keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung - wie jede andere staatliche Stelle - an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 22).

24 bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass vom Antragsteller derzeit aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG ausgeht, auch wenn den Sicherheitsbehörden kein konkreter Plan des Antragstellers zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden ist.

25 Der Antragsteller ist der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen. Er räumt selbst ein, dass er mit seiner extremen islamistischen Glaubensausrichtung, die sich am Salafismus bzw. Wahhabismus Saudi-Arabiens bzw. anderer radikal-sunnitischer Gruppierungen orientiere, am Rande der Gesellschaft stehe (Schriftsatz vom 18. April 2017). Im August 2016 wurde er vom Landeskriminalamt Bremen wegen seiner radikal-religiösen Einstellung und seiner familiären Vorgeschichte als "relevante Person Funktionstyp 'Akteur'" eingestuft (Polizeivermerk vom 9. September 2016 <Ermittlungsakte/Abschnitt Personagramm>). Nach den Ermittlungen der Sicherheitsbehörden pflegt er als regelmäßiger Besucher des Islamischen Kulturzentrums Bremen e.V. (IKB) Kontakt mit Personen, die einer besonders radikalen Strömung des Salafismus angehören und aus deren Kreis schon mehrere Personen nach Syrien ausgereist sind, um sich dem bewaffneten Kampf auf Seiten des "IS" anzuschließen (Polizeivermerk vom 23. Februar 2017 S. 1 <Ermittlungsakte/Abschnitt K 24>; Personagramm Stand 10. März 2017 S. 7, 9 und 11 <Ermittlungsakte/Abschnitt Personagramm>). Ein jüngerer Bruder des Antragstellers (E. E. alias P. E.), der ebenfalls das IKB besuchte (Polizeivermerk vom 23. Juni 2016 S. 6 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V.>), ist nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden 2015 nach Syrien gereist und hat sich Ende November 2015 im Irak als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt (vgl. Ermittlungsakte/Abschnitt Bruder E.). Mit diesem Bruder stand der Antragsteller in engem Kontakt. Er hat ihn in seine Wohnung aufgenommen (Polizeivermerk vom 23. Juni 2016 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V. S. 8>), ging mit ihm zum Gebet (Polizeivermerk vom 23. Juni 2016 S. 7 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V.>) und erhielt von ihm vor dem Selbstmordattentat eine Abschiedsnachricht (polizeiliche Vernehmung D. V. vom 25. April 2016 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V.>). Nach Angaben des Antragstellers soll nicht nur der Bruder, sondern auch eine Schwester - von Algerien aus - nach Syrien gereist sein und sich dort ebenfalls dem "Islamischen Staat" angeschlossen und für seine Zwecke in die Luft gesprengt haben (Polizeivermerk vom 28. April 2016 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V.>).

26 Auch der Antragsteller sympathisiert - entgegen seiner Einlassung im vorliegenden Verfahren - mit der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" und deren Märtyrerideologie. Am 14. September 2016 hat er in einem Zug der Bahn auf der Fahrt von B. nach O. einem Bekannten mit seinem Smartphone Videos von Exekutionen und Verstümmelungen gezeigt und dabei betont, stolz auf die Taten des "IS" zu sein. Der Einwand des Antragstellers, er könne sich an diesen Vorfall nicht erinnern, der ausgewerteten Bahnvideoaufzeichnung sei nur zu entnehmen, dass er zusammen mit einer anderen Person auf sein Handy schaue und sich amüsiere, übergeht die Angaben des unbeteiligten Augenzeugen D. P., der vom Antragsteller wegen seiner Äußerungen ein Foto machte (Ausländerakte Bl. 800), sich noch am gleichen Tag an die Polizei wandte und dort den Vorfall schilderte (vgl. Polizeivermerke vom 14. September 2016 <Ausländerakte Bl. 798> und 4. November 2016 <Ausländerakte Bl. 804>). Soweit der Antragsteller geltend macht, ihm vorgeworfene Äußerungen seien zudem vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, vernachlässigt dies, dass es nicht um deren strafrechtliche Würdigung geht, stellt den Tatsachenkern der Vorgänge nicht in Abrede und steht einer Berücksichtigung des Vorfalls im Rahmen der zu treffenden Prognose, ob vom Antragsteller ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG ausgeht, auch sonst nicht entgegen.

27 Für eine beachtliche Radikalisierung des Antragstellers spricht auch sein auffälliges Verhalten in der von ihm regelmäßig besuchten Rahmah-Moschee in Bremen. Nach Angaben anderer Moscheebesucher ist er Anführer einer Gruppe algerisch stämmiger Männer, die mit ihren radikal islamistischen Ansichten in der Moschee für Unruhe sorgen. Zwar konnte einem im Januar 2017 nach einem Streit wegen des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Berlin im Schuhschrank der Moschee aufgefundenen und möglicherweise von einem Mitglied dieser Gruppe verfassten arabischsprachigen Schreiben (Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohung Rahmah-Moschee Bl. 6) nach amtlicher Übersetzung und Auswertung durch einen Islamwissenschaftler (Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohung Rahmah-Moschee Bl. 70 und 82) weder die vom Anzeigeerstatter angenommene Bedrohung mit dem Tode und Ankündigung eines eigenen Sterbens für den "IS" (Ausländerakte Bl. 808) noch eine andere Sinnhaftigkeit entnommen werden. Den Aussagen der wegen dieses Schreibens bei der Polizei erschienenen und von dieser vernommenen Moscheebesucher ist aber zu entnehmen, dass sich die Gruppe um den Antragsteller in der Moschee von den anderen Muslimen abkapselt und diese als "Ungläubige" bezeichnet, sich offen zum "IS" bekennt und das Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt für gerechtfertigt hält, weil "Ungläubige" getötet worden seien (vgl. polizeiliche Zeugenvernehmungen D. U. vom 12. Januar 2017 <Ausländerakte Bl. 809 ff.>, V. E. vom 12. Januar 2017 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohung Rahmah-Moschee Bl. 35 ff.>, V. F. vom 12. Januar 2017<Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohung Rahmah-Moschee Bl. 40 ff.> und M. D. vom 23. Januar 2017 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohung Rahmah-Moschee Bl. 63 ff.>). Zwei der Zeugen haben zudem angegeben, dass der Antragsteller in der Moschee stolz mit dem Attentat seines Bruders prahle (vgl. polizeiliche Zeugenvernehmung D. U. vom 12. Januar 2017 <Ausländerakte Bl. 813> und V. F. vom 12. Januar 2017 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohung Rahmah-Moschee Bl. 45>). Soweit der Zeuge E., der Antragsteller habe in der Moschee nie über seinen Bruder geredet, ergibt sich hieraus kein Widerspruch, zumal er - im Gegensatz zu den beiden anderen Zeugen - kein algerisch spricht (vgl. polizeiliche Zeugenvernehmung V. E. vom 12. Januar 2017 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohung Rahmah-Moschee Bl. 37 f.>). Dass es sich bei einem der den Antragsteller belastenden Zeugen (D. U.) um "den Trauzeugen" bei der Trauung des Antragstellers nach islamischem Recht mit seiner jetzigen Lebensgefährtin handelt, ändert nichts an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner von anderen Zeugen bestätigten Angaben. Dass der Antragsteller den "Märtyrertod" seines Bruders gutheißt, zeigt sich auch daran, dass er seinem kleinen Sohn eine Abschiedsnachricht des Bruders mit dem Hinweis vorgespielt hat, dass der Onkel nach Syrien gegangen sei, um für den "Islamischen Staat" zu kämpfen und zu sterben (polizeiliche Vernehmung der früheren Lebensgefährtin D. V. vom 25. April 2016 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V.>).

28 Die Auswertung des Facebookprofils des Antragstellers durch das Landesamt für Verfassungsschutz Bremen belegt ebenfalls nicht nur eine als solche nicht erhebliche, weil keine hinreichende Gefährlichkeit indizierende salafistische Orientierung (vgl. Auswertung vom 12. August 2016 <Ausländerakte Bl. 820>); auch sie offenbart vielmehr jihadistische Inhalte und eine (fortbestehende) Sympathie des Antragstellers für den "IS". Danach hat der Antragsteller nicht nur 2014 u.a. die "IS-Hymne" (Screenshot-Zusammenstellung vom 10. März 2017 <Ausländerakte Bl. 842>), eine Nasheed-Sammlung des "IS" (Auswertung vom 13. Januar 2017 S. 3 <Ermittlungsakte/Abschnitt Abschiebehaft >) und ein Propagandavideo des "IS" (Screenshot-Zusammenstellung vom 10. März 2017 <Ausländerakte Bl. 845>) veröffentlicht. Er hat noch im Juni 2016 zur Befreiung eines inhaftierten jihadistischen Predigers aufgerufen und im November 2016 ein - von ihm inzwischen wieder gelöschtes - Propagandavideo des "IS" gepostet (Screenshot-Zusammenstellung vom 10. März 2017 <Ausländerakte Bl. 841 und 846>). Soweit das Landesamt für Verfassungsschutz in seinen Auswertungen vom 25. April 2016 (Ermittlungsakte/Abschnitt Facebook 1) und vom 12. August 2016 (Ausländerakte Bl. 820) davon ausgegangen ist, dass sich keine Indizien für eine jihadistische Gesinnung des Antragstellers ergäben, hat es diese Einschätzung aufgrund neuerer Erkenntnisse in seinen Stellungnahmen vom 13. Januar 2017 (Ermittlungsakte/Abschnitt Abschiebehaft) und 9. März 2017 (Ausländerakte Bl. 764) inzwischen revidiert. Danach hat die Auswertung des Facebookprofils durch einen Islamwissenschaftler teilweise jihadistische Inhalte ergeben (Stellungnahme vom 13. Januar 2017, Ermittlungsakte/Abschnitt Abschiebehaft) und ist der Antragsteller Mitglied in der arabischen Facebookgruppe "Die heutigen Murjiiten sind der Grund dafür, dass sich der Sieg hinauszögert", einer Gruppe mit klar pro-jihadistischer Haltung (Ausländerakte Bl. 764). Hat der Antragsteller damit noch 2016 offen mit dem "IS" sympathisiert und jihadistische Inhalte gepostet, spricht dies für eine entsprechende Identifikation und es ist hiervon ohne glaubhafte Distanzierung auch weiterhin auszugehen.

29 Angesichts der von den Sicherheitsbehörden gesammelten Erkenntnisse wertet der Senat das generelle Bestreiten der gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe im gerichtlichen Verfahren als bloße Schutzbehauptung. Gleiches gilt für das pauschale Vorbringen des Antragstellers, er sei gegen den Terror des "IS", verfolge dessen Veröffentlichungen nur, weil er verstehen wolle, was Menschen dazu bringe, sich dem "IS" anzuschließen, trauere um seine Geschwister und habe nach dem Tod seines Bruders nur umso mehr erfahren wollen, um was es gehe. Dem widersprechen nicht zuletzt Art und Umfang der zum "IS" im Facebook-Profil gespeicherten Inhalte. Diese Einlassung erklärt im Übrigen nicht die von den Sicherheitsbehörden dokumentierten Sympathiebekundungen für den "IS" und dessen Märtyrerideologie. Gegen die Glaubhaftigkeit seiner Einlassung spricht im Übrigen auch der Umstand, dass der Kläger bei einer polizeilichen Gefährderansprache am 23. Juni 2016 versuchte, die Beziehung zu seinem Bruder herunterzuspielen und nicht mehr preiszugeben, als den Behörden bereits bekannt war (Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V., Vermerk vom 23. Juni 2016 S. 7 f.). Dass sich an der vom Antragsteller seit 2014 zum Ausdruck gebrachten Identifizierung mit dem "IS" und dessen Zielen inzwischen etwas geändert haben könnte, ist nicht zu erkennen. Eine rein verbale Distanzierung im gerichtlichen Verfahren ohne konkrete Anhaltspunkte für eine ernsthafte Änderung der inneren Einstellung genügt hierfür nicht.

30 Aus der Biographie des Antragstellers ergibt sich nicht nur eine erhebliche Radikalisierung und Glorifizierung des "IS" und seiner Märtyrerideologie, sondern auch eine gewaltbereite Grundhaltung. Der Antragsteller ist seit seiner ersten Einreise nach Deutschland im Jahr 2003 nicht nur im Bundesgebiet, sondern auch in Frankreich, Spanien und in der Schweiz immer wieder durch Straftaten aufgefallen, die sich auch gegen die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit und die Staatsgewalt richteten.

31 In diesem Zusammenhang ist insbesondere seine Verurteilung durch das Strafgericht in Paris vom 15. Januar 2015 hervorzuheben. Dieses hat den Antragsteller u.a wegen öffentlicher Verherrlichung einer terroristischen Handlung und Drohung mit dem Tod oder mit einem für Personen gefährlichen Anschlag auf Sachen gegenüber einem Inhaber öffentlicher Gewalt und gegenüber einer im Gesundheitswesen tätigen Person zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und als Nebenfolge ein lebenslanges Einreiseverbot nach Frankreich verhängt (Ausländerakte Bl. 691, 717 ff.). Nach der von der Antragsgegnerin vorgelegten Urteilsübersetzung hat der Antragsteller am 13. Januar 2015 - eine Woche nach dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazin "Charlie Hebdo" - eine französische Amtsperson mit dem Tode bedroht, indem er ihr gegenüber auf provozierende Art die Geräusche einer Maschinenpistole nachgeahmt hat, und einer im Gesundheitswesen tätigen Person wegen ihres jüdischen Aussehens mit dem Tode gedroht:
"Du hast blaue Augen, du bist Jüdin, genau, du bist Jüdin, Hitler ist mit seiner Arbeit noch nicht fertig, ich werde dein Gesicht wiedererkennen, und ich werde kommen, um dich zu töten, du wirst sterben, du wirst sterben".

32 Zugleich rechtfertigte er den Anschlag auf das Satiremagazin, bezeichnete sich selbst als Terrorist und drohte mit einem eigenen Anschlag:
"Die Brüder Kouachi und Coulibaly hatten recht. Sie sind gütig. Ich bin ein Terrorist Allah Ahkbar".
"Ich unterstütze die Brüder Kouachi und Coulibaly dabei, die Polizei zu töten, sie sind nicht alleine. Es gibt viele von ihnen jetzt in Frankreich, das ist Algerien. Frankreich heute, das bin ich, ich werde eine Bombe auf die Champs-Elysées werfen".

33 Der Senat hat auch in Ansehung des Vorbringens des Antragstellers zu dem Verfahren keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils zu den Äußerungen, die der Verurteilung zugrunde liegen, zutreffend sind; insbesondere die Dauer der mündlichen Verhandlung, der Umfang der Beweisaufnahme und das Verhalten der Pflichtverteidigung wecken solche Zweifel nicht, zumal der Antragsteller nicht in Abrede gestellt hat, er habe nach dem Hinweis des Vorsitzenden, dass er nur mit seiner Zustimmung verurteilt werden könne, in Anwesenheit seines Rechtsanwalts erklärt, im Rahmen der Sitzung verurteilt werden zu wollen. In der Sache zeigen diese Äußerungen - ungeachtet des vom Antragsteller erhobenen Vorwurfs, die französische Justiz habe nach den Anschlägen von Paris überhastet und unangemessen vom Straftatbestand der Verherrlichung des Terrorismus Gebrauch gemacht - nicht nur eine innere Nähe des Antragstellers zum Terrorismus. Ihnen ist auch zu entnehmen, dass der Antragsteller aufgrund seiner radikal-islamistischen Einstellung nicht nur die westliche Lebensweise grundsätzlich ablehnt und ein nach islamistischen Vorgaben geprägtes Zusammenleben anstrebt, sondern auch bereit ist, zur Erreichung dieses Ziels einen Anschlag zu begehen. Soweit der Antragsteller nunmehr die gegen ihn in Frankreich erhobenen Vorwürfe bestreitet, wertet der Senat auch dies als Schutzbehauptung, der schon in Frankreich im Strafverfahren nicht geglaubt worden ist. Der Hinweis auf die nach dem Anschlag vom 7. Januar 2015 angespannte Atmosphäre in Frankreich und/oder ein mögliches angeschlagenes subjektives Befinden des Antragstellers bzw. die geltend gemachten Übergriffe von Polizisten mag zudem gewisse verbale Entgleisungen allgemeiner Art oder sonstige Aggressionen erklären. Stoßrichtung und Inhalt dieser Äußerungen erklären sie aber gerade nicht und rechtfertigten auch nicht ihre Einordnung als bloßen Verbalradikalismus, der keine Anknüpfung an eine gefestigte innere Haltung hat oder dem erkennbar keine Taten folgen werden.

34 Dass das der französischen Verurteilung zugrunde liegende Verhalten Ausdruck einer zunehmenden Radikalisierung des Antragstellers ist, zeigt auch seine Mitgliedschaft in einer arabischen Facebookgruppe mit klar pro-jihadistischer Haltung (vgl. Stellungnahme des Landesamts für Verfassungsschutz Bremen vom 9. März 2017 <Ausländerakte Bl. 764>). Eine von der radikal-religiösen Einstellung des Antragstellers ausgehende Bedrohung bestätigen zudem Äußerungen im familiengerichtlichen Verfahren wegen der Gewährung eines Umgangsrechts mit seinem Sohn. Danach hat der Antragsteller gegenüber der Dolmetscherin einmal geäußert, dass er alles tun werde, um für seinen Glauben zu kämpfen, und es hierfür auch legitim sei, eine Waffe in die Hand zu nehmen (vgl. Vermerk des Richters am Amtsgericht Dr. X. Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V.>). Vom Familienrichter bei der gerichtlichen Anhörung am 28. April 2016 auf seine Radikalisierung angesprochen, gab der Antragsteller keine Auskunft, sondern erwiderte lächelnd, er habe nur das Beste für seine Familie im Sinn (vgl. Polizeivermerk vom 28. April 2016 <Ermittlungsakte/Abschnitt Bedrohungssachverhalt V.>).

35 Dem entnimmt der Senat in der Gesamtschau nicht lediglich eine radikal-religiöse Einstellung. Vielmehr sympathisiert der Antragsteller offen mit dem "IS" und dessen Märtyrerideologie. Angesichts dieser extremen Radikalisierung besteht in Verbindung mit seiner gewaltbereiten Grundhaltung ein beachtliches Risiko, dass der Antragsteller mit einer jihadistischen Gewalttat ein Fanal setzt, mit dem seine Verachtung der säkularen Welt europäischer Prägung zum Ausdruck kommt. Dieses Risiko kann sich ohne großen Vorbereitungsaufwand jederzeit realisieren. Dass es bislang noch nicht zu einer derartigen Tat gekommen ist und den Sicherheitsbehörden keine Hinweise für einen konkreten Anschlagsplan des Antragstellers vorliegen, mindert das Risiko nicht. Die mit der Risikobewertung verbundenen Prognoseprobleme unterstreicht der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri. Der Senat kann zu dieser bewertenden Gesamtschau gelangen, ohne auf das vom Antragsteller angesprochene, vom Bundeskriminalamt entwickelte Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE (Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos - islamistischer Terrorismus - dazu Pressemitteilung des Bundeskriminalamts vom 2. Februar 2017) oder vergleichbare Instrumente zur Risiko- bzw. Gefährlichkeitseinschätzung (s. dazu Rettenberger, Die Einschätzung der Gefährlichkeit bei extremistischer Gewalt und Terrorismus, Kriminalistik 2016, 532) zurückgreifen zu müssen. Derartige Instrumente können bei Beachtung ihrer methodischen Anwendungsvoraussetzungen und unter Berücksichtigung der Grenzen ihrer Aussagekraft für eine erste Risikoeinschätzung nützlich und hilfreich sein und etwa die sicherheitsbehördliche Entscheidung über das Ob und den Umfang zu treffender Maßnahmen unterstützen; es handelt sich aber nicht um Instrumente, deren Einsatz notwendige Voraussetzung der gebotenen gerichtlichen Gesamtschau sind.

36 Das Risiko eines terroristischen Anschlags durch den Antragsteller ist auch nicht durch dessen Zusammenleben mit seiner ihm seit Mai 2016 nach islamischem Ritus angetrauten Lebensgefährtin und die Geburt einer gemeinsamen Tochter im Februar 2017 oder sonstige Umstände entscheidungserheblich verringert. Dagegen spricht, dass keine Anhaltspunkte für eine glaubhafte Deradikalisierung des Antragstellers und Distanzierung vom "IS" und seiner Märtyrerideologie erkennbar sind. Auch bestreitet der Antragsteller die gegen ihn erhobenen Vorwürfe pauschal und ohne erkennbare Änderung seiner inneren Einstellung. Selbst der Tod zweier Geschwister hat bei ihm keinerlei Sinneswandel herbeigeführt, sondern seine innere Einstellung eher bestärkt. Dies zeigt sich daran, dass er eine von seinem Bruder vor dessen Selbstmordattentat gesendete Abschiedsnachricht seinem - aus der Beziehung mit einer früheren Lebensgefährtin stammenden - kleinen Sohn vorgespielt hat und Dritten gegenüber bekundet hat, dass er auf seinen Bruder "stolz" ist wegen dessen Selbstmordattentat. In die gleiche Richtung deutet auch seine Äußerung gegenüber der Polizei, seine Schwester habe sich "als Märtyrerin für den IS geopfert" (Polizeivermerk vom 21. Februar 2017 <Ausländerakte Bl. 746>). Dies zeigt die tiefe, familiäre Bindungen überlagernde Verwurzelung des Antragstellers mit dem "IS" und dessen Märtyrerideologie. Die vom Antragsteller vorgelegte eidesstattliche Versicherung seiner jetzigen Lebensgefährtin (Bl. 74 der Gerichtsakten) steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Soweit sie den Antragsteller, mit dem sie seit Mai 2016 zusammenlebt, als einen der westlichen Lebensweise zugewandten Muslim charakterisiert, der kein radikaler Islamist sei, sondern nur verstehen wolle, was Menschen dazu bringen könne, sich so zu radikalisieren, widerspricht diese Einschätzung nicht nur den von den Sicherheitsbehörden - auch für den Zeitraum des Zusammenlebens - ermittelten Tatsachen, sondern auch der vom Antragsteller selbst eingeräumten extremen islamistischen Glaubensausrichtung (Schriftsatz vom 18. April 2017). Dass die Familie der Ehefrau sich ausweislich dieser Versicherung als "übermodern" bezeichnet, was nicht zu einem radikalen "IS"-Kämpfer passe, wird in der Aussagekraft dadurch zumindest relativiert, dass die Ehefrau des Antragsstellers angibt, seit ca. zwei Jahren eine Kopfbedeckung zu tragen.

37 cc) Die Abschiebungsanordnung ist als Rückkehrentscheidung mit der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) zu vereinbaren. Insbesondere musste dem Antragsteller keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden, da von ihm eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die nationale Sicherheit ausgeht (Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG). Ob die Regelung in § 11 Abs. 1 und 5 AufenthG, wonach mit der Abschiebung kraft Gesetzes ein Einreise- und Aufenthaltsverbot eintritt, das nicht befristet werden kann, solange die oberste Landesbehörde nicht im Einzelfall eine Ausnahme zulässt, mit Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG zu vereinbaren ist, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Denn die oberste Landesbehörde hat zusammen mit der Abschiebungsanordnung ein (unbefristetes) Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und damit eine behördliche Entscheidung zur Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots getroffen. Ob sie auch hierfür zuständig war oder ob eine solche Entscheidung nur von der Ausländerbehörde getroffen werden kann, weil es sich bei § 11 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nicht um eine abweichende Zuständigkeitsbestimmung, sondern möglicherweise nur um ein verwaltungsinternes Zustimmungserfordernis handelt, bedarf im Aussetzungsverfahren keiner Entscheidung. Gleiches gilt für die Frage, ob die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zur erst- und letztinstanzlichen Entscheidung über Streitigkeiten gegen Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG und deren Vollziehung sich auch auf die von der obersten Landesbehörde getroffene Befristungsentscheidung erstreckt und für die Frage, ob mit dem Erlass einer auf zehn Jahre befristeten Ausweisung möglicherweise eine sich auch auf die Abschiebungsanordnung erstreckende (für den Antragsteller günstigere) Befristungsentscheidung getroffen worden ist. Denn die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung hängt allenfalls von einer rechtzeitig vor der Abschiebung getroffenen behördlichen Befristungsentscheidung ab, nicht aber von deren Rechtmäßigkeit (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 32).

38 dd) Die Abschiebungsanordnung ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin dem öffentlichen Interesse an der Abwehr der vom Antragsteller ausgehenden terroristischen Gefahr ein höheres Gewicht beimisst als dessen Interesse am Verbleib in Deutschland. Der Schutz der Allgemeinheit vor Terroranschlägen gehört zu den wichtigsten öffentlichen Aufgaben und kann auch sehr weitreichende Eingriffe in die Rechte Einzelner rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1973 - 1 BvR 23/73 und 1 BvR 155/73 - BVerfGE 35, 382 <402 f.>). Die oberste Landesbehörde hat bei ihrer Entscheidung gewürdigt, dass sich der Antragsteller - mit Unterbrechungen - seit 2003 im Bundesgebiet aufhält und hier mit einer nach islamischem Ritus angetrauten deutschen Staatsangehörigen und der gemeinsamen - Ende Februar 2017 geborenen - deutschen Tochter zusammenlebt. Dennoch ist die beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung unter den hier gegebenen Umständen auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig. Dem Antragsteller ist eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaats möglich und zumutbar. Er ist in Algerien aufgewachsen und in den letzten Jahren ausweislich der in zwei Strafverfahren wegen Kindesentführung erlangten und vom Antragsteller nicht bestrittenen Erkenntnisse zweimal für einen längeren Zeitraum mit seinem Sohn dorthin zurückgekehrt (Dezember 2009 - November 2010 und September 2012 - Dezember 2013). Die Behörde hat auch die familiären Bindungen des Antragstellers an seine erst wenige Wochen alte Tochter mit dem ihnen zukommenden Gewicht in ihre Erwägungen eingestellt. Dabei hat sie insbesondere die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes und seiner Mutter und die möglichen Folgen einer Trennung der Familie für das Kindeswohl berücksichtigt. Dass sie den familiären Belangen dennoch nicht den Vorzug gegeben hat, führt angesichts der vom Antragsteller ausgehenden besonderen Gefahr eines jederzeit möglichen Terroranschlags nicht zur Unverhältnismäßigkeit der verfügten Aufenthaltsbeendigung und ihres sofortigen Vollzugs; im Zeitpunkt der Eheschließung und der Geburt des Kindes verfügte der Antragsteller zudem nicht über einen rechtlich dauerhaft gesicherten Aufenthalt im Bundesgebiet.

39 Die Verfügung ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die oberste Landesbehörde in ihre Erwägungen nicht auch den Umstand einbezogen hat, dass der Antragsteller Vater eines weiteren, 2006 geborenen Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit ist, das bei der Kindesmutter (D. V.) lebt. Nachdem der Antragsteller zweimal mit dem Sohn für einen längeren Zeitraum nach Algerien ausgereist ist, obliegt das Sorgerecht inzwischen - ungeachtet des Einwands des Antragstellers, dass die Auslandsaufenthalte von der Kindesmutter zunächst gebilligt worden seien - rechtlich allein der Kindesmutter, die jeglichen Kontakt des Kindes mit dem Antragsteller unterbindet. Nach eigenen Angaben bemüht sich der Antragsteller zwar um eine gerichtliche Festlegung des Umgangs (Vermerk der Ausländerbehörde vom 6. Oktober 2016 <Ausländerakte Bl. 702>). Dass er vor dem Familiengericht inzwischen ein entsprechende Entscheidung erstritten und den Kontakt zu seinem Sohn wieder aufgenommen hat, behauptet er aber selbst nicht. Damit fehlt es im Verhältnis zu diesem Kind mangels einer gelebten Vater-Kind-Beziehung derzeit an einer schützenswerten, aufenthaltsrechtlich beachtlichen familiären Bindung. Allein der Umstand, dass ein künftiges Obsiegen im familiengerichtlichen Verfahren nicht ausgeschlossen werden kann und es dann wieder zu einem geregelten Umgang kommen könnte, rechtfertigt derzeit keine andere Beurteilung.

40 2. Dem Vollzug der Abschiebungsanordnung stehen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen. Das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG steht dem Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht entgegen, es führt aber dazu, dass der Betroffene nicht in diesen Staat abgeschoben werden darf (§ 58a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 59 Abs. 2 und 3 AufenthG in entsprechender Anwendung). Aus diesem Grund hat die zuständige Behörde beim Erlass einer Abschiebungsanordnung in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der beabsichtigten Abschiebung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Dies umfasst sowohl die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) oder als subsidiär Schutzberechtigter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) vorliegen, als auch die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.

41 Für eine Verfolgung des Antragstellers wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG liegen keine Anhaltspunkte vor. Ein von ihm 2003 gestellter Asylantrag hatte keinen Erfolg und wurde offensichtlich nur mit dem Ziel gestellt, sich einen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verschaffen. Eine mögliche Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder terroristischer Betätigung stellt keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG dar. Der Antragsteller selbst trägt eine solche Gefahr im Übrigen auch nicht vor.

42 Ein Abschiebungsverbot ergibt sich auch nicht daraus, dass in Algerien Personen, die unter dem Verdacht des Islamismus stehen, der konkreten Gefahr besonders schwerer körperlicher Misshandlungen, Folter und akuter Lebensgefahr ausgesetzt sein können.

43 a) In diesem Zusammenhang kann - entgegen der Einschätzung der Antragsgegnerin - allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche Gefahr schon deshalb nicht besteht, weil den algerischen Behörden die Abschiebungsgründe nicht bekannt würden. Denn der Antragsteller muss im Fall einer Abschiebung nach der - dem Senat in einem anderen Verfahren erteilten - Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2017 mit einer Befragung durch die algerische Polizei rechnen. Außerdem hat sich die Lebensgefährtin des Antragstellers an das algerische Generalkonsulat gewandt, das mit Blick auf die familiäre Situation die deutschen Behörden um eine Überprüfung des Falles gebeten hat (Ausländerakte Bl. 969). Damit ist nicht auszuschließen, dass den algerischen Behörden die Abschiebungsgründe bereits bekannt sind oder spätestens im Falle einer Abschiebung bekannt werden.

44 b) Allerdings besteht im Fall des Antragstellers nicht mit entscheidungserheblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Verhängung der Todesstrafe für Delikte, die im Zusammenhang mit dem Terrorismus stehen. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 stellt das algerische Strafgesetzbuch zwar unter anderem die Komplizenschaft mit den Anführern einer aufständischen Bewegung unter Todesstrafe. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus bzw. "subversiver" Bestrebungen werde bereits das Verteidigen derartiger Aktivitäten mit Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren sanktioniert (Lagebericht S. 15).

45 Es ist aber nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller hiernach die Todesstrafe drohen könnte. Sein Verhalten, das Grundlage für die ergangene Abschiebungsanordnung ist, erreicht nach deutschem Recht schon nicht die Schwelle der Strafbarkeit. Soweit das algerische Strafrecht betroffen ist, ist nicht ansatzweise erkennbar, dass der Antragsteller einer algerischen aufständischen Bewegung angehören oder auch nur der Komplizenschaft verdächtigt werden könnte. Im Übrigen wird die Todesstrafe in Algerien seit 1993 nicht mehr vollstreckt (Lagebericht S. 21). Rechtsgrundlage für die Verfolgung fundamentalistisch motivierter Straftaten ist seit 1992 zudem die Anti-Terrorismus-Verordnung. Danach wird die Gründung einer terroristischen oder subversiven Vereinigung mit lebenslanger Freiheitsstrafe und die Mitgliedschaft mit zehn bis zwanzig Jahren Freiheitsentzug bestraft (Lagebericht S. 15 f.). Unter diesen Tatbestand der Verordnung fällt nach der dem Senat in einem anderen Verfahren erteilten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2017 auch die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Salafismus ist nach der erteilten Auskunft kein Straftatbestand, es sei denn die Mitgliedschaft ist mit terroristischen oder kriminellen Aktivitäten verbunden. Eine Ergänzung des Strafgesetzbuches von 2016 definiert das Strafmaß für die Rekrutierung für eine terroristische Vereinigung mit fünf bis zehn Jahren Haft oder Geldstrafe.

46 c) Die Gefahr der Folter oder einer anderen gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung oder Bestrafung erscheint gering, kann aber nicht völlig ausgeschlossen werden (Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG).

47 Ist oder wird den algerischen Behörden spätestens bei der Befragung durch die algerische Polizei bekannt, dass der Antragsteller wegen der Gefahr der Begehung einer terroristischen Tat abgeschoben wird, ist es möglich, dass er für einige Zeit in Polizeigewahrsam genommen wird. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 gibt es ernstzunehmende Hinweise darauf, dass es im Polizeigewahrsam nach wie vor zu Übergriffen bis hin zu Folter kommt (Lagebericht S. 20). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Algerische Verfassung Folter und unmenschliche Behandlung verbietet. Zudem ist Folter im algerischen Strafgesetz seit 2004 ein Verbrechen (Lagebericht S. 20). Weiterhin ist der algerische Sicherheitsdienst DRS, dem Folter gegenüber Terrorismusverdächtigen vorgeworfen wurde, nach dem aktuellen Jahresbericht von Amnesty International im Jahr 2016 aufgelöst worden. An seine Stelle ist danach nun ein "Security Services Directorate" getreten, das unmittelbar dem Präsidenten berichten soll (Amnesty International Report 2016/17 S. 63). Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass der Französische Conseil d'Etat in zwei Beschlüssen aus dem Jahr 2016 entschieden hat, dass der Abschiebung algerischer Staatsangehöriger nach Algerien Art. 3 EMRK nicht entgegensteht, auch wenn die Entscheidungen nicht auf eine eigene Sachaufklärung des Gerichts, sondern darauf gestützt sind, dass keine hinreichenden Tatsachen dafür vorgetragen wurden, dass die wegen Unterstützung des islamistisch motivierten Terrorismus ausgewiesenen Algerier die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu erwarten hätten (siehe die den Beteiligten im Originaltext mit auszugsweiser deutscher Übersetzung übersandten Gerichtsbeschlüsse vom 6. April 2016 - No 398217 - und vom 19. August 2016 - No 402457 -). Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 15. Mai 2012 (Nr. 33809/08, Labsi/Slowakei Rn. 121 ff.) die dem damaligen Beschwerdeführer drohende Gefahr in Algerien in den Jahren 2008 bis 2012 dahin beurteilt, dass Art. 3 EMRK der vollzogenen Abschiebung entgegenstand und die Einhaltung der erteilten Zusicherungen aufgrund eines fehlenden Monitoring-Systems nicht überprüft werden konnte. Mittlerweile hat Algerien allerdings zahlreiche Reformen durchgeführt und den Grundrechtsschutz in der Algerischen Verfassung mit der Verfassungsreform von 2016 nochmals normativ gestärkt. Der mit Foltervorwürfen in Verbindung gebrachte Sicherheitsdienst DRS wurde aufgelöst. Algerien ist an zahlreiche internationale Menschenrechtskonventionen gebunden, auch an das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und den Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 S. 20).

48 Nach wie vor etwa bestehenden Gefahren kann aber mit einer geeigneten diplomatischen Zusicherung begegnet werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 43). Der Senat hat die Abschiebung daher von der Bedingung abhängig gemacht, dass eine entsprechende Zusicherung erteilt wird. Der EGMR sieht in solchen Zusicherungen unter bestimmten Voraussetzungen ein geeignetes Instrument zur Ausräumung der Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung selbst bei Staaten, in denen - anders als in Algerien - systematisch gefoltert und misshandelt wird (Urteil vom 17. Januar 2012 - Nr. 8139/09, Othmann/Vereinigtes Königreich - NVwZ 2013, 487 Rn. 193 - 204). Für Algerien hat das Auswärtige Amt die Anfrage des Senats in einem anderen Verfahren am 1. März 2017 dahin beantwortet, dass das algerische Justizministerium den deutschen Behörden in einem Auslieferungsfall schriftliche Garantien für Prozess- und Haftbedingungen gegeben habe. Beim bisherigen Auslieferungsverkehr mit Algerien vertraue z.B. Frankreich darauf, dass einschlägige Konventionen weitestgehend eingehalten würden. Es könne von einem algerischen Interesse ausgegangen werden, im Hinblick auf Zusicherungen als "verlässlicher Partner" angesehen zu werden. Eine unabhängige Überprüfung von Haftbedingungen könne nunmehr durch das IKRK und den algerischen Roten Halbmond vorgenommen werden (insoweit anders als noch zur Lage im Zeitpunkt der Beurteilung durch den EGMR im Rahmen seines o.g. Urteils vom 15. Mai 2012 "Labsi/Slowakei"). Der Senat sieht keinen hinreichenden Grund, an dieser Auskunft zu zweifeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - juris Rn. 43). Auch das Oberlandesgericht Hamm hat die Auslieferung eines wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gesuchten Algeriers aufgrund der Erteilung von Zusicherungen für zulässig erklärt (Beschluss vom 16. Februar 2017 - III - 2 Ausl. 21/16 OLG Hamm).

49 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorwegnimmt, war der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben.