Beschluss vom 31.03.2003 -
BVerwG 6 B 64.02ECLI:DE:BVerwG:2003:310303B6B64.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 31.03.2003 - 6 B 64.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:310303B6B64.02.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 64.02

  • VG Hamburg - 21.06.2002 - AZ: 3 VG W 1478/2001

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht B ü g e und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 21. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die auf die Abweichungs- (1.) und die Verfahrensrüge (2.) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Abweichungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) wird von der Beschwerde auf die behaupteten Abweichungen "von der Entscheidung des BVerwG 97, 81 f. = NJW 1995, 3068" (a), von der "Entscheidung des BVerwG 8 C 72/88" (b) und "etwa BVerwG 8 C 82/87 oder 8 C 25/89" (c) gestützt.
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 18). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 - BVerwG 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 <S. 55>; Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26).
a) Die Beschwerde ist der Ansicht, das Urteil des Verwaltungsgericht weiche "von der Entscheidung des BVerwG 97, 81 f. = NJW 1995, 3068" ab. Danach sei die Entscheidung des Gerichts ausschließlich anhand der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht maßgeblich. Demnach hätten die psychischen Erkrankungen, die mit Schriftsatz vom 13. Juni 2002 vorgetragen worden seien, bei der Beurteilung der Wehrdienstfähigkeit des Klägers berücksichtigt werden müssen.
Insoweit mag die Divergenzrüge trotz der ungenauen Zitierweise den oben genannten formellen Anforderungen noch genügen. Sie hat jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil weicht nicht vom Urteil vom 3. November 1994 - BVerwG 3 C 17.92 - (BVerwGE 97, 79 = NJW 1995, 3067) ab. Dort findet sich zwar die Aussage, dass für die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend ist (a.a.O. S. 90 bzw. S. 3070). Dieser Rechtssatz lässt jedoch anders lautende Rechtssätze unberührt, die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für spezielle Rechtsgebiete entwickelt worden sind. So ist nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Gerichts in Wehrpflichtsachen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Musterungsbescheiden und Tauglichkeitsüberprüfungsbescheiden die Sachlage im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (Erlass des Widerspruchsbescheides) mit Blick auf den nächsten Gestellungszeitpunkt maßgebend. Den verteidigungsweise gegen einen Musterungsbescheid erhobenen Tauglichkeitseinwendungen muss das Verwaltungsgericht aber auch dann nachgehen, wenn der Wehrpflichtige sie erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgebracht hat, sofern Gründe geltend gemacht werden, die bereits im
maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vorgelegen haben sollen (Urteil vom 30. Januar 1987 - BVerwG 8 C 80.85 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 41). Von dieser Rechtsprechung weicht das angegriffene Urteil nicht entscheidungserheblich ab.
Der streitbefangene Widerspruchsbescheid ist am 6. April 2001 ergangen und bezog sich in seiner Tauglichkeitsaussage somit auf den möglichen Gestellungszeitpunkt des 30. Juni 2001. Im klägerischen Schreiben an das Verwaltungsgericht vom 13. Juni 2002 sind erstmals Angstzustände des Klägers mit psychologischer Behandlungsbedürftigkeit vorgebracht worden. Er hat in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, dass eine daraus resultierende Wehrdienstunfähigkeit bereits im Zeitpunkt des 6. April 2001 mit Blick auf den 30. Juni 2001 vorgelegen habe.
b) Die Beschwerde ist weiter der Ansicht, das erstinstanzliche Urteil berücksichtige "in ungenügender Weise ... auch die Entscheidung des BVerwG 8 C 72.88 , wonach das Vorliegen einer qualifizierten, d.h. nach Lage der Dinge ernsthaft in Betracht zu ziehenden Möglichkeit des Eintretens eines wehrbedingten Gesundheitsschadens, deren Hinnahme im Hinblick auf die Schwere des zu befürchtenden Schadens nicht vertretbar ist, die Annahme der Wehr- bzw. Zivildienstunfähigkeit begründet."
Es gibt zwar unter dem vorgenannten Aktenzeichen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mit einem abstrakten Rechtssatz, der sinngemäß mit dem von der Beschwerde wiedergegebenen übereinstimmt: "Das Vorliegen einer qualifizierten, d.h. nach Lage der Dinge ernsthaft in Betracht zu ziehenden Möglichkeit des Eintretens eines wehrdienstbedingten Gesundheitsschadens, dessen Hinnahme im Hinblick auf die Schwere des zu befürchtenden Schadens nicht vertretbar ist, begründet die Annahme der Wehr- bzw. Zivildienstunfähigkeit." (Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 72.88 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 50). Allerdings legt die Beschwerde nicht dar, inwiefern das angegriffene Urteil in einem abstrakten Rechtssatz von dem vorgenannten abweichen könnte. Mit der daher allenfalls übrig bleibenden Behauptung einer fehlerhaften Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht kann aber eine Divergenz im Sinne des Revisionszulassungsrechts nicht dargetan werden.
c) Ähnliches gilt für das Vorbringen, "dass in vergleichbaren Fällen, etwa BVerwG 8 C 82.87 oder 8 C 25.89 , Wehrpflichtige mit Gesundheitsproblemen, die hinsichtlich der Schwere mit diesem Fall vergleichbar sind, für nicht wehrdienstfähig erachtet worden sind". Diese Rüge genügt in Bezug auf die Divergenz abstrakter Rechtssätze noch nicht einmal ansatzweise den Darlegungsanforderungen.
2. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird darauf gestützt, das Verwaltungsgericht habe in fehlerhafter Weise ohne die Einholung zusätzlicher medizinischer Gutachten betreffend die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers (a) sowie die von Dr. St. am 3. Oktober 2000 und von Dr. S. am 28. November 2000 dokumentierten Befunde des Klägers (b) entschieden. Die Rügen sind unbegründet.
a) Die Einholung eines zusätzlichen Fachgutachtens über die psychische Erkrankung des Klägers war nicht geboten, weil diese Erkrankung nach der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht berücksichtigungsfähig war.
b) Hinsichtlich der von Dr. St. am 3. Oktober 2000 und von Dr. S. am 28. November 2000 dokumentierten Befunde des Klägers bringt die Beschwerde vor, das Verwaltungsgericht hätte sich nicht blind auf die Untersuchungsergebnisse der Beklagten verlassen und nicht seinen eigenen Sachverstand über den zweier Ärzte stellen dürfen. Die beiden Ärzte seien auf ihren jeweiligen Fachgebieten jeweils zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Wehrdienstfähigkeit nicht vorliege. Diese Einschätzungen würden auch hinreichend schriftlich begründet, jedenfalls betreffe dies das Gutachten des Dr. S. Ein von dem Gericht bestellter Sachverständiger hätte Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens der Beklagten formuliert, die darin begründet seien, dass die allergische Erkrankung dort nur oberflächlich und am Rande behandelt worden und die Erkrankung im orthopädischen Bereich von einem anderen Mediziner, Dr. S., im Ergebnis vollständig anders gewürdigt worden sei.
Mit diesem Vorbringen bleibt die Beschwerde hinter den Anforderungen an eine Verfahrensrüge zurück. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nämlich nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 - BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, Rn. 222 m.w.N.). Insofern genügt es nicht, wenn die Beschwerde pauschal darauf hinweist, andere Gutachter als diejenigen der Beklagten hätten die Gutachten von Dr. St. und Dr. S. "vollständig anders gewürdigt".
Soweit mit dem Beschwerdevorbringen ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) vorgebracht werden sollte, müsste substantiiert dargelegt worden sein, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265; Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26). Ein bloßer Hinweis darauf, in den von der Beklagten vorgelegten Gutachten werde die allergische Erkrankung nur oberflächlich und am Rande behandelt, und die Erkrankung im orthopädischen Bereich wäre durch Einholung eines zusätzlichen Gutachtens im Sinne von Dr. S. gewürdigt worden, genügt diesen Substantiierungsanforderungen nicht.
Abgesehen davon ist die Aufklärungsrüge nicht begründet. Dem Verwaltungsgericht musste sich eine Beweisaufnahme nicht aufdrängen. Der Ärztliche Dienst der Beklagten hat sich im Widerspruchsverfahren mit den geltend gemachten allergischen Beschwerden auch unter Berücksichtigung des zweizeiligen Attests von Dr. St. vom 3. Oktober 2000 substantiiert auseinander gesetzt und zu den orthopädischen Beschwerden unter Bezug auf den Befundbericht von Dr. S. vom 28. November 2000 im Bundeswehrkrankenhaus H. eine weitere fachärztliche Abklärung vornehmen lassen. Dem hat der Kläger im gerichtlichen Verfahren nichts mehr entgegengesetzt, insbesondere keine neuen fachärztlichen Stellungnahmen vorgelegt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.