Beschluss vom 30.08.2008 -
BVerwG 8 B 2.08ECLI:DE:BVerwG:2008:300808B8B2.08.0

Beschluss

BVerwG 8 B 2.08

  • VG Magdeburg - 23.10.2007 - AZ: VG 5 A 1/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. August 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf Grund mündlicher Verhandlung vom 9. Oktober 2007 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.

2 Grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Die erste von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
„ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein nicht durch Bescheid beendetes Rückgabeverfahren nach dem Vermögensgesetz durch Erklärung des Antragstellers wirksam auf ein Verfahren nach dem Ausgleichsleistungsgesetz umgestellt werden kann, insbesondere ob solches noch nach Ablauf der Antragsfrist in § 6 Abs. 1 Satz 3 ALG mit der Folge geschehen kann, dass damit ohne jeden behördlichen Bescheid zur Frage der Besatzungsrechtlichkeit oder Besatzungshoheitlichkeit der Enteignung i.S.d. § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG das vermögensrechtliche Verfahren als rechtskräftig abgeschlossen gilt und damit auch mit Bindungswirkung die Besatzungsrechtlichkeit oder Besatzungshoheitlichkeit einer Enteignung i.S.d. § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG feststeht“
stellt keine abstrakte Rechtsfrage von fallübergreifendem Gewicht dar. Es handelt sich vielmehr um eine typische Frage des Einzelfalls, der durch ein besonderes Verhalten des Klägers im Verwaltungsverfahren geprägt ist. Davon abgesehen ist die Frage nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat - ebenso wie der Beklagte im Verwaltungsverfahren - das Vorliegen eines sowjetischen Enteignungsverbots umfassend geprüft, ohne dass die Verfahrensvorschriften des § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG den Prüfungsumfang eingeschränkt haben. Nach der Feststellung des Verwaltungsgerichts war mangels eines Enteignungsverbots die Verantwortung der Besatzungsmacht für die Enteignung nicht unterbrochen; damit verbleibe es bei der Anwendung des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG (UA S. 7).

3 Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,
„Ist es auch in den Fällen eines individuellen, im Einzelfall ausgesprochenen sowjetischen Enteignungsverbotes erforderlich, dass den damaligen deutschen Stellen bei Aussprache der Enteignung dieses sowjetische Enteignungsverbot (also individuelle Äußerungen von Vertretern der sowjetischen Besatzungsmacht oder entsprechende Handlungen, die sich gegen eine Enteignung richteten) bekannt war oder genügt der Beleg von gegen die Enteignung gerichteten Erklärungen oder Handlungen von Vertretern der sowjetischen Besatzungsmacht zur Annahme eines sowjetischen Enteignungsverbots, auch wenn diese Erklärungen oder Handlungen den deutschen Stellen nicht bekannt waren?“
so kann auch diese Fragestellung nicht zu einer Zulassung der Revision führen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegt schon gar kein rechtserhebliches Enteignungsverbot der Besatzungsmacht vor. Im Zeitpunkt der Enteignung lag nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts objektiv keine wie auch immer geartete, einer Enteignung widersprechende Willensbekundung der Besatzungsmacht vor. Das behauptete freundschaftliche Verhältnis des Rechtsvorgängers des Klägers zu Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte ist spätestens nach der Absetzung des Rechtsvorgängers als Bürgermeister am 24. September 1945 beendet worden. Auch die spätere Flucht der Eheleute Sch. aus der sowjetisch besetzten Zone spricht nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts eindeutig dagegen, dass zu Gunsten des Betreffenden ein Enteignungsverbot zum maßgeblichen Zeitpunkt der Enteignung seitens der sowjetischen Besatzungsmacht ausgesprochen sein soll. Insoweit kommt es auf die zusätzliche Begründung, dass die Äußerungen einzelner Rotarmisten deutschen Dienststellen nicht bekannt gewesen seien, nicht mehr an.

4 Auch die dritte aufgeworfene Frage,
„Stellt es einen, ein sowjetisches Enteignungsverbot weder revidierenden „actus contrarius“ dar, wenn nach einer einmaligen Aussprache eines sowjetischen Enteignungsverbots, etwa durch einen Ortskommandanten o.ä., später persönliche Verfolgungen durch andere Mitglieder oder Truppenteile der Roten Armee drohen oder auch erfolgten, die der Eigentümer u.U. zum Anlass der Flucht nimmt? Kann also ein einmal ausgesprochenes sowjetisches Enteignungsverbot durch auf die Person des Eigentümers zielende befürchtete oder tatsächliche Verfolgungsakte gar nicht für Enteignungsfragen zuständiger anderer Truppenteile der Roten Armee (hier auf Grund einer deutschen Denunziation) wieder aufgehoben werden?
stellt keine Rechtsfrage von fallübergreifendem Gewicht dar. Es handelt sich vielmehr um eine durch die Umstände des Einzelfalls geprägte situative Frage. Es kommt hinzu, dass das Verwaltungsgericht gerade keine Tatsachen festgestellt hat, die für ein Enteignungsverbot sprechen. Weiterhin ist diese aufgeworfene Fragestellung von vornherein missverständlich, denn entweder bestand im Zeitpunkt der Enteignung ein dieser entgegenstehender Wille der sowjetischen Besatzungsmacht oder nicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist die Frage des Bestehens eines Enteignungsverbots aber ausdrücklich verneint worden.

5 Erfolglos bleibt auch die erhobene Aufklärungsrüge, mit der geltend gemacht wird, dass das Verwaltungsgericht Zeugen nicht vernommen, sondern deren schriftlichen Erklärungen als wahr unterstellt habe. Sie genügt nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine Aufklärungsrüge setzt unter anderem die Darlegung voraus, welche Zeugen zu welchen konkreten, für die Entscheidung erheblichen Fragen noch hätten gehört werden müssen und welche Aussagen von ihnen hätten erwartet werden können. Hieran fehlt es. Das Verwaltungsgericht hat den schriftlichen Erklärungen der Zeugen kein Enteignungsverbot, sondern lediglich Meinungsäußerungen sowjetischer Militärpersonen in Gesprächen mit dem Bürgermeister Dr. Sch. und deren Familie entnehmen können. Insoweit hätte der Kläger darlegen müssen, welche konkrete Aussage von welchen Zeugen zu erwarten gewesen wäre, die nach dem rechtlichen Maßstab des Verwaltungsgerichts eine „höhere Qualität ... als eine allgemeine Meinungsäußerung“ (UA S. 5) ergab, also eine Äußerung in einer Form und unter Umständen, die den Schluss auf ein verbindliches, der Besatzungsmacht zuzurechnendes Verbot zuließ. Stattdessen hat der Kläger im Wesentlichen lediglich geltend gemacht, dass die Zeugen zu einem Enteignungsverbot detailliert hätten befragen werden müssen.

6 Auch setzt sich der Kläger nicht damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht die Ablehnung eines Enteignungsverbots nicht nur auf den Inhalt der schriftlichen Erklärungen der Zeugen, sondern maßgeblich auch darauf gestützt hat, dass sich Herta Sch. und Dr. Erich Sch. in ihren Eingaben an die sowjetische Besatzungsmacht nicht auf ein Enteignungsverbot oder entsprechende Aussagen berufen hätten. Zudem liege kein historisches Dokument vor, in welchem ein solches Verbot - „und sei es auch nur dem weiteren Sinn nach“ - erwähnt werde (UA S. 3). Auch hat das Verwaltungsgericht die Umstände im Zusammenhang mit der Flucht der Eheleute Sch. aus Angst vor der sowjetischen Besatzungsmacht gewürdigt und hierin wohl zusätzlich ein Indiz gegen ein Enteignungsverbot gesehen.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 GKG.