Beschluss vom 30.06.2008 -
BVerwG 5 B 49.08ECLI:DE:BVerwG:2008:300608B5B49.08.0

Beschluss

BVerwG 5 B 49.08

  • VG Dresden - 08.01.2008 - AZ: VG 7 K 294/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juni 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke und Dr. Brunn
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 8. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe in § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

2 1. Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich bedeutsam (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) aufgeworfene Frage, „ob derjenige, der die Position eines Wehrwirtschaftsführers bekleidet hat, aufgrund dieses Umstandes dem nationalsozialistischen System im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erheblichen Vorschub geleistet hat“, führt auf keine fallübergreifend klärungsfähige abstrakte Rechtsfrage, sondern betrifft in erster Linie die Würdigung der getroffenen tatsachengerichtlichen Feststellungen und deren Subsumtion im vorliegenden Einzelfall. Wie das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 19. Oktober 2006 - BVerwG 3 C 39.05 - BVerwGE 127, 56 m.w.N.) entschieden hat, setzt der angesprochene gesetzliche Anspruchsausschluss voraus, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis hatten (a.a.O. S. 58). Ähnlich wie ein zu fordernder qualifizierter Nutzen für das nationalsozialistische System zwar aus einer bloßen Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen nicht hergeleitet werden kann, aber der Wahrnehmung herausgehobener Funktionen in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, zumal wenn sie über einen längeren Zeitraum und im Sinne der Partei beanstandungsfrei ausgeübt worden sind, regelmäßig eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten zukommt (a.a.O. S. 60 bzw. S. 61), kann aus der bloßen Innehabung von sonstigen Ämtern im NS-Staat nicht zwingend ein qualifizierter Nutzen für das nationalsozialistische System hergeleitet werden. Entgegen der Beschwerde hat sich das Verwaltungsgericht nicht auf die Feststellung der Innehabung des Amtes des Wehrwirtschaftsführers beschränkt, sondern hat in den Urteilsgründen dargelegt, dass der Kläger „damit einem überschaubaren und auserlesenen Kreis aus den Industrie-Eliten unter dem NS-Regime“ angehört habe, welche rüstungswichtige Betriebe leiteten und koordinierten, und dass der Kläger „Funktionär des nationalsozialistischen Führerstaates nicht allein in seinem Unternehmen, sondern für die an nationalsozialistischen Zielen ausgerichtete Wehrwirtschaft insgesamt“ gewesen sei, welcher ausweislich einer eigenen Erklärung des Jahres 1945 sogar sehr genau erkannt habe, welche Entwicklungen er durch sein Handeln fördern würde.

3 Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf divergierende historische Analysen und Bewertungen der Funktion des Wehrwirtschaftsführers hinweist, betrifft dies die zeitgeschichtliche Bewertung der Funktion, aber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

4 2. Entgegen der Beschwerde weicht das angefochtene Urteil auch nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO durch divergierende Rechtssätze von einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Abgesehen davon, dass die von der Beschwerde bezeichneten Beschlüsse vom 21. Januar 2004 - BVerwG 5 B 42.03 sowie BVerwG 5 B 96.03 - zu § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG ergangen sind und somit nicht die gleiche Rechtsnorm betreffen, hat sich das Verwaltungsgericht nach den vorstehenden Darlegungen gerade nicht der Einsicht in die von der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (so auch der von der Beschwerde herangezogene Beschluss vom 1. August 2007 - BVerwG 5 B 148.07 juris) begründete Notwendigkeit verschlossen, die das NS-Regime fördernden Tätigkeiten des Geschädigten (zu ermitteln sowie) einzelfallbezogen zu würdigen.

5 3. Dem Urteil des Verwaltungsgerichts haftet entgegen der Beschwerde auch kein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) an, welcher zur Zulassung der Revision (bzw. zur Zurückverweisung gemäß § 133 Abs. 6 VwGO) führen muss.

6 a) Soweit die Beschwerde es als Verstoß gegen die Begründungspflicht nach § 138 Nr. 6 VwGO bzw. als Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) rügt, dass sich das Verwaltungsgericht in den Urteilsgründen nicht mit der Frage befasst habe, inwieweit über den Streitfall bereits bindend durch einen Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2000 entschieden worden sein könnte, wie die Klägerseite behauptet hat, bzw. dass es bereits vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Hinweis hätte geben müssen, greifen die Verfahrensrügen nicht durch. Wie der Klägerbevollmächtigte in seinem „Terminsbericht“, den er zu den Gerichtsakten gereicht hat, selbst dargelegt hat (S. 439 ff.), hat die Kammervorsitzende in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, die Kammer werde nicht der Auffassung der Klägerseite - dass durch den Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2000 über die Frage der Würdigkeit zugunsten der Klägerseite bereits entschieden worden sei und dies auch für dieses Verfahren Bindungswirkung entfalte - folgen, weil es um zwei unterschiedliche Streitgegenstände gehe, hier um den Ausgleichsanspruch wegen Anteilen an dem Firmenvermögen, dort um den Ausgleichsanspruch wegen Eigentums an einem Grundstück; die Kammer sei befugt und gehalten, über diese Frage eigenständig zu entscheiden. Damit ist das Gericht seinen Hinweis- und Begründungspflichten ausreichend gerecht geworden, zumal die Beklagtenseite der genannten Rechtsauffassung der Klägerseite seit Verfahrensbeginn entgegengetreten war und diese vor dem Hintergrund des Fehlens einer gesetzlichen Bestimmung über die Verpflichtung zur Herbeiführung einheitlicher Entscheidungen hinsichtlich der Würdigkeit einer geschädigten Person auch eher fernliegend ist. Zu einer umfassenden Erörterung aller im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen in den Urteilsgründen oder zu einem frühzeitigen Hinweis auf die Rechtsauffassung des Gerichts besteht keine Verpflichtung.

7 b) Soweit schließlich die Beschwerde einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) rügt, bedarf es keines vertieften Eingehens darauf, ob sich das Gericht ohne weitere Aufklärung (bzw. ohne entsprechende konkrete Hinweise den Verfahrensbeteiligten gegenüber) im Hinblick auf die Bejahung eines Verstoßes gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit (als Folge einer vom Gericht angenommenen Auslieferung von 35 Arbeitern an die Gestapo) auf eine in den Verwaltungsakten enthaltene „Charakteristik der Armaturenfabrik“ vom 20. Juni 1946 entscheidungstragend stützen durfte. Auch wenn hierin ein beachtlicher Verfahrensmangel zu erblicken wäre, wäre die Beschwerde nicht begründet. Nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe handelt es sich bei den Erwägungen unter 2. (S. 6 f. UA) betreffend den Ausschlussgrund eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit um eine (neben den Gründen unter 1. betreffend den Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens) selbständig tragende weitere Begründung. In solchen Fällen ist die Beschwerde nur begründet, wenn hinsichtlich beider Gründe ein Zulassungsgrund zulässig vorgetragen und gegeben ist (vgl. etwa Beschluss vom 11. April 2003 - BVerwG 7 B 141.02 - NJW 2003, 2255 m.w.N.). Weil hinsichtlich der tragenden Urteilsgründe unter 1. kein Zulassungsgrund vorliegt, könnten die - von der Beschwerde als verfahrensfehlerhaft zustande gekommen gerügten - Urteilsgründe unter 2. entfallen, ohne dass sich am vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnis etwas änderte, so dass die Beschwerde insgesamt zurückzuweisen ist.

8 4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

9 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

10 Bei der gemäß §§ 47, 52 GKG durchzuführenden Streitwertfestsetzung macht sich der beschließende Senat die verwaltungsgerichtliche Festsetzung zu Eigen, gegen welche Bedenken nicht erhoben worden sind.