Beschluss vom 30.06.2003 -
BVerwG 4 BN 31.03ECLI:DE:BVerwG:2003:300603B4BN31.03.0

Beschluss

BVerwG 4 BN 31.03

  • Hessischer VGH - 20.02.2003 - AZ: VGH 3 N 169/02

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Februar 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 35 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels oder gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen ist.
1.a) Ohne Erfolg beanstandet der Antragsteller als Verstoß gegen den grundgesetzlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), das Normenkontrollgericht sei auf zahlreiche Einzelheiten seines Vortrags nicht eingegangen.
aa) Der Antragsteller hält dem Normenkontrollgericht hauptsächlich vor, sich mit den Rügen zum Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 6 BauGB nur unvollkommen auseinander gesetzt zu haben.
(1.) Das Gericht habe zunächst sein Vorbringen in den Schriftsätzen vom 23. April 2002, Seite 11 - 13, und vom 15. November 2002, Seite 14 - 18, übergangen. Dort habe er herausgearbeitet, dass die Ausweisung einer öffentlichen Grünfläche auf dem Flurstück 28/10 unverhältnismäßig sei, weil durch die Festsetzung eines Baufensters eine den öffentlichen und privaten Belangen gleichermaßen Rechnung tragende Lösung möglich gewesen sei. Außerdem habe das Normenkontrollgericht seinen Einwand nicht berücksichtigt, dass als geringerer Eingriff eine private Grünfläche hätte vorgesehen werden können.
Der Vorwurf des Antragstellers ist unbegründet. Das Normenkontrollgericht hat den Vortrag im Tatbestand seines Urteils wiedergegeben (UA S. 11, 12) und - wenn auch in sehr knapper Form - in den Gründen gewürdigt. Es hat das Interesse der Antragsgegnerin an der Öffnung des Flurstücks 28/10 (sog. "Leuchter-Garten") für die Allgemeinheit u.a. als Belang im Sinne des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BauGB angesehen (UA S. 18) - hiernach sind bei der Aufstellung des Bebauungsplans die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere auch die Belange von Freizeit und Erholung, zu berücksichtigen - und es gebilligt, dass die Antragsgegnerin dieses Interesse und die übrigen öffentlichen Belange als so gewichtig angesehen hat, dass sie das Interesse des Antragstellers an der vollständigen oder wenigstens teilweisen Aufrechterhaltung der Privatnützigkeit seines Grundstücks überwiegen. Bei der Kontrolle des Abwägungsvorgangs und –ergebnisses ist das Gericht von den Überlegungen der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin ausgegangen (UA S. 8), die in der öffentlichen Sitzung am 15. Juni 2000 wie folgt protokolliert worden sind (Planunterlagen Band 2/2 Bl. 390): "Lage und Gestaltung des Gartens stellen in der Stadt Hochheim ein wesentliches Identitätsmerkmal dar. Infolgedessen ist die Fläche für die Naherholung der Bevölkerung von besonderem Interesse. Da der Garten in so unmittelbarer Nachbarschaftslage zur sehr stark verdichtet bebauten Altstadt Hochheims liegt, wird die Nutzung als öffentlich zugänglicher Park, als grüne Insel in der Altstadt äußerst wichtig. Ein privater Garten könnte diese Funktion der Naherholung nicht erfüllen."
(2.) Der Antragsteller moniert des Weiteren die Missachtung seines Vorbringens in den Schriftsätzen vom 23. April 2002, Seite 8 und 9, und vom 15. November 2002, Seite 11 - 14. Darin habe er aufgezeigt, dass der landespflegerische Beitrag vom 4. Mai 1999 ungeeignet sei, die von der Antragsgegnerin als abwägungsrelevant angesehene besondere klimaökologische Ausgleichsfunktion des Flurstücks 28/10 zu belegen.
Auch dieser Vorhalt ist unbegründet. Das Normenkontrollgericht hat das Vorbringen des Antragstellers im Tatbestand des Urteils referiert (UA S. 11, 12). In den Entscheidungsgründen hat es sich der Auffassung der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin im Beschluss vom 16. Juni 2000 angeschlossen, dass der große Baumbestand auf dem Grundstück einen wesentlichen Beitrag zum innerstädtischen Klimaausgleich leistet (UA S. 17). Indem es die Notwendigkeit der Einholung eines klimaökologischen Gutachtens verneint hat, hat es zu erkennen gegeben, die Bedenken des Antragstellers gegen den landespflegerischen Beitrag mit der Ergänzung vom 19. April 2000 als Grundlage für den Beschluss vom 15. Juni 2000 nicht zu teilen.
(3.) Richtig ist, dass das Vorbringen des Antragstellers im Schriftsatz vom 23. April 2002, Seite 13, zum Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG, der innerhalb des § 1 Abs. 6 BauGB als Planungsdirektive bedeutsam ist, weder in den Tatbestand noch in die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Eingang gefunden hat. Allein aus diesem Umstand kann indes nicht geschlossen werden, dass das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1989 - BVerwG 7 C 2.87 - BVerwGE 82, 76 <90>). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Urteilsbegründung muss nicht auf alle im Verfahren angesprochenen Fragen eingehen (BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4). Die Feststellung, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt hat, kann nur dann getroffen werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216 f.>). Solche Umstände liegen hier nicht vor. Das Normenkontrollgericht hat das Abwägungsgebot angesprochen und dazu Ausführungen gemacht. Dass es sich in diesem Zusammenhang nicht mit jedem einzelnen Einwand des Antragstellers auseinander gesetzt hat, lässt noch nicht darauf schließen, dass es ihn bei der Entscheidung nicht berücksichtigt hat. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der vom Antragsteller behauptete Verstoß gegen § 50 BImSchG nicht vorliegt. Die Norm verpflichtet den Planungsträger, bei raumbedeutsamen Planungen die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen - um solche geht es hier - auf die ausschließlich oder vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete sowie auf sonstige schutzbedürftige Gebiete so weit wie möglich vermieden werden. Eine innerstädtische öffentliche Grünanlage ist im Hinblick auf Immissionen kein "sonstiges schutzwürdiges Gebiet" (vgl. Jarass, BImSchG, 5. Aufl., § 50 Rn. 8). Vielmehr stellt ihre Festsetzung ein planungsrechtlich zulässiges Mittel dar, um baulich stark verdichtete Gebiete im Sinne des Trennungsgrundsatzes aufzulockern (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 Rn. 239).
(4.) Mit seiner Rüge, dass sich das Normenkontrollgericht mit seinem Vorwurf in den Schriftsätzen vom 23. April und 15. November 2002, jeweils Seite 7, nicht befasst habe, die Antragsgegnerin habe die Festsetzung einer privaten statt einer öffentlichen Grünfläche nicht erwogen und in Wahrheit eine unzulässige Negativplanung vorgenommen, wiederholt der Antragsteller in anderem sprachlichen Gewand seinen Vorhalt, das Normenkontrollgericht habe seinen Einwand nicht berücksichtigt, dass als geringerer Eingriff eine private Grünfläche hätte vorgesehen werden können. Dazu ist vorstehend unter (1.) das Erforderliche gesagt.
(5.) Einen weiteren Gehörsverstoß sieht der Antragsteller darin, dass das Normenkontrollgericht seinen Hinweis auf den schlechten Zustand einzelner Bäume auf dem Flurstück 28/10 im Schriftsatz vom 23. April 2002, Seite 10, 11, ignoriert habe. Wäre es ihm nachgegangen, hätte es einen Abwägungsfehler festgestellt; denn ihm, dem Antragsteller, sei es nicht zumutbar, kranke und vom Umsturz bedrohte Bäume zu erhalten und damit als Zustandsstörer das Haftungsrisiko für etwaige Schäden zu tragen.
Auch mit dieser Gehörsrüge vermag sich der Antragsteller nicht durchzusetzen. Das Normenkontrollgericht hat seine Schilderung vom Zustand der Bäume in den Tatbestand des Urteils übernommen (UA S. 6, 7). Es hat sie zwar in den Entscheidungsgründen nicht wieder aufgegriffen. Das zwingt jedoch aus den unter (3.) genannten Gründen nicht zu der Annahme eines Gehörsverstoßes. Im Übrigen hätte der Vortrag des Antragstellers in der Sache nicht zum Erfolg des Normenkontrollantrags führen können. Dabei kann offen bleiben, ob die Antragsgegnerin ein detailliertes Baumgutachten hätte einholen müssen und es nicht mit der erfolgten Bestandsaufnahme hätte belassen dürfen. Jedenfalls wird die Befürchtung des Antragstellers, für Gehölzbruch haften zu müssen, durch die Erwägung der Antragsgegnerin entkräftet, bei einer öffentlichen Nutzung des "Leuchter-Gartens" würden auch der Haftungsanspruch und die Pflege auf die Stadt Hochheim übergehen (Planunterlagen Band 2/2 Bl. 390).
(6.) Die weiteren zu § 1 Abs. 6 BauGB geltend gemachten Gehörsverletzungen sind nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Es fehlt die exakte Angabe, welche Schriftsätze (mit Datum und Seitenangaben) den übergangenen Vortrag enthalten. Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts, den gesamten bisherigen Akteninhalt selbst auf jenes Vorbringen hin durchzusehen und auf diese Weise erst die Gehörsrüge schlüssig zu machen (BVerwG, Beschluss vom 14. Januar 1998 - BVerwG 6 B 92.97 - <juris>).
bb) Der Antragsteller beanstandet ferner, dass das Berufungsgericht auf seine Rüge im Schriftsatz vom 23. April 2002, Seite 3 und 4, nicht eingegangen sei, der Verwendungszweck des Flurstücks 28/10 als öffentliche Grünfläche sei aus dem angefochtenen Bebauungsplan nicht ersichtlich und nicht im Einzelnen konkretisiert. Mit diesem Einwand musste sich das Berufungsgericht nicht zwingend beschäftigen; denn es ist offensichtlich und bedarf deshalb keiner gesonderten Klarstellung, dass die Ausweisung des Flurstücks 28/10 als "öffentliche Grünfläche, Park" dessen künftige Zweckbestimmung festlegt, als größerer Landschaftsgarten der Allgemeinheit zu Erholungszwecken zugänglich zu sein. Die Ansicht des Antragstellers, der Plan hätte mit der Zweckbestimmung "Öffentliche Parkfläche" gemäß Ziffer 6.3 der Planzeichenverordnung versehen werden müssen, liegt erkennbar neben der Sache, weil ein Bebauungsplan mit einer Kennzeichnung nach dieser Ziffer - hier zu keiner Zeit in Erwägung gezogene - Verkehrsflächen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen festsetzt.
b) Die Revision ist auch nicht wegen des behaupteten Verfahrensmangels der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) und der Verletzung rechtlichen Gehörs durch mangelnde Kenntnisgabe behördlicher Unterlagen zuzulassen. Der Antragsteller vermisst zu Unrecht eine Beiziehung des Erläuterungsberichts zum Flächennutzungsplan und die Ermöglichung der Einsichtnahme. Nach Ansicht des Normenkontrollgerichts hat die Antragsgegnerin das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB eingehalten, weil die Abweichung des Bebauungsplans vom Flächennutzungsplan angesichts des Umstandes, dass die öffentliche Grünfläche nur knapp 20 % des Plangebiets ausmache, quantitativ nicht beachtlich sei. Nach seiner materiellrechtlichen Auffassung, von der für die Beurteilung eines Verfahrensmangels ungeachtet ihrer Richtigkeit auszugehen ist (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>, stRspr), kam es auf das mit dem Flächennutzungsplan verfolgte städtebauliche Konzept mithin nicht an. Das Normenkontrollgericht hatte daher keine Veranlassung, den Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan anzufordern und auch dem Antragsteller zur Lektüre zur Verfügung zu stellen.
2. Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt ebenfalls nicht vor.
a) Die Frage, ob bei parzellenscharfer Darstellung der zulässigen Nutzung im Flächennutzungsplan dem Entwicklungsgebot aus § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB dann noch Genüge getan ist, wenn der die Flächennutzungsplanung konkretisierende Bebauungsplan für exakt die gleiche Grundstücksfläche eine andere Nutzungsart festsetzt, oder ob hierfür eine Änderung des Flächennutzungsplans herbeigeführt werden müsste, nötigt nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Sie ist in der Rechtsprechung des Senats bereits in dem Sinne beantwortet, dass allein die Tatsache abweichender Festsetzungen nicht den Schluss zulässt, der Bebauungsplan sei nicht in der nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB gebotenen Weise aus dem Flächennutzungsplan entwickelt (Urteil vom 26. Januar 1979 - BVerwG 4 C 65.76 - BRS 35 Nr. 20). Abweichungen des Bebauungsplans sind insoweit von dem Begriff des "Entwickelns" gedeckt, als sie sich aus dem - im Verhältnis zwischen Flächennutzungs- und Bebauungsplan vorliegenden - Übergang in eine stärker verdeutlichende Planstufe rechtfertigen und der Bebauungsplan trotz der Abweichung der Grundkonzeption des Flächennutzungsplans nicht widerspricht. Der Grad eines unzulässigen Widerspruchs zum Flächennutzungsplan wird demnach von Abweichungen nicht erreicht, welche diese Grundkonzeption unangetastet lassen und insoweit als unwesentlich anzusehen sind (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1975 - BVerwG 4 C 74.72 - BVerwGE 48, 70 <75>). Mehr ist verallgemeinernd nicht zu sagen. Welche Abweichung vom Flächennutzungsplan den Grad eines Widerspruchs erreicht, lässt sich nicht generell, sondern nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entscheiden.
b) Die Frage, ob ein Planungsträger durch die Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche in das Eigentum eines Privaten eingreifen darf, wenn in nächster Umgebung bereits Flächen vorliegen, die den mit der Planung verfolgten städtebaulichen Zweck gleichermaßen oder sogar besser erfüllen, führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Sie ist trotz der Zweifel des Antragstellers an der Eindeutigkeit durch das Senatsurteil vom 6. Juni 2002 - BVerwG 4 CN 6.01 - (NVwZ 2002, 1506) geklärt: Die Gemeinde darf das Grundstück eines Privaten als Fläche für den Gemeinbedarf nur festsetzen, wenn dafür im Rahmen der planerischen Konzeption gleich geeignete Grundstücke der öffentlichen Hand nicht zur Verfügung stehen. Der Antragsteller zeigt nicht auf, dass dieser Rechtssatz der Korrektur oder Fortentwicklung bedürfte, sondern beanstandet eine fehlerhafte Subsumtion, indem das Normenkontrollgericht seiner Behauptung, der "Hummel-Park" oder Weinbergflächen im Außenbereich von Hochheim seien als Naherholungsgebiete mindestens ebenso geeignet wie der "Leuchter-Garten", zu Unrecht nicht gefolgt sei. Mit Angriffen gegen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung lässt sich der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO jedoch nicht dartun.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.