Beschluss vom 29.12.2011 -
BVerwG 3 BN 1.11ECLI:DE:BVerwG:2011:291211B3BN1.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.12.2011 - 3 BN 1.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:291211B3BN1.11.0]

Beschluss

BVerwG 3 BN 1.11

  • Bayerischer VGH München - 07.10.2010 - AZ: VGH 19 N 09.3102

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Dezember 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Buchheister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Oktober 2010 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Verordnung der Regierung von Oberbayern über die Änderung der Jagdzeiten für Schalenwild in Sanierungsgebieten im Regierungsbezirk Oberbayern vom 9. Dezember 2008 (Oberbay. ABl Nr. 25 vom 30. Dezember 2008 S. 192). Der Antragsteller ist Miteigentümer von Waldflächen im Gemeindegebiet von Eschenlohe (Landkreis Garmisch-Partenkirchen), die zum Eigenjagdrevier „Eschenlohe-Wengwies, Hochwildhegegemeinschaft Werdenfels Ost“ gehören; zudem ist er Jagdausübungsberechtigter in diesem Revier. Die angegriffene Rechtsverordnung bestimmt, dass in näher bezeichneten Sanierungs- und Gefährdungsgebieten die Jagd auf Rot-, Gams- und Rehwild abweichend von den gesetzlichen Schonzeiten ausgeübt werden darf. Eine vergleichbare Regelung galt bereits vom 15. Februar 2000 bis 1. August 2002 und vom 8. März 2003 bis zum 1. August 2008. Die Miteigentums- und Jagdrevierflächen des Antragstellers sind vom nächstgelegenen Geltungsbereich der Verordnung - dem Sanierungsgebiet „SG TÖL 15 Eschenlaine“ - durch ein weiteres Jagdrevier getrennt. Die geringste Entfernung zwischen dem Eigenjagdrevier des Antragstellers und dem Sanierungsgebiet beträgt einen Kilometer (Luftlinie), wobei zwischen beiden ein 1 318 m hoher Bergrücken verläuft. Der Antragsteller sieht sich durch die Verordnung in seinem Eigentumsgrundrecht und in seinem Jagdausübungsrecht verletzt. Im Normenkontrollverfahren hat er insbesondere geltend gemacht, infolge der Schonzeitverkürzung sei in seinem Eigenjagdrevier seit Jahren eine Erhöhung des Wildbestandes festzustellen, die auf eine gezielte Vergrämung des von der Verordnung erfassten Schalenwilds zurückzuführen sei. Aufgrund des erhöhten Wildbestandes sei ein verstärkter Verbiss auf seinen Waldflächen zu beobachten, was wiederum einen erhöhten waldbaulichen Bewirtschaftungs- und Jagdausübungsaufwand zur Folge habe. Die Waldstruktur und -qualität würden nachteilig verändert. Im Hinblick auf seinen forstwirtschaftlichen Betrieb sei er auch in seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb tangiert. Als extensiv wirtschaftender Betrieb sei er auf die Unversehrtheit des ökologischen Gleichgewichts, einen relevanten Wildbestand und relativ geringe Verbissraten angewiesen. Der Antragsteller hält die Rechtsverordnung für ungültig, weil sie von der Ermächtigungsgrundlage in Art. 33 Abs. 3 Nr. 1 des Bayerischen Jagdgesetzes nicht gedeckt sei und gegen Verfassungs- sowie Europarecht verstoße. Er hat beantragt, die Verordnung für ungültig zu erklären, hilfsweise sie für ungültig zu erklären, soweit sie das Sanierungsgebiet „SG TÖL 15 Eschenlaine“ zum Gegenstand habe. Mit Beschluss vom 7. Oktober 2010 hat der Verwaltungsgerichtshof den Normenkontrollantrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Antrag sei mangels hinreichend dargelegter Antragsbefugnis sowohl im Haupt- als auch im Hilfsbegehren unzulässig. Der Antragsteller habe weder substantiiert dargelegt, dass vergrämtes Wild aus dem Sanierungsgebiet auf seine Waldflächen gelange, noch habe er substantiiert eine erhöhte Schädigung seines Waldbestandes durch vermehrten Verbiss aufgezeigt. Dasselbe gelte, soweit er einen höheren Aufwand bei der Waldbewirtschaftung, erhöhte Wildschadensersatzverpflichtungen sowie einen erhöhten Jagdaufwand infolge veränderten Tierverhaltens und einer schwierigeren Bejagbarkeit vergrämten Wildes geltend mache.

2 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat Erfolg. Es liegt ein von dem Antragsteller geltend gemachter Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem der angegriffene Beschluss beruhen kann. Die Beschwerde rügt jedenfalls zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof die prozessualen Anforderungen an das Geltendmachen einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt hat und deshalb verfahrensfehlerhaft vom Fehlen der Antragsbefugnis ausgegangen ist.

3 Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist zu bejahen, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in einer eigenen Rechtsposition verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind keine höheren Anforderungen zu stellen als nach § 42 Abs. 2 VwGO. Die Antragsbefugnis fehlt daher nur dann, wenn unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens Rechte des Antragstellers offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können (stRspr, vgl. Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <217 ff.>; Beschlüsse vom 2. März 2005 - BVerwG 6 BN 7.04 - juris Rn. 6 und vom 8. Juni 2011 - BVerwG 4 BN 42.10 - BauR 2011, 1641). Gemessen hieran hat der Verwaltungsgerichtshof einen zu strengen Maßstab an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung des Antragstellers angelegt.

4 Er hat die Anforderungen an die Antragsbefugnis überzogen, indem er die Möglichkeit einer Rechtsverletzung des Antragstellers auch verneint hat, soweit dieser eine Schädigung seines Waldbestandes durch erhöhten Wildverbiss geltend macht. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass Waldeigentümern im Lichte von Art. 14 Abs. 1 GG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Schutz vor Wildschäden zukommt. Namentlich muss der Waldeigentümer nicht tatenlos zusehen, dass der Bestand seines Eigentums durch ständig zunehmenden Wildverbiss entzogen wird (vgl. Urteil vom 30. März 1995 - BVerwG 3 C 8.94 - BVerwGE 98, 118 <121 ff.>; siehe auch BGH, Urteil vom 22. Mai 1984 - 3 ZR 18/83 - BGHZ 91, 243). Ausdruck dessen ist, dass nach § 1 Abs. 2 Satz 2 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) die Hege so durchgeführt werden muss, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen forstwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden. Das betrifft gerade auch die Regelungen über den Abschuss des Wildes und die Festlegung der Jagdzeiten, vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1, § 22 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 BJagdG. Ausgehend davon kann eine Verletzung der Rechte des Antragstellers durch die angegriffene Verordnung nicht von vornherein offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen werden. Die Waldflächen des Antragstellers liegen zwar nicht im Geltungsbereich der Verordnung, so dass er durch deren Rechtsvorschriften oder deren Anwendung nicht unmittelbar betroffen wird. Der Antragsteller hat aber eine mittelbare Betroffenheit in seinen geschützten Interessen nach Art. 14 Abs. 1 GG hinreichend substantiiert dargetan, indem er plausibel vorgetragen hat, dass aufgrund der räumlichen Nähe seiner Waldflächen zu Gebieten, die von der Verordnung erfasst werden, nachteilige Auswirkungen für sein Waldeigentum nicht auszuschließen sind. Er hat unter Bezugnahme auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners über den Erlass der aktuellen und der beiden vorangehenden Verordnungen dargelegt, dass die darin geregelte Aufhebung der Schonzeit darauf zielt, durch eine konzentrierte und wiederkehrende punktuelle Bejagung das Schalenwild aus den Sanierungs- und Gefährdungsgebieten fernzuhalten (zu vergrämen). Der Antragsteller hat des Weiteren unter Verweis auf Telemetriestudien über die Wanderfähigkeit von Wild die Möglichkeit aufgezeigt, dass Wild aus dem von der Verordnung erfassten Sanierungsgebiet „SG TÖL 15 Eschenlaine“ auf das Waldgebiet des Antragstellers wandert. Dass diese Wanderbewegung aufgrund des zwischen dem Sanierungsgebiet und den Waldflächen des Antragstellers liegenden 1 318 m hohen Bergrückens zwingend auszuschließen wäre, ist nach dem Vorbringen des Antragstellers zur Begründung seines Normenkontrollantrags und dem aktenkundigen Kartenmaterial nicht ersichtlich. Schließlich hat der Antragsteller einen deutlichen Anstieg der Abschusszahlen für sein Eigenjagdrevier seit dem Jahr 2000 dargelegt sowie unter Vorlage forstlicher Gutachten substantiiert geltend gemacht, dass die Verbissbelastung durch Schalenwild in der Hegegemeinschaft Werdenfels-Ost ab dem Jahr 2003 deutlich zugenommen hat (vgl. Bl. 225 f., 229 f. der GA, wo ausdrücklich auch das Revier Eschenlohe-Wengwies benannt wird). Soweit der Verwaltungsgerichtshof verlangt, dass der Antragsteller konkret belegt, ob und in welchem Umfang Wild aus den Sanierungsgebieten auf seine Waldflächen gelangt, stellt er damit zu strenge Anforderungen an die Darlegung der Antragsbefugnis; denn es genügt, dass die vom Antragsteller geltend gemachte Wildwanderung nach seinem Vortrag nicht lediglich entfernt („theoretisch“), sondern ernstlich möglich ist.

5 Der angegriffene Beschluss beruht auch im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf dem Verfahrensfehler, obwohl der Verwaltungsgerichtshof ergänzend ausgeführt hat, ein Anspruch auf Aufrechterhaltung einer in der Natur vorgefundenen Lage und etwaiger daraus resultierender Gebrauchs- und Nutzungsvorteile bestehe nicht. Schon die einleitende Formulierung dieser Passage (S. 9 Absatz 3 der Beschlussgründe) verdeutlicht („ist darauf hinzuweisen“), dass diesen ergänzenden Bemerkungen keine entscheidungstragende Funktion beigemessen werden soll. Zwar zielen diese Ausführungen fraglos darauf, den geltend gemachten Anspruch aus materiell-rechtlichen Gründen in Zweifel zu ziehen; eine Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter den vom OVG Lüneburg übernommenen abstrakten Rechtssatz nimmt der Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht vor. Da aber gerade die Übertragbarkeit dieses Rechtssatzes auf den hier geltend gemachten Eingriff aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen diskussionswürdig ist, kann die bloße Wiederholung des bereits im gerichtlichen Schreiben vom 11. Mai 2010 gegebenen Hinweises nicht als endgültige Verneinung einer Verletzung von Rechten des Antragstellers aufgefasst werden. Ein solches Verständnis stünde auch in einem unauflösbaren Widerspruch zu der dann sinnlosen Aufforderung zur weiteren Substantiierung der Beschwer.

6 Der Senat nimmt den Verfahrensfehler zum Anlass, den angegriffenen Beschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die von dem Antragsteller neben der Verfahrensrüge erhobene Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rechtfertigt die Durchführung eines Revisionsverfahrens bereits deshalb nicht, weil sich die von der Beschwerde im Zusammenhang mit der Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO aufgeworfenen Fragen angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht (mehr) stellen. Da sonstige Einwände gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags nicht ersichtlich sind, muss es dem Verwaltungsgerichtshof überlassen bleiben, das angegriffene Landesrecht auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

7 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.