Beschluss vom 29.12.2003 -
BVerwG 7 BN 1.03ECLI:DE:BVerwG:2003:291203B7BN1.03.0

Beschluss

BVerwG 7 BN 1.03

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 28.10.2002 - AZ: OVG 4 K 3/01

In der Normenkontrollsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Dezember 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt, soweit es die Beschwerden der Antragsteller zu 1 bis 6, 8 bis 19 und 21 bis 49 betrifft.
  2. Die Beschwerden der Antragsteller zu 7, 20 und 50 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2002 werden zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bis zur Zurücknahme der Beschwerden der Antragsteller zu 1 bis 6, 8 bis 19 und 21 bis 49 tragen die Antragsteller zu 1 bis 50 zu je einem Fünfzigstel. Die übrigen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller zu 7, 20 und 50 jeweils zu einem Drittel.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren bis zur Zurücknahme der Beschwerden der Antragsteller zu 1 bis 6, 8 bis 19 und 21 bis 49 auf 496 000 € festgesetzt. Im Übrigen wird der Streitwert für das Beschwerdeverfahren auf 42 000 € festgesetzt.

Die Antragsteller wenden sich mit ihren Normenkontrollanträgen gegen eine Rechtsverordnung, durch die das Ministerium für Umwelt, Natur und Forsten des Landes Schleswig-Holstein im Interesse der öffentlichen Wasserversorgung das Wasserschutzgebiet Rellingen festgesetzt hat. Sie unterhalten in dem Wasserschutzgebiet Gewerbe- und Baumschulbetriebe oder sind Eigentümer von Grundstücken in diesem Gebiet. Das Oberverwaltungsgericht hat ihre Normenkontrollanträge zurückgewiesen; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützten Beschwerden der Antragsteller zu 7, 20 und 50 (zukünftig: Antragsteller) haben keinen Erfolg. Weder kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu (1) noch ist die gerügte Divergenz gegeben (2). Auch liegt der behauptete Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht vor (3).
1. Die Antragsteller möchten geklärt wissen, "inwieweit der Landesgesetzgeber berechtigt ist, zur Regelung von Handlungspflichten in einer Wasserschutzverordnung zu ermächtigen". Sie vertreten die Auffassung, dass § 4 Abs. 2 des Wassergesetzes des Landes Schleswig-Holstein (LWG) in der Fassung vom 13. Juni 2000 (GVOBl S. 14) nichtig sei. Die Vorschrift ermächtigt die oberste Wasserbehörde, in der Wasserschutzgebietsverordnung die Eigentümer und die Nutzungsberechtigten von Grundstücken auch zur Vornahme bestimmter Handlungen zu verpflichten, soweit dies zur Erreichung des Schutzzweckes erforderlich ist. § 4 Abs. 2 LWG sei mit § 19 Abs. 2 WHG unvereinbar, der es - so die Antragsteller - ausschließe, den Eigentümern oder Nutzungsberechtigten von Grundstücken in einem Wasserschutzgebiet ein aktives Handeln vorzuschreiben.
Die aufgeworfene Rechtsfrage führt nicht zur Zulassung der Revision; sie lässt sich beantworten, ohne dass es zu ihrer Klärung der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Entgegen der Auffassung der Antragsteller schließt § 19 Abs. 2 WHG nicht aus, dass landesrechtliche Vorschriften für die Eigentümer oder Nutzungsberechtigten in einem Wasserschutzgebiet konkrete Handlungspflichten bestimmen. Zwar ermächtigt diese bundesrechtliche Vorschrift den Verordnungsgeber nur dazu, in den Wasserschutzgebieten bestimmte Handlungen zu verbieten oder für nur beschränkt zulässig zu erklären sowie die Eigentümer und Nutzungsberechtigten von Grundstücken zur Duldung bestimmter Maßnahmen zu verpflichten. Sie stellt jedoch keine abschließende Regelung dar, sondern lässt Raum für den Landesgesetzgeber, bestimmte Handlungspflichten selbst vorzuschreiben oder den Verordnungsgeber zu ermächtigen, solche Handlungspflichten in der Verordnung zu regeln. Dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 WHG lässt sich keine Regelung entnehmen, die entsprechende landesrechtliche Vorschriften ausschließt. Auch aus der differenzierten Aufzählung der möglichen Schutzanordnungen in den Nummern 1 und 2 lässt sich eine solche Ausschlusswirkung nicht herleiten. Mit dieser Aufzählung hat der Gesetzgeber zur Regelung der Schutzanordnungen ermächtigt, die in Wasserschutzgebieten in erster Linie in Betracht kommen. Handlungspflichten haben demgegenüber eher einen ergänzenden Charakter, wie sich auch an den Handlungspflichten zeigt, die im vorliegenden Verfahren in Rede stehen. Abgesehen von der Verpflichtung zum Anbau einer "Haupt- oder Zwischenfrucht", wenn nach der Ernte der Hauptfrucht im Herbst noch eine Bodenbearbeitung vorgenommen wird, handelt es sich vor allem um Pflichten zur Führung von Aufzeichnungen über die Bewirtschaftung von Nutzflächen oder zur Führung eines "Anlagenkatasters" sowie Pflichten zur Einzäunung der Schutzzone (vgl. § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 3, § 7 Abs. 2 und § 9 der Wasserschutzgebietsverordnung Rellingen). Auch die Gesetzessystematik führt nicht zu der von den Antragstellern vertretenen Auslegung. Die Antragsteller verweisen darauf, dass nach § 19 Abs. 3 WHG nur für "Anordnungen nach Absatz 2" Entschädigung zu leisten sei. Für Anordnungen, die über Absatz 2 hinausgehen, habe der Bundesgesetzgeber keine Entschädigung vorgesehen. Die von den Antragstellern angenommene Lücke bei der Entschädigungsregelung, die nach ihrer Ansicht nur vermieden werden könne, wenn § 19 Abs. 2 WHG Ausschlusswirkung für weitere Schutzanordnungen beigemessen werde, besteht nicht. Es liegt auf der Hand, dass der Bundesgesetzgeber eine Entschädigungsregelung nur für die von ihm vorgesehenen Schutzanordnungen getroffen hat. Soweit ein Ausgleich nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG geboten ist, damit eine landesrechtliche Bestimmung von Handlungspflichten die Anforderungen wahrt, die an eine verfassungsgemäße Schrankenregelung zu stellen sind, hat dies der Landesgesetzgeber selbst zu regeln. Das Auslegungsergebnis, dass weder Wortlaut noch Gesetzessystematik des § 19 Abs. 2 WHG landesrechtliche Vorschriften über Handlungspflichten in einem Wasserschutzgebiet ausschließen, wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. In der amtlichen Begründung zu § 23 des Entwurfs eines Wasserhaushaltsgesetzes (entspricht § 19 WHG) ist insoweit ausgeführt:
"Um den Zweck des Wasserschutzgebietes zu erreichen, schafft Absatz 2 die Möglichkeit, Duldungs- und Unterlassungspflichten für die Grundbesitzer in diesem Raume festzusetzen. Das Gesetz sieht davon ab, diese Besitzer selbst zum Handeln im Interesse des Wasserschutzgebietes zu verpflichten; den Ländern bleibt es jedoch unbenommen, auch insoweit gesetzliche Regelungen zu schaffen" (BTDrucks 2/2072, S. 30).
2. Die von den Antragstellern gerügte Divergenz besteht nicht. Das Oberverwaltungsgericht ist mit dem Rechtssatz, in der Wasserschutzgebietsverordnung habe es einer Regelung finanzieller Entschädigungsansprüche nicht bedurft, da der Verordnungsgeber dem primären Gebot der Verfassungsrechtsprechung durch Ausnahmeregelungen entsprochen habe, nicht von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - (BVerfGE 100, 226) abgewichen. Die Antragsteller sehen einen Widerspruch zu dem in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts enthaltenen Rechtssatz, dass Ausgleichsregelungen zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und zum Ausgleich gleichheitswidriger Sonderopfer erforderlich seien, wenn ausnahmsweise die Anwendung des Gesetzes zu einer unzumutbaren Belastung des Eigentümers führe. Nach Auffassung der Antragsteller wäre es erforderlich gewesen, bereits in der Wasserschutzgebietsverordnung eine Regelung vorzusehen, nach der "unbillig" oder schwer belastete Betroffene einen Ausgleichsanspruch in Geld erhalten, wenn ihrem Interesse nicht durch die Gewährung einer Ausnahme Rechnung getragen werden könne.
Entgegen der Auffassung der Antragsteller ergibt sich aus dem genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht, dass in der Wasserschutzgebietsverordnung selbst eine entsprechende Ausgleichsregelung hätte getroffen werden müssen. Die Antragsteller übersehen, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine andere Sachverhaltskonstellation betraf. Diese war dadurch gekennzeichnet, dass die Aktualisierung der Eigentumsbeschränkung durch die Verwaltung im Wege eines Verwaltungsaktes erfolgte. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass ein Eigentümer, der einen ihn in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG beeinträchtigenden Verwaltungsakt für unverhältnismäßig hält, ihn im Verwaltungsrechtsweg anfechten müsse. Lasse er ihn bestandskräftig werden, so könne er eine Entschädigung auch als Ausgleich im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr einfordern. Der Betroffene müsse sich daher entscheiden, ob er den die Eigentumsbeschränkung aktualisierenden Eingriffsakt hinnehmen oder anfechten will. Diese Entscheidung könne er sinnvoll nur treffen, wenn er wisse, ob ihm ein Ausgleich zustehe. Deshalb habe der Gesetzgeber seine materiellrechtlichen Ausgleichsregelungen durch verwaltungsverfahrensrechtliche Vorschriften zu ergänzen, die sicherstellen, dass mit einem die Eigentumsbeschränkung aktualisierenden Verwaltungsakt zugleich über einen dem belasteten Eigentümer gegebenenfalls zu gewährenden Ausgleich entschieden werde (BVerfGE 100, 226 <246>).
Diese Anforderung an die Zulässigkeit finanzieller Ausgleichsregelungen kommt bei der Ausweisung eines Wasserschutzgebietes nicht in vollem Umfang zum Tragen. Die Beschränkung des Eigentums wird zum einen nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch Rechtsverordnung aktualisiert. Zum anderen wird eine mögliche Entschädigung in Geld nicht durch die Verwaltungsbehörde festgesetzt, sondern ist nach der hier einschlägigen landesrechtlichen Norm vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (vgl. § 4 Abs. 5, § 104 und - zum Entschädigungsverfahren - §§ 128 ff., 130 Abs. 1 LWG). Das vom Bundesverfassungsgericht behandelte Risiko, dem durch verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen zu entsprechen ist, kann aber nur dann bestehen, wenn die Eigentumsbeschränkung - wie vom Bundesverfassungsgericht vorausgesetzt - durch Verwaltungsakt aktualisiert wird. Denn bei einer Eigentumsbeschränkung durch Rechtsverordnung befindet sich der Eigentümer nicht in einer vergleichbaren Lage; insbesondere ist er keiner Anfechtungslast ausgesetzt. Beruht die Schutzgebietsverordnung auf einer Verletzung der Pflicht zur angemessenen Berücksichtigung der betroffenen Eigentumsbelange, ist sie nichtig. Darauf kann sich der Eigentümer jederzeit berufen, ohne die Nichtigkeit in einem gesonderten Verwaltungsstreitverfahren klären zu müssen. Ein besonderes, das übliche übersteigendes Prozessrisiko trifft den Eigentümer auch dann nicht, wenn er auf Erteilung einer Befreiung klagt oder einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht und deshalb von der Gültigkeit der Wasserschutzgebietsverordnung auszugehen hat (Beschluss vom 15. April 2003 - BVerwG 7 BN 4.02 - Buchholz 445.4 § 19 WHG Nr. 9; für die vergleichbare Problematik bei der Festsetzung von Naturschutzgebieten vgl. Urteil vom 31. Januar 2001 - BVerwG 6 CN 2.00 - BVerwGE 112, 373 <378 f.>). Art. 14 Abs. 1 GG gebietet vor diesem Hintergrund keine gesetzlichen Vorkehrungen dafür, dass Wasserschutzgebietsverordnungen nur unter gleichzeitiger Festsetzung erforderlicher kompensatorischer Maßnahmen für die betroffenen Grundstücke und Betriebe erlassen werden.
3. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Antragsteller rügen, dass das Oberverwaltungsgericht ihren Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu, ob es ohne Wasserschutzgebietsverordnung in 30 Jahren zu einer nachhaltigen Belastung im Grundwasser des Nutzungshorizonts kommen würde, abgelehnt hat. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Feststellung, es sei eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür gegeben, dass das Grundwasser ohne die Wasserschutzgebietsverordnung in seiner Eignung für Trinkwasserzwecke beeinträchtigt werden könne, auf das hydrogeologische Gutachten des Geologischen Landesamtes Schleswig-Holstein vom 30. Juli 1992 und die Erläuterungen und Ergänzungen durch den Gutachter in der mündlichen Verhandlung gestützt. Es ist aufgrund dieses Gutachtens davon ausgegangen, dass der Schutz des oberflächennahen Grundwasserstockwerks in dem Gebiet auch den Schutz des zweiten Grundwasserstockwerks bewirkt, d.h. dass Schadstoffeinträge von der Oberfläche über den oberflächennahen ersten Grundwasserleiter in den genutzten zweiten Grundwasserleiter eindringen könnten. Schützende Deckschichten zwischen den Grundwasserleitern seien zum Teil nicht, zum Teil nur äußerst "geringmächtig" vorhanden. Bei Schadstoffausträgen auf der Oberfläche könnten somit über das obere Grundwasserstockwerk Schadstoffe in das genutzte Grundwasserstockwerk gelangen, da beide Wasserleiter nur teilweise durch "bindige" Deckschichten geschützt und nicht vollständig voneinander getrennt seien. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag auf Beweiserhebung durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgelehnt, weil die Antragsteller keine substantiierten Zweifel an der Einschätzung des Gutachters geltend gemacht hätten.
Zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens wäre das Oberverwaltungsgericht nur dann verpflichtet gewesen, wenn das vorliegende Gutachten nicht verwertbar ist, weil es erkennbare Mängel aufweist, namentlich von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder unlösbare Widersprüche enthält oder wenn Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters bestehen. Dieser Maßstab gilt in gleicher Weise, wenn es sich nicht um ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten, sondern um ein im Verwaltungsverfahren - hier: im Vorfeld des Erlasses der Wasserschutzverordnung - eingeholtes Gutachten handelt (Beschluss vom 4. Dezember 1991 - BVerwG 2 B 135.91 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 238; Beschluss vom 7. Juni 1995 - BVerwG 5 B 141.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 268). Derartige Mängel des Gutachtens oder der mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen zeigen die Antragsteller nicht auf.
Das Beschwerdeverfahren war gemäß § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Antragsteller ihre Beschwerden zurückgenommen haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Senat hat sich bei der Streitwertfestsetzung an dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 23. Januar 2003 orientiert. In dem Beschluss ist die Vorinstanz von einem wirtschaftlichen Interesse für die Antragsteller zu 7 und 50 von jeweils 20 000 € und für den Antragsteller zu 20 von 2 000 € ausgegangen.