Urteil vom 29.10.2003 -
BVerwG 2 WD 9.03ECLI:DE:BVerwG:2003:291003U2WD9.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 29.10.2003 - 2 WD 9.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:291003U2WD9.03.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 9.03

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 29. Oktober 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Stahl,
Oberstabsfeldwebel Kröger
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Sandbaumhüter
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt Kurschus, Neubrandenburg,
als Verteidiger,
Justizobersekretärin von Förster
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des früheren Soldaten wird das Urteil der .... Kammer des Truppendienstgerichts ... vom 8. Januar 2003 aufgehoben.
  2. Der frühere Soldat hat ein Dienstvergehen begangen.
  3. Das Verfahren wird eingestellt.
  4. Die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

Der 32 Jahre alte frühere Soldat erlangte nach dem Besuch der zehnklassigen allgemein bildenden polytechnischen Oberschule sowie der gewerblichen Berufsschule am 15. Juli 1991 die allgemeine Hochschulreife. Parallel zum Besuch der Berufsschule durchlief er eine Lehre zum Elektronikfacharbeiter, die er ebenfalls am 15. Juli 1991 erfolgreich abschloss. Am 1. August 1992 begann er eine Ausbildung zum Fachgehilfen in steuer- und wirtschaftsberatenden Berufen, die er am 19. Juni 1995 mit dem Erwerb des Fachgehilfenbriefes erfolgreich beendete.

Zur Ableistung seines Grundwehrdienstes wurde er zum 4. Oktober 1995 zur ..../Luftwaffenausbildungsregiment (LwAusbRgt) ... in H./E. einberufen und aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr am 30. September 1996 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zuletzt auf acht Jahre festgesetzt; sie endete mit Ablauf des 30. September 2003.

Der frühere Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt mit Wirkung vom 1. Oktober 2001 zum Oberfeldwebel.

Nach seiner Grundausbildung wurde er zum 1. Januar 1996 als Bildtechniker zur Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in S. versetzt. Zum 23. September 1996 wechselte er als Stabsdienstsoldat zur .../Führungsunterstützungsregiment ... in N. sowie zur Teilstreitkraft Heer. Nach Bestehen des Unteroffizierlehrgangs Teil 1 vom 6. Januar bis 27. März 1997 an der Heeresunteroffizierschule (HUS) ... in D. mit der Abschlussnote „gut“ wurde er als Fernschreibunteroffizier (FschrUffz) und Gruppenführer (GrpFhr) verwendet. Vom 8. April bis 3. Juli 1997 absolvierte er erfolgreich den Unteroffizierlehrgang Teil 2 (Richtfunk) an der Fernmeldeschule und Fachschule des Heeres für Elektrotechnik (FmS/FSHEIT) in P. Zum 1. Oktober 1997 wurde er zur .../Stabs- und Fernmeldebataillon (St/FmBtl) ... in N. versetzt. In dieser Einheit, die mit Wirkung vom 1. Juli 2002 in .../Fernmeldebataillon ... umbenannt wurde, wurde er zunächst als FschrUffz, danach als Übertragungsunteroffizier [digital] und GrpFhr sowie, nach Bestehen des Feldwebellehrgangs Fernmeldeverbindungsdienste vom 11. Januar bis 7. April 2000 an der FmS/FSHEIT in F. mit der Abschlussnote „gut“ als Weitverkehrfeldwebel [digital] und GrpFhr eingesetzt. Seit Frühjahr 2001 wurde er in der Operationszentrale (OpZ) des Bataillons verwendet und zum 1. Juli 2002 im Rahmen der Berufsförderung zur Bundeswehrfachschule B. kommandiert und ab 1. Oktober 2002 zur Aufnahme des Studiums der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in B. vom militärischen Dienst freigestellt.

In seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom 12. September 2001 erzielte der frühere Soldat als Feldwebel bei der Bewertung der Einzelmerkmale seiner Leistungen einmal die Stufe „7“, elfmal die Stufe „5“ sowie viermal die Stufe „4“. In der Eignungs- und Befähigungsbewertung erhielt er je einmal die Wertung „D“ („Eignung und Befähigung sind besonders vorhanden“) und „C“ („Eignung und Befähigung sind deutlich vorhanden“) sowie zweimal die Wertung „B“ („Eignung und Befähigung sind vorhanden“). Er wird als Portepeeträger beschrieben, der sorgfältig geführt sein wolle und von der Notwendigkeit und Wichtigkeit einer Aufgabe überzeugt sein müsse, um optimale Einsatzbereitschaft zu zeigen. Sei er das allerdings einmal, gelinge es ihm, insbesondere durch seine enorme geistige Flexibilität, nötigenfalls auch überdurchschnittliche Ergebnisse zu liefern. Er sei geprägt von einem modernen Gesellschaftsbild und betrachte den Soldatenberuf als einen Beruf wie andere auch. Überlieferte Anschauungen und Verhaltensmuster hinterfrage er kritisch. Dies führe zu einer unterschiedlichen Bewertung seiner Person im Kameradenkreis. Andererseits sei seine Kooperationsfähigkeit in Sachfragen hoch, sein Verhalten geprägt von Verständnis für das Ganze und von einer hohen Bereitschaft, die sinnvollste Lösung auch dann zu finden und umzusetzen, wenn sie nicht von ihm persönlich entwickelt worden sei. Der nächsthöhere Vorgesetzte, der stellvertretende Bataillonskommandeur, bezeichnete ihn in seiner Stellungnahme zur Beurteilung als hochintelligenten Unteroffizier mit Portepee, der selektives Verantwortungsbewusstsein und darauf abgestellte Einsatzbereitschaft zeige. Bei Interessensynchronisation kennzeichne ihn gute bis sehr gute Auftragserfüllung.

In der Sonderbeurteilung vom 9. März 2003 erhielt er bei der Bewertung der Einzelmerkmale seiner Leistungen einmal die Stufe „6“, elfmal die Stufe „5“, dreimal die Stufe „4“ und einmal die Stufe „3“. In der Eignungs- und Befähigungsbewertung erzielte er für „Verantwortungsbewusstsein“ und „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ jeweils die Wertung „B“, für „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Wertung „C“ und für „Geistige Befähigung“ die Wertung „D“. Bei „Verwendungshinweise“ erhielt er für Stabsverwendungen die Stufe „besonders geeignet“. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde über ihn ausgeführt:

„Oberfeldwebel ... ist ein Soldat, der nicht vorbehaltlos Befehle empfängt und umsetzt. Ihm muss die Notwendigkeit plausibel und nachvollziehbar erläutert werden, um ihn zu motivieren. Ist dies einmal gelungen, setzt er Aufträge schwungvoll und kreativ um.

Traditionelle soldatische Ansichten und eine strenge hierarchische Führung lehnt er ab, weil diese nicht seinem Bild einer modernen Bundeswehr entsprechen. Dies kann bei Vorgesetzten bisweilen den Eindruck der Renitenz erwecken und bei Kameraden und Untergebenen Irritationen und Unverständnis auslösen. In Arbeitsbereichen, wo seine Kooperationsfähigkeit gefragt ist, wo Abläufe nicht befohlen werden, sondern wo Einsicht durch im Gespräch erarbeitete Konsenslösungen erzeugt wird, erreicht er optimale Ergebnisse.

Er sucht den Blick für das Ganze, die Zusammenhänge, will den Sinn seines Tuns und Handelns verstehen, um Aufträge aus Verständnis anzugehen.

Unmittelbare, nicht erläuterte Befehle lösen bei ihm eher Unbehagen aus.“

In der mündlichen Verhandlung bekundete Hauptmann (Hptm) S., ehemaliger Disziplinarvorgesetzter des früheren Soldaten, als Zeuge, der Vorfall habe bei den Unteroffizier mit Portepee große Wellen geschlagen, bei den Mannschaften sei er nicht bekannt geworden.

Der weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastete frühere Soldat ist Träger des Leistungsabzeichens in Gold sowie der Schützenschnur in Gold.

Er ist ledig und kinderlos; seine Dienstbezüge berechneten sich zuletzt aus der 5. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 7 mit Amtszulage (Tarif Ost) und betrugen monatlich 1.822,80 € brutto bzw. 1.523,01 € netto. Nach Beendigung seines Dienstverhältnisses zum 30. September 2003 steht ihm eine Übergangsbeihilfe in Höhe von 10.896,90 € zu. Er erhält Übergangsgebührnisse auf die Dauer von 21 Monaten. Diese betragen 1.362,11 € brutto und 940,75 € netto.

II

III