Beschluss vom 29.01.2008 -
BVerwG 5 B 97.06ECLI:DE:BVerwG:2008:290108B5B97.06.0

Beschluss

BVerwG 5 B 97.06

  • VG Dresden - 29.06.2006 - AZ: VG 3 K 3377/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Januar 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt und Dr. Brunn
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 29. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde ist nicht begründet.

2 1. Die Revision kann nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zugelassen werden. Entgegen der Auffassung der Kläger weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 1995 - BVerwG 7 C 50.94 - BVerwGE 99, 276 ab. Das Verwaltungsgericht ist dem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegengetreten, sondern ausdrücklich gefolgt (VG-Urteil S. 8 Abs. 2 f.), dass eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes keine bestimmte Form der Enteignung voraussetze, sondern dafür auch eine faktische Enteignung genüge, mit der der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt worden ist (BVerwG, Urteil vom 21. September 1994 - Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 30 sowie Urteil vom 28. September 1995 a.a.O. S. 278: in der Sache eine „kalte Enteignung“ in tatsächlicher Hinsicht). In Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht hat das Verwaltungsgericht weiter angenommen, dass eine (faktische) Enteignung dann vorliege, wenn der Eigentümer in einer nach den Verhältnissen der DDR unangreifbaren Weise aus seinem Eigentum verdrängt worden ist, was voraussetze, dass die Enteignung von den DDR-Behörden als wirksam angesehen worden sei (VG-Urteil S. 8 Abs. 4). Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht von einer „faktischen“ staatlichen Verwaltung gesprochen, wenn dem Eigentümer die Befugnis, über den Vermögenswert selbst oder durch einen Bevollmächtigten zu verfügen, aufgrund staatlicher Verwaltung nach der Rechtswirklichkeit der DDR erkennbar entzogen war (Urteil vom 29. April 1999 - BVerwG 7 C 18.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 4 VermG Nr. 3 = juris Rn. 10), und eine Verdrängung aus dem Eigentum als unangreifbare Enteignung dann angenommen, wenn sie nach der DDR-Staatspraxis als wirksam angesehen und behandelt wurde (Beschlüsse vom 23. Januar 1996 - BVerwG 7 B 4.96 - Buchholz 111 Art. 41 EV Nr. 2 und vom 14. Januar 1998 - BVerwG 7 B 339.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 134 = juris Rn. 5 ausdrücklich zu „tatsächlich vollzogenen Eigentumsentziehungen“).

3 Auf eine fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung höchstrichterlicher Rechtssätze kann eine Divergenzrüge nicht gestützt werden (Beschluss vom 10. Januar 2007 - BVerwG 6 BN 3.06 - NVwZ 2007, 958). Deshalb hat der Senat nicht zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht zu Recht oder zu Unrecht dahin erkannt hat, dass das Betriebsgrundstück nicht faktisch enteignet worden sei.

4 2. Die Revision kann nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden.

5 2.1 Die von der Beschwerde unter C. I. aufgeworfene Frage, ob „bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 2 EntschG sogenanntes Sonderbetriebsvermögen I in die Berechnung einzubeziehen“ sei, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Zum einen hat die Beschwerde nicht aufgezeigt, dass diese Frage nach dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 6. November 2002 - V B6 - VV 5400 - 22/02 - noch umstritten ist, zum anderen ergibt sich ihre Antwort ohne Weiteres, also ohne eingehende Begründung, aus dem Gesetz. Auch wenn im Rahmen des Entschädigungsrechts bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen auf Wertungen aus dem Steuer- und Bewertungsrecht zurückgegriffen werden kann, ist die Frage, wer Entschädigungsberechtigter ist, wenn die Vermögensrückgabe ausgeschlossen ist oder Entschädigung gewählt wird, nicht nach Steuer- oder Bewertungsrecht zu entscheiden, sondern allein nach den entschädigungsrechtlichen Bestimmungen, im Streitfall nach dem Entschädigungsgesetz. Danach ist entschädigungsberechtigt derjenige, der durch eine Maßnahme gemäß § 1 VermG an seinen Vermögenswerten geschädigt worden ist (§ 2 Abs. 1, 2 und 4 VermG).

6 Wird ein Unternehmen durch eine Maßnahme gemäß § 1 VermG geschädigt, hier den Gesellschaftern der R. K. KG die gesamte Kommanditgesellschaft entzogen und in Volkseigentum überführt, so verlieren die Gesellschafter der Personalgesellschaft alle der Gesellschaft gehörenden Vermögenswerte, jeder Gesellschafter nach Maßgabe seines Anteils. Zur Zeit der Überführung der Kommanditgesellschaft in Volkseigentum stand das Grundstück mit den Flurstücksnummern 398 und 400 nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen und gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht im Eigentum der Kommanditgesellschaft als Personengesellschaft, sondern gehörte den Klägern zu 1 bis 3 und Frau G. in Erbengemeinschaft, die allerdings zugleich Gesellschafter waren. Es wurde von der Kommanditgesellschaft, jedenfalls in Bezug auf die Flurstücksnummer 400, als Betriebsgrundstück genutzt, war also Sonderbetriebsvermögen. Wenn damit auch das Grundstück steuerrechtlich und bewertungsrechtlich als Betriebsgrundstück zu berücksichtigen war (vgl. heute § 97 BewG), gehörte es doch wertmäßig weiterhin den Klägern zu 1 bis 3 und Frau G. nicht als Gesellschafter der Kommanditgesellschaft, sondern in Erbengemeinschaft. Es war der Gesellschaft zur Nutzung als Betriebsgrundstück überlassen. Demnach haben die Gesellschafter mit dem Verlust der Kommanditgesellschaft und der in ihr zusammengefassten Vermögenswerte kein Eigentum an dem ihnen als Gesellschafter nicht gehörenden Betriebsgrundstück verloren und ist das Sonderbetriebsvermögen nicht in die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 2 EntschG einzubeziehen.

7 2.2 Auch die in der Beschwerdebegründung auf S. 11 Abs. 2 aufgeworfene Frage, „nach welchen Maßstäben sich die Bewertung des Sonderbetriebsvermögens I“ richte, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Versteht man die Frage eng allein bezogen auf die Bewertung, so ist ein Grundstück als Sonderbetriebsvermögen als Betriebsgrundstück zu bewerten (vgl. heute §§ 97, 99 BewG). Versteht man die Frage aber weiter dahin, wer Entschädigung für Sonderbetriebsvermögen I, hier ein Grundstück, verlangen kann, so sind es nach den Ausführungen unter 2.1 diejenigen, die durch eine Maßnahme nach § 1 VermG vollständig und endgültig aus ihrem Eigentum am Sonderbetriebsvermögen verdrängt worden sind.

8 2.3 Die Frage in der Beschwerde unter C. II., ob „die Berücksichtigung eines Vermögenswerts bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage im Sinne des § 4 Abs. 2 EntschG voraus(setze), dass der Vermögenswert von einer schädigenden Maßnahme im Sinne des Vermögensgesetzes betroffen war“, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht, weil, wie oben zu 2.1 dargelegt, Sonderbetriebsvermögen nicht in die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 2 EntschG einzubeziehen ist.

9 2.4 Die Antwort auf die Frage unter C. III., ob „die Berücksichtigung von Sonderbetriebsvermögen I bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage im Sinne des § 4 Abs. 2 EntschG ausgeschlossen (sei), wenn das Sonderbetriebsvermögen I formal im Eigentum des daran Berechtigten verblieben ist“, findet sich bereits in den Ausführungen zu 2.1 und 2.3 ; Sonderbetriebsvermögen ist nicht in die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 2 EntschG einzubeziehen. Sie stellte sich zudem deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht eine Entschädigung für das Grundstück nicht (allein) mit der Begründung abgelehnt hat, das Sonderbetriebsvermögen I sei formal im Eigentum des daran Berechtigten verblieben, sondern weil nach seiner zugrunde zu legenden Feststellung und Subsumtion das Grundstück auch nicht faktisch enteignet worden sei.

10 2.5 Schließlich ist die Frage unter C. IV., ob “bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 2 EntschG sogenanntes Sonderbetriebsvermögen I dann in die Berechnung des Reinvermögens eines durch eine Personenhandelsgesellschaft betriebenen Unternehmens einzubeziehen (ist), wenn zwar der Vermögenswert formal im Eigentum einer Gesamthandsgemeinschaft steht, aber ungeachtet einer damaligen staatlichen Beteiligung sämtliche Mitglieder der Personenhandelsgesellschaft identisch mit sämtlichen Mitgliedern der Gesamthandsgemeinschaft sind“, nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Die Antwort auf diese Frage findet sich bereits wiederum in den Ausführungen zu 2.1 und 2.3 ; Sonderbetriebsvermögen ist nicht in die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 2 EntschG einzubeziehen. Eine andere Beurteilung ist auch nicht in Fällen wie dem vorliegenden gerechtfertigt, in denen unter Vernachlässigung der staatlichen Beteiligung die Personen die Gesellschafter der in Volkseigentum überführten Personengesellschaft identisch sind mit den Personen, die Eigentümer des Betriebsgrundstücks (Sonderbetriebsvermögen I) in Erbengemeinschaft sind. Eine Entschädigung für das Grundstück als Sonderbetriebsvermögen setzte voraus, dass es den Eigentümern, also den Klägern zu 1 bis 3 und Frau G. in Erbengemeinschaft, durch eine Maßnahme nach § 1 VermG entzogen worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht verneint, ohne dass insoweit Revisionszulassungsgründe durchgreifen.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 GKG.