Beschluss vom 28.06.2002 -
BVerwG 1 B 119.02ECLI:DE:BVerwG:2002:280602B1B119.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.06.2002 - 1 B 119.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:280602B1B119.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 119.02

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 11.02.2002 - AZ: OVG A 3 S 370/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Juni 2002
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
E c k e r t z - H ö f e r , den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 11. Februar 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
  3. Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Klaus Walliczek, Kampstraße 27, 32423 Minden, als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
  4. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 11. Februar 2002 aufgehoben, soweit er den Kläger betrifft.
  5. Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  6. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  7. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte. Im Übrigen folgt die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die von der Beschwerde zur Frage einer Gruppenverfolgung geltend gemachten Verfahrensfehler hinsichtlich der vom Berufungsgericht festgestellten Bevölkerungsentwicklung der Yeziden im Nordosten Syriens und der Anzahl der Verfolgungsschläge gegen die dort lebenden Yeziden liegen nicht vor. Dies hat der Senat zu entsprechenden Rügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Beschluss vom 21. Juni 2002 im Verfahren BVerwG 1 B 43.02 im Einzelnen ausgeführt. Hierauf wird Bezug genommen. Für die Klägerin sind weitere Revisionszulassungsgründe nicht vorgebracht worden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Ihr kann deshalb auch die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Kläger beruht auf § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 f. und 121 ZPO. Sie ist dem Kläger nach dessen glaubhaft gemachten Einkommensverhältnissen ohne Ratenzahlung zu gewähren.
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Der Kläger rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO). Denn das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.
Der Kläger, offenbar syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens, hatte im erstinstanzlichen Klageverfahren vorgetragen, er sei von der Polizei gefoltert worden. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass diese Darstellung nicht mehr aufrechterhalten werde, nachdem der Kläger in seiner Erklärung vom 10. Dezember 2001 die Folter nicht mehr erwähnt habe (BA S. 17). Damit hat das Berufungsgericht wesentliches Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt. Denn der Kläger hat im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28. Januar 2002 ausdrücklich auf seine erstinstanzliche Folterdarstellung Bezug genommen.
Auf diesem Gehörsverstoß kann die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhen. Zwar hat das Berufungsgericht die Folterdarstellung des Klägers scheinbar (hilfsweise) als wahr unterstellt und gleichzeitig ihre Asylerheblichkeit verneint (BA S. 18). In Wahrheit hat das Berufungsgericht aber lediglich einen Teil der Darstellung in der Stellungnahme des Klägers vom 7. bzw. 31. August 1998 als wahr unterstellt, während es den entscheidungserheblichen Teil, dass der Polizist, der Moslem gewesen sei, den Kläger als "ungläubig" bezeichnet habe, ihn der Beleidigung des Islam beschuldigt habe und ihn deshalb - in Anknüpfung an seine religiöse Überzeugung - habe foltern lassen, gerade nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles kann deshalb nicht angenommen werden, dass das Berufungsgericht die Folterdarstellung des Klägers in der gebotenen Weise berücksichtigt hat.
Da die Gehörsrüge Erfolg hat, kommt es auf die weiteren Rügen der Beschwerde des Klägers nicht mehr an. Der Senat bemerkt hierzu lediglich Folgendes: Der Vorwurf der Beschwerde, die Berufungsentscheidung weiche im Zusammenhang mit der Frage religiös motivierter Folter von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab, trifft nicht zu. Denn das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidung keinen Rechtssatz aufgestellt, mit dem es einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz widerspricht.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit, soweit er den Kläger betrifft, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.