Beschluss vom 27.11.2007 -
BVerwG 10 B 86.07ECLI:DE:BVerwG:2007:271107B10B86.07.0

Beschluss

BVerwG 10 B 86.07

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 10.01.2007 - AZ: OVG 9 A 248/06.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. November 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Richter
und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.

2 1. a) Die Beschwerde wirft zunächst die Frage als grundsätzlich bedeutsam auf,
„ob die vom Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 1. November 2005 (BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276) vorgenommene völkerrechtliche Auslegung der ‚Wegfall-der-Umstände-Klausel’ des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK weiter Bestand haben kann und angesichts der völkerrechtlichen Praxis weiter tragfähig erscheint“.

3 Dazu nimmt sie Bezug auf Stellungnahmen und Richtlinien des UNHCR, wonach im internationalen Flüchtlingsrecht Konsens bestehe, dass die eng auszulegenden abschließenden Beendigungsklauseln grundlegende, stabile und dauerhafte Veränderungen im Heimatland voraussetzten, so dass der besondere Grund für die Verfolgungsfurcht entfallen sei. Vor diesem Hintergrund sei ohne Weiteres nachvollziehbar, dass weltweit kein Land - außer der Bundesrepublik Deutschland - die Anwendung der „Wegfall-der-Umstände-Klausel“ auf irakische Flüchtlinge in Betracht gezogen habe.

4 Damit wird keine klärungsbedürftige Rechtsfrage bezeichnet, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht die maßgebende Vorschrift des § 73 Abs. 1 AsylVfG ihrem Inhalt nach dem Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK. Der „Wegfall der Umstände“ im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, aufgrund derer die Anerkennung als Flüchtling erfolgte, meint - ebenso wie in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - eine nachträgliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse. Ob dem Ausländer dagegen wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsland eine Rückkehr (un-)zumutbar ist, ist danach beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen, sondern im Rahmen der allgemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu berücksichtigen (vgl. inzwischen ferner Urteile vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 und vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 21.06 - NVwZ 2007, 1089 <1091>).

5 Mit ihrem Vorbringen, das sich auf die Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beschränkt, macht die Beschwerde nicht ersichtlich, inwiefern es anlässlich des Entscheidungsfalles - auf der Grundlage der bisherigen Senatsrechtsprechung - weitergehenden oder neuen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf geben könnte. Soweit die Beschwerde zur Begründung Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f i.V.m. Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl Nr. L 304 vom 30. September 2004) - Qualifikationsrichtlinie - heranzieht, der nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober (Art. 38 Abs. 1) unmittelbare Wirkung äußere, übersieht sie, dass diese Vorschrift im vorliegenden Fall noch nicht anzuwenden ist. Die den Widerruf betreffenden Bestimmungen der Richtlinie über die Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft (Art. 14 i.V.m. Art. 11) gelten gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie nur bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gestellt wurden (vgl. Urteil vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 21.06 - a.a.O. Rn. 24). Der dem hier streitigen Widerruf zugrunde liegende Asylantrag wurde von dem Kläger aber bereits im Juni 2001 und damit vor Inkrafttreten der Richtlinie gestellt.

6 Soweit die Beschwerde schließlich auf die Klärung der Verhältnisse im Irak abzielt, betrifft sie eine den Tatsachengerichten vorbehaltene Tatfrage und nicht - wie im Rahmen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erforderlich - eine Rechtsfrage.

7 b) Die Beschwerde macht darüber hinaus die grundsätzliche Bedeutung der Frage geltend,
„ob § 73 Abs. 2a AsylVfG nur auf diejenigen Fälle anzuwenden ist, in denen auch der Anerkennungsbescheid nach dem 31. Dezember 2004 ergangen ist“.

8 Diese Frage ist - hinsichtlich der für die angegriffene Entscheidung des Berufungsgerichts vom 10. Januar 2007 maßgeblichen Rechtslage - durch das bereits erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. März 2007 geklärt. Danach findet § 73 Abs. 2a AsylVfG auf den nach dem 1. Januar 2005 ausgesprochenen Widerruf einer vor diesem Zeitpunkt unanfechtbar gewordenen Anerkennung mit der Maßgabe Anwendung, dass die darin vorgesehene Drei-Jahres-Frist, nach deren Ablauf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erstmals die Widerrufsvoraussetzungen prüfen muss, erst vom 1. Januar 2005 an zu laufen beginnt. Während des Beschwerdeverfahrens ist § 73 AsylVfG durch das am 28. August 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) um folgenden Absatz ergänzt worden:
„(7) Ist die Entscheidung über den Asylantrag vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden, hat die Prüfung nach Absatz 2a Satz 1 spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen.“

9 Die Übergangsregelung bestätigt, dass eine Ermessensentscheidung über den Widerruf nach § 73 Abs. 2a AsylVfG auch bei „Alt-Anerkennungen“ erst in Betracht kommt, wenn das Bundesamt in einem vorangegangenen Verfahren die Widerrufsvoraussetzungen sachlich geprüft und verneint hat (Negativentscheidung). Einen weitergehenden Klärungsbedarf macht die Beschwerde auch insoweit nicht ersichtlich.

10 2. a) Die Beschwerde beanstandet, dass das Berufungsgericht der Berufung des Beklagten im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung stattgegeben habe, obwohl der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Juni 2006 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gewünscht habe. Ihm hätte zumindest eine mündliche Verhandlung in den Tatsacheninstanzen gewährt werden müssen. Zur Beurteilung des Absehens von einem Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wären persönliche Ausführungen zu seinem Verfolgungsschicksal notwendig gewesen, zumal das Berufungsgericht die Angaben des Klägers aus dem Schriftsatz vom 18. Juli 2006 jedenfalls hinsichtlich des Ausmaßes der Vorverfolgung als gesteigert und damit unglaubwürdig angesehen habe. Damit sei sein rechtliches Gehör verletzt worden.

11 Mit diesem Vorbringen der Beschwerde ist ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), nicht aufgezeigt. Gemäß § 130a VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für (un-)begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Gesetzgeber hat allerdings - wie es sich aus dem Zusammenhang mit § 84 Abs. 2 VwGO erschließt - das vereinfachte Berufungsverfahren nach § 130a VwGO nur unter der Voraussetzung zugelassen, dass in erster Instanz eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat oder dem Berufungskläger jedenfalls eröffnet war. Auf die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht und die damit verbundene Gelegenheit, persönlich vor Gericht vorzutragen, hat der Kläger indes verzichtet. Der in erster Instanz erklärte Verzicht nach § 101 Abs. 2 VwGO stand der Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO nicht entgegen (Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 58).

12 Ob das Berufungsgericht im Rahmen des durch § 130a VwGO eingeräumten Ermessens bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Klägers von dessen persönlicher Anhörung absehen durfte (vgl. die Beschlüsse vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 260 und vom 26. Februar 2003 - BVerwG 1 B 218.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 328), kann hier dahinstehen. Denn die Beschwerde legt nicht schlüssig dar, inwiefern es für die Entscheidung auf eine solche, auf dem persönlichen Eindruck beruhende Glaubwürdigkeitsbeurteilung ankam. Das Berufungsgericht hat zwar den aktuellen Vortrag des Klägers jedenfalls hinsichtlich des Ausmaßes der erlittenen Haft und ihrer Umstände gegenüber seinen früheren Angaben als gesteigert und unglaubwürdig angesehen (BA S. 14). Es hat aber die nunmehr geschilderten Umstände selbst bei unterstellter Richtigkeit nicht als ausreichend erachtet, um von einer Unzumutbarkeit der Rückkehr des Klägers ausgehen zu können. Damit hat es das Vorbringen des Klägers aus dem Schriftsatz vom 18. Juli 2006 zugrunde gelegt, ohne dadurch zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich des Absehens von einem Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG zu gelangen.

13 b) Mit der Aufklärungsrüge ist ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO nicht hinreichend bezeichnet. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei nicht ausdrücklich beantragt hat (stRspr, vgl. Beschluss vom 17. Januar 2006 - BVerwG 1 B 77.05 - mit Verweis auf Beschluss vom 16. November 1977 - BVerwG 6 B 16.77 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 161 m.w.N.). Der anwaltlich vertretene Kläger hat keinen Beweisantrag hinsichtlich seines Vorfluchtschicksals gestellt. Warum sich dem Berufungsgericht trotzdem eine Beweisaufnahme von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, ist weder dargelegt noch ersichtlich. In Wahrheit wendet sich die Beschwerde im Gewande der Aufklärungsrüge gegen die tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts; damit kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen.

14 Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.