Beschluss vom 27.10.2016 -
BVerwG 2 B 66.16ECLI:DE:BVerwG:2016:271016B2B66.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.10.2016 - 2 B 66.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:271016B2B66.16.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 66.16

  • VG Dresden - 19.12.2014 - AZ: VG 10 K 1786/13
  • OVG Bautzen - 03.06.2016 - AZ: OVG 6 A 64/15.D

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und Dr. Günther
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 1. Der Beklagte wendet sich gegen eine Disziplinarmaßnahme. Er steht als Polizeimeister (Besoldungsgruppe A 7 LBesO) im Dienst des klagenden Landes und war zuletzt im Streifendienst verwendet worden.

2 Nach Eingang der Strafanzeige einer Physiotherapeutin wegen sexueller Nötigung verfügte der Leiter der Polizeidirektion die Einleitung eines Disziplinarverfahrens und enthob den Beklagten vorläufig des Dienstes. Durch rechtskräftig gewordenen Strafbefehl verurteilte ihn das Amtsgericht nachfolgend wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Das bloße Herunterreißen von Kleidungsstücken erfülle die Strafbarkeitsvoraussetzungen der sexuellen Nötigung nicht. Die vorläufige Suspendierung des Beklagten wurde daraufhin aufgehoben. Das behördliche Disziplinarverfahren ist jedoch weitergeführt und wiederholt erweitert worden, u.a. auf den Verdacht der unsachgemäßen Aufbewahrung seiner Dienstwaffe, die weisungswidrige Aufbewahrung nicht registrierter Einzelpatronen, der Nachstellung und Beleidigung zu Lasten seiner früheren Freundin und der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten.

3 Im gerichtlichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt, die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Das Disziplinarverfahren sei zwar nicht wirksam auf den Vorwurf des weisungswidrigen Aufbewahrens überzähliger Munition ausgedehnt worden, weil es insoweit an einer aktenkundigen Erweiterung des Disziplinarverfahrens fehle. Unabhängig hiervon müsse der Beklagte wegen der übrigen Pflichtverletzungen aber aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Das Berufungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen.

4 2. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten ist nicht begründet.

5 a) Die Beschwerde zeigt die in Anspruch genommene Abweichung zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht auf (§ 70 SächsDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

6 Während das Berufungsverfahren primär der Gewährleistung richtiger Entscheidungen dient und daher auch im Falle einer unzutreffenden Rechtsanwendung eröffnet wird (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), ist die Revisionsinstanz vom Gesetzgeber primär dazu bestimmt, grundsätzliche Maßstäbe zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. Die Behauptung einer "Abweichung" von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Anwendung einer Norm reicht daher nicht aus, um den Zugang zum Revisionsverfahren zu eröffnen. Die Zulassung nach § 132 Abs. 2 VwGO setzt vielmehr einen grundsätzlichen Auffassungsunterschied voraus, der im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geklärt werden muss. Eine derartige Divergenz liegt nur vor, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden (abstrakten) Rechtssatz beruht (BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 Nr. 20 Rn. 3 ff. m.w.N.).

7 Derartige, sich widersprechende Rechtssätze des Berufungsgerichts und der benannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zeigt die Beschwerde bereits nicht auf. Sie versucht vielmehr, die Einzelfallwürdigung des Berufungsgerichts in Zweifel zu ziehen und stellt hierzu Obersätze auf, die das Berufungsgericht so weder formuliert noch seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.

8 Unabhängig hiervon liegt der angegriffenen Entscheidung auch inhaltlich keine "Abweichung" von den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Maßstäben zugrunde. In Übereinstimmung mit den Vorschriften des Sächsischen Disziplinargesetzes und der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist das Berufungsgericht vielmehr davon ausgegangen, dass für die Aktenkundigkeit der Ausdehnung des Disziplinarverfahrens keine anderen Anforderungen gelten, als für den Einleitungsvermerk. Der Beamte darf durch die nachträgliche Ausdehnung des Disziplinarverfahrens nicht schlechter gestellt werden, als er im Fall der gleichzeitigen Anschuldigung stünde (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2007 - 1 D 12.05 - BVerwGE 128, 125 Rn. 25). Aus den Akten muss daher hervorgehen, wann der Dienstvorgesetzte seine Entscheidung getroffen hat, dass er die Verantwortung für die Ausdehnung des Disziplinarverfahrens übernommen hat und auf welche Sachverhalte sich die Anschuldigung (nach Zeit, Ort und Geschehen) bezieht (BVerwG, Beschluss vom 18. November 2008 - 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 7 und 22).

9 In welcher Form der Dienstvorgesetzte die Verantwortung für die Ausdehnung eines Disziplinarverfahrens zu übernehmen hat, ist im Sächsischen Disziplinargesetz - ebenso wie im Bundesdisziplinargesetz - nicht vorgegeben: § 19 Abs. 1 Satz 2 SächsDG lässt vielmehr einen formlosen Aktenvermerk genügen. Es reicht daher - wie generell bei behördeninternen Zeichnungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2000 - 2 B 19.00 - Buchholz 316 § 37 VwVfG Nr. 12 Rn. 6) - aus, wenn der Dienstvorgesetzte sich den Inhalt des Aktenvermerks durch Abzeichnung mit einer Paraphe zu Eigen macht (BVerwG, Beschlüsse vom 18. November 2008 - 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 8 und vom 28. März 2013 - 2 B 113.12 - juris Rn. 13 und 15).

10 Von diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht auch ausgegangen. Darauf, ob bei dem Aktenvermerk vom 8. November 2011 nur die Paraphe oder die vollständige Unterschrift des Dienstvorgesetzten angebracht war, kommt es daher nicht an.

11 Soweit die Beschwerde auf die Frage abstellt, ob der Dienstvorgesetzte einen Beamten mit der Prüfung und Erweiterung eines Disziplinarverfahrens beauftragen kann, enthält die angegriffene Entscheidung eine derartige Aussage nicht. Das Berufungsgericht hat vielmehr festgestellt, dass der Dienstvorgesetzte bereits selbst und in eigener Verantwortung mit dem Aktenvermerk die Ausdehnung des Disziplinarverfahrens auf die neuen Vorwürfe angeordnet hat. Verfahrensrügen gegen diese Feststellung hat die Beschwerde nicht erhoben (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die Einschätzung ist im Übrigen auch in der Sache nicht zu beanstanden, weil sich der weitere Prüfauftrag ersichtlich nicht auf die Ausdehnung, sondern auf die weitere Durchführung des Disziplinarverfahrens bezogen hatte.

12 Damit ist zugleich klargestellt, dass die so bezeichnete Rechtsfrage zur Delegationsbefugnis mangels Entscheidungserheblichkeit keine grundsätzliche Bedeutung aufweist. Nach den bindenden und damit auch einem Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Dienstvorgesetzte selbst die Entscheidung über die Ausdehnung des Disziplinarverfahrens getroffen.

13 b) Die Beschwerde hat auch keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann (§ 70 SächsDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

14 Soweit die Beschwerde Verstöße gegen die Beweiserhebung im behördlichen Disziplinarverfahren benennt, ist damit bereits kein Verfahrensfehler des Berufungsgerichts aufgezeigt. Rügefähig ist gemäß § 70 SächsDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur ein Verfahrensfehler der angegriffenen Entscheidung. Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens können einen gerichtlichen Verfahrensfehler daher nur dann begründen, wenn das Gericht die ihm nach § 56 Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 1 SächsDG obliegende Mängelbeseitigung unterlassen hat (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 57; Beschlüsse vom 23. September 2013 - 2 B 51.13 - juris Rn. 5 und vom 30. Juni 2016 - 2 B 40.15 - juris Rn. 10).

15 Diese Verpflichtung der Gerichte ist indes nur für wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens statuiert. Wesentlich ist ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Berufungsurteil ausgewirkt haben kann (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 19). Hat das Berufungsgericht einen etwaigen Mangel im behördlichen Verfahren oder im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht durch eine eigenständige Würdigung geheilt, kann die angegriffene Entscheidung auf einem etwaigen Fehler im vorangegangen Behördenverfahren oder im erstinstanzlichen Rechtszug aber nicht mehr beruhen (BVerwG, Beschluss vom 17. März 2014 - 2 B 45.13 - Buchholz 245 LandesBesR Nr. 4 Rn. 12). Ein etwaiger Mangel ist damit jedenfalls nicht wesentlich im Sinne des § 56 Abs. 3 Satz 1 SächsDG.

16 Dies gilt auch für die von der Beschwerde pauschal gerügten Verstöße gegen §§ 24 und 28 SächsDG (zu deren fristgerechter Geltendmachung gemäß § 56 Abs. 1 SächsDG im Übrigen nichts vorgetragen ist). Diese könnten sich hier schon deshalb nicht auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben, weil das Berufungsgericht die erforderlichen Beweise selbst erheben und den entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst feststellen muss. Auch wenn im behördlichen Disziplinarverfahren Verstöße gegen die Protokollierungspflicht erfolgt sein sollten, können sich diese auf die angegriffene Entscheidung daher nicht ausgewirkt haben. Zum fraglichen Sachverhalt selbst hat der Beklagte im gerichtlichen Verfahren aber Stellung genommen. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs ist mit der Beschwerde folgerichtig auch nicht gerügt.

17 Die auf die Feststellungen des Berufungsgerichts gerichtete Rüge - ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung seien die Akten, auf die sich die angegriffene Entscheidung bei ihrer eigenständigen Würdigung bezieht, nicht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden - legt eine fehlerhafte Handhabung des Verfahrensrechts nicht dar. Der zwingende Inhalt des Protokolls einer mündlichen Verhandlung ist in § 105 VwGO i.V.m. § 160 ZPO geregelt. Die Bezugnahme auf die beigezogenen Verwaltungsakten ist dort nicht benannt. Mangels einer von Amts wegen bestehenden Protokollierungspflicht hätte der Umfang der Beiziehung daher allenfalls gemäß § 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO auf Antrag des Beklagten in die Niederschrift aufgenommen werden müssen (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2011 - 9 A 8.10 - Buchholz 310 § 105 VwGO Nr. 57 Rn. 3). Dass der Beklagte einen entsprechenden Antrag gestellt hätte, ist aber weder in der Niederschrift vermerkt noch mit der Beschwerde vorgetragen. Das Fehlen eines entsprechenden Hinweises in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht ist daher verfahrensfehlerfrei.

18 Die Behauptung der Beschwerde, eigene Feststellungen zur privaten Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses habe das Berufungsgericht nicht getroffen, trifft bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. In der angegriffenen Entscheidung sind Zeiträume und Inhalt der aufgerufenen Internetadressen (mit erotischem Inhalt, Partnerbörsen, Musikvideos u.a.) unter Bezugnahme auf die in dem beigezogenen Disziplinarordner enthaltenen Internetprotokolldaten festgestellt und gewürdigt worden (Rn. 73 ff.). Substantiierte Verfahrensrügen gegen diese Feststellungen enthält die Beschwerde nicht. Angesichts des Umstands, dass der Beklagte die Vorwürfe - ausweislich der über die Anhörungen durch den Ermittlungsführer gefertigten und vom Beklagten unterschriebenen Protokolle - im Wesentlichen eingeräumt hat, ist auch nicht ersichtlich, dass sich dem Gericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hierzu hätte aufdrängen müssen. Auch der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag nicht gestellt.

19 c) Aus dem Dargelegten folgt zugleich, dass mit dem Verweis auf die behauptete Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, "Verstöße gegen § 24 und § 28 SächsDG würden sich nicht als wesentlich darstellen", keine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage aufgezeigt worden ist.

20 Nach welchen Maßstäben die Wesentlichkeit des Mangels eines behördlichen Disziplinarverfahrens beurteilt werden muss, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Dies gilt auch für die mit der Beschwerde in Bezug genommenen Verstöße gegen die Protokollierungspflicht. Ob diese Voraussetzungen vorliegend gegeben sind und die Würdigung des Berufungsgerichts zutreffend ist, stellt eine Frage des Einzelfalls dar und ist einer Grundsatzrüge daher nicht zugänglich (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 19).

21 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs. 4 SächsDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil die Gerichtsgebühren streitwertunabhängig festzusetzen sind (vgl. das als Anlage zu § 79 Abs. 1 Satz 1 SächsDG erlassene Gebührenverzeichnis).