Beschluss vom 27.10.2010 -
BVerwG 3 B 61.10ECLI:DE:BVerwG:2010:271010B3B61.10.0

Beschluss

BVerwG 3 B 61.10

  • Bayerischer VGH München - 28.04.2010 - AZ: VGH 21 BV 09.1993

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und Buchheister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. April 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger ist Arzt. Mit rechtskräftigem Strafbefehl wurde gegen ihn eine Geldstrafe in Höhe von 270 Tagessätzen zu je 180 € wegen Betrugs in 272 zusammenhängenden Fällen verhängt. Dem lag der Vorwurf zugrunde, bestimmte Leistungen gegenüber Privatpatienten mit einem zu hohen Gebührensatz abgerechnet zu haben. Der Beklagte widerrief daraufhin die Approbation des Klägers wegen Unzuverlässigkeit und Unwürdigkeit. Die dagegen geführte Klage ist in der Berufungsinstanz abgewiesen worden. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Beschwerde des Klägers.

2 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt die mit der Beschwerde und dem weiteren Schriftsatz vom 20. Oktober 2010 geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu.

3 Die vom Kläger aufgeworfene Frage nach der Zulässigkeit einer „Doppelahndung“ (III.1.a und c der Beschwerde) stellt sich nicht, weil der Widerruf der Approbation keine (weitere) Bestrafung des Klägers, sondern eine Maßnahme zur Abwehr der Gefahren darstellt, die von der Tätigkeit eines unzuverlässigen oder zur Berufsausübung unwürdigen Arztes ausgehen. Eine Maßregel der Besserung und Sicherung im Sinne des § 70 StGB, die die vom Kläger angeführte Frage eines berufsrechtlichen „Überhangs“ aufwerfen könnte, ist im Strafverfahren nicht angeordnet worden.

4 Soweit der Kläger angesichts der strikten Rechtsfolge des § 5 Abs. 2 BÄO die Frage der Verhältnismäßigkeit der Regelung aufwirft (III.1.b, d und e der Beschwerde), besteht ebenfalls kein grundsätzlicher Klärungsbedarf. Es ist bereits geklärt, dass dem mit dem Widerruf bewirkten Eingriff in die Berufsfreiheit schon bei der Auslegung des Begriffs der Unzuverlässigkeit hinreichend Rechnung getragen werden muss, um das Übermaßverbot zu wahren. Der Widerruf ist im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG nur dann gerechtfertigt, wenn der mit dem Ausschluss des Betroffenen von einer weiteren Berufsausübung bezweckten Abwehr von Gefahren für das Gemeinwohl ein Gewicht zukommt, das in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs steht. Andernfalls kommen nur unterhalb der Schwelle des Widerrufs liegende berufsrechtliche Maßnahmen in Betracht. Sind danach die Voraussetzungen für einen Widerruf erfüllt, so ergibt sich die Verhältnismäßigkeit aus der vom Gesetzgeber selbst getroffenen Wertung (vgl. nur Urteil vom 28. April 2010 - BVerwG 3 C 22.09 - NJW 2010, 2901 <Rn. 16>). Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt, sondern hat in den Entscheidungsgründen sowie durch Bezugnahme auf die entsprechenden Ausführungen im Widerrufsbescheid die Umstände des Einzelfalls, namentlich die Höhe des angerichteten Schadens, die Länge des Zeitraums, in denen es zu den betrügerischen Abrechnungen gekommen ist, sowie die Gründe für die Beendigung dieser Handlungen in den Blick genommen und dabei gleichfalls entlastende Umstände bedacht, ihnen aber kein maßgebliches Gewicht beigemessen. Vor diesem Hintergrund trifft die mit den betreffenden Fragen unterstellte Annahme des Klägers, das Berufungsgericht habe besondere persönliche Umstände unberücksichtigt gelassen und nicht im Einzelfall geprüft, ob der Widerruf erforderlich ist, nicht zu. Gleiches gilt für die Annahme des Klägers, das Berufungsgericht habe allein wegen der Möglichkeit einer späteren Wiedererteilung der Approbation deren Widerruf bei jedweder strafrechtlichen Verurteilung (generell) für verhältnismäßig erachtet.

5 Die vom Kläger aufgeworfene Frage, welche Anforderungen an die bei einem Widerruf wegen Unzuverlässigkeit erforderliche Prognose zu stellen sind (III.1.f der Beschwerde), führt ebenfalls nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Der Kläger unterstellt, das Berufungsgericht habe ohne jede substantielle Begründung apodiktisch behauptet, nach einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Abrechnungsbetrugs sei der Arzt stets unzuverlässig. Eine solche These hat das Berufungsgericht nicht aufgestellt. Auch verstanden als Frage nach den allgemeinen Anforderungen an die gebotene Prognoseentscheidung besteht kein weiterer Klärungsbedarf. Es ist bereits geklärt, dass die Unzuverlässigkeit im Sinne der Ermächtigungsgrundlage Tatsachen erfordert, die die Annahme rechtfertigen, der Arzt werde in Zukunft die Vorschriften und Pflichten nicht beachten, die sein Beruf mit sich bringt. Für diese Prognose kommt es darauf an, ob der Betreffende nach den gesamten Umständen des Falles willens oder in der Lage sein wird, künftig seine beruflichen Pflichten zuverlässig zu erfüllen. Maßgeblich ist dafür die jeweilige Situation des Arztes im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sowie sein vor allem durch die Art, die Schwere und die Zahl der Verstöße gegen die Berufspflichten manifest gewordener Charakter (Urteil vom 28. April 2010 a.a.O. Rn. 10 m.w.N.). Von diesen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Ob seine konkreten Erwägungen zur Gefahrenprognose - wie der Kläger meint - unsubstantiiert sind und die getroffene Feststellung nicht tragen, ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht entgegen der Annahme des Klägers nicht schematisch aus der Straftat auf eine ungünstige Prognose geschlossen hat, sondern neben den Umständen der Tat berücksichtigt hat, dass der Kläger im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung, in dem er nach Aufgabe seiner privatärztlichen Tätigkeit nur noch tätig ist, nach wie vor mit Abrechnungen zu tun hat.

6 Die vom Kläger aufgeworfene Frage nach der Bedeutung generalpräventiver Aspekte bei dem Widerruf einer Approbation wegen Unzuverlässigkeit (III.1.g der Beschwerde) stellt sich nicht, weil das Berufungsgericht den Widerruf nicht - auch nicht (wie der Kläger meint) unausgesprochen - mit solchen Aspekten gerechtfertigt hat. Auf die dahingehende Argumentation des Beklagten in der Berufungsbegründung kommt es nicht an.

7 Die auf den Widerrufsgrund der Unwürdigkeit bezogenen Fragen des Klägers (III.1.h, i, j und k der Beschwerde) sind nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat darauf nur ergänzend abgestellt. Das Urteil wird selbständig getragen von der Annahme, dass der Kläger unzuverlässig zur weiteren Ausübung des ärztlichen Berufs ist. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, der Begriff der Unzuverlässigkeit sei „völlig unbestimmt“, trifft der Vorwurf nicht zu. Unter welchen Voraussetzungen einem Arzt die notwendige Zuverlässigkeit zur Ausübung seines Berufs fehlt, ist in der Rechtsprechung hinreichend geklärt (s.o.). Gleiches gilt im Übrigen für den Begriff der Unwürdigkeit.

8 Nicht weiter klärungsbedürftig ist die vom Kläger aufgeworfene Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Approbation (III.1.l der Beschwerde). Die Annahme des Berufungsgerichts, es sei auf den Abschluss des Verwaltungsverfahrens abzustellen, entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (s.o.). Dagegen bringt der Kläger keine durchgreifenden Gründe vor. Insbesondere beruht diese Rechtsprechung nicht auf der Erwägung, dass sich ein Betroffener, der sich gegen den Widerruf wehrt, keine Vorteile gegenüber einem einsichtigen Betroffenen verschaffen soll, sondern maßgeblich auf dem Umstand, dass das Gesetz die Möglichkeit der Wiedererteilung der Approbation vorsieht und der Widerruf deshalb eine Zäsur bildet, durch die eine Berücksichtigung nachträglicher Umstände dem Wiedererteilungsverfahren zugewiesen wird. Das zwingt einen Betroffenen entgegen der Annahme des Klägers keineswegs dazu, unmittelbar nach dem Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens einen Antrag auf Wiedererteilung zu stellen. Ein Wohlverhalten nach Widerruf der Approbation ist bei einer späteren Entscheidung über die Wiedererteilung unabhängig davon berücksichtigungsfähig, ob es vor oder nach Stellung eines Antrags auf Wiedererteilung erfolgt ist. Ob als Bewährungszeit für eine spätere Wiedererteilung nur der Zeitraum ab Bestandskraft des Widerrufs in Betracht kommt mit der Folge, dass ein Betroffener durch die Inanspruchnahme von Rechtsschutz „bestraft“ werde (III.1.m der Beschwerde), betrifft nicht die Rechtmäßigkeit des Widerrufs.

9 Die Bedeutung der Aufgabe der selbständigen Tätigkeit durch den Kläger (III.1.n der Beschwerde) wirft keine fallübergreifenden Fragen auf. Das Berufungsgericht hat diesen bereits vor dem Widerruf der Approbation eingetretenen Umstand in den Blick genommen, ihm aber unter anderem deshalb kein maßgebliches Gewicht beigemessen, weil das Verhalten unter dem Eindruck des Strafverfahrens und des berufsrechtlichen Verfahrens erfolgt sei. Das betrifft allein die tatrichterliche Überzeugungsbildung im Einzelfall.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.