Beschluss vom 27.10.2004 -
BVerwG 1 B 47.04ECLI:DE:BVerwG:2004:271004B1B47.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.10.2004 - 1 B 47.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:271004B1B47.04.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 47.04

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 05.12.2003 - AZ: OVG 21 A 259/01.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2004
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n , H u n d
und R i c h t e r
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 2003 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger rügt zu Recht einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Gestalt einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat das tatsächliche Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 4. Dezember 2000 nicht in der gebotenen Weise in Erwägung gezogen. Grundsätzlich ist in Rechtsmittelverfahren allerdings davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben; die Gerichte brauchen sich nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinander zu setzen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (stRspr, vgl. etwa BVerfGE 96, 205 <216>). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Der Kläger macht geltend, er habe in der bereits erwähnten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, nach seiner Ausreise aus Sri Lanka seien seine Eltern, sein Bruder und seine Freundin auf der Suche nach ihm wegen seiner früheren Tätigkeiten für die LTTE vom Militär mitgenommen und verhört worden. Seine Freundin habe angegeben, dass er sich in Deutschland aufhalte. Sie sei erst freigelassen worden, nachdem er als Beweis für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet einen Brief nach Sri Lanka geschickt habe.
Das Berufungsgericht hat diesen Sachvortrag zwar im Tatbestand des angegriffenen Urteils (UA S. 4) erwähnt. Es hat ihn aber, wie die Beschwerde zu Recht rügt, in den Urteilsgründen nicht verarbeitet, obwohl sich dies aufgedrängt hätte. Unter den hier gegebenen besonderen Umständen ist daher nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht den im Tatbestand erwähnten Vortrag nicht mehr weiter zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Dies folgt einerseits daraus, dass das Berufungsgericht - ohne das in Rede stehende Vorbringen des Klägers zu erwähnen - ausführt, der Kläger weise verschiedene - im Einzelnen bezeichnete - "Risikofaktoren" auf, aus denen sich hier aber, wie näher begründet wird, nicht die Gefahr asylrechtlich relevanter Übergriffe ergebe (UA S. 99). Andererseits führt das Berufungsgericht aus, dass Besonderheiten, die insbesondere im Zusammenhang mit den Narben des Klägers ein erhöhtes Risiko von Misshandlungen oder längerfristigen Inhaftierungen durch srilankische Sicherheitskräfte ergeben könnten, in dessen Person nicht gegeben seien. Insbesondere fehle jeder Anhaltspunkt dafür, dass sich die Sicherheitsbehörden wegen eines in Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltenen Verdachts der LTTE-Mitgliedschaft oder einer Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten der Sicherheitskräfte für ihn interessierten (UA S. 100). Auch insoweit geht das Berufungsgericht auf das erwähnte Vorbringen des Klägers vom 4. Dezember 2000, mit dem dieser nach seinem Vortrag in der Berufungszulassungsschrift und in der Beschwerdeschrift an seine früheren Aktivitäten für die LTTE anknüpft, nicht ein. Auch hieraus folgt, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen, dem nicht von vornherein entscheidungserhebliche Bedeutung abgesprochen werden kann, nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).