Beschluss vom 27.07.2005 -
BVerwG 1 DB 2.05ECLI:DE:BVerwG:2005:270705B1DB2.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.07.2005 - 1 DB 2.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:270705B1DB2.05.0]

Beschluss

BVerwG 1 DB 2.05

  • VG Karlsruhe - 02.02.2005 - AZ: VG DB 12 K 1/05

In dem Verfahren hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juli 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M ü l l e r und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht H e e r e n
beschlossen:

  1. Der Antrag des früheren Beamten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
  2. Auf die Beschwerde des früheren Beamten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts ... (Disziplinarkammer ...) vom 2. Februar 2005 aufgehoben. Dem früheren Beamten wird ab dem 1. Januar 2005 bis zum 30. September 2005 ein weiterer Unterhaltsbeitrag in Höhe von 5 v.H. des erdienten Ruhegehalts bewilligt.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Beamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

I


Durch Urteil des Bundesdisziplinargerichts vom 3. Dezember 1999 - BDiG II VL 8/99 - wurde der frühere Beamte wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt. Gleichzeitig wurde ihm gemäß § 77 BDO ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. des erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt. In den Gründen dieses Urteils heißt es zu dem Unterhaltsbeitrag u.a., dass der frühere Beamte eines solchen Unterhaltsbeitrags nicht unwürdig und auch bedürftig sei. Angesichts seiner (damaligen) wirtschaftlichen Verhältnisse halte die Kammer den gesetzlichen Höchstbetrag für erforderlich. Die von dem früheren Beamten hiergegen eingelegte Berufung wurde durch Urteil des beschließenden Senats vom 29. August 2001 - BVerwG 1 D 8.00 - zurückgewiesen. In diesem Urteil heißt es u.a., dass es mit dem bewilligten Unterhaltsbeitrag sein Bewenden habe. Damit erhielt der frühere Beamte zunächst von September 2001 bis einschließlich Februar 2002 den vom Bundesdisziplinargericht bewilligten Unterhaltsbeitrag. Zuletzt wurde ihm ein Unterhaltsbeitrag bis einschließlich Dezember 2004 bewilligt.
Durch Beschluss vom 2. Februar 2005 lehnte das Verwaltungsgericht ... die Bewilligung weiterer Unterhaltsbeiträge für den Zeitraum 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 ab. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, der frühere Beamte sei wiederholt darauf hingewiesen worden, dass er sich intensiv um eine Arbeitsstelle bemühen müsse und ein Unterhaltsbeitrag nur bewilligt werden könne, wenn sich ein Antragsteller praktisch ständig (täglich) um neue Arbeit bemühe; diese Bemühungen müssten durch Vorlage von Bewerbungen/Absagen, Vermerke über telefonische Bewerbungen, Bewerbungen über Zeitungsanzeigen u.ä. belegt werden.
Diesen hohen Anforderungen der disziplinargerichtlichen Rechtsprechung eines Bemühens um eine Erwerbstätigkeit sei der frühere Beamte in den letzten Monaten nicht gerecht geworden. Er habe nach der Entlassung aus der Reha-Klinik am 8. September 2004 lediglich vier Bewerbungen abgesandt, zwei Stellenanzeigen aufgegeben und auf eine Anzeige telefonisch geantwortet. Dies stelle kein ausreichendes Bemühen um einen neuen Arbeitsplatz dar. Dabei verkenne das Gericht nicht, dass der frühere Beamte es im Hinblick auf seine berufliche Laufbahn und seine Erkrankung besonders schwer habe, einen Arbeitsplatz zu finden. Dies ändere aber nichts daran, dass er sich, ebenso wie andere Beamte, denen nach der Entfernung aus dem Dienst kein Unterhaltsbeitrag gewährt worden sei, ständig und nicht nur sporadisch bewerben müsse.
Hiergegen hat der frühere Beamte rechtzeitig Beschwerde eingelegt und diese im Wesentlichen wie folgt begründet: Entgegen der Auffassung des Gerichts habe er sich tatsächlich bei einer Vielzahl von verschiedenen Firmen und Institutionen beworben, dies auch bereits zum Zeitpunkt der von ihm durchgeführten Kur. Da zum Zeitpunkt der Antragstellung am 17. Januar 2005 noch keine endgültige Entscheidung hinsichtlich dieser Bewerbungen vorgelegen habe, seien sie nicht gesondert aufgeführt worden. Die dem Gericht vorgelegten Bewerbungen schriftlicher und telefonischer Art zeigten, dass er sich bereits nach seiner Entlassung aus der Kur ständig um einen Arbeitsplatz bemüht habe. Aus diesen Bewerbungen ergebe sich deutlich, dass er keine Tätigkeit als unzumutbar oder als zu geringwertig abgelehnt habe. Er habe sich selbst auf einfache Aushilfstätigkeiten und Reinigungstätigkeiten beworben. Hierbei müsse jedoch berücksichtigt werden, dass die derzeit allseits bekannte schwierige Arbeitsmarktsituation die Suche nach einem Arbeitsplatz für ihn nicht vereinfache. Seine Bemühungen zeigten sich auch darin, dass er über Bildungs- und Rehabilitationszentren eine Reintegration in den Arbeitsmarkt versuche. Er bewerbe sich praktisch auf jede Stelle, die ihm bekannt werde. Eine tägliche Bewerbung scheitere jedoch schlichtweg daran, dass solche Angebote an Arbeitsplätzen gar nicht vorlägen. Neben den schriftlichen Bewerbungen habe er sich von Januar 2005 bis Anfang Juli 2005 mindestens 53 Mal telefonisch erfolglos beworben (vgl. 1 DB 3.05 ).
Wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse sei ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen.

II


1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bleibt ohne Erfolg.
Das Verfahren des früheren Beamten auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 110 Abs. 2 BDO fällt auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 als Annex-Verfahren zum abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren, welches hinsichtlich des Ausspruchs zum Unterhaltsbeitrag der Sache nach fortgesetzt wird, unter die Fortführungsklausel des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG (Beschluss vom 15. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - DokBerB 2002, 95 = DÖD 2002, 97 = IÖD 2002, 152). Die somit weiterhin anzuwendenden Kostenvorschriften der Bundesdisziplinarordnung und die gemäß § 25 BDO entsprechend anzuwendenden Gesetze sehen eine Prozesskostenhilfe im Sinne der §§ 114 ff. ZPO aber nicht vor; denn die Verfahren nach der Bundesdisziplinarordnung sind gemäß § 111 Abs. 1 BDO gebührenfrei; im Disziplinarverfahren besteht auch keine Anwaltspflicht (vgl. u.a. Urteil vom 11. Februar 1982 - BVerwG 1 D 2.81 - NJW 1983, 1073; ebenso Beschlüsse vom 30. Januar 1985 - BVerwG 1 DB 8.85 - und vom 26. Mai 1997 - BVerwG 1 D 44.97 - BVerwGE 113, 92 m.w.N. auch aus der Rechtsprechung des BVerfG; vgl. für das Disziplinarberufungsverfahren zuletzt Beschluss vom 5. Oktober 2001 - BVerwG 1 D 12.01 (1 Dis PKH 2.01) - m.w.N.). Im Übrigen geht es hier auch nur darum, umfassende Nachweise über die Bemühungen des früheren Beamten um eine neue Erwerbstätigkeit beizubringen, was einem ehemaligen Beamten auch ohne rechtlichen Beistand möglich sein müsste.
2. Die Beschwerde ist in der Sache begründet. Dem früheren Beamten ist ab dem 1. Januar 2005 bis einschließlich September 2005 ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 5 v.H. seines erdienten Ruhegehalts zu bewilligen.
Zwar hat der frühere Beamte ursprünglich, als ihm der spätere Verfahrensgang noch nicht bekannt war, nur die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags bis zum 30. Juni 2005 beantragt. Mit der zeitlich darüber hinausgehenden Anerkennung eines entsprechenden Ausspruchs trägt der Senat jedoch von Amts wegen den Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens Rechnung, die der frühere Beamte nicht zu vertreten hat; denn die Verfahrensakten sind erst vier Monate nach Einlegung der Beschwerde am 4. Juli 2005 und damit nach Ablauf des Antragszeitraums beim Senat eingegangen. Eine längere Bewilligungsdauer ist daher zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes notwendig. Dass die Längerbewilligung des Unterhaltsbeitrags auch dem Antragsbegehren des früheren Beamten entspricht, zeigt sich an dem bereits anhängigen Folgeverfahren.
Nach § 110 Abs. 2 Satz 2 BDO kann ein Unterhaltsbeitrag erneut bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 1 BDO vorliegen, wenn also der frühere Beamte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig und ihrer nicht unwürdig ist. So liegt es hier. Das Bundesdisziplinargericht hat in seinem vom Senat bestätigten Urteil dargelegt, dass der frühere Beamte eines Unterhaltsbeitrags würdig ist. An dieser Beurteilung hat sich inzwischen nichts geändert.
Der frühere Beamte ist im zugebilligten Umfang einer Unterstützung auch bedürftig.
Die Bedürftigkeit und mit ihr die Höhe des Unterhaltsbeitrags richten sich nach den gegenwärtigen finanziellen Verhältnissen des früheren Beamten. Als Maßstab für die Bedarfsberechnung stellt der Senat nunmehr - nach Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes am 1. Januar 2005 - auf die pauschalierten Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Arbeitsuchende (§§ 20, 28 SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende -) ab, ergänzt um die tatsächlichen monatlichen Aufwendungen des früheren Beamten und seiner Ehefrau für Unterkunft und Heizung sowie Kranken- und Pflegeversicherung, aber unter Anrechnung des berücksichtigungsfähigen Einkommens der Ehefrau (vgl. dazu Urteil vom 8. März 2005 - BVerwG 1 D 15.04 -).
Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 SGB II beträgt die monatliche Regelleistung für den früheren Beamten und seine Ehefrau jeweils 90 v.H. der Regelleistung in Höhe von 345 €. In der Aufstellung seiner Verbindlichkeiten vom 27. Februar 2005 (Kaltmiete, Nebenkosten, Strom, Telefon, Autofinanzierung, Kfz-Versicherung, Hausrat/Haftpflicht) gibt der frühere Beamte seine monatlich anfallenden Verbindlichkeiten mit insgesamt 994,74 € an. Hiervon ist ein Betrag von 174 € nicht berücksichtigungsfähig, denn ein Unterhaltsbeitrag nach Disziplinarrecht dient grundsätzlich nicht der Finanzierung und Tilgung von Schulden (stRspr, vgl. zuletzt Beschluss vom 19. Oktober 2004 - BVerwG 1 DB 5.04 -). Als monatlicher Gesamtbedarf ergibt sich somit ein Betrag von 1 441,74 € (310,50 € x 2 zzgl. 820,74 €). Von diesem Bedarf ist das Renteneinkommen der Ehefrau (1 269,84 € zzgl. 102,26 €) in Höhe von 1 372,10 € abzuziehen. Es verbleibt mithin eine Deckungslücke von 69,64 €, die durch einen Unterhaltsbeitrag aufzufüllen ist. Nach den Ausführungen des Senats im Beschluss vom 24. März 2004 (BVerwG 1 DB 2.04 ) beträgt der nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BDO höchstmögliche Ruhegehaltssatz des früheren Beamten ca. 1 024 €; 100 v.H. des erdienten Ruhegehalts würden mithin 1 365 € betragen. Der errechnete Differenzbetrag von 69,64 € stellt ca. 5 v.H. des erdienten Ruhegehalts dar.
Auch die weiteren Voraussetzungen einer Weiterbewilligung sind erfüllt. Der frühere Beamte hat seine Bedürftigkeit nicht selbst zu vertreten (§ 110 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 2. Halbsatz BDO). Er ist auch seinen unterhaltsrechtlich gebotenen Verhaltenspflichten (noch) im erforderlichen Umfang nachgekommen.
Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 30. Juni 2004 - BVerwG 1 DB 4.04 - m.w.N.) ausgeführt hat, setzt eine erneute Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags - entsprechend seinem Zweck als Übergangsleistung - voraus, dass sich der frühere Beamte in ausreichendem Maß um die Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit bemüht hat. Entscheidend kommt es in diesem Zusammenhang auf die persönliche Initiative zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess, auf die Bereitschaft sowie die Aktivitäten zur Erlangung einer neuen Tätigkeit an, nicht darauf, ob diese Anstrengungen auch tatsächlich zum Erfolg geführt haben. Der wieder uneingeschränkt arbeitsfähige frühere Beamte, der nach Wegfall seiner Dienstleistungspflicht täglich zur Arbeitsplatzsuche genügend Zeit hat, ist gehalten, alle ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um eine unterhaltssichernde neue Arbeit zu finden. Er muss sich ernsthaft, intensiv und nachhaltig, d.h. mehrmals wöchentlich, während des gesamten Bewilligungszeitraums um eine solche Erwerbstätigkeit bemühen. Zwar hatte der im September 2004 aus der Reha-Klinik als arbeitsfähig entlassene frühere Beamte dem Verwaltungsgericht aus dem Zeitraum Mai 2004 bis Januar 2005 lediglich acht erfolglose Bewerbungen usw. nachgewiesen. In diesem und einem weiteren Beschwerdeverfahren (vgl. 1 DB 3.05 ) hat er jedoch für den Zeitraum von August 2004 bis Juli 2005 weitere 22 erfolglose schriftliche Bewerbungen vorgelegt und insgesamt weitere 68 erfolglose telefonische Bewerbungsversuche glaubhaft gemacht. Das genügt für den hier entschiedenen Bewilligungszeitraum. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die vorgetragenen und belegten Bemühungen des früheren Beamten um eine neue Tätigkeit noch als ausreichend zu bezeichnen.
Der frühere Beamte ist gehalten, diese Bemühungen auch künftig mit unverminderter Intensität fortzusetzen. Dabei muss er praktisch jede ihm gesundheitlich zumutbare Tätigkeit annehmen. Der Senat verkennt nicht, dass sich die Stellensuche des ... geborenen früheren Beamten angesichts der derzeit im gesamten Bundesgebiet herrschenden wirtschaftlichen Verhältnisse schwierig gestaltet und seine Beschäftigung bei einem öffentlichen Arbeitgeber angesichts des Ausscheidens des früheren Beamten aus dem öffentlichen Dienst sich von vornherein als wenig aussichtsreich, wenn auch nicht als vollkommen aussichtslos darstellt (vgl. zum öffentlichen Dienst § 10 Abs. 6 Halbsatz 2 BDG); gleichwohl darf er in seinen Bemühungen nicht nachlassen. Der Nachweis dieser Bemühungen ist bei deren Erfolglosigkeit Voraussetzung einer etwaigen Weiterbewilligung des Unterhaltsbeitrags nach § 110 Abs. 2 BDO.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.