Beschluss vom 27.06.2002 -
BVerwG 8 B 30.02ECLI:DE:BVerwG:2002:270602B8B30.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.06.2002 - 8 B 30.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:270602B8B30.02.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 30.02

  • VG Frankfurt/Oder - 22.11.2001 - AZ: VG 4 K 1164/97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r sowie die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht Dr. P a g e n k o p f und S a i l e r
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. November 2001 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 298 065,27 € (entspricht: 582 965 DM).

Die Beschwerde der Klägerin ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO begründet.
1. Zwar greift die von der Klägerin erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht durch. Denn eine vermeintliche Divergenz zu den von der Beschwerde angegebenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht in prozessordnungsgemäßer Weise dargelegt worden. Es genügt hierfür nicht die bloße unrichtige Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch das Verwaltungsgericht. Es spricht allerdings viel dafür, dass das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Grundannahme der Redlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 und Abs. 3 VermG (Urteil vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 10.00 - BVerwGE 114, 75) und zur Erforderlichkeit eines manipulativen Elements im Sinne einer gezielten Beeinflussung des Erwerbsvorgangs durch den Erwerber (Urteil vom 19. Januar 1995 - BVerwG 7 C 42.93 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 12) nicht ausreichend beachtet hat. Danach hätte das Verwaltungsgericht zu prüfen gehabt, ob Tatsachen, die der Ausfüllung des Rechtsbegriffs der Redlichkeit dienen, hier nicht abschließend aufklärbar sind und ob ggf. die Grundannahme der Redlichkeit des Erwerbs erschüttert sein konnte, weil greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine mögliche Unredlichkeit bestanden. Weiterhin hätte das Verwaltungsgericht bedenken müssen, dass das Gesetz dem Erwerber den Redlichkeitsschutz nur dann versagt, wenn er in vorwerfbarer Weise an der Manipulation beteiligt war, also der Erwerber die objektiv erkennbare Absicht der gezielten Beeinflussung des Erwerbsvorgangs kannte oder hätte kennen müssen. Der für die Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO notwendige abstrakte Rechtssatzwiderspruch, der über die bloße unrichtige Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinausgehen muss, lässt sich dem angefochtenen Urteil jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Die Beschwerde selbst hat keine ausdrücklich abweichenden Formulierungen aus dem angegriffenen Urteil zitieren können.
2. Die Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat jedoch Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen die es treffende Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) unterlassen, die vom Prozessbevollmächtigten in förmlicher Weise in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellten Tatsachen zu ermitteln. Das Verwaltungsgericht ist ohne die notwendige Sachaufklärung von der Unredlichkeit der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes ausgegangen. Es hat die Unredlichkeit in erster Linie aus den angeblichen Verstößen gegen die Bestimmungen der Wohnraumlenkungsverordnung vom 16. Oktober 1985 begründet, obgleich ausweislich der Erklärung des Beklagten alle Verwaltungsvorgänge über das Wohnraumzuweisungsverfahren - und damit auch der sich auf das streitbefangene Grundstück beziehende Vorgang - in dessen Zuständigkeitsbereich unmittelbar nach der Wende vernichtet wurden. Das Verwaltungsgericht hat ohne Aktenkenntnis in Zweifel gestellt, ob überhaupt ein Wohnraumzuweisungsverfahren durchgeführt wurde. Es hat der Klägerin angelastet, sie könne keine Wohnraumzuweisungsbescheinigung vorlegen und nicht nachweisen, dass sie einen formularmäßigen Antrag gestellt habe. Auch sei kein entsprechender Wohnraumantrag als registriert von der Behörde bestätigt worden. Zugleich ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass weder die Wohnungskommission nach § 9 Abs. 3 S. 2 WLVO beteiligt noch ein persönliches Gespräch mit den Wohnungssuchenden geführt worden sei.
Angesichts der fehlenden Wohnraumzuweisungsakten durfte das Verwaltungsgericht die Beweisangebote der Klägerin zu diesen Vorgängen nicht zurückweisen. Um die gesetzliche Grundannahme der Redlichkeit für den Erwerber hinreichend zu untersuchen, oblag es dem Verwaltungsgericht den angebotenen Beweisen nachzugehen. Die beantragte Vernehmung des ehemaligen Oberbürgermeisters der Beklagten und der beiden ehemaligen Stadträte, die mit den Wohnraumzuweisungsangelegenheiten generell, aber auch ausweislich der Verwaltungsvorgänge speziell mit dem Antrag der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes befasst waren, musste das Verwaltungsgericht durchführen. Es handelt sich hierbei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, da sich die unter Beweis gestellten Tatsachen aus dem Beweisantrag selbst und aus dem zuvor bei Gericht eingegangenen Schriftsatz der Klägerin vom 13. November (Bl. 90 ff. der Gerichtsakte) eindeutig ergeben. Im Hinblick auf die fehlenden Wohnraumzuweisungsvorgänge, auf die Schreiben des früheren Oberbürgermeisters an einen Mitbewerber bezüglich des vergebenen Hausgrundstücks (Bl. 65 der Beiakte IV) und an den Ehemann der Klägerin vom 8. Dezember 1987 (Bl. 98 Beiakte IV), und im Hinblick auf den nur durch ein Telefongespräch ermittelten Ablauf des Wohnraumvergabeverfahren in Frankfurt (Oder) (vgl. Bl. 91 Beiakte IV) mussten sich dem Verwaltungsgericht unabhängig von den gestellten Beweisanträgen sogar weitere Ermittlungen bezüglich der Einhaltung der Bestimmungen der Wohnraumlenkungsverordnung aufdrängen.
Bei seiner erneuten Entscheidungsfindung wird das Verwaltungsgericht bei der Frage der Zurechenbarkeit einer zielgerichteten Manipulation des Erwerbsvorgangs für den Erwerber auch zu berücksichtigen haben, ob die Klägerin und ihr Ehemann daran zweifeln mussten, dass den Erklärungen eines Oberbürgermeisters und der anderen Amtspersonen besonderes Gewicht zukam. Nach den Erkenntnissen des Senats ist im Übrigen bei der Behandlung des Vermögens von Personen, welche die DDR verlassen haben, die fehlende Transparenz durch die DDR-Stellen bewusst herbeigeführt worden, so etwa durch die rigorose Abschottung der Zuständigkeitsbereiche örtlicher Organe (vgl. Urteil vom 19. Juli 2000 - BVerwG 8 C 20.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 5 S. 14 <19>; Urteil vom 27. Juni 2001 - BVerwG 8 C 26.00 - Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 13 S. 45 <48>).
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, weil es dem Tatsachengericht obliegt, den angebotenen Beweisen der Klägerin nachzugehen und die gebotene Redlichkeitsprüfung anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorzunehmen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13, 14 GKG.