Verfahrensinformation

Gegenstand dieses erstinstanzlichen Verfahrens sind die Rechtmäßigkeit der Umsetzung des Klägers innerhalb der betreffenden Bundesbehörde sowie die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung des dienstlichen Rechners des Klägers durch Mitarbeiter dieser Bundesbehörde.


Urteil vom 31.03.2011 -
BVerwG 2 A 11.08ECLI:DE:BVerwG:2011:310311U2A11.08.0

Leitsatz:

Soll in einem behördlichen Disziplinarverfahren zur Klärung des Verdachts auf ein Dienstvergehen eine Durchsuchung - hier: heimliche Überprüfung dienstlicher elektronischer Speichermedien - durchgeführt werden, so ist diese nur unter den Voraussetzungen des § 27 BDG zulässig. Eine derartige, auf ein späteres Disziplinarverfahren zielende Durchsuchung kann vor der Einleitung des Disziplinarverfahrens nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht auf andere gesetzliche Bestimmungen gestützt werden.

  • Rechtsquellen
    VwGO § 91
    BDG § 17, § 27

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 31.03.2011 - 2 A 11.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:310311U2A11.08.0]

Urteil

BVerwG 2 A 11.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 31. März 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski, Dr. Hartung und Dr. Fleuß
für Recht erkannt:

  1. Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
  2. Es wird festgestellt, dass die im Zeitraum vom 14. bis zum 18. Februar 2008 durchgeführte Durchsuchung des F-Laufwerks auf dem Dienstrechner des Klägers rechtswidrig war.
  3. Der Kläger und die Beklagte tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Verfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger steht als Beamter im Dienst der Beklagten. Seit 2003 war er beim Bundesnachrichtendienst (BND) als Referatsleiter tätig. Im September 2004 wurde er zum Leitenden Regierungsdirektor befördert. Anfang Mai 2008 leitete der BND gegen den Kläger ein Disziplinarverfahren ein. Mit Disziplinarurteil des Senats wurde der Kläger im Juli 2010 in ein Amt der Besoldungsgruppe A 15 (Regierungsdirektor) zurückgestuft.

2 Den Bediensteten des BND ist jeweils unter der Bezeichnung „F-Laufwerk“ ein Teil des Netzwerkspeichers der EDV-Anlage des Dienstes zur Abspeicherung solcher persönlicher Schreiben zugewiesen, die vom Bediensteten aus dienstlichem Anlass erstellt werden (z.B. Urlaubsantrag). Im Februar 2008 überprüften Mitarbeiter der EDV-Abteilung des BND ohne Kenntnis des Klägers, ob dieser auf dem ihm zugewiesenen F-Laufwerk Vorarbeiten für von ihm in Fachzeitschriften veröffentlichte Aufsätze abgespeichert hatte.

3 Im April 2008 wurde der Kläger innerhalb des BND umgesetzt. Die hiergegen im Dezember 2008 nach Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage hat er noch vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

4 Im April 2009 hat der Kläger zusätzlich die Feststellung beantragt, dass die im Februar 2008 durchgeführte Kontrolle des ihm zugewiesenen F-Laufwerks rechtswidrig war: Vor der Klageerhebung habe er sich erfolglos um eine Klärung bemüht, die Beklagte habe sich aber nicht in Form eines rechtsmittelfähigen Bescheids geäußert. Die Durchsuchung sei vor der Einleitung des Disziplinarverfahrens im Mai 2008 vorgenommen worden. Eine Durchsuchung sei eine offene Ermittlungsmaßnahme und selbst im Disziplinarverfahren wegen des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses zulässig. Auch bestehe vor der Einleitung des Disziplinarverfahrens für die Durchsuchung eines Computers keine dem § 27 BDG vergleichbare gesetzliche Ermächtigung.

5 Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die im Zeitraum vom 14. bis 18. Februar 2008 durchgeführte Durchsuchung des F-Laufwerks auf dem Dienstrechner des Klägers rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat,
hilfsweise
festzustellen, dass eine Einwilligung oder ein Einverständnis des Klägers mit der Durchsuchung des F-Laufwerks seines Dienstrechners zum Zeitpunkt der Durchsuchung zwischen dem 14. und 18. Februar 2008 nicht vorlag.

6 Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

7 Die nachträgliche Einbeziehung der Überprüfung des Dienstrechners sei eine unzulässige Klageerweiterung. Auch habe der Kläger insoweit keine Anträge im obligatorischen Vorverfahren gestellt. Die Kontrolle des F-Laufwerks des dienstlichen PC des Klägers sei rechtmäßig gewesen. Der Kläger habe private Dateien auf dem F-Laufwerk in Kenntnis des Umstands abgespeichert, dass die für die Sicherheit der EDV-Anlage zuständigen Mitarbeiter des BND diese einsehen könnten. Durch die Beschäftigung beim BND habe der Kläger temporär auf die Ausübung seines Persönlichkeitsrechts verzichtet. Bei der Kontrolle habe es sich nicht um eine Durchsuchung gehandelt. Es sei nicht um die amtliche Suche nach Beweismitteln im Zuge eines Disziplinarverfahrens gegangen. Vielmehr habe die anlassbezogene Abfrage dem Schutz der Interessen der Bundesrepublik Deutschland durch Sicherstellung der Beachtung der Verschlusssachenanordnung gedient. Rechtsgrundlage für die Maßnahme seien das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst und das Sicherheitsüberprüfungsgesetz.

8 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Verwaltungsakten des gegen den Kläger durchgeführten Disziplinarverfahrens verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

II

9 Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

10 Hinsichtlich der beantragten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung des F-Laufwerks des Dienstrechners des Klägers hat die Klage Erfolg.

11 Die nachträgliche Erweiterung der Klage ist auch ohne Einwilligung der Beklagten nach § 91 Abs. 1 VwGO wegen Sachdienlichkeit zulässig. Die Einbeziehung der Durchsuchung des Laufwerks in das Klageverfahren hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Umsetzung des Klägers im April 2008 führt dazu, dass ein weiterer sonst zu erwartender Prozess um die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des BND im Zusammenhang mit dem gegen den Kläger geführten Disziplinarverfahren vermieden werden kann (Urteil vom 26. Oktober 1978 - BVerwG 5 C 85.77  - BVerwGE 57, 31 <34>). Da der Antrag hinsichtlich der Durchsuchung des F-Laufwerks nicht erst mit der Zulassungsentscheidung des Senats, sondern bereits mit der Prozesserklärung des Klägers im April 2009 rechtshängig geworden ist (Ortloff/Riese, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 91, Rn. 79), ist die Rücknahme der ursprünglich erhobenen Klage unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung für die Zulässigkeit der Klageerweiterung ohne Bedeutung.

12 Die erweiterte Klage, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO in erster und letzter Instanz zu entscheiden hat, ist zulässig. Der Kläger hat vor der Befassung des Gerichts am 4. Dezember 2008 beim BND einen Antrag im Verwaltungsverfahren gestellt, über den die Beklagte jedoch nicht abschließend entschieden hat. Das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Durchsuchung steht dem Kläger jedenfalls unter dem Aspekt der Rehabilitierung zu. In Unkenntnis des Betroffenen durchgeführte Durchsuchungen von elektronischen Speichermedien beeinträchtigen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Die Untersuchungsmaßnahme des BND hatte zumindest bei den Bediensteten des BND den Eindruck entstehen lassen können, der Kläger habe sich in einem solchen Ausmaße fehl verhalten, dass eine heimliche Überprüfung des ihm zur Nutzung überlassenen Computers geboten war. Diese Maßnahme war deshalb geeignet, sein Ansehen zumindest im Kollegenkreis herabzusetzen. Durch die begehrte Feststellung kann diese Beeinträchtigung im Sinne einer Genugtuung wieder ausgeglichen werden.

13 Die Klage ist mit dem Hauptantrag begründet. Bei der Überprüfung des dem Kläger zugewiesenen F-Laufwerks in der Zeit vom 14. bis zum 18. Februar 2008 handelte es sich um eine Durchsuchung. Diese war mangels einer gesetzlichen Grundlage rechtswidrig.

14 Eine Durchsuchung ist eine amtliche Suche nach Beweismitteln im Zuge von Ermittlungen wegen des Verdachts auf ein Dienstvergehen oder eine Straftat (Urteil vom 16. März 2004 - BVerwG 2 WD 3.04 - BVerwGE 120, 193 <203> = Buchholz 235.01 § 93 WDO 2002 Nr. 1; OVG Bremen, Beschluss vom 21. Juli 2006 - DL A 420/05 - ZBR 2007, 394; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., Vor § 94 Rn. 4). Kennzeichen ist die ziel- und zweckgerichtete Suche staatlicher Organe nach etwas Verborgenem in einem bestimmten abgrenzbaren Bereich oder Objekt (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 1987 - 1 BvR 1113/85 - BVerfGE 75, 318 <327>; BVerwG, Urteil vom 25. August 2004 - BVerwG 6 C 26.03 - BVerwGE 121, 345 <349> = Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 77; BGH, Beschluss vom 21. Februar 2006 - 3 BGs 31/06 - wistra 2007, 28 m.w.N.).

15 Entgegen seiner Darstellung im Klageverfahren hat der BND das dem Kläger zugewiesene F-Laufwerk nicht lediglich im Rahmen einer routinemäßigen Kontrolle der EDV-Anlage auf Einhaltung der im Bereich des BND geltenden Verschlusssachenanordnung überprüft. Vielmehr diente die Kontrolle der Bestätigung des damals verfolgten disziplinarischen Verdachts, der Kläger habe ohne Aussagegenehmigung und unter Inanspruchnahme dienstlicher Ressourcen private Vorträge und Zeitschriftenbeiträge erstellt und dabei dienstliche Erkenntnisse verwertet. Diese Zweckrichtung der Überprüfung des F-Laufwerks durch IT-Mitarbeiter des BND ergibt sich aus der Stellungnahme des BND gegenüber der Staatsanwaltschaft Berlin vom 6. November 2008. Darin heißt es, die technische Kontrolle sei aufgrund der bei Einleitung des Disziplinarverfahrens vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte erfolgt und habe der Beweissicherung im Rahmen des disziplinarrechtlichen Ermittlungsverfahrens gedient. Dieser Hintergrund der Überprüfung wird durch die beigezogenen Unterlagen des gegen den Kläger geführten behördlichen Disziplinarverfahrens bestätigt. Der mit den disziplinarischen Vorermittlungen betraute Mitarbeiter des BND hat in einer Notiz über ein am 7. Februar 2008 mit einem Mitarbeiter der Leitungsebene des BND geführtes Gespräch unter dem „Betreff: Fall S.“ vermerkt, es solle festgestellt werden, ob der Kläger weitere Aufsätze mit Unterstützung seiner Mitarbeiter publiziert habe. Die konkrete Beauftragung der IT-Abteilung des BND sowie die Mitteilung der Ergebnisse der Untersuchung an den Mitarbeiter des Personalreferats des BND - unter Angabe des Aktenzeichens des gegen den Kläger geführten Disziplinarverfahrens - ist unter der Bezeichnung „IV. Rechner“ Bestandteil der den Kläger betreffenden Disziplinarakte.

16 Die vom Kläger abgespeicherten Dateien waren auch verborgen im Sinne des Begriffs der Durchsuchung. Die Daten lagen nicht für jedermann offen zu Tage, sondern konnten neben dem Kläger nur von den Mitarbeitern der IT-Abteilung des BND eingesehen werden. Zu „Sachen“, die durchsucht werden können, gehören auch Datenträger, hier ein dem Kläger zugewiesener Teil des Netzwerkspeichers der EDV-Anlage des BND (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2006 - 3 BGs 31/06 - a.a.O. m.w.N.; LR-Schäfer, StPO, 25. Aufl., § 102 Rn. 35). Dieses Laufwerk „gehörte“ dem Kläger auch. Unerheblich ist dabei, dass die Beklagte Eigentümerin des Speichermediums war. Denn für das Merkmal „gehören“ kommt es auf den dem Betroffenen eingeräumten faktischen Mitgewahrsam am Datenbestand an (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2006 - 3 BGs 31/06 - a.a.O. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 8. April 1998 - StB 5/98 - BGHR StPO § 102 Geschäftsräume 1). Der faktische Mitgewahrsam des Klägers ergibt sich daraus, dass er die Dateien auf einem Teil des Netzwerkspeichers der EDV-Anlage des BND gespeichert hatte, das ihm vom Dienst zur Speicherung privat-dienstlicher Schreiben zur Verfügung gestellt worden war und von dessen Nutzung andere Personen grundsätzlich ausgeschlossen waren. Ohne Bedeutung ist ferner, ob die Speicherung der Dateien mit Bezug zu den vom Kläger verfassten Aufsätzen der Verschlusssachenanordnung des BND widersprach, wonach der Bedienstete auf diesem Laufwerk lediglich eigene, aus dienstlichem Anlass verfasste Schreiben (z.B. Urlaubsantrag) abspeichern darf. Denn maßgeblich ist der vom Dienstherrn eingeräumte faktische Mitgewahrsam an der Sache (Meyer-Goßner, a.a.O. § 102 Rn. 10; LR-Schäfer, a.a.O. § 102 Rn. 39). Die Durchsuchung umfasste nicht nur das Auffinden der Dateien mit Hilfe der Schlagwortsuche, sondern auch ihre Durchsicht im Hinblick darauf, ob sie für eine disziplinarische Verfolgung des Klägers verwertbar sind (BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 29. Januar 2002 - 2 BvR 494/01- NStZ-RR 2002, 144).

17 Die Durchsuchung griff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung ein, das dem Einzelnen die Befugnis gibt, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1 <43>; Beschluss vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 239/90 - BVerfGE 84, 192 <194>). Ein Eingriff in dieses Recht kann hier auch nicht mit der Begründung verneint werden, die auf dem Laufwerk F vorhandenen Aufsätze und Vorarbeiten hierzu hätten für den Kläger nur eine sehr untergeordnete Bedeutung. Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach dem Ziel des Zugriffs und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 1 BvR 1550/03 u.a. - BVerfGE 118, 168 <184 f.>; Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07 u.a. - BVerfGE 120, 274 <312>). Danach ist hier von einem erheblichen Eingriff auszugehen, weil die auf den ersten Blick wenig aussagekräftigen Dateien zu Fachaufsätzen des Klägers den gegen ihn gerichteten disziplinarischen Vorermittlungen des BND dienten.

18 Vom Einzelnen hinzunehmende Beschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse bedürfen einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983  a.a.O. S. 44). Für die vom BND vor Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens selbst und in Unkenntnis des Klägers durchgeführte Durchsuchung des diesem zugewiesenen F-Laufwerks bestand keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.

19 § 27 Abs. 1 BDG scheidet hier als gesetzliche Grundlage der Durchsuchung aus. Die Vorschrift setzt, wie sich bereits aus ihrer Stellung im Gesetz ergibt, die förmliche Einleitung des Disziplinarverfahrens nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG voraus. Der Präsident des BND hat das Disziplinarverfahren gegen den Kläger aber erst drei Monate nach der Durchsuchung eingeleitet. Ferner setzt eine Durchsuchung voraus, dass der Beamte zum Zeitpunkt ihrer Anordnung dringend des ihm zur Last gelegten Dienstvergehens verdächtig ist. Zum Zeitpunkt der Überprüfung des F-Laufwerks bestanden jedoch allenfalls vage Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen des Klägers. § 102 StPO, auf den in § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG verwiesen wird, ermächtigt außerdem nicht zu einer auf heimliche Ausführung angelegten Durchsuchung, sondern setzt voraus, dass die Ermittlungen dem Betroffenen offengelegt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2007 - StB 18/06 - BGHSt 51, 211). Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 BDG i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 StPO obliegt die Vollstreckung der Anordnung der Staatsanwaltschaft (Weiß, in: GKÖD, Bd. II, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Teil 4 BDG, M § 27 Rn. 55); der Dienstvorgesetzte darf die Durchsuchung nicht selbst durchführen. Die Frage, ob eine Durchsuchung nach § 27 BDG abweichend von § 98 Abs. 1 und 2 StPO stets eine gerichtliche Entscheidung voraussetzt (Weiß, a.a.O. M § 27 Rn. 16) oder ob hiervon bei Gefahr im Verzug im Hinblick auf den drohenden Verlust des Beweismittels abgesehen werden kann (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Aufl., § 17 Rn. 11), bedarf hier keiner Entscheidung. Hierauf kommt es nicht an, weil der Anwendungsbereich des § 27 BDG mangels Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht eröffnet ist.

20 Auf Vorschriften des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst in der zum Zeitpunkt der Durchsuchung geltenden Fassung (Erstes Gesetz zur Änderung des Artikel 10-Gesetzes vom 31. Juli 2009, BGBl I S. 2499) oder des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 26. Februar 2008 (BGBl I S. 215) kann die Durchsuchung nicht gestützt werden. Der Gesetzgeber hat das behördliche und gerichtliche Verfahren bei der Aufdeckung und Ahndung von Dienstvergehen abschließend im Bundesdisziplinargesetz geregelt. Im Interesse des Schutzes des Beamten hat der Gesetzgeber die gravierende Maßnahme einer Durchsuchung auf den Zeitraum nach der förmlichen Einleitung des Disziplinarverfahrens nach § 17 BDG, in dem rechtsstaatliche Sicherungen zu Gunsten des betroffenen Beamten greifen (Beschluss vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08  - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 11), beschränkt und an enge Voraussetzungen, insbesondere den Richtervorbehalt und den dringenden Verdacht des Dienstvergehens, geknüpft (vgl. Hummel/Köhler/Mayer, a.a.O. § 17 Rn. 2; Weiß, a.a.O. M § 17 Rn. 32). Diese gesetzgeberische Entscheidung schließt es aus, eine der Aufklärung des Verdachts auf ein Dienstvergehen dienende Durchsuchung im Zeitraum vor der Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG auf eine andere gesetzliche Grundlage zu stützen.

21 Die einheitliche Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 2 und § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss vom 27.02.2012 -
BVerwG 2 A 11.08ECLI:DE:BVerwG:2012:270212B2A11.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.02.2012 - 2 A 11.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:270212B2A11.08.0]

Beschluss

BVerwG 2 A 11.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Februar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung
beschlossen:

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Gründe

1 Der nachträglich gestellte Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), ist begründet.

2 Die Kostenentscheidung des Urteils vom 31. März 2011 (- BVerwG 2 A 11.08 -) umfasst sowohl die zurückgenommene Klage gegen die Umsetzung des Klägers als auch die erfolgreiche Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung seines Dienstrechners. Hinsichtlich der beantragten Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO kommt es nicht auf die Frage an, ob eine solche noch möglich ist, wenn der Kläger die Klage zurückgenommen hat (Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 162, Rn. 16). Denn ein Vorverfahren ist nicht nur im Hinblick auf die Umsetzung des Klägers, sondern auch in Bezug auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung des Dienstrechners durchgeführt worden.

3 Eine Klage aus dem Beamtenverhältnis im Sinne von § 126 Abs. 1 BRRG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG liegt vor, wenn das Klagebegehren nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Rechtsgrundsätzen zu beurteilen ist. Der geltend gemachte Anspruch muss seine Rechtsgrundlage im Beamtenrecht haben (Urteil vom 22. Februar 1996 - BVerwG 2 C 12.94 - BVerwGE 100, 280 <283> = Buchholz 237.6 § 86 NdsLBG Nr. 4 und Beschluss vom 27. Januar 2005 - BVerwG 2 B 94.04 - Buchholz 230 § 126 BRRG Nr. 22 S. 7). Bei der Klage auf Feststellung, dass die im Zeitraum vom 14. bis zum 18. Februar 2008 durchgeführte Durchsuchung des Dienstrechners rechtswidrig war, handelt es sich um eine Klage aus dem Beamtenverhältnis. Denn diese Durchsuchung hatte nach den Angaben des Bundesnachrichtendienstes (BND) dazu gedient, im Rahmen des gegen den Kläger geführten disziplinarrechtlichen Ermittlungsverfahrens Beweise über Pflichtverstöße des Klägers zu sichern.

4 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei einer allgemeinen Leistungs- oder Feststellungsklage aus dem Beamtenverhältnis (§ 126 Abs. 3 BRRG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG) das Erfordernis eines vorherigen Widerspruchs bereits dann erfüllt, wenn der betroffene Beamte durch eine schriftliche Erklärung zu erkennen gibt, dass er sich gegen die Amtshandlung ohne Verwaltungsaktcharakter wendet. In dieser Erklärung liegt nicht lediglich der Antrag auf Änderung oder Beseitigung dieser Maßnahme ohne Verwaltungsaktcharakter, sondern unmittelbar der „anfechtende“ Widerspruch, mit dem der Beamte dem Erfordernis des Vorverfahrens genügt (Urteile vom 23. Oktober 1980 - BVerwG 2 A 4.78 - Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 14 und vom 28. Juni 2001 - BVerwG 2 C 48.00 - BVerwGE 114, 350 <354> = Buchholz 230 § 126 BRRG Nr. 21 jeweils m.w.N.). Danach hat der Kläger durch den an den BND gerichteten Antrag vom 4. Dezember 2008 festzustellen, dass die Durchsuchung seines Dienstrechners rechtswidrig war, im Sinne von § 126 Abs. 3 BRRG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG Widerspruch erhoben und das Vorverfahren eingeleitet. Unerheblich ist, dass der BND hierauf keinen rechtsmittelfähigen Bescheid erlassen hat.

5 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (Beschlüsse vom 21. August 2003 - BVerwG 6 B 26.03 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 51, vom 1. Februar 2007 - BVerwG 6 B 85.06 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 52 und vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 2 C 124.07 -). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt (Urteil vom 24. Mai 2000 - BVerwG 7 C 8.99 - Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 5). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Bevollmächtigung (Urteil vom 24. Mai 2000 a.a.O.).

6 Nach diesen Maßstäben war hier die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig. Gegenstand des Verfahrens war die damals höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen der Dienstrechner eines Beamten im Rahmen eines Disziplinarverfahrens durchsucht werden darf. Vom Kläger konnte trotz seiner juristischen Vorbildung nicht erwartet werden, dieses Verfahren ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu führen.