Beschluss vom 27.02.2003 -
BVerwG 1 B 198.02ECLI:DE:BVerwG:2003:270203B1B198.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.02.2003 - 1 B 198.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:270203B1B198.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 198.02

  • Niedersächsisches OVG - 03.04.2002 - AZ: OVG 13 LB 179/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Februar 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht H u n d und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:

  1. Den Klägern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Klaus Piening, Kleine Johannisstraße 6, 20457 Hamburg beigeordnet.
  2. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. April 2002 wird aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO).
Die Beschwerde ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.
Die Beschwerde rügt zu Recht eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, weil das Berufungsgericht auf - nach der ersten Anhörung gemäß § 130 a VwGO im Schriftsatz vom 1. März 2002 enthaltenes - Vorbringen in der Berufungsentscheidung nicht eingegangen ist und Beweisanträge hierzu nicht beschieden hat. So haben die Kläger u.a., wie in der Beschwerdebegründung zutreffend dargelegt, politische Verfolgung durch eine an ihre armenische Volkszugehörigkeit anknüpfende dauernde Einreiseverweigerung geltend gemacht (Beschwerdebegründung unter III.). Hierauf und auf die hierzu gestellten Beweisanträge ist das Berufungsgericht nicht eingegangen, ohne dass ersichtlich wäre, dass - und ggf. weshalb - es dieses Vorbringen etwa als nicht entscheidungserheblich angesehen hat (zur Bescheidungspflicht bezüglich der in einer Anhörungsmitteilung ohne Begründung abgelehnten Beweisanträge vgl. Beschluss vom 10. April 1992 - BVerwG 9 B 142.91 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 5 = NVwZ 1992, 890). Entsprechendes gilt für die von den Klägern mit Beweisanträgen behauptete Gefahr einer mittelbaren Gruppenverfolgung für aus dem Ausland zurückkehrende armenische Volkszugehörige, die aufgrund ihrer Sprache, ihrer Namensführung und ihrer christlichen Religion (sowie hinsichtlich der Kläger zu 3 bis 5 durch den Nichtgebrauch der aserischen Sprache) als solche erkennbar wären und verfolgt würden. Auch hierauf geht das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht ein, so dass auch nicht beurteilt werden kann, ob sich seine Ausführungen zur fehlenden Verfolgungsdichte zugleich hierauf beziehen sollen. Soweit das Berufungsgericht Beweisanträge zu einer aktuellen Gruppenverfolgung als Ausforschungsbeweisanträge abgelehnt hat (BA S. 6 unten), bezieht es sich nicht auf die zuvor erwähnten, sondern auf weitere Ausführungen im Schriftsatz vom 1. März 2002 ("S. 40"). Die Entscheidung beruht auch auf der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Soweit das Berufungsgericht zur Gefahr einer politischen Verfolgung der Kläger durch den aserbaidschanischen Staat - wenn auch in anderem Zusammenhang - ausgeführt hat, es komme "nicht mehr darauf an, ob ... das Gebiet von Berg-Karabach als so genannte 'inländische Fluchtalternative' anzusehen wäre ..., wie der Senat schon früher angenommen hat und wo die Kläger auch heute ganz gewiss sicher wären" (BA S. 7 oben), handelt es sich um eine Hilfserwägung, die den Beschluss schon nach dem erkennbaren Willen des Berufungsgerichts nicht selbständig tragen soll; im Übrigen fehlte es - aus dieser Sicht des Berufungsgerichts folgerichtig - an jeglichen belegten Feststellungen zum Bestehen einer inländischen Fluchtalternative.
Angesichts der festgestellten Verfahrensmängel kommt es auf die weiteren Rügen, welche die Kläger erhoben haben, nicht an. Der Senat bemerkt dazu allerdings, dass insbesondere der geltend gemachte weitere Verfahrensfehler (grober Formmangel der fehlenden Begründung nach § 138 Nr. 6 VwGO) nach den Maßstäben der Rechtsprechung nicht vorläge (vgl. zuletzt etwa den Beschluss vom 25. Februar 2000 - BVerwG 9 B 77.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 31 m.w.N.). Auch hatten die Kläger keinen Anspruch auf eine Vorabentscheidung über ihre Beweisanträge; § 86 Abs. 2 VwGO findet in Verfahren nach § 130 a VwGO grundsätzlich keine Anwendung (vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 1. März 2002 - BVerwG 1 B 358.01 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 57 und Beschluss vom 10. August 2000 - BVerwG 9 B 388.00 - <juris>, je m.w.N.). Auch die Divergenzrügen (Beschwerdebegründung S. 5 ff.) hätten bereits mangels Darlegung eines Rechtssatzwiderspruchs nicht durchgreifen können.
Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat ergänzend darauf hin, dass das Berufungsgericht - zumal angesichts der Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil - sich nicht damit begnügen darf, die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit der Kläger zu unterstellen und nicht weiter zu prüfen, ob die Kläger nicht zugleich armenische Staatsangehörige (geworden) sind, was sie unter Beweisantritt bestritten haben. Unklar ist die Aussage in der Berufungsentscheidung, es sei im Rahmen des § 51 AuslG unerheblich, ob eine von den Klägern erlittene Vorverfolgung wegen ihrer Volkszugehörigkeit in keinem Zusammenhang mehr "mit der fast fünf Jahre später erfolgenden Asylantragstellung" steht (zur Frage des Verfolgungszusammenhangs auch bei § 51 Abs. 1 AuslG vgl. das Urteil vom 25. Juli 2000 - BVerwG 9 C 28.99 - BVerwGE 111, 334 m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Beschwerde geht der Senat nicht davon aus, dass das Berufungsgericht die asylrechtlichen Gefahrenmaßstäbe verkannt hat; eine ausdrückliche Klarstellung des anzuwendenden Maßstabs und eine entsprechend präzise Subsumtion wäre allerdings - auch für die Nachprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht - sinnvoll.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).