Beschluss vom 26.07.2007 -
BVerwG 9 B 11.07ECLI:DE:BVerwG:2007:260707B9B11.07.0

Beschluss

BVerwG 9 B 11.07

  • Hessischer VGH - 10.08.2006 - AZ: VGH 5 UE 861/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Juli 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. August 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 9 605,13 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Die zu ihrer Begründung angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.

2 1. Ein für den angegriffenen Beschluss erheblicher Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen könnte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

3 a) Die Beschwerde rügt insoweit in erster Linie, der Verwaltungsgerichtshof habe eine Überraschungsentscheidung getroffen und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beruhe nämlich auf Gesichtspunkten, die in der Anhörung nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO nicht problematisiert worden seien und auf die das Gericht auch nicht nachträglich hingewiesen habe. Diese Rüge ist bereits unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die schlüssige Bezeichnung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei nach ihrer Ansicht ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieser weitere Vortrag zu einer ihr günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> Nr. 26 S. 15 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Der Vortrag der Beschwerde, ein rechtzeitiger Hinweis hätte es den Prozessbevollmächtigten des Klägers ermöglicht, „weitere Mittel zur Glaubhaftmachung beizubringen“, ist ebenso wenig ausreichend substantiiert wie ihr Vortrag, sie hätten „entsprechende Unterlagen beibringen können oder in anderer Weise die Glaubhaftmachung in der vom Gericht geforderten Intensität bewirken können“.

4 b) Soweit die Beschwerde sinngemäß rügt, das Berufungsgericht habe überzogene Anforderungen an die gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO erforderliche Glaubhaftmachung der Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gestellt, ist diese Rüge ebenfalls unzulässig. Denn im Falle einer mehrfachen, die Entscheidung des Berufungsgerichts jeweils selbständig tragenden Begründung bedarf es zur Zulässigkeit der Beschwerde in Bezug auf jede dieser Begründungen eines schlüssigen Zulassungsgrundes (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.). Der angefochtene Beschluss ist selbständig tragend auf die Auffassung des Berufungsgerichts gestützt, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, selbst wenn man von dem Vorliegen einer unterschriebenen Berufungsbegründungsschrift ausginge, nicht lediglich auf das Verschulden einer Büroangestellten zurückzuführen sei. Die Ausführungen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vom 8. Juni 2006 schlössen nicht aus, dass das Fristversäumnis auf anwaltlichem Organisationsverschulden beruhe. Der Büroablauf in einer Rechtsanwaltskanzlei müsse so organisiert sein, dass jedenfalls für fristwahrende Schriftsätze eine wirksame Ausgangskontrolle durchgeführt werden könne. Der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags lasse sich jedoch nicht entnehmen, dass es im Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers organisatorische Vorkehrungen dahin gebe, dass nach Abgang eines fristwahrenden Schriftsatzes regelmäßig ein Kontrollvermerk erfolge, dessen Fehlen zu weiteren Nachforschungen vor Ablauf der Frist führe. Damit sei die besondere Sorgfalt, die ein Prozessbevollmächtigter bei der Wahrung prozessualer Fristen zu beachten habe, nicht dargetan. Diese Auffassung steht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Einklang (vgl. Beschluss vom 28. Mai 2003 - BVerwG 1 B 126.03 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 251) und hat mit den Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nichts zu tun. Ihr begegnet die Beschwerde lediglich mit Ausführungen dazu, warum es den Prozessbevollmächtigten des Klägers weiterhin nicht möglich sei, die entscheidenden Geschehensabläufe in ihrer Kanzlei so zu rekonstruieren, dass ein Anwaltsverschulden ausscheidet. Ein Verfahrensmangel des Berufungsgerichts wird damit nicht schlüssig bezeichnet.

5 c) Soweit die Beschwerde geltend macht, eine rechtlich wirksame Anhörung sei schon deshalb nicht erfolgt, weil das Anhörungsschreiben weder die Unterschrift des Senatsvorsitzenden noch die des Berichterstatters trage, kann sie damit ebenfalls nicht durchdringen. Dem Kläger musste nämlich kein Original des Anhörungsschreibens übersandt werden; eine beglaubigte Abschrift genügte. Das Anhörungsschreiben nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO wurde, wie aus der Akte ersichtlich, im Original vom Berichterstatter des Berufungsgerichts unterschrieben. Das ist erforderlich, weil die Anhörungsmitteilung nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO eine vom Richter zu bestimmende Frist in Lauf setzt, binnen derer die Verfahrensbeteiligten sich zu der vorgesehenen Verfahrensweise und zur Sache äußern können. Die Fristsetzung muss wegen ihrer rechtlichen Tragweite von dem Vorsitzenden oder dem Berichterstatter unterzeichnet sein. Sie ist nach § 56 Abs. 1 und 2 VwGO nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung zuzustellen. Gemäß § 169 Abs. 2 ZPO beglaubigt die Geschäftsstelle das zuzustellende Schriftstück, d.h. sie beglaubigt, dass die Abschrift mit der Urschrift des Schriftstücks übereinstimmt (vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 169 Rn. 5). Es genügt mithin, dass dem Kläger eine beglaubigte Abschrift des Anhörungsschreibens zugegangen ist (Beschluss vom 17. November 1994 - BVerwG 1 B 42.94 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 11). In der Akte des Berufungsgerichts befindet sich eine Kopie des Anhörungsschreibens mit Beglaubigungsvermerk sowie das vom Klägerbevollmächtigten unterzeichnete Empfangsbekenntnis. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Kläger eine beglaubigte Abschrift erhalten hat.

6 d) Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht insoweit vor, als das Anhörungsschreiben zum Beschlussverfahren keinen ausdrücklichen Hinweis darauf enthielt, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden würde. Eines solchen Hinweises bedurfte es nicht, weil der anwaltlich vertretene Kläger zu einer Entscheidung nach § 125 Abs. 2 VwGO angehört wurde. Für einen Rechtskundigen erschließt sich damit, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 3 VwGO).

7 2. Die Beschwerde begehrt darüber hinaus eine Zulassung der Revision wegen Abweichung von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Damit genügt sie nicht den Darlegungsanforderungen an den Zulassungsgrund der Divergenz. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO fordert nämlich die Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts. Der Bundesgerichtshof gehört nicht zu den im Gesetz genannten Gerichten. Abgesehen davon fehlt eine für die hinreichende Bezeichnung einer Divergenz erforderliche Darlegung divergierender abstrakter Rechtssätze.

8 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.