Beschluss vom 26.02.2004 -
BVerwG 7 B 3.04ECLI:DE:BVerwG:2004:260204B7B3.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.02.2004 - 7 B 3.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:260204B7B3.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 3.04

  • VG Schwerin - 26.05.2003 - AZ: VG 3 A 2308/96

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Februar 2004
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l , K l e y und
H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 26. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 65 000 € festgesetzt.

Die Klägerin beansprucht die Rückübertragung eines ehemaligen Ziegeleigrundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen - VermG -. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil eine Schädigung der Erbengemeinschaft, deren Rechtsnachfolgerin die Klägerin sei, nicht feststellbar sei.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Es liegen weder die gerügten Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor (1.), noch weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab (2.). Schließlich ist auch die von der Klägerin nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht erkennbar (3.).
1. a) Die Klägerin rügt, das anstelle einer Verkündung zugestellte Urteil sei nach § 138 Abs. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, weil es ihr erst am 27. Oktober 2003 und daher mehr als fünf Monate nach der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2003 zugestellt worden sei.
Die Rüge greift nicht durch. Zwar hat das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen den - hier entsprechend anwendbaren - § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO das Urteil nicht alsbald nach der Niederlegung der Entscheidungsformel vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben. Eine Verletzung dieser Vorschrift führt jedoch allein noch nicht dazu, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen zu gelten hat. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn auf Grund der verspäteten Absetzung des Urteils nicht mehr gewährleistet ist, dass die schriftlich niedergelegten Gründe das Ergebnis der Beratung wiedergeben. Wird - wie hier - die Verkündung des Urteils gemäß § 116 Abs. 2 VwGO durch dessen Zustellung ersetzt, ist eine äußerste Grenze erreicht, wenn das Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Niederlegung des Urteilstenors vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (Beschluss vom 3. August 1998 - BVerwG 7 B 236.98 - im Anschluss an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 - GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367). Diese Frist ist hier eingehalten worden; denn das Verwaltungsgericht hat nach der Niederlegung der Urteilsformel am 26. Mai 2003 das vollständig abgefasste Urteil der Geschäftsstelle am 24. Oktober 2003 übergeben (vgl. Bl. 110 der VG-Akte). Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es für die Fristwahrung nicht darauf an, wann ihr das Urteil zugestellt worden ist; denn für das Erinnerungsvermögen der Richter, an das die Frist anknüpft, ist die weitere Zeit, die nach der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle bis zu dessen Zustellung an die Beteiligten vergeht, ohne Belang (Beschluss vom 21. Juli 1997 - BVerwG 3 B 146.97 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 31; Beschluss vom 11. Juni 2001 - BVerwG 8 B 17.01 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 26).
Wird ein Urteil vor Ablauf von fünf Monaten der Geschäftsstelle übergeben, kann es allerdings gleichwohl im Einzelfall nicht mit Gründen versehen sein, wenn besondere Umstände hinzukommen, die wegen des Zeitablaufs bereits bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Beratung und den schriftlich niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist. Solche Umstände sind hier nicht dargelegt worden. Soweit die Klägerin auf ihren Tatbestandsberichtigungsantrag verweist, um den fehlenden Zusammenhang zwischen Beratung und schriftlichen Urteilsgründen zu belegen, lässt ihr Vortrag jegliche Auseinandersetzung mit den Gründen des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vermissen, mit dem es diesen Antrag abgelehnt hat. Deshalb genügt dieses Vorbringen schon nicht den Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung gestellt werden. Abgesehen davon verkennt die Klägerin mit ihrem an das Verwaltungsgericht gerichteten Berichtigungsbegehren, dass im Tatbestand der Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen ist und wegen der Einzelheiten auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden soll, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt (§ 117 Abs. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hätte daher seine Ausführungen zum Tatbestand durchaus noch weiter beschränken können; denn es lässt sich füglich bezweifeln, ob seine doch sehr ins Einzelne gehende Schilderung des Geschehensablaufs noch als "gedrängte Darstellung" bezeichnet werden kann.
Obwohl die Annahme, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Beratung und den schriftlichen Urteilsgründen fehlt, im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt ist, besteht dennoch Anlass, erneut (vgl. schon Beschluss des Senats vom 14. Dezember 2001 - BVerwG 7 B 49.01 -) die Beachtung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO anzumahnen. Der Umstand, dass die genannte Fünf-Monats-Frist nahezu punktgenau ausgeschöpft wird, erweckt den - insbesondere für das Ansehen der Verwaltungsgerichte als Kontrollinstanz gegenüber der Verwaltung - abträglichen Eindruck, gesetzliche Verpflichtungen müssten nur dann eingehalten werden, wenn ihre Verletzung mit Sanktionen bewehrt ist.
b) Soweit die Klägerin daneben eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO rügt, greift ihre Beschwerde ebenfalls nicht durch. Die Klägerin sieht diese Rechtsverletzung darin, dass das Verwaltungsgericht überraschend zahlreiche von ihr im Einzelnen bezeichnete neue tatsächliche Gesichtspunkte in die mündliche Verhandlung eingeführt habe, mit denen die Klageabweisung begründet worden sei. Ein rügefähiger Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs scheidet schon deswegen aus, weil die Klägerin offenbar keinerlei Anstrengungen unternommen hat, sich das für geboten gehaltene Gehör vor Schluss der mündlichen Verhandlung zu verschaffen, sei es durch einen Vertagungsantrag oder durch einen Antrag auf Schriftsatznachlass. Soweit ihr der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte Inhalt der Verwaltungsvorgänge neu war, ist sie bereits von der Vorinstanz zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sie einen Antrag auf Akteneinsicht hätte stellen können. Dieses Versäumnis lässt sich nicht im Nachhinein mit einer Verfahrensrüge wettmachen.
2. Auch die von der Klägerin gerügte Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht feststellbar.
Die Klägerin meint, das angegriffene Urteil weiche von dem Urteil des Senats vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 95.99 - (Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 40) und dessen Beschluss vom 28. März 2002 - BVerwG 7 B 26.02 - ab. Beiden Entscheidungen liege der Rechtssatz zugrunde, dass die staatliche Beteiligung an einer Personengesellschaft im Regelfall auf Grund unlauterer Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG erlangt worden sei; die entsprechende gesetzliche Vermutung des § 6 Abs. 5 c Satz 1 VermG trage dementsprechend dem Umstand Rechnung, dass die Einführung halbstaatlicher Betriebe typischerweise ein wirtschaftliches Zwangsmittel gewesen sei, das auf die Verstaatlichung der Privatbetriebe gezielt habe. Demgegenüber argumentiere das Verwaltungsgericht, dass wegen der aktenkundigen Besonderheiten des Geschehensablaufs nicht feststellbar sei, dass die staatlichen Einwirkungen auf die Erben und ihr Unternehmen in der anfänglichen und fortdauernden Absicht erfolgt wäre, letztendlich alleinigen Zugriff auf das Betriebsvermögen und insbesondere das umstrittene Grundstück zu erhalten, und dass die Erben dabei im Vergleich zu anderen der DDR-Rechtsordnung Unterworfenen einer diskriminierenden Behandlung im Einzelfall unterzogen worden wären.
Bereits das Vorbringen der Klägerin verdeutlicht, dass es die vermeintliche Divergenz nicht gibt. Die Klägerin stellt nicht einander widersprechende Rechtssätze gegenüber, die dem angegriffenen Urteil und den von ihr herangezogenen Entscheidungen zugrunde liegen. Vielmehr beanstandet sie, dass das Verwaltungsgericht in ihrem Fall die tatsächlichen Voraussetzungen verneint hat, welche die Anwendung des vom Senat aufgestellten Rechtssatzes rechtfertigen. Dementsprechend erschöpft sich ihr Vortrag darin, die Besonderheiten infrage zu stellen, die das Verwaltungsgericht bewogen haben, abweichend von der durch den Senat aufgestellten Regelvermutung eine Schädigung in Form einer von einem Gesamtvorsatz getragenen gestreckten Enteignung zu verneinen.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Erfahrungssätzen und Denkgesetzen und damit sinngemäß einen Verstoß gegen eine ordnungsgemäße richterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 VwGO rügt, ist nicht nachvollziehbar, worin dieser Verfahrensmangel begründet sein soll. Allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht die maßgeblichen Tatsachen anders feststellt und würdigt, als dies ihrer Auffassung nach hätte geschehen müssen, rechtfertigt nicht die Annahme eines solchen, die Revision eröffnenden Mangels.
3. Schließlich weist die Rechtssache auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
Die Klägerin meint, die rechtliche Bedeutung der Teil-Erbauseinandersetzung als erster Schritt oder Vorstufe zur endgültigen Enteignung sei ungeklärt geblieben. Einen Klärungsbedarf, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, gibt es jedoch entgegen ihrer Auffassung in diesem Zusammenhang nicht. Dass eine Teil-Erbauseinandersetzung, die zu dem Zweck der Bildung einer Kommanditgesellschaft mit staatlicher Beteiligung betrieben wurde, der erste Schritt einer Unternehmensschädigung sein konnte, ergibt sich bereits aus dem zitierten Urteil des Senats vom 5. Oktober 2000 (a.a.O.). Ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen Schädigung vorliegen, richtet sich nach den jeweiligen Umständen und ist daher einer allgemeinen Beantwortung nicht zugänglich. Insoweit zielt auch diese Rüge der Klägerin, wie auch die dazu gegebene Begründung zeigt, wiederum nicht auf die Beantwortung einer generalisierungsfähigen Rechtsfrage; vielmehr geht es ihr auch an dieser Stelle darum, die Besonderheiten, die das Verwaltungsgericht veranlasst haben, eine Schädigung zu verneinen, in der Art einer Berufungsbegründung in Abrede zu stellen. Ein Revisionszulassungsgrund wird auf diese Weise nicht dargetan.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei orientiert sich der Senat für die Streitwertbemessung an dem Kaufangebot, das der Beigeladenen vorliegt (vgl. Schriftsatz der Beigeladenen vom 4. November 2003 - Bl. 160 VG-Akte).