Verfahrensinformation

Mit ihrer Klage verlangt die Bundesrepublik Deutschland vom Saarland den Ersatz von Bundesmitteln von rund 370 000 €, die dem Land für die Bewilligung von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz gezahlt worden sind. Das Land hat nach Ansicht der Klägerin seine Pflichten zur ordnungsgemäßen Verwaltung der Bundesmittel verletzt, weil die beigeladene Stadt Saarbrücken in insgesamt 36 Fällen Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach dem LAG bewilligt hat, obwohl seit 1. April 1995 ein gesetzlicher Vorrang der Pflegeversicherung nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuchs bestanden habe. Das beklagte Land lehnt eine Haftung ab, weil Pflegeleistungen auch nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs XI weiterhin auf der Grundlage des Lastenausgleichsgesetzes hätten erbracht werden dürfen.


Für die Entscheidung ist das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erstinstanzlich zuständig. Es wird zu klären haben, unter welchen Voraussetzungen eine Verwaltungshaftung zwischen den Ländern und dem Bund nach Art. 104a Abs. 5 des Grundgesetzes besteht und ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.


Urteil vom 25.08.2011 -
BVerwG 3 A 2.10ECLI:DE:BVerwG:2011:250811U3A2.10.0

Leitsatz:

Der Bund kann im Rahmen der Haftung für nicht ordnungsgemäße Verwaltungsführung nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG keinen Ersatz von Leistungen (hier Pflegeleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz) verlangen, die entgegen einer rechtswidrigen Weisung des Bundes, aber im Einklang mit der materiellen Rechtslage bewilligt worden sind.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 85; Art. 104a Abs. 5 Satz 1; Art. 120a Abs. 1
    VwGO § 40 Abs. 1 Satz 1; § 50 Abs. 1 Nr. 1
    LAG § 263 Abs. 1 Nr. 1; § 267 Abs. 1 Satz 3; Abs. 1 Satz 6; Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c; § 305 Abs. 2; § 319 Abs. 2
    Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit
    (PflegeVG)
    SGB XI § 13 Abs. 3; § 14
    BGB § 249 Abs. 1

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 25.08.2011 - 3 A 2.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:250811U3A2.10.0]

Urteil

BVerwG 3 A 2.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. August 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer, Buchheister, Dr. Wysk
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe

I

1 Mit ihrer Klage verlangt die Bundesrepublik Deutschland vom beklagten Saarland den Ersatz von Bundesmitteln. Nach Ansicht der Klägerin hat das Land seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung von Mitteln der Lastenausgleichsverwaltung verletzt, weil das im Auftrag des Landes tätige Ausgleichsamt der beigeladenen Landeshauptstadt Saarbrücken von 1995 bis 2004 Empfängern von Kriegsschadenrente, die Mitglied in einer Pflegeversicherung waren, Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) gewährt hat.

2 Nach Einführung der Pflegeversicherung zum 1. April 1995 hatte der Präsident des Bundesausgleichsamtes in einem Fünften Rundschreiben zur Durchführung des Pflege-Versicherungsgesetzes (PflegeVG) - Leistungsgewährung - vom 3. Februar 1995 (im Folgenden: Fünftes Rundschreiben) erläutert, wie sich das Verhältnis von Leistungen der Pflegeversicherung zur Pflegezulage und zum Freibetrag wegen Pflegebedürftigkeit nach dem Lastenausgleichsgesetz darstelle. Unter Tz. 2.4 ist zur Erstbewilligung solcher Leistungen ausgeführt:
„Ab April 1995 kommt die Gewährung einer Pflegezulage bzw. eines Freibetrages wegen Pflegebedürftigkeit nach § 267 LAG an KSR-[scil. Kriegsschadenrente]-Empfänger, die Mitglied in der sozialen Pflegeversicherung oder privat pflegeversichert sind, nicht mehr in Betracht. Mit Rücksicht auf den Vorrang der Pflegeversicherung sind Berechtigte, die Pflegezulage bzw. einen Freibetrag zur Kriegsschadenrente begehren, an ihre Pflegekasse bzw. ihre private Pflegeversicherung zu verweisen. Wird von Personen, die pflegeversichert sind, eine Pflegezulage bzw. ein Freibetrag wegen Pflegebedürftigkeit beim Ausgleichsamt beantragt, ist der Antrag wegen des Vorrangs der Pflegeversicherung und der Gleichartigkeit des Begriffs der Pflegebedürftigkeit abzulehnen.“

3 Im Rahmen der Fachaufsicht stellte der Präsident des Bundesausgleichsamtes Mitte 2007 fest, dass die Beigeladene zwischen April 1995 und 2004 in 16 Fällen gleichwohl Mitgliedern der Pflegeversicherung Pflegezulagen und Freibeträge wegen Pflegebedürftigkeit nach dem Lastenausgleichsgesetz bewilligt hatte. Diese Feststellungen teilte er dem beklagten Land mit, woraufhin die Beigeladene weitere 20 Fälle einräumte.

4 Die Klägerin hat den Beklagten mit Schreiben vom 3. August 2009 zur Zahlung der zu Unrecht gewährten Leistungen in Höhe von 373 602,74 € aufgefordert. Der Beklagte hat seine Haftung mit Schreiben vom 23. Oktober 2009 abgelehnt.

5 Am 20. April 2010 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Der Beklagte sei nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG zum Ersatz der Pflegezulagen und Freibeträge verpflichtet, weil das Ausgleichsamt der Beigeladenen mit der Gewährung der Leistungen in allen 36 Fällen gegen den Vorrang der Pflegeversicherung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) und eine entsprechende Weisung des Präsidenten des Bundesausgleichsamtes im Fünften Rundschreiben verstoßen habe, die unbedingt auszuführen gewesen sei. Die Verstöße habe der Beklagte vorgerichtlich bereits eingeräumt. Die zuständigen Bediensteten hätten ihre Pflichten vorsätzlich verletzt. Es habe sich nicht um ein bloßes Versehen oder Augenblicksversagen gehandelt, sondern um einen über Jahre regelmäßig wiederkehrenden Serienfehler, der ein gravierendes Organisationsversagen der Beigeladenen belege. Im Übrigen sei ein Verschulden entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht erforderlich. Insofern sei die zu Art. 104a Abs. 5 GG entwickelte Haftungskernrechtsprechung zu überprüfen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genüge einfache Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns; eine Beschränkung auf evidente oder grobe Rechtsverstöße könne Art. 104a Abs. 5 GG nicht entnommen werden. Jedenfalls hätten die Amtswalter des Ausgleichsamtes die Verstöße zumindest billigend in Kauf genommen, wie Einzelfälle der Bewilligungen zeigten. Nehme man einen Rechtsirrtum an, so sei jedenfalls von grober Fahrlässigkeit auszugehen, weil der Irrtum bei einer Orientierung am Fünften Rundschreiben vermeidbar gewesen wäre. Bei Zweifeln am Inhalt oder an der Richtigkeit der Weisung hätte auf dem Dienstweg eine Klarstellung oder Entscheidung des Bundesausgleichsamtes herbeigeführt werden müssen. Die Pflichtverletzungen hätten auch zu einem Schaden geführt, weil bei rechtmäßigem Verhalten die Leistungen erspart worden wären.

6 Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 373 602,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. April 2010 zu zahlen.

7 Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

8 Er meint, die Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz seien in allen Fällen ordnungsgemäß gewährt worden. Die Gewährung wäre nur dann ausgeschlossen gewesen, wenn den Antragstellern tatsächlich Leistungen aus der Pflegeversicherung gezahlt worden wären, was nicht der Fall gewesen sei. Weitergehende Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz seien unberührt geblieben; insofern habe das Lastenausgleichsgesetz eine Auffangfunktion erfüllt. Soweit das Fünfte Rundschreiben anders laute, sei es nicht maßgeblich, wenn Antragsteller entsprechend den gesetzlichen Vorschriften beschieden worden seien. An der Haftungskernrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei festzuhalten, solange das in Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG vorausgesetzte Ausführungsgesetz nicht erlassen sei. Eine Haftung komme daher nur bei Vorsatz in Betracht, der in keinem der Fälle vorliege. Auch von einem Organisationsverschulden, für das nicht stärker gehaftet werde als für ein Individualverschulden, könne nicht ausgegangen werden.

9 Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

10 Sie weist darauf hin, dass Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach dem Lastenausgleichsgesetz ein anderes gesetzliches Ziel hätten als Pflegeversicherungsleistungen. Sie sollten als Teil der Kriegsschadenrente der Abgeltung von Schäden und Verlusten infolge der Vertreibung und Zerstörung in der Kriegs- und Nachkriegszeit dienen und dabei auch die soziale Lebensgrundlage der Berechtigten sichern. Das Fünfte Rundschreiben zur Pflegeversicherung sei unklar, ein daran anknüpfender Rechtsirrtum jedenfalls nicht ohne Weiteres vermeidbar gewesen.

II

11 Die Klage hat keinen Erfolg.

12 1. Sie ist allerdings zulässig.

13 a) Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.

14 Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt nicht vor. Ob eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art ist, richtet sich danach, ob der geltend gemachte Klaganspruch in einem Rechtsverhältnis wurzelt, das entscheidend vom Verfassungsrecht geprägt ist. Bei Streitigkeiten zwischen dem Bund und einem Land richtet sich die Beurteilung danach, ob der Klaganspruch in dem verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen Bund und Ländern oder aber in einem engeren Rechtsverhältnis wurzelt, das durch Normen des einfachen Rechts geprägt wird (Urteil vom 24. Januar 2007 - BVerwG 3 A 2.05  - BVerwGE 128, 99 Rn. 15 m.w.N.).

15 Die Klägerin berühmt sich eines Ersatzanspruchs aus der Haftung für nicht ordnungsgemäße Verwaltungsführung gemäß der hier allein in Betracht zu ziehenden Bestimmung des Art. 104a Abs. 5 GG. Ein derartiger Anspruch wurzelt in dem Rechtsverhältnis, das durch die Pflichten zur Durchführung der streitigen Aufgaben begründet wird. Das ist hier die Pflicht der Länder nach § 305 LAG, in Konkretisierung des Art. 120a Abs. 1 Satz 1 GG im Auftrage des Bundes Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz zu gewähren, wobei sie, wie es hier geschehen ist, Gemeinden und Gemeindeverbände mit der Durchführung der Vorschriften beauftragen können (§ 305 Abs. 2 LAG). Dieses Auftragsverhältnis ist verwaltungsrechtlicher und also einfachgesetzlicher Natur. Auch die einzig denkbare Anspruchsgrundlage wurzelt im einfachen Recht. Die sog. Haftungskernrechtsprechung, die das Bundesverwaltungsgericht zu Art. 104a Abs. 5 GG entwickelt hat, betrifft keine Anspruchsgrundlage verfassungsrechtlicher Art. Ungeachtet ihrer Grundlegung in einer Bestimmung des Grundgesetzes handelt es sich um die richterrechtliche Ausfüllung einer Lücke, die im einfachen Gesetzesrecht besteht, weil das in Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG vorgesehene Ausführungsgesetz fehlt (Urteil vom 24. Januar 2007 a.a.O. Rn. 16).

16 b) Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im ersten Rechtszug zuständig. Die in ständiger Rechtsprechung entwickelte Einschränkung der Vorschrift auf Streitigkeiten, die sich ihrem Gegenstand nach einem Vergleich mit den landläufigen Verwaltungsstreitigkeiten entziehen (Urteil vom 24. Januar 2007 a.a.O. Rn. 18; Beschluss vom 13. August 1999 - BVerwG 2 VR 1.99 - BVerwGE 109, 258 <260 f.>), ist erfüllt. Der geltend gemachte Ersatzanspruch ist durch eine besondere Finanzbeziehung zwischen Bund und Ländern im Anwendungsbereich des Lastenausgleichsgesetzes geprägt, die sich zwischen der öffentlichen Hand und dem Einzelnen nicht ergeben könnte.

17 2. Die Klage ist nicht begründet.

18 Der Klägerin steht der geltend gemachte Ersatzanspruch nicht zu, weil ihr bei der gebotenen normativen Betrachtung kein Schaden entstanden ist.

19 a) Gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG haften der Bund und die Länder im Verhältnis zueinander für eine ordnungsgemäße Verwaltung. Auf diese Bestimmung kann sich die Klägerin berufen. Zwar hat der Bundesgesetzgeber den Verfassungsauftrag des Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG, durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zu bestimmen, bislang nicht erfüllt. Damit wird dem Grundsatz des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG indes die vom Verfassungsgesetzgeber gewollte unmittelbare Wirksamkeit nicht genommen. Die infolge des Fehlens des Ausführungsgesetzes bestehende Lücke ist vielmehr im Wege des Richterrechts zu schließen. Eine unmittelbare Geltung ist Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG dabei aber nur für einen Haftungskern zu entnehmen, hinter dem auch das vorgesehene Ausführungsgesetz nicht zurückbleiben könnte (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 24. Januar 2007 a.a.O. Rn. 20 m.w.N.). An dieser Rechtsprechung ist gegen die Einwände der Klägerin festzuhalten. Der Streitfall gibt im Übrigen keinen Anlass, diese Rechtsprechung zu überdenken.

20 b) Der Schadensersatzanspruch in Fällen nicht ordnungsgemäßer Verwaltungsführung eines Landes setzt ein rechtswidriges und schuldhaftes Handeln der für das Land handelnden Amtswalter in Ausübung eines öffentlichen Amtes voraus, das zu einem Schaden des Bundes geführt hat (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1994 - BVerwG 11 A 1.92 - BVerwGE 96, 45 <50 ff.>; s. auch BVerfG, Beschluss vom 7. September 2010 - 2 BvF 1/09 - NVwZ 2010, 1549 m.w.N.). Keiner Entscheidung bedarf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob das Land ein gesteigerter Vorwurf treffen und welche Schuldform gegebenenfalls vorliegen muss, um die Haftung in ihrem Kern zu begründen. Festzuhalten ist jedenfalls daran, dass ein Verschulden erforderlich ist. Eine Ausdehnung der Haftung auf unverschuldet rechtswidriges Verwaltungshandeln kommt nicht in Betracht, weil eine solche Verschärfung den Haftungskern überschreiten würde (BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2007 a.a.O. Rn. 25). Zu Unrecht beruft sich die Klägerin zur Begründung ihrer gegenteiligen Ansicht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2010 (a.a.O. Rn. 112). Dort ist nicht zur Haftungsrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, sondern zum Gesetzgebungsauftrag des Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG gesagt, der Gesetzgeber könne eine verschuldensunabhängige Haftung begründen, er sei bei der Ausgestaltung des Ausführungsgesetzes nicht auf evidente oder grobe Rechtsverstöße beschränkt. Nicht entscheidungserheblich ist auch die in der Rechtsprechung der Senate des Bundesverwaltungsgerichts bislang uneinheitlich beantwortete Frage, ob grobe Fahrlässigkeit genügt (vgl. Urteil vom 24. Januar 2007 a.a.O. Rn. 22). In jedem Fall ist hier die Haftung zu verneinen. Zwar waren die Bewilligungen von Pflegeleistungen durch die für das beklagte Land handelnde Beigeladene pflichtwidrig, weil sie gegen eine Weisung des Bundes verstießen. Der Klägerin ist es aber verwehrt, die aus den weisungswidrigen Bewilligungen erwachsenden Ausgaben als Vermögensnachteil ersetzt zu verlangen; denn die Weisung widersprach der objektiven Rechtslage. Im Einzelnen:

21 c) Die Gewährungen von Pflegezulage und Freibeträgen wegen Pflegebedürftigkeit im Rahmen der Unterhaltshilfe nach § 267 LAG in den Jahren 1995 bis 2004 standen im Widerspruch zu einer Anweisung des Präsidenten des Bundesausgleichsamtes im Fünften Rundschreiben. Dort war unter Tz. 2.4 angeordnet, ab April 1995 Anträge auf Erstbewilligung abzulehnen, wenn der Antragsteller pflegeversichert war. Für die Ausgleichsämter als Adressaten des Rundschreibens war hinreichend klar erkennbar, dass die Ablehnung allein wegen des Bestehens der Mitgliedschaft in einer Pflegekasse oder privaten Pflegeversicherung - also unabhängig vom Bezug von Versicherungsleistungen - ausgesprochen werden sollte. Deshalb wird in der Tz. 2.4 auf einen vermeintlich ohne Einschränkung bestehenden Vorrang der Pflegeversicherung verwiesen und auf die angenommene Gleichartigkeit des Begriffs der Pflegebedürftigkeit im Sozialgesetzbuch XI und im Lastenausgleichsgesetz. Daraus wird das Rechtsverständnis deutlich, die zuständige Pflegekasse oder Pflegeversicherung habe exklusiv über den Anspruch auf Pflegeleistungen zu entscheiden, sodass eine Gewährung solcher Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz an Mitglieder einer Pflegeversicherung aus Rechtsgründen prinzipiell nicht in Betracht komme.

22 d) Gemessen an den gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 267 LAG erfolgten die weisungswidrigen Leistungsgewährungen durch die Beigeladene jedoch in Übereinstimmung mit der objektiven Rechtslage; die Weisung im Fünften Rundschreiben war unrichtig. Die Klägerin hat nichts vorgebracht, was dies infrage stellen würde.

23 Im fraglichen Zeitraum war im Rahmen der Unterhaltshilfe - einer Form der Kriegsschadenrente (§ 263 Abs. 1 Nr. 1 LAG) - gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 LAG eine Pflegezulage zu gewähren, wenn die Berechtigten infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen so hilflos waren, dass sie nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen konnten. Unter denselben Voraussetzungen konnten sie nach § 267 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c LAG bei der Einkommensberechnung den Ansatz eines Freibetrags beanspruchen. Dass in den streitigen Fällen die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegezulagen und Freibeträgen vorlagen, zieht die Klägerin nicht in Zweifel. Sie meint lediglich in Übereinstimmung mit Tz. 2.4 des Fünften Rundschreibens, die Empfänger hätten derartige Leistungen wegen ihrer Mitgliedschaft in der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung im Sinne der §§ 20 ff. SGB XI von vornherein nicht beanspruchen können. Das trifft nicht zu: Anspruchsausschließend wirkte lediglich, dass Pflegebedürftige Pflegegeld oder eine Pflegesachleistung nach den Vorschriften des SGB XI oder vergleichbare Leistungen von einem privaten Versicherungsunternehmen erhielten (§ 267 Abs. 1 Satz 6 und § 267 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c LAG), also tatsächlich bezogen. Ein Bezug von Leistungen war aber - wie die Klägerin ebenfalls nicht in Abrede stellt - in keinem der streitigen Fälle gegeben.

24 Die bloße Mitgliedschaft in der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung genügte danach nicht, um Berechtigten Pflegezulage oder Freibetrag nach dem Lastenausgleichsgesetz zu verweigern. Das ergibt sich sowohl aus den anspruchsbegründenden Vorschriften selbst, die zeitgleich mit dem SGB XI erlassen worden sind (vgl. Art. 1 und 20 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit - PflegeVG - vom 26. Mai 1994, BGBl I S. 1014), wie auch aus der Konkurrenzregelung in § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XI. Dort wird jeweils auf den tatsächlichen Erhalt oder die Gewährung von Leistungen abgestellt (ebenso die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, BTDrucks 12/5262, S. 169). Nach § 13 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 SGB XI (sowohl in der Ursprungsfassung als auch i.d.F. des Ersten SGB XI-Änderungsgesetzes vom 14. Juni 1996, BGBl I S. 830) blieben weitergehende Leistungen zur Pflege nach dem Lastenausgleichsgesetz unberührt. Dazu zählen auch Leistungen, die auf abweichenden Anspruchsvoraussetzungen beruhen. Solche - nämlich großzügigere - Voraussetzungen sieht das Lastenausgleichsgesetz im Hinblick auf Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit vor. Zwar ist im Zuge des Pflege-Versicherungsgesetzes eine Vereinheitlichung der bundesrechtlichen Regelungen über Leistungen bei Pflegebedürftigkeit angestrebt worden (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BTDrucks 12/5262 S. 95 <zu § 12 SGB XI-E>). Diese Angleichung wurde im Lastenausgleichsrecht jedoch nicht nachvollzogen. Der in § 14 SGB XI definierte Begriff der Pflegebedürftigkeit, der die Vereinheitlichung der Leistungsvoraussetzungen hätte bewirken können, gilt für das Lastenausgleichsrecht weder unmittelbar noch entsprechend. Das Lastenausgleichsgesetz hat vielmehr in § 267 (vgl. Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c) einen von § 14 SGB XI abweichenden, und zwar großzügigeren Begriff der Pflegebedürftigkeit beibehalten. Dies erklärt sich daraus, dass die Kriegsschadenrente, deren Teil die Unterhaltshilfe ist, nicht nur die soziale Lebensgrundlage in Pflegefällen sichern will, sondern auch einen entschädigungsrechtlichen Zweck verfolgt (vgl. Kapinos, EALG, VermG, LAG - Praxishandbuch des Entschädigungs- und Lastenausgleichsrechts, Band 6, Stand: April 2011, Abschn. F I 1, § 261 bis § 292 LAG, S. 1), worauf die Beigeladene zutreffend hinweist.

25 Auch in der einschlägigen Literatur ist unbestritten, dass nur der Bezug von Versicherungsleistungen, nicht aber die bloße Mitgliedschaft in einer Pflegeversicherung den Anspruch auf andere Fürsorgeleistungen ausschließt (vgl. Kapinos, a.a.O. § 267 LAG S. 11; Peters, in: Leitherer, Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Band 2, Stand: April 2011, § 13 SGB XI Rn. 9; Udsching, in: ders., SGB XI. Soziale Pflegeversicherung, 3. Aufl. 2010, § 13 Rn. 10 ff.; Holtbrügge, in: Klie/Krahmer, Sozialgesetzbuch XI, Kommentar, 3. Aufl. 2009, § 13 Rn. 15, 19; Philipp, in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2009, § 13 SGB XI Rn. 8; auch wohl schon Vogel/Schaaf, Die Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung, NZS 1997, 67).

26 e) Allerdings war die Anweisung in Tz. 2.4 des Fünften Rundschreibens ungeachtet ihrer Unrichtigkeit oder Rechtswidrigkeit zu beachten. Sie war Teil einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift, die der Präsident des Bundesausgleichsamtes gemäß Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG auf dem Gebiet der Ausgleichsleistungen zur Steuerung der nachgeordneten Ämter erlassen hatte. Hierzu war er gemäß § 319 Abs. 2 LAG befugt, ohne einer Zustimmung des Bundesrates zu bedürfen (Art. 120a Abs. 1 Satz 2 GG). Nach Art. 120a Abs. 1 Satz 1 GG kann auf dem Gebiet der Ausgleichsleistungen nach dem Dritten Teil des Lastenausgleichsgesetzes (§§ 228 ff.), in dem Unterhaltshilfe geregelt ist, gesetzlich bestimmt werden, dass sie teils durch den Bund, teils im Auftrage des Bundes durch die Länder ausgeführt werden. Dies ist in § 305 Abs. 1 LAG geschehen. Von diesen Befugnissen hat der Präsident des Bundesausgleichsamtes mit dem Fünften Rundschreiben Gebrauch gemacht.

27 An die in Tz. 2.4 des Fünften Rundschreibens enthaltenen Weisungen waren die nachgeordneten Stellen ungeachtet dessen gebunden, dass die Weisung unrichtig war. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass die Länder die Weisungen des Bundes unabhängig von ihrer Recht- und Zweckmäßigkeit zu befolgen haben. Sie können - vorbehaltlich äußerster Grenzen - nicht geltend machen, der Bund übe seine Weisungsbefugnis inhaltlich rechtswidrig aus und greife dadurch in eine eigene Sachkompetenz der Länder ein (stRspr, BVerfG, Urteile vom 22. Mai 1990 - 2 BvG 1/88 - BVerfGE 81, 310 <331 ff.>, vom 10. April 1991 - 2 BvG 1/91 - BVerfGE 84, 25 <31> und vom 19. Februar 2002 - 2 BvG 2/00 - BVerfGE 104, 249 <264 ff.>; vgl. auch BVerwG, Urteile vom 24. Juli 2008 - BVerwG 7 A 2.07 - NVwZ 2009, 599 <600> und vom 27. Januar 2010 - BVerwG 7 A 8.09 - juris Rn. 22). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Tz. 2.4 die äußersten Grenzen der Befolgungspflicht überschritten hat. Dies machen auch weder der Beklagte noch die Beigeladene geltend.

28 Zu beachten hatten die Anweisung der Beklagte, aber ebenso die Amtswalter der Beigeladenen, die vom Beklagten gemäß § 305 Abs. 2 LAG mit der Durchführung der Ausgleichsleistungsverwaltung beauftragt worden war und deren Amtshandlungen ihm insoweit zurechenbar sind (vgl. Urteile vom 18. Mai 1994 a.a.O. S. 56 und vom 30. November 1995 -  BVerwG 7 C 56.93 - BVerwGE 100, 56 <60>).

29 f) Die objektive Missachtung der Weisung machte die Bewilligungen von Pflegeleistungen - ungeachtet der Unrichtigkeit der Weisung - der Klägerin gegenüber pflichtwidrig im Sinne des Art. 104a Abs. 5 GG. Im Rahmen des durch die Vorschrift gerade für die Auftragsverwaltung geschaffenen Haftungsregimes (vgl. Urteil vom 18. Mai 1994 a.a.O. S. 56) wird die Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungshandelns durch jene Regeln mitbestimmt, die das konkrete Bund-Länder-Verhältnis prägen. Dazu gehören auch die grundsätzlich unbeschränkten Einwirkungsbefugnisse des Bundes nach Art. 85 GG. Nimmt der Bund, wie es hier geschehen ist, sein Direktions- und Weisungsrecht berechtigterweise in Anspruch, so muss sich seine Sachkompetenz auch in die Inhalte der Sachentscheidung nach außen durchsetzen können; denn sie ist Ausdruck einer nicht entäußerbaren Letztverantwortung für die Aufgabenerfüllung (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Mai 1990 a.a.O. S. 332). Dies zeigt sich etwa dort, wo die Ausübung von Ermessen mehrere rechtmäßige Entscheidungen im Außenverhältnis zulässt, aber auch im Falle rechtswidriger Weisungen. Auch in einem solchen Fall besteht keine entgegenstehende eigene Rechtsposition des Landes, die vom Bund verletzt werden könnte; denn das Land besitzt keine eigene Verantwortung für die nach Weisung getroffene Sachentscheidung (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Mai 1990 a.a.O. S. 337 ff.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2010 a.a.O.).

30 g) Der Klägerin ist aber kein ersatzfähiger Schaden entstanden. Die Rechtmäßigkeit der Gewährung der fraglichen Pflegezulagen und Freibeträge schließt es aus, Aufwendungen, die von der Klägerin infolge dieser Bewilligungen zu tragen waren, wegen des Verstoßes gegen eine rechtswidrige Weisung als Vermögensnachteil anzusehen, der im Rahmen des Art. 104a Abs. 5 GG zu ersetzen ist. Entsprechend heranzuziehen sind insofern die Grundsätze des bürgerlichen Schadensersatzrechts (zur Mitverursachung nach § 254 BGB vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 2 BvG 1/04 und 2/04 - BVerfGE 116, 271 <Rn. 170 ff.> und BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2007 a.a.O. Rn. 33). Nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Nach der so genannten Differenztheorie ist damit aufgegeben, den Wertunterschied zwischen der Vermögenslage, die sich bei ordnungsmäßiger Verwaltungsführung ergeben hätte, und derjenigen zu ersetzen, die sich infolge des weisungswidrigen Verhaltens tatsächlich ergeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1983 - V ZR 168/81 - BGHZ 87, 156 = juris Rn. 11; Oetker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 2, 5. Aufl. 2007, § 249 Rn. 16 m.w.N.). Jedoch kann bei der Ermittlung der hypothetischen Haushaltslage der Klägerin nicht, wie sie meint, allein darauf abgestellt werden, dass die Leistungsanträge bei weisungsgemäßer Bescheidung abgelehnt worden wären und die Klägerin Haushaltsmittel für Pflegeleistungen nicht hätte aufbringen müssen. Vielmehr ist eine wertend-normative Betrachtung vorzunehmen, bei der zu fragen ist, inwieweit die Rechtsordnung diese wirtschaftlichen Nachteile als ausgleichswürdig ansieht (vgl. Oetker, a.a.O. Rn. 17 ff. m.w.N.; Schiemann, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2005, Vorbem. zu §§ 249 ff. Rn. 35 ff.). Danach ist hier ausschlaggebend, dass die beantragten Pflegeleistungen bei objektiv rechtmäßigem Verhalten hätten bewilligt werden müssen und bei Ablehnung hätten erfolgreich eingeklagt werden können. Dieser Zusammenhang ist bei der Ermittlung des hypothetischen Rechtsgüterstandes in dem Sinne einzustellen, dass sich die Klägerin nicht darauf berufen darf, der wirtschaftliche Erfolg eines dem Gesetz entsprechenden Bescheidungsverhaltens hätte durch die rechtswidrige Weisung an die bescheidende Stelle verhindert werden können. Das entspricht dem in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, dass ein ersatzfähiger Schaden nicht besteht, wenn dem vermeintlich Geschädigten ein Vorteil entgeht, den er ausschließlich infolge rechtswidrigen Verwaltungshandelns erlangt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1981 - VII ZR 44/80 - BGHZ 79, 223 = juris Rn. 23 m.w.N.).

31 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.