Beschluss vom 25.08.2003 -
BVerwG 1 B 439.02ECLI:DE:BVerwG:2003:250803B1B439.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.08.2003 - 1 B 439.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:250803B1B439.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 439.02

  • Hessischer VGH - 05.08.2002 - AZ: VGH 12 UE 2204/01.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. August 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. August 2002 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  2. Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Denn es hat entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und erwogen.
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, hat im Berufungsverfahren unter Vorlage eines kopierten Artikels aus der türkischen Zeitung Özgür Politika vom 24. Mai 2001 vorgetragen, in diesem Artikel werde über die Festnahme von HADEP-Mitgliedern in Ankara berichtet, denen der Vorwurf einer Zusammenarbeit mit der PKK gemacht werde. Unter den dort namentlich genannten Namen der festgenommenen Personen befinde sich auch Sibel Koyun, eine Cousine mütterlicherseits. Dies belege, dass er, der Kläger, aus einem Familienverband stamme, der im weitesten Umfange Verfolgungsmaßnahmen der türkischen Behörden ausgesetzt sei. In der Entscheidung des Berufungsgerichts wird dieses Vorbringen sowohl im Tatbestand (UA S. 4) als auch in den Entscheidungsgründen (UA S. 73 f.) erwähnt. In den Gründen heißt es, soweit der Kläger sich auf einen lediglich in türkischer Sprache vorgelegten Zeitungsbericht über Verfolgungsmaßnahmen gegen HADEP-Mitglieder berufe, entsprächen die dort mitgeteilten Vorfälle dem Bild über die innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei im Jahre 2001, wie sie aus den sonstigen Erkenntnisquellen bekannt seien. Obwohl danach eine Cousine des Klägers mütterlicherseits namentlich benannt sei, sei damit noch nicht eine Gefahr für den Kläger dargetan, bei einer Rückkehr in die Türkei mit diesem Vorfall und mit den Aktivitäten seiner Cousine in Verbindung gebracht zu werden, und zwar deswegen nicht, weil sie nicht denselben Nachnamen führe wie der Kläger. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass das Berufungsgericht den wesentlichen Kern des Vorbringens des Klägers, der gerade darin besteht, dass der in dem Zeitungsbericht aufgeführte Nachname seiner Cousine mit seinem Nachnamen identisch ist, nicht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat. Vielmehr hat es eine Verfolgungsgefahr für den Kläger im Zusammenhang mit diesem Vorfall ausdrücklich wegen der nicht identischen Nachnamen verneint. Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem, von der Beschwerde gerügten Gehörsverstoß beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Auf die weitere von der Beschwerde erhobene Gehörsrüge, die sich auf die mangelnde Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers bezüglich seines zur Fahndung ausgeschriebenen Bruders in der Türkei bezieht, kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an. Der Senat bemerkt allerdings, dass die Beschwerde mit dieser Rüge voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte, da das Berufungsgericht auf dieses Vorbringen des Klägers in den Urteilsgründen (UA S. 50) eingegangen ist.