Beschluss vom 25.03.2010 -
BVerwG 4 B 13.10ECLI:DE:BVerwG:2010:250310B4B13.10.0

Beschluss

BVerwG 4 B 13.10

  • OVG Rheinland-Pfalz - 02.12.2009 - AZ: OVG 1 A 10461/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. März 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Petz
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Klägerin und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 2. Dezember 2009 werden zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin und - als Gesamtschuldner - die Beigeladenen tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten im Beschwerdeverfahren je zur Hälfte und ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 975 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerden haben keinen Erfolg.

2 1. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.

3 a) Die Rüge der Klägerin, dass das Oberverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 10. Mai 1994 - BVerwG 9 C 501.93 - NVwZ 1994, 1115) zum zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff abgewichen sei, ist nicht schlüssig erhoben. Da der Revisionszulassungsgrund der Abweichung nur vorliegt, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712; stRspr), muss der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch Gegenüberstellung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze dargelegt werden. Hieran lässt es die Klägerin fehlen. Sie arbeitet aus dem angefochtenen Urteil keinen Rechtssatz heraus, der zu einem Rechtssatz aus der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Widerspruch steht. Vielmehr wirft sie dem Oberverwaltungsgericht vor, zu Unrecht angenommen zu haben, dass die Streitgegenstände im Vorprozess und in diesem Prozess identisch seien. Das Oberverwaltungsgericht habe verkannt, dass die Streitgegenstände deshalb verschieden seien, weil das Oberverwaltungsgericht in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren eine unbeschränkt erteilte Baugenehmigung aufgehoben habe, während in diesem Verfahren um eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung gestritten werde, die nach dem Antrag mit Nebenbestimmungen versehen werden solle. Widersetzt sich die Vorinstanz einem höchstrichterlichen Rechtssatz nicht, sondern wendet ihn - wie vorliegend unterstellt - lediglich fehlerhaft an, liegt eine Divergenz i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor.

4 b) Die als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage, ob Streitgegen-stand eines stattgebenden Anfechtungsurteils allein die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen, konkreten Verwaltungsakts ist und einem nachfolgenden Antrag auf Erlass eines davon abweichenden Verwaltungsakts die Rechtskraft der Vorentscheidung nicht entgegensteht, nötigt nicht zur Zulassung der Revision, weil sich, soweit vorliegend entscheidungserheblich, auf sie antworten lässt, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

5 Eine vom Vorhabenträger beantragte Genehmigung ist ein neuer Verwaltungsakt und damit auch bei (teil-)identischem Regelungsinhalt gegenüber einer Genehmigung, die im früheren Anfechtungsprozess eines Dritten aufgehoben worden ist, ein neuer Streitgegenstand. Dem Urteil im Vorprozess kommt Bindungswirkung freilich auch in den Fällen zu, in denen die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen zwischen denselben Beteiligten streitigen prozessualen Anspruch vorgreiflich ist (Urteil vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 4.01 - BVerwGE 115, 111 <115> m.w.N.). War - wie hier - Streitgegenstand einer Baunachbarklage die Behauptung, eine bauliche Anlage verletze den Kläger in nachbarschützenden Rechten, und wird die erteilte Baugenehmigung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtskräftig aufgehoben, hindert die materielle Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung die Behörde, bei unveränderter Sach- und Rechtslage eine Genehmigung zu erteilen, die den Nachbarn in gleicher Weise in seinen Rechten verletzt wie die aufgehobene Genehmigung (vgl. Urteil vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 <258>). Die im Erstprozess unterlegene Behörde darf den obsiegenden Kläger nicht erneut in eine Prozesssituation bringen, in der dieselben Sach- und Rechtsfragen zu beantworten sind (Beschluss vom 9. Februar 2000 - BVerwG 4 B 11.00 - BRS 63 Nr. 210). Die unterlegene Behörde hat zur Bewahrung des Rechtsfriedens die gegen sie ergangene gerichtliche Entscheidung loyal zu beachten (vgl. Urteil vom 5. November 1985 - BVerwG 6 C 22.84 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 18; Urteil vom 28. Juli 1989 - BVerwG 7 C 78.88 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 22). Das Oberverwaltungsgericht hat im Verfahren 1 A 10216/03 entschieden, dass die Windenergieanlage der Klägerin nicht in dem damals genehmigten Umfang, also ohne Reduzierung des Anlagenbetriebs bei Nacht, zu Lasten der Beigeladenen betrieben werden darf. Der Klägerin darf daher in diesem Verfahren keine Genehmigung erteilt werden, die es ihr trotz beantragter und beigefügter Nebenbestimmungen erlaubt, die Windenergieanlage in Zukunft wieder in dem ursprünglichen, nicht reduzierten Umfang zu betreiben und den Erfolg der Beigeladenen im Vorprozess zu unterlaufen. Das hat das Oberverwaltungsgericht richtig gesehen.

6 2. Auch die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde der Beigeladenen ist unbegründet.

7 a) Die Frage, ob eine im Flächennutzungsplan lediglich als Bestand vermerkte Windenergieanlage von der Ausschlusswirkung ausgenommen ist, wenn der Vermerk der nicht genehmigten Windenergieanlage lediglich und ausschließlich deshalb erfolgt ist, weil sie errichtet ist, würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen und führt schon deshalb nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Nach den tatrichterlichen Feststellungen, an die der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, bleibt die umstrittene Windenergieanlage nicht deshalb von der Ausschlusswirkung des maßgeblichen Flächennutzungsplans ausgenommen, weil sie - gleichsam nachrichtlich - als in der Ausschlusszone vorhandener Bestand gekennzeichnet ist, sondern weil ihre Zulässigkeit in der Ausschlusszone dem planerischen Willen des Planungsträgers entspricht. Die Beigeladenen sehen dies anders. Indem sie vortragen, die neuerliche Genehmigung entspreche nicht der im Flächennutzungsplan zum Ausdruck kommenden Planung, stellen sie der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung ihre eigene, davon abweichende Sachverhaltswürdigung entgegen. Die grundsätzliche Bedeutung der Sache zeigen sie damit nicht auf.

8 b) Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen des gerügten Verfahrensfehlers der unzulänglichen Erforschung des Sachverhalts zuzulassen. Die Beigeladenen legen einen Verstoß des Oberverwaltungsgerichts gegen § 86 Abs. 1 VwGO nicht schlüssig dar.

9 Die Beigeladenen werfen dem Oberverwaltungsgericht vor, auf die sich aufdrängende Einholung eines weiteren Gutachtens verzichtet zu haben. Während die Fa. E. in ihrem Schreiben vom 11. August 2006 erklärt habe, bei einer Drehzahl des Rotors von 32,5 Upm leisteten Windenergieanlagen des Typs 40 760 maximal 200 kW, habe der Sachverständige Dr. R. bei Fernüber-wachungen der diesem Typ angehörenden Windenergieanlage der Klägerin am 15. Oktober 2000 und 20. Dezember 2004 bei einer Rotordrehzahl von 32,5 Upm Leistungswerte zwischen 241 und 295 kW festgestellt. Ohne weitere Begutachtung durch einen Sachverständigen hätte sich das Oberverwaltungsgericht nicht die Angaben der Fa. E. zu Eigen machen dürfen.

10 Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das (unterstellte) Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte führen können (Beschluss vom 19. August 1987 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328; stRspr). Die Beigeladenen machen der Sache nach geltend, ein zusätzliches Gutachten hätte bestätigt, dass bei einer Rotordrehzahl von 32,5 Upm nicht nur eine maximale Leistung von 200 kW, sondern eine höhere Leistung erzielt werden könne. Sie machen aber nicht geltend, dass deshalb der Befund des Oberverwaltungsgerichts unzutreffend wäre, bei einer Reduzierung der maximalen mittleren Rotordrehzahl auf 32,5 Upm und der damit verbundenen Reduzierung des Schallleistungspegels um 4 dB(A) könne der nach der TA Lärm für die Nachtzeit geltende Immissionsrichtwert von 45 dB(A) eingehalten werden (UA S. 17). Die Behauptung, die Höhe der von Windenergieanlagen ausgehenden Lärmimmissionen hinge von der jeweils erbrachten Anlagenleistung ab, wäre auch nicht plausibel; denn nach der schriftlichen Stellungnahme der Fa. E. bestimmt die Drehzahl der Rotoren (und nicht die bei gleicher Drehzahl offenbar schwankende mittlere Anlagenleistung) den Schallleistungspegel. Das leuchtet unmittelbar ein.

11 Nicht mit der Verfahrensrüge gerügt werden kann, dass es das Oberverwaltungsgericht nicht für geboten erachtet haben soll, bei der Ermittlung der von der Windenergieanlage ausgehenden Geräuschimmissionen Zuschläge für Impulshaltigkeit zu vergeben. Der Verzicht darauf könnte, wenn überhaupt (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209), nur einen materiellrechtlichen Fehler bedeuten. Im Übrigen spricht nichts dafür, dass der Vorwurf der Beigeladenen berechtigt ist. Das Oberverwaltungsgericht hat eine Reduzierung des Schallleistungspegels um 4 dB(A) für notwendig, aber auch ausreichend gehalten, weil es von den Feststellungen des Sachverständigen Dr. R. ausgegangen ist, dass in allen gemessenen Fällen die Spannen des Beurteilungspegels selbst im Nennlastbetrieb der Anlage bis höchstens 49 dB(A) reichen (UA S. 17). Dr. R. hat aber, wie die Beigeladenen betonen, Zuschläge für Impulshaltigkeit vergeben.

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.