Urteil vom 24.11.2011 -
BVerwG 2 C 52.10ECLI:DE:BVerwG:2011:241111U2C52.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 24.11.2011 - 2 C 52.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:241111U2C52.10.0]

Urteil

BVerwG 2 C 52.10

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 07.09.2010 - AZ: OVG 6 A 2077/08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. November 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. von der Weiden
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. September 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens, mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe

I

1 Die Klägerin begehrt die Feststellung, weiterhin Beamtin des beklagten Landes zu sein.

2 Mit Wirkung vom 1. Januar 2008 wurden durch das Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: EingliederungsG), das als Artikel 1 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 2007 (GV. NRW 2007, 482) erlassen worden ist, die 11 nordrhein-westfälischen Versorgungsämter aufgelöst und ihre Aufgaben auf 31 Kreise, 23 kreisfreie Städte, die beiden Landschaftsverbände und die 5 Bezirksregierungen übertragen. Die in den Versorgungsämtern tätigen Beamten sollten zu diesem Zeitpunkt auf der Grundlage dieses Gesetzes und eines vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu erstellenden Zuordnungsplans in den Dienst einer kommunalen Körperschaft treten oder im Landesamt für Personaleinsatzmanagement verwendet werden. § 9 EingliederungsG lautet:
„(1) Die mit Aufgaben nach §§ 2 bis 5 und nach § 8 Abs. 2 betrauten Beamten der Versorgungsämter gehen kraft Gesetzes nach Maßgabe der Absätze 3 und 4 und der §§ 11 bis 21 mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die dort genannten kommunalen Körperschaften über. Die mit Aufgaben nach §§ 6 und 8 Abs. 1 betrauten Beamten der Versorgungsämter gehen kraft Gesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 2008 nach Maßgabe des Absatzes 3 und des § 13 Abs. 4 auf die Bezirksregierung Münster über. Die mit Aufgaben nach § 7 betrauten Beamten der Versorgungsämter gehen kraft Gesetzes nach Maßgabe des Absatzes 3 und der §§ 11 bis 21 mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die Bezirksregierungen über. Beamte der Versorgungsämter, die nicht unmittelbar mit Aufgaben nach §§ 2 bis 8 betraut sind, gehen kraft Gesetzes nach Maßgabe der Absätze 3 und 4 mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die neuen Aufgabenträger über.
(2) Die Beamten der Versorgungsämter, die nicht von den Personalüberleitungsverträgen nach Absatz 4 erfasst sind und nicht nach Absatz 1 auf die Bezirksregierungen übergehen, gehen kraft Gesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 2008 in das Landesamt für Personaleinsatzmanagement über.
(3) Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales bereitet den Personalübergang nach den Absätzen 1 und 2 vor der Übertragung der Aufgaben auf der Grundlage eines von ihm erstellten Zuordnungsplans vor. Der Zuordnungsplan ist unter Berücksichtigung sozialer Kriterien und dienstlicher Belange zu erstellen; eine angemessene Mitwirkung der neuen Aufgabenträger ist zu gewährleisten.
(4) Soweit die Beamten auf kommunale Körperschaften übergehen, werden zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, und den in §§ 11 bis 21 genannten Körperschaften für jedes Versorgungsamt Personalüberleitungsverträge geschlossen.“

3 Im November 2007 übersandte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales den Versorgungsämtern den „endgültigen Zuordnungsplan“. Daraufhin informierten die Versorgungsämter ihre Beamten darüber, bei welcher Körperschaft sie ab Januar 2008 ihren Dienst leisten sollten. Als neuer Dienstherr der Klägerin war der Beigeladene vorgesehen.

4 Die Klägerin, die vom beklagten Land während des Rechtsstreits an den Beigeladenen abgeordnet worden war und zum 28. Februar 2009 in den Ruhestand versetzt worden ist, ist mit ihrem Klagebegehren auf Feststellung, dass sie weiterhin in einem Beamtenverhältnis zum beklagten Land steht, in beiden Instanzen erfolgreich gewesen. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass die beabsichtigte Überleitung nicht eingetreten sei. Das Eingliederungsgesetz lege nicht selbst fest, welche bei den Versorgungsämtern tätigen Beamten beim Land verbleiben und welche Beamten zu welcher Körperschaft übergehen sollten. Auch bei einer Gesamtbetrachtung von Gesetz und Zuordnungsplan sei die Überleitung nicht herbeigeführt worden. Dem Gesetz könne im Wege der Auslegung nicht entnommen werden, dass dem Zuordnungsplan diese Rechtsfolge zukommen solle. Diese Auslegung sei im Übrigen auch verfassungsrechtlich geboten.

5 Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten Landes, mit der es beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. September 2010 sowie des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 30. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

II

7 Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen revisibles Recht entschieden, dass die Klägerin am 1. Januar 2008 nicht Beamtin des Beigeladenen geworden, sondern Beamtin des beklagten Landes geblieben ist. Das Eingliederungsgesetz ist nicht geeignet gewesen, einen Dienstherrnwechsel herbeizuführen. Dies ergibt die Auslegung nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte.

8 Gemäß § 9 Abs. 1 EingliederungsG gehen die Beamten der Versorgungsverwaltung zwar kraft Gesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die neuen Aufgabenträger über, allerdings nach Maßgabe der Absätze 3 und 4. Nach § 9 Abs. 3 bereitet das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales den Personalübergang auf der Grundlage eines von ihm erstellten Zuordnungsplans vor.

9 Dem Ministerium obliegt nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 EingliederungsG eine vorbereitende Aufgabe, die ihrerseits auf der Grundlage des zuvor von ihm erstellten Zuordnungsplans zu erfolgen hat. Das bedeutet zwingend, dass das Eingliederungsgesetz die in seinem § 9 Abs. 1 gewollte gesetzliche Überleitung nicht an den Zuordnungsplan oder an dort getroffene Festlegungen knüpft, sondern gemäß seinem § 9 Abs. 3 an einen weiteren ministeriellen Akt, der auf der Grundlage des Zuordnungsplans zu ergehen hat. Worin dieser ministerielle Akt bestehen soll, der dann die gesetzliche Überleitung auslösen würde, wird im Eingliederungsgesetz nicht geregelt und erschließt sich auch nicht auf andere Weise.

10 Auch die Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte führt nicht zu einem anderen Ergebnis.

11 Ziel des § 9 EingliederungsG war, die ordnungsgemäße Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben durch die kommunalen Körperschaften ohne zeitliche Verzögerung sicherzustellen. Das sollte durch die Überleitung der mit den Aufgaben bislang betrauten Beamten erreicht werden. Dieses Ziel besagt aber nichts über den dabei einzuschlagenden Weg. Die erforderlichen Dienstherrnwechsel hätten auch auf gesetzlicher Grundlage durch Verwaltungsakt angeordnet werden können (vgl. §§ 128 ff. BRRG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG). Diese Vorgehensweise ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil die rechtsstaatlich gebotenen Verfahrensrechte der betroffenen Beamten hätten beachtet und deren schutzwürdige Belange in die Entscheidungsfindung im Einzelfall hätten einfließen können. In den Fällen der Anfechtung von Verwaltungsakten hätte die Wahrnehmung der versorgungsrechtlichen Aufgaben bei dem neuen Dienstherrn durch Abordnungen sichergestellt werden können, wie dies auch geschehen ist.

12 Das Eingliederungsgesetz enthält auch deshalb keine gesetzliche Überleitung, weil wesentliche im Zusammenhang mit einer solchen Überleitung zu regelnde Fragen nicht normiert sind. Das betrifft insbesondere die Frage, wann die Verbindlichkeit der Zuordnungspläne im Sinne ihrer „Endgültigkeit“ eintritt, also ab wann die Zuordnungspläne nicht mehr vom Ministerium geändert werden konnten, so dass danach abweichende Regelungen nur über die Maßnahmen Versetzung und Abordnung durch den neuen Dienstherrn zu treffen wären.

13 In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts des Eingliederungsgesetzes führen die Gesetzesmaterialien nicht zu einem anderen Ergebnis. Zwar hat der Gesetzgeber im parlamentarischen Verfahren seinen Willen zum Ausdruck gebracht, dass die Überleitung kraft Gesetzes erfolgen soll. So wurde in § 9 Abs. 1 EingliederungsG mehrfach die Formulierung „kraft Gesetzes“ eingefügt. Diese Änderung erfolgte ausweislich des Berichts des zuständigen Ausschusses (LTDrucks 14/5208 S. 35), „um keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass es sich um eine gesetzliche Personalüberleitung handelt. Die Beamten der Versorgungsämter werden unmittelbar kraft Gesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die neuen Aufgabenträger übergeleitet. Personalrechtlicher Einzelmaßnahmen bedarf es daher nicht mehr.“ Auch in der Begründung zur Änderung des § 9 Abs. 3 (LTDrucks a.a.O.) heißt es: „§ 9 Abs. 3 enthält Rahmenregelungen für das Verfahren und die Kriterien der Personalauswahl. Aus dem vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales vor der Übertragung der jeweiligen Aufgabe erstellten Zuordnungsplan geht hervor, welche Beamten zu welchen neuen Aufgabenträgern und in das Landesamt für Personaleinsatzmanagement übergeleitet werden.“

14 Allerdings hat dieser Wille keinen Niederschlag im Gesetz gefunden und ist deshalb unbeachtlich. Zum einen lässt, wie dargelegt, § 9 Abs. 3 EingliederungsG auch in der Gesetz gewordenen Fassung nur den Schluss zu, dass zum Zuordnungsplan noch etwas hinzukommen muss, um die Überleitung kraft Gesetzes auszulösen, ohne dass das Eingliederungsgesetz dieses „etwas“ regelt. Und zum anderen wird die erforderliche Eindeutigkeit auch nicht mit Hilfe anderer Bestimmungen des Eingliederungsgesetzes - also ohne Rückgriff auf den Zuordnungsplan - hergestellt.

15 In den §§ 11 bis 21 EingliederungsG finden sich zwar Konkretisierungen hinsichtlich der Überleitung. Diese Konkretisierungen gehen aber nicht so weit, dass mit ihrer Hilfe für die jeweiligen Beamten der Versorgungsämter das Ob und Wohin der Überleitung bestimmbar wäre. Dies ergibt sich für einen Teil dieser Beamten aus den einschränkenden Formulierungen „soweit es für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist“ und „anteilig“ (jeweils in Absatz 1) bzw. „soweit es für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist“ (jeweils in Absatz 2). Für alle Beamten ergibt sich dies aus § 9 Abs. 3 EingliederungsG, weil die Überleitung „nach Maßgabe des Absatzes 3“ (§ 9 Abs. 1 EingliederungsG) erfolgt. Damit überlässt es der Gesetzgeber dem Ministerium, die konkrete Auswahl zu treffen, welcher Beamte übergeleitet wird und welcher Beamte - unter Berücksichtigung sozialer Kriterien und dienstlicher Belange - beim Land verbleibt. Dementsprechend wurde auch bei der Anwendung des Gesetzes verfahren.

16 Nach alledem bedarf es keiner Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Überleitungsregelungen des Eingliederungsgesetzes, so dass sich schon deshalb die Frage einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nicht stellt. Allerdings unterläge ein Regelungsmodell, das den Dienstherrnwechsel an einen verwaltungsinternen, nicht auf unmittelbare Rechtswirkungen im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG gerichteten Plan knüpft, wegen der damit verbundenen Verkürzung der Verfahrensrechte der betroffenen Beamten und deren Recht auf effektiven Rechtsschutz schwerwiegenden Bedenken.

17 Es kann auch dahingestellt bleiben, ob dem Land die Gesetzgebungskompetenz für den sogenannten landesinternen Dienstherrnwechsel und damit für den Erlass der Überleitungsregelungen des Eingliederungsgesetzes zustand. Dies hängt vom Bedeutungsgehalt des Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG ab, der durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) mit Wirkung vom 1. September 2006 eingeführt wurde. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes auf die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder (und der anderen dienstherrnfähigen Körperschaften) mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung. Dieser Wortlaut deutet darauf hin, dass statusändernde Maßnahmen, zu denen der Dienstherrnwechsel gehört, erfasst werden. Andererseits entspricht dies wohl nicht den Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers, der die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf grundlegende Statusangelegenheiten beschränken wollte (vgl. BTDrucks 16/813 S. 14; Bericht der Föderalismuskommission, in: Bundestag/Bundesrat, Dokumentation der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, 2005, S. 210 ff.).

18 Schließlich bedarf es auch keiner Anrufung des Gemeinsamen Senats im Hinblick auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Juli 2010 - 10 AZR 182/09 - (AP GG Art. 12 Nr. 143) zur Überleitung der nordrhein-westfälischen Tarifbeschäftigten. Denn in diesem Urteil wurden andere Normen zugrunde gelegt als die für die Überleitung von Beamten maßgeblichen (insbesondere § 10 EingliederungsG statt § 9 EingliederungsG). Außerdem sieht das Eingliederungsgesetz für Tarifbeschäftigte keinen Arbeitgeberwechsel, sondern lediglich eine Personalgestellung durch das Land vor.

19 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene trägt etwaige außergerichtliche Kosten selbst, weil er keinen Antrag gestellt und sich deshalb keinem Kostenrisiko gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), so dass auch eine Kostenerstattung aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht kommt (§ 162 Abs. 3 VwGO).