Beschluss vom 24.11.2009 -
BVerwG 1 WB 52.09ECLI:DE:BVerwG:2009:241109B1WB52.09.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.11.2009 - 1 WB 52.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:241109B1WB52.09.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 52.09

In dem Wehrbeschwerdeverfahren
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Falkenberg und
die ehrenamtliche Richterin Oberfeldwebel Hemke
am 24. November 2009 beschlossen:

  1. Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 24. Juli 2009 wird aufgehoben.
  2. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung.

2 Der 1980 geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit, dessen auf zwölf Jahre festgesetzte Dienstzeit mit Ablauf des ... 2014 enden wird. Zum Feldwebel wurde er am ... 2007 ernannt. Seit dem ... 2005 war der Antragsteller bei der 4./... in F. als Unteroffizier/Maat ... eingesetzt. Zum ... 2006 wurde er zur 3./... versetzt; dort wird er seit dem ... 2007 auf dem Dienstposten Feldwebel/Bootsmann ... verwendet. Vom ... Juni bis zum ... November 2009 befand er sich im Auslandseinsatz in Afghanistan. Aufgrund der Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung wurde der Antragsteller von seinem bisherigen sicherheitsempfindlichen Aufgabenbereich entbunden und auf einer nicht sicherheitsempfindlichen Stelle eingesetzt. Er wurde jedoch nicht vorzeitig aus der Auslandsverwendung abgelöst.

3 Für den Antragsteller war am 25. März 2004 und zuletzt am 28. August 2008 eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) ohne Einschränkungen abgeschlossen worden.

4 Das Truppendienstgericht Süd - Vorsitzender der 3. Kammer - verhängte gegen den Antragsteller mit Disziplinargerichtsbescheid vom 14. Oktober 2008 (Az.: S 3 VL 24/08) wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwölf Monaten. In der Entscheidung wurde festgestellt, dass der Antragsteller von Februar bis Mai 2006 eine intime Beziehung zur Ehefrau eines Stabsunteroffiziers des gleichen Verbandes unterhalten habe, obwohl er gewusst habe oder zumindest habe wissen können und müssen, dass dieser an dem Fortbestand seiner Ehe festhielt. Der Disziplinargerichtsbescheid ist seit dem 28. Oktober 2008 rechtskräftig.

5 Nachdem der zuständige Sicherheitsbeauftragte diese Entscheidung in einem Nachbericht gemeldet hatte, befragte der Militärische Abschirmdienst den Antragsteller dazu im Einzelnen. Der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 6. Mai 2009 zu den ermittelten sicherheitserheblichen Erkenntnissen an.

6 In seiner Stellungnahme vom 21. Mai 2009 erklärte der Antragsteller unter anderem, in seinem ersten Auslandseinsatz von Mai bis August 2003 im SFOR-Kontingent, während seiner Verwendung als Auswerter in der Aufklärungszentrale seines Bataillons und in seinem Auslandseinsatz von Juni bis Oktober 2005 im Rahmen des ISAF-Mandats habe er Zugang zu sicherheitsempfindlichen Informationen gehabt. Er werde seit Oktober 2007 als Auswerter und - vertretungsweise - als Leiter der Aufklärung in der Einsatzmeldestelle seines Bataillons verwendet; er habe dabei täglich mit Dokumenten und Meldungen der unterschiedlichsten Geheimhaltungsstufen umzugehen. Nach Bekanntwerden seines Dienstvergehens und nach den Ermittlungen seines Kompaniechefs genieße er als Geheimnisträger weiterhin das uneingeschränkte Vertrauen seiner Vorgesetzten. Seine Teilnahme an der multinationalen Übung des EURO-Korps COMMON EFFORT 08 im November 2008 in Frankreich sowie seine geplante Entsendung in das 17. Deutsche Einsatzkontingent ISAF bestätigten das in ihn gesetzte Vertrauen. Sein disziplinarrechtlich geahndetes Fehlverhalten verurteile er nach wie vor als falsch und moralisch verwerflich. Für ihn habe aber im Vordergrund gestanden, der Ehefrau seines Kameraden eine Rückzugsmöglichkeit zu bieten, weil deren Ehe ihm seinerzeit als krisengeschüttelt erschienen sei. Ein Gespräch zwischen ihm selbst und dem betroffenen Kameraden habe inzwischen zur Rückkehr der gewohnten Normen des Dienstalltags geführt. Schon sein volles Schuldgeständnis im Rahmen seiner Vernehmungen durch den Disziplinarvorgesetzten verdeutliche, dass er sein Verhalten zutiefst bereue und durchaus eine gefestigte Rechtsauffassung habe. Allerdings indiziere dieses Fehlverhalten nicht automatisch seine fehlende Befähigung im Umgang mit eingestuftem Material und sicherheitsempfindlichen Daten. Er sei inzwischen (seit dem 2. Mai 2008) glücklich verheiratet; die Geburt seines ersten Kindes habe zur Verstetigung seines fortlaufenden Reifeprozesses geführt.

7 Mit seinem Begründungsschreiben vom 24. Juli 2009 teilte der Geheimschutzbeauftragte dem Antragsteller mit, dass auch angesichts dieser Stellungnahme und der vorgelegten Unterlagen seine Sicherheitsüberprüfung mit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos abzuschließen sei. Das Dienstvergehen begründe Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Sein Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht wiege schwer und schädige nachhaltig sein Ansehen und seine Autorität. Mit seinem egoistischen Verhalten habe er sein privates Interesse vor das der Allgemeinheit gestellt und gegen die Dienstpflichten aus § 12 Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 SG verstoßen. Im Abschnitt IV seines Schreibens (zur Prognose) führte der Geheimschutzbeauftragte unter anderem aus, vor dem Hintergrund der Pflichtverletzungen des Antragstellers bestehe Anlass abzuwarten, wie dieser sich in nächster Zeit verhalte. Es bedürfe noch eines längeren Zeitraums, in welchem er belegen könne, dass er seinen Verpflichtungen zur Wahrung auch überwiegenden Interesses nachkomme.

8 Mit Bescheid vom 24. Juli 2009, dem Antragsteller am 11. August 2009 eröffnet, stellte der Geheimschutzbeauftragte fest, dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (A 3/Ü 3) Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Die Entscheidung schließe auch einen Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach Ü 1/Ü 2 aus. Einer Wiederholungsüberprüfung werde ab Juli 2011 zugestimmt.

9 Gegen diesen Bescheid beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 13. August 2009 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Verfahren BVerwG 1 WDS-VR 6.09 ) und zugleich die gerichtliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Diese Anträge hat der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 9. September 2009 dem Senat vorgelegt.

10 Zur Begründung seines Anfechtungsantrags trägt der Antragsteller ergänzend insbesondere vor:
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos sehe er als ungerechtfertigt und unangemessen an. Der Vorfall liege mehr als drei Jahre zurück. Seitdem habe er sich nie wieder etwas zuschulden kommen lassen; er sehe sich als pflichtbewussten und charakterlich gefestigten Portepeeunteroffizier. Diese Auffassung werde von seinem Kompaniechef und seinem Kommandeur geteilt. Er werde nach Abschluss seines Feldwebellehrgangs im Oktober 2007 weiterhin im ... Fachauftrag in der Einsatz- und Meldezelle, dem Herzstück des Bataillons, eingesetzt. Die Einsatz- und Meldezelle bilde die Schnittstelle zwischen den im Einsatz befindlichen Kräften (hier Afghanistan) und den übergeordneten Dienststellen; während dieser Verwendung habe er täglich Umgang mit Dokumenten bis zum Geheimhaltungsgrad VS-Geheim sowie mit äquivalenten Schriftstücken verbündeter Streitkräfte gehabt. Seine Aufgaben habe er stets zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erledigt und das in ihn gesetzte Vertrauen bestätigt. Die Verkürzung der Fünfjahresfrist auf zwei Jahre sei unzureichend. Er befinde sich in einer völlig veränderten familiären Situation. Ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung und ein Sicherheitsrisiko seien bei ihm nicht festzustellen.

11 Der Antragsteller beantragt,
den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 24. Juli 2009
aufzuheben.

12 Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

13 Der Geheimschutzbeauftragte sei im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums rechts- und ermessensfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Fehlverhalten des Antragstellers sicherheitserhebliche Zweifel an seiner Zuverlässigkeit offenbare. Der Antragsteller habe sein Individualinteresse über das Interesse der Allgemeinheit an einer ungeschmälerten Einsatz- und Funktionsfähigkeit der Truppe gestellt. Verheiratete Soldaten müssten sich bei unvermeidlichen dienstlich bedingten Abwesenheiten, insbesondere bei Auslandseinsätzen, darauf verlassen können, dass ihre Ehe von den Kameraden respektiert werde. Bestehe diese Grundlage nicht, könnten die so betroffenen Soldatinnen und Soldaten ihre Aufgaben nicht mit voller Konzentration erfüllen. Das festgestellte Dienstvergehen belege, dass sich der Antragsteller über die Rechtsordnung hinweggesetzt habe. Aufgrund des in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens sei anzunehmen, dass er keine Gewähr dafür biete, in Zukunft allen Anfechtungen zu widerstehen und sich strikt an Vorschriften zu halten.

14 Mit Beschluss vom 13. November 2009 - BVerwG 1 WDS-VR 6.09 - hat der Senat die aufschiebende Wirkung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung vom 13. August 2009 gegen den angefochtenen Bescheid des Geheimschutzbeauftragten angeordnet.

15 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verfahrensakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 896/09 - und die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen. Der Senat hat außerdem die Gerichtsakte BVerwG 1 WDS-VR 6.09  beigezogen.

II

16 Der Antrag ist zulässig und begründet.

17 Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 24. Juli 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.

18 Das hat der Senat im Beschluss vom 13. November 2009 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (BVerwG 1 WDS-VR 6.09 ) im Einzelnen dargelegt. Maßgeblich für diese Entscheidung war, dass die angefochtene Feststellung des Geheimschutzbeauftragten nicht die erforderliche rechtsfehlerfreie Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Verhältnisse enthält.

19 Die Prognose in Abschnitt IV des Begründungsschreibens des Geheimschutzbeauftragten vom 24. Juli 2009 erfüllt nicht die Anforderungen an eine inhaltlich fundierte prognostische Einschätzung im Hinblick auf das hier relevante Tatbestandsmerkmal der Zuverlässigkeit „bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit“ im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG. Insbesondere lassen die Ausführungen in Abschnitt IV gänzlich außer Acht, dass der Antragsteller nach seinem unbestritten gebliebenen Vorbringen trotz Bekanntwerden seiner Dienstpflichtverletzung bis August 2009 weiterhin in sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten verwendet worden ist. Diese Weiterverwendung hat der Bundesminister der Verteidigung in seiner Vorlage an den Senat bestätigt. Weder die Einleitungsverfügung des Befehlshabers des Streitkräfteunterstützungskommandos vom 14. April 2008 noch die Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Streitkräfteunterstützungskommandos vom 18. September 2008 haben den Disziplinarvorgesetzten Veranlassung gegeben, den Antragsteller sofort aus seinen sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten herauszulösen. Vielmehr hat der Antragsteller bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten - auch noch in seinem kürzlich abgeschlossenen Auslandseinsatz in Afghanistan - persönlich und fachlich unbeanstandet weiterhin uneingeschränkten Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Verschlusssachen gehabt. Diese Tatsache hätte in besonderer Weise Anlass für den Geheimschutzbeauftragten sein müssen, im Rahmen der Prognose die Persönlichkeitsentwicklung des Antragstellers für die absehbare Zukunft eingehender zu würdigen und sie zu dem Regelungsgegenstand des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG („Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit“) konkret in Beziehung zu setzen.

20 Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Hauptsacheverfahren hält der Senat an seiner Beurteilung der angefochtenen Entscheidung fest. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung des genannten Beschlusses vom 13. November 2009 Bezug genommen.

21 Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten vom 24. Juli 2009 ist deshalb aufzuheben mit der Folge, dass der Bescheid des Amtes für den Militärischen Abschirmdienst vom 28. August 2008 weiter gilt.

22 Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.