Beschluss vom 24.09.2012 -
BVerwG 1 WNB 1.12ECLI:DE:BVerwG:2012:240912B1WNB1.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.09.2012 - 1 WNB 1.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:240912B1WNB1.12.0]

Beschluss

BVerwG 1 WNB 1.12

In dem Wehrbeschwerdeverfahren
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 24. September 2012 beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Süd vom 27. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Abweichungen von Entscheidungen des Senats (§ 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO) und Verfahrensmängel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO) liegen nicht vor.

2 1. Nach ständiger Rechtsprechung der Revisionssenate des Bundesverwaltungsgerichts setzt die gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Bezeichnung des Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in einer genau bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (vgl. z.B. Beschlüsse vom 20. November 2007 - BVerwG 7 BN 4.07 - juris Rn. 9, vom 28. August 2009 - BVerwG 8 B 42.09 - juris Rn. 9 und vom 4. September 2009 - BVerwG 7 B 8.09 - juris Rn. 15 f., jeweils m.w.N.). Diese Anforderungen gelten entsprechend für die Vorschriften über die Divergenzrüge in § 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO und § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO (Beschlüsse vom 6. Januar 2010 - BVerwG 1 WNB 7.09 - Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 3 = NZWehrr 2010, 160 und vom 26. Oktober 2010 - BVerwG 1 WNB 4.10 -).

3 a) Der Antragsteller behauptet, das Truppendienstgericht sei von dem Rechtssatz in dem Beschluss des Senats vom 27. Januar 2000 - BVerwG 1 WB 62.99 - (Buchholz 236.11 § 1a SLV Nr. 8 = NZWehrr 2000, 160) abgewichen, wonach die Stellungnahme eines höheren Vorgesetzten zu einer Beurteilung eine selbständig anfechtbare Maßnahme im Sinne der Wehrbeschwerdeordnung darstellt (Schriftsatz vom 5. Januar 2012 unter B.I.1.).

4 Das Truppendienstgericht ist jedoch von diesem Rechtssatz nicht abgewichen, sondern hat ihn vielmehr seiner Entscheidung zugrundegelegt. Es hat sogar ausdrücklich ausgeführt, dass die Beschwerde gegen die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten grundsätzlich isoliert zulässig sei (Beschlussausfertigung <BA> S. 5 Abs. 1) und die eigentliche Beurteilung sowie die dazu ergangene Stellungnahme des höheren Vorgesetzten zwei rechtlich selbstständige Maßnahmen seien, die unabhängig voneinander dem zu Beurteilenden eröffnet würden und daher jeweils einer gesonderten Anfechtung durch die Beschwerde unterlägen (BA S. 5 Abs. 1). Das Truppendienstgericht hat deshalb zutreffend die Einhaltung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Beurteilung (BA S. 4 unten) und die Einhaltung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten (BA S. 5 oben) jeweils unabhängig voneinander und selbstständig geprüft.

5 b) Der Antragsteller macht weiter geltend, das Truppendienstgericht sei von den vom Senat für (gemeint wohl: die Auslegung von) Willenserklärungen geforderten allgemeinen Erfahrungssätzen, Denkgesetzen und Auslegungsgrundsätzen abgewichen. Der Senat habe hierzu in dem Beschluss vom 22. Januar 2003 - BVerwG 1 WB 53.02 - (Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 49 = NZWehrr 2004, 161) ausgeführt:
„Dabei sind die für empfangsbedürftige Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Für die Auslegung ist neben dem Wortlaut der Erklärung deren Sinn und Zweck maßgebend. Entscheidend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung selbst und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird.“

6 Der Antragsteller setzt dem keinen abstrakten Rechtssatz der Entscheidung des Truppendienstgerichts entgegen, der im Widerspruch zu diesen Ausführungen steht, sondern rügt nur die Rechtsanwendung im Einzelfall. Das reicht für die Darlegung einer Divergenz nicht aus.

7 Soweit sich die Beschwerde gegen die Auffassung des Truppendienstgerichts wendet, dass mit der Abgabe einer Gegenvorstellung (statt einer Beschwerde) die Beschwerdefrist nicht gewahrt werden könne, ist nicht ersichtlich, inwiefern durch diese abstrakte - und als solche vom Antragsteller auch nicht bestrittene - Aussage allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze und Auslegungsgrundsätze für empfangsbedürftige Willenserklärungen verletzt sein sollten.

8 Soweit der Antragsteller geltend machen will, das Truppendienstgericht hätte das Schreiben vom 5. Juli 2010 nicht als Gegenvorstellung (Kap. 10 der ZDv 20/6) bewerten dürfen, sondern als Beschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung (Kap. 11 der ZDv 20/6) auslegen müssen, liegt eine Abweichung des Truppendienstgerichts von der zitierten Entscheidung des Senats nicht vor. Denn das Truppendienstgericht befasst sich ausführlich und unter Heranziehung der allgemein geltenden Interpretationsgrundsätze mit der Auslegung des Schreibens vom 5. Juli 2010 (vgl. BA S. 6 und S. 7 oben). Es stützt sein Ergebnis, dass das Schreiben als Gegenvorstellung zu qualifizieren sei, auf die Bezeichnung des Schreibens durch den Antragsteller selbst, auf dessen Text und auf den Kontext, in dem es erstellt wurde. Das Truppendienstgericht verweist weiter darauf, dass der Antragsteller seit Januar 2008 wiederholt gegen dienstliche Beurteilungen Beschwerden eingelegt und Gegenvorstellungen erhoben habe, sodass ihm der Unterschied zwischen beiden Instrumenten geläufig sei, wobei er auf diesen Unterschied auch bereits in gerichtlichen Verfahren hingewiesen worden sei. Das Truppendienstgericht hat damit bei der Auslegung des Schreibens vom 5. Juli 2010 keinen von der Entscheidung des Senats abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Soweit der Antragsteller meint, das Truppendienstgericht hätte zu einem anderen Auslegungsergebnis gelangen sollen, betrifft dies die Rechtsanwendung im Einzelfall, deren (behauptete) Fehlerhaftigkeit nicht mit der Divergenzrüge geltend gemacht werden kann.

9 2. Auch die behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

10 a) Der Antragsteller macht geltend, das Truppendienstgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 23a Abs. 2 WBO), die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 18 Abs. 2 Satz 1 WBO) und die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 23a Abs. 2 WBO) verstoßen, indem es auf Seite 4 der Beschlussausfertigung (unter II.2.a.) angenommen habe, dass ihm, dem Antragsteller, die strittige dienstliche Beurteilung (Neufassung der Beurteilung vom 8. August 2008) am 26. Januar 2010 eröffnet worden und demzufolge die Frist zur Einlegung der Beschwerde am 26. Februar 2010 abgelaufen sei. Richtigerweise hätte das Truppendienstgericht seiner rechtlichen Würdigung zugrunde legen müssen, dass die Stellungnahme des Regimentskommandeurs ihm, dem Antragsteller, nach Nr. 9.2 der Neufassung der Beurteilung vom 8. August 2008 erst am 8. Oktober 2010 eröffnet worden sei, wozu die Neufassung der Beurteilung zum Beweis angeboten werde (Schriftsatz vom 5. Januar 2012 unter B.II.1.).

11 Dieser Vortrag ist bereits in sich nicht schlüssig, sodass sich ein näheres Eingehen auf die als verletzt gerügten Verfahrensvorschriften erübrigt. Die von dem Antragsteller beanstandete Passage aus dem Beschluss des Truppendienstgerichts bezieht sich auf die Eröffnung der strittigen Beurteilung (Neufassung der Beurteilung vom 8. August 2008). Diese erfolgte, wie vom Truppendienstgericht angenommen, am 26. Januar 2010, was der Antragsteller mit seiner Unterschrift auf dem in der Personalgrundakte befindlichen Original der Beurteilung (nach Nr. 7.2 des Vordrucks) bestätigt hat. Die Verfahrensrüge des Antragstellers bezieht sich dagegen auf die Stellungnahme des Regimentskommandeurs, also die von der Beurteilung zu unterscheidende Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten; hiermit können die Feststellungen des Truppendienstgerichts zum Zeitpunkt der Eröffnung der Beurteilung nicht in Frage gestellt werden. Im Übrigen ergibt sich aus dem in der Personalgrundakte befindlichen Original kein Hinweis auf eine Eröffnung der Stellungnahme des Regimentskommandeurs am 8. Oktober 2010; vielmehr findet sich nach Nr. 9.2 des Vordrucks lediglich ein handschriftlicher Vermerk des Dezernatsleiters, dass die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten dem Antragsteller am 23. Juni 2012 eröffnet worden sei und dieser nicht unterschrieben habe.

12 b) Nicht durchdringen kann der Antragsteller schließlich mit der weiteren Gehörsrüge (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 23a Abs. 2 WBO), das Truppendienstgericht habe seine Erklärung in der Untätigkeitsbeschwerde vom 27. Januar 2011 überhaupt nicht zur Kenntnis genommen bzw. sprachlich falsch verstanden (Schriftsatz vom 5. Januar 2012 unter B.II.2.). Er habe darin deutlich und erkennbar u.a. zum Ausdruck gebracht, dass die Gegenvorstellung vom 5. Juli 2010 als Beschwerde gegen die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten vom 23. Juni 2010 auf seine Beurteilung vom 21. Januar 2010 zu werten sei, und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
„Insofern in der Gegenvorstellung aber Kritik aufgeführt wird am Zustandekommen der Beurteilung oder deren Inhalten oder an der Person des Beurteilenden oder Stellungnehmenden selbst, ist nach nunmehriger Systematik der ZDv 20/6 die Gegenvorstellung als Beschwerde anzusehen.“

13 Das Truppendienstgericht habe demgegenüber auf Seite 7 der Beschlussausfertigung (unter II.2.b.) geäußert:
„Insoweit hätte bereits im Beschwerdebescheid des Kommandeurs Division ... vom 8. März 2011 die vom Antragsteller mit Schreiben vom 27. Januar 2011 so bezeichnete ‚Untätigkeitsbeschwerde’ als unzulässig zurückgewiesen werden müssen, da es sich bei dem Ausgangsschreiben nicht um eine Beschwerde im Sinne der Wehrbeschwerdeordnung, sondern um eine Gegenvorstellung im Sinne der ZDv 20/6 gehandelt hat“.

14 Bei dem zuletzt genannten „Ausgangsschreiben“ handelt es sich um das Schreiben des Antragstellers vom 5. Juli 2010, das das Truppendienstgericht als Gegenvorstellung qualifiziert hat. Mit der Gehörsrüge geht es dem Antragsteller mithin erneut darum, diese Auslegung - hier über eine Verfahrensrüge - in Frage zu stellen. Das Truppendienstgericht hat indes die diesbezüglichen Erklärungen und Argumente des Antragstellers ersichtlich zur Kenntnis genommen und sich mit ihnen ausführlich im Rahmen der Auslegung des Schreibens vom 5. Juli 2010, die den größten Teil der Entscheidungsgründe des Beschlusses ausmacht, auseinandergesetzt (siehe dazu bereits oben unter 1.b). Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kann deshalb keine Rede sein. Soweit der Antragsteller wiederum meint, das Truppendienstgericht hätte zu einem anderen Auslegungsergebnis gelangen sollen, betrifft dies die (materielle) Rechtsanwendung, deren (behauptete) Fehlerhaftigkeit nicht mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden kann.

15 Soweit mit Schriftsatz des Antragstellers vom 5. Juli 2012 neuer Sachvortrag erfolgte, konnte dieser nicht berücksichtigt werden, weil er erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist am 9. Januar 2012 eingegangen ist.

16 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.