Beschluss vom 24.07.2008 -
BVerwG 7 B 19.08ECLI:DE:BVerwG:2008:240708B7B19.08.0

Beschluss

BVerwG 7 B 19.08

  • OVG Rheinland-Pfalz - 11.12.2007 - AZ: OVG 1 C 10303/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Juli 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und Guttenberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Industrieheizkraftwerks mit maximal 100 MW Feuerungswärmeleistung. Der Beklagte hat neben Erdgas den Einsatz von jährlich maximal 140 000 t Ersatzbrennstoffen und rund 15 000 t anderer Abfälle genehmigt. Der Standort des Kraftwerks befindet sich auf der dem Stadtgebiet der Klägerin gegenüberliegenden Seite des Rheins im Industriegebiet der Stadt Andernach. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens erhob die Klägerin Einwendungen, die sich im Wesentlichen auf die Trinkwasserversorgung der Stadt, aber auch auf Auswirkungen auf die eigene Bevölkerung bezogen. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Oberverwaltungsgericht abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

2 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

3 1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Divergenz zuzulassen, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

4 Das Beschwerdevorbringen genügt insoweit bereits nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Danach setzt die Divergenzrüge die Darlegung voraus, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungstragender abstrakter Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz der angegebenen höchstrichterlichen Entscheidung abweicht (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50). Derartige voneinander abweichende Rechtssätze, die die Beschwerde einander gegenüberstellen müsste, werden nicht aufgezeigt. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang nach ihrer Ansicht divergierende Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bereits unbenannt lässt, ist dem in Folge unzulässigen Vorbringens nicht weiter nachzugehen.

5 1.1 Zudem lässt sich eine Divergenz zu den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 4 C 36.86 - (BVerwGE 84, 209 = Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 28) und vom 8. September 1972 - BVerwG 4 C 17.71 - (BVerwGE 40, 323 = Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 10) nicht feststellen. Das Oberverwaltungsgericht hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der diesen Entscheidungen widersprechen würde. Diese befassen sich mit der Notwendigkeit der Abstimmung kommunaler Bauleitplanungen benachbarter Gemeinden im Sinne von § 2 Abs. 2 BauGB (früher: § 2 Abs. 4 BBauG). Dabei ergeben sich aus der eigenen, grundrechtlich geschützten Planungshoheit einer Gemeinde (Art. 28 Abs. 2 GG) Abwehrrechte gegen deren Beeinträchtigung durch Planungen einer Nachbargemeinde. Ein derartiger Fall inhaltlich nicht abgestimmter kommunaler Bauleitplanung liegt dem streitgegenständlichen Verfahren aber nicht zugrunde. Das Industrie- und Hafengebiet Andernach wird zwar zum Teil von Bebauungsplänen erfasst; der Flächennutzungsplan sieht „gewerbliche Flächen“ vor. Das Heizkraftwerk der Beigeladenen ist jedoch als Innenbereichsvorhaben genehmigt worden. Hiervon ist auch auszugehen, da die insoweit vom Oberverwaltungsgericht zum bauplanungsrechtlichen „Einfügen“ des Vorhabens im Sinne von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB getroffenen Feststellungen nicht zum Gegenstand von Verfahrensrügen gemacht worden sind. Das auch für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung erforderliche Einvernehmen der Stadt Andernach (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB) stellt insbesondere auf keine kommunale Bauleitplanung (wie Darstellungen des Flächennutzungsplans) ab, die - unabgestimmt - im Hinblick auf das Vorhaben der Beigeladenen erstellt worden wäre.

6 1.2 Ebenso wenig lässt sich eine Divergenz zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 2003 - BVerwG 4 C 14.01 - (BVerwGE 119, 25 = Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 117) erkennen. Danach können (auch) Vorhaben im Innenbereich Gegenstand einer kommunalen Erstplanungspflicht sein, die ggf. rechtsaufsichtlich durchgesetzt werden kann. Im Rahmen von gebundenen Entscheidungen nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB ist jedoch kein Raum für die Abwägung städtebaulicher Interessen der Nachbargemeinde (Urteil vom 17. September 2003 a.a.O. S. 36).

7 1.3 Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts divergiert auch nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2007 - BVerwG 7 B 4.07 -). Gegenstand dieses Verfahrens war die Teilgenehmigung einer § 38 BauGB unterfallenden thermischen Abfallbehandlungsanlage. Dabei gebietet § 38 Satz 1 Halbs. 2 BauGB die Berücksichtigung städtebaulicher Belange im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und dem Betrieb einer öffentlich zugänglichen Abfallbeseitigungsanlage. Vorliegend ist Gegenstand der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aber das öffentlich nicht zugängliche Industrie- und Müllheizkraftwerk der Beigeladenen, das somit nicht § 38 BauGB unterfällt und folglich nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG auf der Grundlage der §§ 29 bis 37 BauGB zu genehmigen ist, wobei die dort niedergelegten Belange des Städtebaus insoweit betroffene Interessen der Klägerin auffangen.

8 2. Die Revision ist auch nicht wegen der (im Rahmen von Divergenzvorbringen) behaupteten Verfahrensfehler zuzulassen, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Oberverwaltungsgericht hat weder seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 86 Abs. 2 VwGO) noch gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verstoßen (§ 108 Abs. 2 VwGO).

9 Es ist schon nicht ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen der Klägerin zur Verletzung ihrer Planungshoheit und zur Beeinträchtigung kommunaler Einrichtungen nicht zur Kenntnis genommen hat. Das Urteil nimmt ausdrücklich Bezug auf die vorläufige Rechtsschutzentscheidung vom 6. Februar 2007, in der das Oberverwaltungsgericht sich mit der kommunalen Trinkwasserversorgung befasst und zugleich bereits beanstandet hatte, dass hinsichtlich einer Verletzung der Planungshoheit und somit einer nachhaltigen Störung hinreichend verfestigter kommunaler Planungen seitens der Klägerin kein konkreter Vortrag erfolgt war. Soweit im Klageverfahren diesbezüglich umfangreiches Vorbringen nachgereicht worden ist, hat sich das Oberverwaltungsgericht hiermit befasst; zu darüber hinausgehenden Prüfungen bestand aus Rechtsgründen aber keine Veranlassung.

10 2.1 In einem Einwendungsverfahren nach § 10 Abs. 3 Satz 4 BImSchG muss auch eine Gemeinde, will sie sich die Möglichkeit offen halten, ihre Rechte notfalls im Klagewege geltend zu machen, im Rahmen der Betroffenenbeteiligung form- und fristgerecht Einwendungen erheben (zur entsprechenden Einwendungslast einer Gemeinde, Urteil vom 12. Februar 1997 - BVerwG 11 A 62.95 - BVerwGE 104, 79 = Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 18). Dabei muss das Vorbringen so konkret sein, dass die Behörde erkennen kann, in welcher Weise sie bestimmte Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll (stRspr, Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - BVerwGE 126, 166 <172> = Buchholz 406.400 § 42 BNatSchG 2002 Nr. 1; Urteil vom 9. Februar 2005 - BVerwG 9 A 62.03 - Buchholz 316 § 78 VwVfG Nr. 10 m.w.N.). Dies gilt im Immissionsschutzrecht gleichermaßen wie im Fachplanungsrecht (Beschluss vom 30. Januar 1995 - BVerwG 7 B 20.95 - Buchholz 406.25 § 10 BImSchG Nr. 3).

11 Das Einwendungsschreiben der Klägerin vom 23. März 2006 bezieht sich auf Seite 3 und 23 zwar auf die kommunale Planungshoheit, benennt aber keine konkret betroffene Planung; zudem erfolgt dieses Vorbringen ausdrücklich im Hinblick auf den Schutz der Bevölkerung in den überplanten Wohngebieten. Damit wird aber nicht in hinreichend substantiierter Weise ein Konflikt zwischen der Planungshoheit der Klägerin als wehrfähiger Rechtsposition und dem zu genehmigenden Vorhaben der Beigeladenen aufgezeigt. Insbesondere fehlt der Hinweis auf eine hinreichend verfestigte Planung, die die Genehmigungsbehörde möglicherweise in ihre Prüfungen hätte einbeziehen müssen. Dies führt zum Ausschluss der Einwendung der verletzten Planungshoheit für das weitere Verfahren, § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG. Zudem machte sich die Klägerin damit Belange von Eigentümern bebauter Grundstücke in Siedlungsgebieten zu Eigen, womit sich aber keine eigene Rechtsbetroffenheit verbindet.

12 2.2 Die Klägerin kann im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren auch die mit dem Betrieb der Anlage einhergehenden schädlichen Umwelteinwirkungen auf ihr Eigentum zum Gegenstand ihrer Einwendungen machen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 BImSchG). Dabei kommt § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG drittschützende Wirkung zu (Urteil vom 11. Dezember 2003 - BVerwG 7 C 19.02 - BVerwGE 119, 329, 332 = Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr. 26). Diese Eigentumsbetroffenheit, insbesondere hinsichtlich kommunaler Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder Krankenhäuser, hätte aber - zur Vermeidung einer Präklusion - Gegenstand substantiierter Darlegungen sein müssen. Im Einwendungsverfahren hat die Klägerin sich jedoch alleine auf eine Gefährdung der kommunalen Trinkwasserversorgung aus dem im Rhein-Bogen gelegenen Engerser Feld durch Schadstoffeintragungen über die Atmosphäre und damit verbundene Grundwasserverunreinigungen bezogen. Hierzu hat das Erstgericht in dem im Urteil in Bezug genommenen vorläufigen Rechtsschutzbeschluss ausführlich Stellung bezogen, ohne dass sich die Beschwerde hiergegen gewandt hätte. Die Betroffenheit weiterer kommunaler Einrichtungen ist aber erstmals im Klageverfahren und damit verspätet vorgebracht worden. Hierauf zielendes substantiiertes Vorbringen konnte im Einwendungsverfahren nicht mit Hinweisen auf die Schadstoffverfrachtungen aus dem Vorhaben der Beigeladenen und auf die Ausbreitungsbedingungen im Neuwieder Becken ersetzt werden. Sogar erst im Beschwerdeverfahren macht die Klägerin Auswirkungen des Vorhabens der Beigeladenen auf ihren Aktionsplan zur Reduzierung der Feinstaubbelastung geltend. Zu Ersterem musste und zu Letzterem konnte das Oberverwaltungsgericht nicht Stellung nehmen, ohne dass sich damit der Verfahrensfehler eines unzureichend aufgeklärten Sachverhalts verbinden würde.

13 3. Soweit die Beschwerde beiläufig auf eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinweist, wird dies nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gerecht. Die Beschwerde macht insbesondere nicht deutlich, inwieweit den Rechtsfragen über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommen soll.

14 4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch Antragsstellung am Beschwerdeverfahren beteiligt und damit ein Kostenrisiko übernommen (§ 154 Abs. 3 VwGO). Der Billigkeit entspricht es daher, der Klägerin als unterlegener Partei auch insoweit die Kosten aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Der Ansatz des Streitwertes folgt aus Nr. 19.3 i.V.m. Nr. 2.3 des Streitwertkatalogs vom 7./8. Juli 2004.