Beschluss vom 24.02.2009 -
BVerwG 5 B 4.09ECLI:DE:BVerwG:2009:240209B5B4.09.0

Beschluss

BVerwG 5 B 4.09

  • VG Berlin - 13.11.2008 - AZ: VG 22 A 81.06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24.Februar 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und Dr. Störmer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. November 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 26 155,02 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin ist nicht begründet. Die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage
„Impliziert das Tatbestandsmerkmal des Auffindens einer anderen Urkunde in § 580 Nr. 7b ZPO bei der Anwendung aufgrund der in § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG enthaltenen Verweisung ein Verschuldenselement, das auch ein Verschulden einer anderen Behörde außerhalb des Entschädigungsverfahrens nach dem NS-VEntschG mit einbezieht?“
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

2 Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Auslegung des Begriffs des Auffindens einer anderen Urkunde im Sinne von § 580 Nr. 7b ZPO hinreichend geklärt und bedarf keiner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu bereits -- in der Sache mit dem Verwaltungsgericht und der von der Beklagten angeführten zivilprozessualen Kommentarliteratur übereinstimmend -- wiederholt entschieden, dass dieser Wiederaufnahmegrund nicht losgelöst vom Verschulden bestimmt werden kann (vgl. bereits Urteil vom 22. Februar 1963 -- BVerwG 4 C 112.62 -- Buchholz 427.3 § 342 LAG Nr. 1 und Beschluss vom 7. März 1975 -- BVerwG 3 B 96.73 -- Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 14). Es hat die Anforderung des Auffindens einer anderen Urkunde (im Sinne von § 580 Nr. 7b ZPO) vielmehr dahin bestimmt, „dass deren Existenz oder Verbleib dem Restitutionskläger in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren unverschuldet unbekannt war, während er eine andere Urkunde zu benutzen in den Stand gesetzt wird, wenn er deren Existenz und Verbleib zwar kannte, sie aber unverschuldet nicht vorlegen konnte" (Beschluss vom 15. Juni 1989 -- BVerwG 9 CB 24.89 -- Buchholz 303 § 580 ZPO Nr. 3; ähnlich bereits Urteil vom 22. Februar 1963, a.a.O.).

3 An dieser Bestimmung des Inhalts von § 580 Nr. 7b ZPO (i.V.m. § 582 ZPO) ändert sich auch nicht deshalb etwas, weil die Vorschrift hier kraft der Verweisung in § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG anwendbar ist. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit der seit der Einführung des Entschädigungsgesetzes vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 262) unverändert gebliebenen Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG den hergebrachten Inhalt des § 580 Nr. 7b ZPO ändern wollte.

4 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Beklagten, dass § 580 ZPO im Zivilprozess dazu diene, die Durchbrechung der Rechtskraft zivilgerichtlicher Urteile zu ermöglichen, während die Vorschrift über die Verweisung in § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG regeln solle, unter welchen Voraussetzungen bereits früher bestandskräftig festgestellte Einheitswerte bzw. Ersatzeinheitswerte nicht zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung verwendet werden können. Denn für die Durchbrechung der Rechtskraft von Urteilen müssen nicht notwendig grundlegend andere Anforderungen gelten als für die Durchbrechung der Bestandskraft von Verwaltungsakten (hier der festgestellten Einheitswerte bzw. Ersatzeinheitswerte). Vielmehr stimmen diese Anforderungen, wie auch § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zeigt, etwa im Hinblick auf die Heranziehung neuer Beweismittel im Wesentlichen überein. Unter neuen Beweismitteln im Sinne dieser Vorschrift, die eine Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens rechtfertigen können, sind neben Beweismitteln, die während der Anhängigkeit des ersten Verwaltungsverfahrens noch nicht existierten, auch solche Beweismittel zu verstehen, die damals zwar schon vorhanden waren, aber o h n e V e r s c h u l d e n des Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig beigebracht werden konnten (Urteile vom 21. April 1982 -- BVerwG 8 C 75.80 -- Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 11 und vom 13. September 1984 -- BVerwG 2 C 22.83 -- BVerwGE 70, 110 <113>).

5 Ein Verzicht auf das Verschuldenselement des in Bezug genommenen Wiederaufnahmegrundes des § 580 Nr. 7b ZPO gebietet auch der Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG nicht. Vielmehr soll mit dieser Regelung gerade zum Ausdruck gebracht werden, dass ein bestands- bzw. rechtskräftig festgestellter Ersatzeinheitswert im Entschädigungsverfahren nicht mehr oder allenfalls unter den erschwerten Voraussetzungen des § 580 ZPO in Frage gestellt werden kann (Beschluss vom 10. Juli 2007 -- BVerwG 5 B 3.07 -- Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 3). Dabei folgt unmittelbar aus dem Gesetz und bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass ein Verschulden einer anderen Behörde außerhalb des Entschädigungsverfahrens nach dem NS-VEntschG mit einzubeziehen ist. Denn weder der Einheitswert (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EntschG) noch ein nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz ermittelter Ersatzeinheitswert (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EntschG), auf den für die Bemessung der Entschädigung verwiesen wird, werden von der Entschädigungsbehörde, für die diese Werte als Bemessungsgrundlage maßgebend sind, festgestellt bzw. ermittelt. In Bezug auf den Wegfall der gesetzlich angeordneten Bindung wegen nachträglich aufgefundener Urkunden kann es bei einer entsprechenden Anwendung daher nur um solche Urkunden gehen, die von der Finanz- bzw. Ausgleichsverwaltung ohne deren Verschulden nicht berücksichtigt worden sind. Käme es allein auf die Kenntnis bzw. das Verschulden der für die Entschädigungsbemessung zuständigen Behörde an, liefe die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 EntschG gewollte Bindung ins Leere und begrenzte § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG die Befugnis zur Abweichung nicht.

6 In einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig ist schließlich die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob ein Verschulden (im Sinne des Wiederaufnahmegrundes des § 580 Nr. 7b ZPO) auch zu beachten und der Entschädigungsbehörde zuzurechnen wäre, wenn bereits vor dem Schädigungszeitpunkt ein falscher Einheitswert vom damaligen Finanzamt im steuerlichen Bewertungsverfahren festgestellt worden wäre. Denn Gegenstand des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils war nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich die Entschädigungsbehörde gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG i.V.m. § 580 Nr. 7b ZPO über einen von der Ausgleichsbehörde nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz ermittelten Ersatzeinheitswert (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EntschG) hinwegsetzen darf.

7 Von einer weiteren Begründung sieht der beschließende Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.