Beschluss vom 23.12.2004 -
BVerwG 10 B 43.04ECLI:DE:BVerwG:2004:231204B10B43.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.12.2004 - 10 B 43.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:231204B10B43.04.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 43.04

  • Hessischer VGH - 16.06.2004 - AZ: VGH 5 UE 1768/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Dezember 2004
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. N o l t e und D o m g ö r g e n
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Juni 2004 wird dieses Urteil aufgehoben, soweit darin der Beklagten die Neubestimmung des Vorausleistungsbetrags nach Maßgabe der Urteilsgründe aufgegeben worden ist.
  2. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 93,47 € festgesetzt.

Die Beschwerde ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Sie hat lediglich insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht die Ermittlung und Neufestsetzung des der Höhe nach richtigen Vorausleistungsbetrags auf einen Abwasserbeitrag nicht selbst vorgenommen, sondern der Beklagten überlassen hat. Im Übrigen bleibt sie erfolglos.
1. Gegenüber der Entscheidung der Vorinstanz, die Festsetzung des Vorausleistungsbetrags wegen mangelnder Berücksichtigung denkmalschutzrechtlicher Baubeschränkungen der Höhe nach zu beanstanden und zu ändern, beruft sich die Beschwerde auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Beide Rügen greifen nicht durch.
a) Für die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
ob öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen zu berücksichtigen sind, wenn die Beitragssatzung für den unbeplanten Innenbereich abstrakte (Höchst-)Geschossflächenzahlen für einzelne Nutzungsgebiete und entsprechende Vollgeschosse für die zugrunde zu legende Geschossfläche festsetzt,
besteht kein bundesrechtlicher Klärungsbedarf. Die Vorinstanz hat über die Notwendigkeit, denkmalschutzrechtliche Baubeschränkungen bei der Beitragsberechnung zu berücksichtigen, in Anwendung des irrevisiblen Landesrechts, nämlich von § 10 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 der Entwässerungssatzung der Beklagten (EWS) entschieden; mit Rücksicht auf § 10 Abs. 1 EWS, der auf das Maß der zulässigen Geschossfläche abstellt, hat sie die Festlegung der Geschossflächenzahl in § 14 Abs. 1 EWS lediglich als widerlegbare Vermutung verstanden. An diese Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof ist das Revisionsgericht gebunden (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO).
Revisibilität erlangt die Rechtsfrage nicht dadurch, dass die Beschwerde geltend macht, die Auslegung der Satzung durch das Berufungsgericht verstoße gegen die Grundsätze der Verwaltungspraktikabilität und Typengerechtigkeit. Bundesrecht steht einer typisierenden Ausgestaltung des Beitragsmaßstabs - namentlich unter Gleichheitsgesichtspunkten - zwar nicht grundsätzlich entgegen. Dies bedeutet aber keinen Typisierungszwang für den Satzungsgeber. Welche Vorschriften des Bundesrechts es ihm verbieten sollten, die Berücksichtigung öffentlich-rechtlicher Baubeschränkungen als Korrektiv zu generalisierenden Geschossflächenzahlen vorzusehen, wird in der Beschwerdebegründung auch nicht weiter ausgeführt.
Die außerdem als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob das Denkmalschutzrecht eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung der Ausschöpfung des vorgesehenen Maßes der zulässigen baulichen Nutzung (Geschossfläche) darstellt,
betrifft ebenfalls kein revisibles Recht. Sie ist vielmehr in Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Hessischen Denkmalschutzgesetzes zu beantworten, auf die allein die Beklagte in ihrer Beschwerdebegründung auch nur eingeht.
b) Die gerügte Abweichung der angefochtenen Entscheidung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 1995 (BVerwG 8 C 12.94 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 100) ist schon nicht schlüssig dargetan. Die dem Berufungsgericht einerseits und dem Bundesverwaltungsgericht andererseits zugeschriebenen Rechtssätze beziehen sich nämlich auf unterschiedliche Rechtsvorschriften, im einen Fall auf solche des Erschließungsbeitragsrechts, im anderen Fall auf solche des Anschlussbeitragsrechts. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof den ihm zugeschriebenen Rechtssatz, öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen seien beitragsmindernd auch dann zu berücksichtigen, wenn sie keine Auswirkungen auf den satzungsrechtlichen Verteilungsmaßstab haben, weder ausdrücklich noch sinngemäß aufgestellt. Vielmehr hat er denkmalschutzrechtliche Beschränkungen der Bebaubarkeit deshalb berücksichtigt, weil der Verteilungsmaßstab (§ 10 Abs. 1, § 14 Abs. 1 EWS) dies bei der von ihm für richtig gehaltenen Auslegung fordert. Der Einwand, seine Auslegung sei verfehlt, beinhaltet lediglich den Vorwurf fehlerhafter Rechtsanwendung, belegt aber keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
2. Gegenüber der auf § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO gestützten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, der Beklagten die Neubestimmung des Vorausleistungsbetrags aufzugeben, dringt die Beschwerde zwar nicht mit der Grundsatzrüge, wohl aber mit der Verfahrensrüge durch.
a) Bezogen auf die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
ob im Anschlussbeitragsrecht grundsätzlich eine Entscheidung des Gerichts nach § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO möglich ist,
ist nicht hinreichend dargetan, dass sie einer Klärung in einem Revisionsverfahren
bedürfte. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 18. Januar 1991 (BVerwG 8 C 14.89 - BVerwGE 87, 288 <297>) zu den Anwendungsvoraussetzungen der genannten Norm erläuternd Stellung genommen. Warum sich im Streitfall die Notwendigkeit ergeben sollte, über die dadurch bewirkte Klärung hinaus generalisierende Aussagen zur Anwendbarkeit der Vorschrift im Anschlussbeitragsrecht zu treffen, war begründungsbedürftig, ist jedoch nicht näher erläutert worden.
b) Dass der Verwaltungsgerichtshof von § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO Gebrauch gemacht hat, stellt aber einen Verfahrensfehler dar, auf dem seine Entscheidung auch beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Begehrt ein Kläger die Änderung eines angefochtenen Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt, so gibt § 113 Abs. 2 Satz 1 VwGO dem Gericht die Befugnis, den Betrag in anderer Höhe festzusetzen. Abweichend hiervon kann das Gericht unter den in § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO genannten Voraussetzungen von der eigenen Ermittlung des der Höhe nach richtigen Betrags absehen und sich darauf beschränken, die für die Ermittlung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse so genau anzugeben, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Wie schon im Wortlaut des Satzes 2 zum Ausdruck kommt, liegt der Unterschied zur Regelung des § 113 Abs. 2 Satz 1 VwGO allein darin, dass das Gericht den Vorgang der Neuberechnung der Behörde überlassen darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1991 a.a.O.; Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 113 Rn. 40 f.; Schmidt in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl., § 113 Rn. 12). Die Einflussgrößen für die Berechnung muss das Gericht der Behörde hingegen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht klar vorgeben und die dafür notwendigen tatsächlichen Ermittlungen selbst durchführen; insoweit unterliegt die grundsätzliche gerichtliche Verpflichtung, die Sache spruchreif zu machen, keinen Einschränkungen.
Diese Sicht wird bestätigt durch die Gesetzesmaterialien. In der Begründung des Gesetzentwurfs (BTDrucks 11/7030, S. 29) ist der Zweck der Regelung dahingehend umschrieben worden, dass sie "die Gerichte von umfangreichen Berechnungen, die die Behörden mit den ihnen zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmitteln in der Regel schneller und reibungsloser bewältigen können", entlasten soll. Diese Zielsetzung wurde ebenso bereits in der amtlichen Begründung zu § 4 FGO i.d.F. des Art. 3 VGFGEntlG (BTDrucks 8/842, S. 15) betont, der zum Vorbild für die Regelung des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO geworden ist. Dort heißt es, die "Aufgabe der Steuerberechnung" sei nicht selten schwierig und belaste die Finanzgerichte, denen technische Hilfsmittel, insbesondere Datenverarbeitungsanlagen, nicht zur Verfügung stünden; ihnen solle die Möglichkeit gegeben werden, "von der Errechnung des Betrags abzusehen, wenn die Festsetzung einer bestimmten Summe nicht ohne besonderen Aufwand möglich" sei. Es ging also nur darum, die Gerichte von komplizierten, sie nach Lage des Falles und ihrer personellen und sächlichen Ausstattung über Gebühr belastenden Rechenoperationen freizustellen. Ein weitergehendes Normverständnis, das den Anwendungsbereich der Regelung auch auf die Ermittlung von anderen, der Berechnung zugrunde zu legenden Umständen ausdehnte, wäre mit dieser Intention unvereinbar.
Eine solche weite Auslegung würde zudem die Grenzen zwischen § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO und § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO verwischen. Die letztgenannte Bestimmung berechtigt das Gericht, einen Verwaltungsakt aufzuheben, obwohl es eine weitere Sachaufklärung für notwendig hält. Einerseits enthält sie - anders als Abs. 2 Satz 2 - keine einschränkenden Maßgaben darüber, welcher Art die der Behörde zu überlassenden Ermittlungen sein können. Andererseits kann das Gericht von § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO nur fristgebunden Gebrauch machen. Diese Unterschiede würden vernachlässigt, wenn § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO auch auf die Sachaufklärung hinsichtlich solcher Umstände angewandt würde, die der Berechnung der Betragshöhe vorgelagert sind.
Hiervon ausgehend wird die Entscheidung der Vorinstanz, die Ermittlung des geänderten Vorausleistungsbetrags der Beklagten aufzugeben, von § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht gedeckt. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, hat das Berufungsgericht der Beklagten nicht nur die Neuberechnung als solche, sondern auch die dieser Berechnung vorausgehende Bestimmung des Maßes der denkmalschutzrechtlichen Baubeschränkungen und ihrer Auswirkungen auf das höchstzulässige Maß baulicher Nutzung überantwortet. Die der Behörde zugewiesene Aufgabe erschöpft sich also nicht in einer anhand konkreter Vorgaben des Gerichts rechtlich und tatsächlich voll determinierten Neuberechnung (vgl. Gerhardt a.a.O., § 113 Rn. 40). Vielmehr wird die Beklagte zu Ermittlungen verpflichtet, die das Berufungsgericht nach eigener Einschätzung "allein aufgrund einer aufwändigen Bestimmung durch Sachverständigengutachten" (UA S. 11) leisten könnte. Indem das Gericht diese Sachverhaltsaufklärung der Beklagten auferlegt hat, hat es den Anwendungsbereich des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO verlassen und ist seiner Verpflichtung, die Sache selber spruchreif zu machen, nicht gerecht geworden.
Seine Verfahrensweise findet im Übrigen mit Rücksicht auf die Fristregelung des § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO auch in § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO keine Stütze.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG, wobei der Senat sich an der Bewertung orientiert, die in der Quotelung der Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils zum Ausdruck kommt.