Beschluss vom 23.11.2011 -
BVerwG 1 WNB 5.11ECLI:DE:BVerwG:2011:231111B1WNB5.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011 - 1 WNB 5.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:231111B1WNB5.11.0]

Beschluss

BVerwG 1 WNB 5.11

  • Truppendienstgericht Nord 2. Kammer - 14.04.2011 - AZ: TDG N 2 BLa 2/11

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß
am 23. November 2011 beschlossen:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 14. April 2011 wird zurückgewiesen.

Gründe

1 Die fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) kommt der Sache nicht zu.

2 1. Nach der Rechtsprechung der Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts sind an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO dieselben Anforderungen zu stellen, wie sie von den Revisionssenaten des Bundesverwaltungsgerichts in ständiger Rechtsprechung für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entwickelt worden sind (Beschlüsse vom 1. Juli 2009 - BVerwG 1 WNB 1.09 - Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 1 = NZWehrr 2009, 258 und vom 15. Juli 2009 - BVerwG 2 WNB 1.09 -). Danach ist eine Rechtssache nur dann grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr.1 WBO und des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn in dem angestrebten Rechtsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss daher dargelegt (§ 22b Abs. 2 Satz 2 WBO, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), das heißt, näher ausgeführt werden (stRspr; vgl. u.a. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18), dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Rechtsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahren zu erwarten ist (vgl. auch Beschluss vom 24. Januar 2008 - BVerwG 6 BN 2.07 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 85 Rn. 14). Insbesondere ist auszuführen, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 und vom 6. September 2011 - BVerwG 9 B 48.11 und BVerwG 9 VR 3.11 - juris Rn. 22). Dabei ist eine Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich auch ohne Durchführung eines Rechtsbeschwerde- oder Revisionsverfahrens auf der Grundlage des maßgeblichen Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und der vorliegenden Literatur ohne Weiteres beantworten lässt (Beschlüsse vom 26. Januar 2011 - BVerwG 2 WNB 9.10 und vom 7. April 2011 - BVerwG 2 WNB 2.11 - jeweils m.w.N.).

3 a) Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob ein vierjähriger Beurteilungszeitraum den Vorgaben des § 2 SLV sowie von Art. 33 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 SG genügt,

4 rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie sich in dem angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stellen würde.

5 Einen generellen, für zahlreiche Soldaten geltenden „vierjährigen Beurteilungszeitraum“ gibt es nach der derzeitigen Rechtslage und Verwaltungspraxis nicht. Der Zeitraum, auf den sich die einzelne Beurteilung erstreckt, hängt von den konkreten Gegebenheiten des jeweils zugrunde liegenden Einzelfalls ab; sie führt demgemäß nicht auf eine Rechtsfrage, die sich in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt.

6 Ausgehend von dem zweijährigen Beurteilungsturnus resultiert die tatsächliche Länge eines Beurteilungszeitraums im Sinne der Nr. 406 Buchst. a ZDv 20/6 ausschließlich aus einzelfallbezogenen Gesichtspunkten. Für sie ist entscheidend, wann die beurteilenden Vorgesetzten die letzte und die aktuelle planmäßige Beurteilung unterzeichnet haben; außerdem ist von Bedeutung, ob im Fall des zu beurteilenden Soldaten zeitliche Verschiebungen der Beurteilungen nach den Maßgaben der Nr. 203 Buchst. d und Buchst. g ZDv 20/6 eingetreten sind oder zwischenzeitlich eine planmäßige Beurteilung nach Maßgabe der Nr. 205 ZDv 20/6 unterblieben ist.

7 b) Die weitere als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob das vorherige Abstimmungserfordernis gemäß Nr. 509 und Nr. 610 ZDv 20/6 mit Art. 33 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 SG im Einklang steht,
führt nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie sich unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Senats ohne Weiteres beantworten lässt.

8 Wesentlich für die dienstliche Beurteilung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SLV ist die individuelle, auf die Person des jeweiligen Soldaten bezogene Bewertung. Im Rahmen des Art. 33 Abs. 2 GG, dessen Maßstäbe § 3 Abs. 1 SG für den Bereich der Soldaten übernimmt, ist die Bewertung der Eignung eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit (Beschluss vom 26. Mai 2009 - BVerwG 1 WB 48.07 - BVerwGE 134, 59 = Buchholz 449 § 2 SLV 2002 Nr. 14, Rn. 44; BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - BVerfGE 108, 282 <296>). Der inhaltliche Kern der Beurteilung, also die Ausfüllung des Persönlichkeits- und Leistungsbildes des einzelnen Soldaten sowohl hinsichtlich der Gewichtung der Einzelmerkmale als auch hinsichtlich ihrer zusammenfassenden Bewertung, ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich dabei um ein höchstpersönliches, subjektives und insofern unvertretbares Werturteil des Beurteilenden handelt, das nicht durch die Einschätzung eines Außenstehenden ersetzt werden kann (Beschlüsse vom 26. Mai 2009, a.a.O. Rn. 49 und vom 25. Oktober 2011 - BVerwG 1 WB 51.10 - <zur Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz vorgesehen>).

9 Abstimmungsgespräche werden gemäß Nr. 509 ZDv 20/6 lediglich zur einheitlichen Anwendung der Beurteilungsbestimmungen und zur Gewinnung eines umfassenden Bildes zwischen den beurteilenden und den Stellung nehmenden Vorgesetzten geführt; sie stellen keine Beurteilungen dar. Sie sind demnach mit Art. 33 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 SG vereinbar, wenn sie die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des beurteilenden Vorgesetzten im Beurteilungsverfahren nicht in Frage stellen. Dieses Erfordernis wird zutreffend in § 2 Abs. 7 Satz 2 SLV betont.

10 c) Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
ob das vorherige Abstimmungserfordernis gemäß Nr. 509 und Nr. 610 ZDv 20/6 mit dem in § 29 Abs. 5 SG geforderten Transparenzgebot im Einklang steht,
nötigt nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt.

11 Nach § 29 Abs. 5 Satz 1 SG ist der Soldat zu Beschwerden, Behauptungen und Bewertungen, die für ihn ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können, vor deren Aufnahme in die Personalakte zu hören. Das gilt nach Nr. 618 ZDv 20/6 auch für das Verfahren der Beurteilung von Soldatinnen und Soldaten. Dieses Anhörungsrecht bezieht sich auf die Unterlagen, die als notwendiger Bestandteil der Personalakten des jeweiligen Soldaten anzusehen sind (sog. materieller Personalaktenbegriff: Beschluss vom 23. Januar 1991 - BVerwG 1 WB 89.90 , 113.90 - BVerwGE 93, 28 f = NZWehrr 1991, 158; vgl. ferner Urteil vom 1. Juli 1983 - BVerwG 2 C 42.82 - BVerwGE 67, 300 <302>). Der Geltungsbereich des § 29 Abs. 5 Satz 1 SG erstreckt sich nicht auf Abstimmungsgespräche im Sinne der Nr. 509 und Nr. 610 ZDv 20/6. Diese hat das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der Selbstbindung in Nr. 509 ZDv 20/6 als Gespräche definiert, die vor Erstellung der Beurteilungen zwischen den beurteilenden und den Stellung nehmenden Vorgesetzten zu führen sind und der einheitlichen Anwendung der Beurteilungsbestimmungen sowie der Gewinnung eines umfassenden Bildes dienen. Daraus folgt, dass Abstimmungsgespräche keine Behauptungen oder Bewertungen über einzelne Soldaten darstellen und daher auch nicht Gegenstand der Personalakten im materiellen Sinne sind. Das vom Antragsteller so bezeichnete Transparenzgebot gilt nur für individuelle Bewertungen des einzelnen Soldaten, die Eingang in die Personalakten finden können. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass zu den Personalakten eines einzelnen Beamten nicht solche Vorgänge gehören, die nach dem Schwergewicht ihrer Zweckbestimmung einem über die Person des einzelnen Beamten hinausgreifenden Zweck dienen (so zum Bericht zur Vorbereitung der Besetzung einer Beamten- oder Richterstelle: Urteil vom 1. Juli 1983, a.a.O. S. 302 f). Die Abstimmungsgespräche dienen in erster Linie dem bereits mehrfach dargelegten übergreifenden Zweck der einheitlichen Anwendung der Beurteilungsbestimmungen. Dieser Zweck knüpft nicht an die Person eines einzelnen zu beurteilenden Soldaten an.

12 d) Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob die Bildung von Vergleichsgruppen mit Art. 33 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 SG im Einklang steht,
führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde.

13 Zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage, ob unter Beachtung des Art. 33 Abs. 2 GG und des § 3 Abs. 1 SG für planmäßige Beurteilungen Vergleichsgruppen gebildet werden dürfen, bedarf es nicht der Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil diese Frage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt ist. Die Bildung von Vergleichsgruppen, wie sie in § 2 Abs. 4 Satz 1 SLV vorgesehen sind, ist sowohl in Anknüpfung an das Statusamt als auch in Anknüpfung an die Funktionsebene zulässig und mit höherrangigem Recht vereinbar (Beschluss vom 25. Oktober 2011 - BVerwG 1 WB 51.10 - <zur Veröffentlichung in BVerwGE und in Buchholz vorgesehen>; vgl. auch Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 2 C 34.04 - BVerwGE 124, 356 <362> = Buchholz 232.1 § 41a BLV Nr. 1). Weitergehende Fragen im Zusammenhang mit der Bildung der Vergleichsgruppen wirft die Beschwerde nicht auf. Das Vorbringen in dem erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 3. November 2011 kann nicht mehr berücksichtigt werden.

14 e) Auch die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob das Abstellen auf die Vergleichsgruppe, in der sich der Beurteilte zum Zeitpunkt der Abstimmungsgespräche befindet, bei einer Änderung der Vergleichsgruppe mit Art. 33 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 SG im Einklang steht,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie sich anhand der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lässt.

15 Die fehlerhafte Zusammensetzung einer Vergleichsgruppe im Sinne des § 2 Abs. 4 Satz 1 SLV kann einen Verfahrensfehler darstellen. Maßgeblich für die Frage, ob eine Beurteilung auf einem Verfahrensverstoß beruht, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Beurteilungsstichtages (Beschluss vom 27. April 2010 - BVerwG 1 WB 60.09 -). Die Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG sowie des § 3 Abs. 1 SG sind - auch mit den für ihren Schutzzweck maßgeblichen Verfahrensbestimmungen - auf die Soldaten anzuwenden, die bezogen auf den Beurteilungsstichtag als Vergleichsgruppe zusammengefasst betrachtet werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG kann es gebieten, dass bei einer beurteilungsrelevanten Änderung der Zusammensetzung der Vergleichsgruppe ein neues Abstimmungsgespräch „zur Gewinnung eines umfassenden Bildes“ zu führen ist.

16 2. Eine Erstattung der außergerichtlichen Aufwendungen des Antragstellers kommt nicht in Betracht (§ 22b Abs. 1 Satz 2, § 22a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 und § 20 Abs. 1 WBO).