Beschluss vom 23.06.2008 -
BVerwG 9 VR 13.08ECLI:DE:BVerwG:2008:230608B9VR13.08.0

Beschluss

BVerwG 9 VR 13.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juni 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2008 - BVerwG 9 VR 9.07 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

1 Durch Beschluss vom 13. März 2008 hat das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antrag-stellerin gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 6. Februar 2007 in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 13. April 2007 für den Ausbau und die Verlegung der Bundesautobahn 4 zwischen den Anschlussstellen Magdala und Jena-Göschwitz abgelehnt.

2 1. Die gegen diesen Beschluss erhobene Anhörungsrüge ist unbegründet.

3 Die Antragstellerin hat nicht aufgezeigt, dass der Senat bei der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage entscheidungserheblichen Vortrag in ihrem Antrag und seiner umfangreichen Begründung nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Aus ihrer Anhörungsrüge ergibt sich im Wesentlichen, dass sie den Beschluss des Senats in der Sache für unrichtig hält. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Beteiligte es für richtig hält (Beschluss vom 3. Januar 2006 - BVerwG 7 B 103.05 - ZOV 2006, 40). Dies gilt auch, soweit sich die Antragstellerin auf Stellungnahmen von aus ihrer Sicht sachverständigen Personen stützt. Aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs folgt nach ständiger Rechtsprechung - namentlich bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen - keine Pflicht der Gerichte, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Dies gilt im Besonderen in einem Eilverfahren, in dem, wie hier, die Entscheidung wesentlich auf einer Abwägung der gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen beruht und Zweifelsfragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht abschließend geklärt werden.

4 Da es nicht Sinn des Rechtsbehelfs nach § 152a VwGO ist, den Senat zu einer Ergänzung oder Erläuterung der Gründe seines Beschlusses vom 13. März 2008 zu veranlassen, beschränkt er sich auf die folgenden Hinweise:

5 Die Antragstellerin rügt, der Senat habe ihre Kritik am Schutzkonzept des Vorhabenträgers zur Vermeidung von Schadstoffeinträgen auf den prioritären Kalk-Trockenrasen mit Orchideen (Lebensraumtyp 6210) am Tunnelwestportal übergangen (Rügen Nr. 1 bis 4). Des Weiteren meint die Antragstellerin, der Senat habe ihre Beanstandung zum „Pflegemanagement“, die sie auf die Angaben einer von Herrn Dr. Arndt verfassten Stellungnahme stützt, nicht zur Kenntnis genommen (Rügen Nr. 5 und 6). Der Senat hat zur Frage der Beeinträchtigung der prioritären Lebensraumtypen 6210 und 6110* auf die FFH-Verträglichkeitsprüfung vom Mai 2003 und deren Ergänzung vom September 2005 abgestellt und hat seiner vorläufigen Abwägung zugrunde gelegt, dass gerade bei den erhöhten Schadstoffeinträgen am Westportal, auf die sich der Vortrag der Antragstellerin bezieht, eine Beeinträchtigung auftreten kann, aber nicht feststeht. Insoweit ist der Vortrag der Antragstellerin nicht übergangen, sondern nur teilweise abweichend gewürdigt worden. In der Gesamtbilanz der infolge der Schadstoffeinträge am Westportal potentiell beeinträchtigten Lebensraumtypen und der durch die Rückbaumaßnahmen ausgelösten positiven Standortveränderungen infolge der Reduzierung der Stickstoffeinträge hat der Senat jedoch angenommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung von FFH-relevanten Lebensräumen und damit Risiken für die Erhaltungsziele des Gebiets voraussichtlich verneint werden können. Das vorgesehene Monitoring mit Pflegemanagement sowie die Immissionsschutzpflanzungen sind in diesem Zusammenhang auch vom Antragsgegner „nur“ zur Verbesserung der Standortfaktoren vorgesehen und vom Senat für das Ost- und das Westportal gemeinsam behandelt worden.

6 Zutreffend weist die Antragstellerin allerdings darauf hin, dass am Westportal - im Gegensatz zum Ostportal - im Landschaftspflegerischen Begleitplan zur Maßnahme V 2.7 keine Immissionsschutzpflanzungen vorgesehen sind, obwohl die FFH-Verträglichkeitsprüfung als Zweck des 10-jährigen Monitoring auch die Überprüfung der Wirksamkeit der Immissionsschutzpflanzung anführt. Insoweit wird der Antragsgegner bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren erwägen müssen, ob in einem ergänzenden Verfahren entsprechende Pflanzungen anzuordnen sind. Darin sieht der Senat aber kein Hindernis für die Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses. Ein ergänzendes Verfahren nach § 17e Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 FStrG n.F. kann auch bei Verstößen gegen zwingendes Naturschutzrecht durchgeführt werden (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 19 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 26 m.w.N.). Die derzeit fehlende Anordnung von Immissionsschutzpflanzungen stellt die Durchführung des Vorhabens nicht infrage und berührt deshalb die Interessenabwägung des Senats im Ergebnis nicht.

7 Schließlich rügt die Antragstellerin, der Senat sei auf ihre ausführliche Beanstandung zur „Bilanz“ der FFH-Verträglichkeitsprüfung und der Berechnung der „Critical loads“ am Ostportal nicht eingegangen (Rügen Nr. 7 bis 9). Hier übersieht die Antragstellerin, dass der Senat die „Bilanz“ der Stickstoffeinträge insgesamt behandelt hat. Auf jede einzelne Argumentation der Antragstellerin musste er gerade im Eilverfahren nicht eingehen.

8 Soweit die Antragstellerin rügt, der Senat habe ihren Vortrag sowie die Ausführungen in dem von ihr vorgelegten Gutachten in Bezug auf die Beeinträchtigung von Frauenschuhvorkommen übergangen (Rügen Nr. 10 bis 12), wendet sie sich gegen die rechtliche und tatsächliche Würdigung in dem angegriffenen Beschluss. Eine Verletzung des Anspruchs der Antragstellerin auf rechtliches Gehör ist damit nicht dargelegt.

9 Die Antragstellerin bemängelt, der Senat habe ihren mit einem Gutachten belegten Vortrag zum Schutz von Fledermäusen im FFH-Gebiet sowie den im Einführungserlass des TMLNU (i.d.F. vom 4. Juni 2004, Thüringer Staatsanzeiger 2005, S. 99 Abschnitt 7.3 .4.) geforderten Umgebungsschutz übergangen (Rügen Nr. 13 und 38). Sie übersieht dabei, dass im Beschluss ausdrücklich auf die Betroffenheit von Fledermäusen unter Auseinandersetzung mit dem von ihr vorgelegten Gutachten eingegangen wurde, so dass eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht in Betracht kommt. In diese vorläufige Einschätzung des Senats sind auch die Anforderungen des Einführungserlasses bezüglich des Umgebungsschutzes eingeflossen. Soweit die Antragstellerin darauf abstellt, dass die aktuellen Untersuchungen nicht hinreichend gewürdigt worden seien, übersieht sie des Weiteren, dass der Rechtmäßigkeitsprüfung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses zugrunde zu legen ist.

10 Soweit die Antragstellerin Ausführungen zu einer aus ihrer Sicht erforderlichen Abweichungsentscheidung vermisst (Rüge Nr. 14), beurteilt sie die Sach- und Rechtslage anders, als sie der Senat vorläufig einschätzt, so dass eine Gehörsverletzung ausscheidet.

11 Mit Rüge Nr. 15 wiederholt die Antragstellerin lediglich bisherigen Vortrag, ohne dass eine Gehörsverletzung dargelegt wird.

12 Darüber hinaus macht die Antragstellerin geltend, der Senat habe ihren Vortrag zum Verlust von Brutrevieren und zum Verlust von Brutpaaren und dem damit verbundenen Verstoß gegen den Artenschutz nach der Vogelschutzrichtlinie nicht gewürdigt (Rügen Nr. 16 bis 18). Das Vorbringen wendet sich in der Art einer Gegenvorstellung gegen die vorläufig abweichende rechtliche und tatsächliche Würdigung durch den Senat. Einen Gehörsverstoß legt die Antragstellerin damit nicht dar.

13 Soweit sie darauf abstellt, eine Gehörsverletzung sei bereits deshalb erfolgt, weil der Senat ihren Vortrag zur Spechthöhlenkartierung sowie zur Zerstörung der Spechthöhlen und die daraus folgende Verletzung von Art. 5 Buchst. d VRL nicht zur Kenntnis genommen habe (Rügen Nr. 19 und 20 ), ist darauf hinzuweisen, dass der Senat unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerin schon Zweifel gehegt hat, dass § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ungenutzte Spechthöhlen bei der hier sich abzeichnenden Sachlage schützt. Darüber hinaus hat er die Erteilung einer Befreiung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG a.F. für rechtmäßig gehalten. Dabei hat der Senat ebenso wenig wie die Planfeststellungsbehörde auf die Anzahl der Spechthöhlen abgestellt. Nach den Untersuchungen der Behörde waren die Höhlen konkreten Spechtarten nicht zuzuordnen. Sollte sich jetzt anhand der von der Antragstellerin im Sommer 2007, also Monate nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, vorgelegten Gutachten, die auf neuen Untersuchungen beruhen, herausstellen, dass die Spechthöhlen von weiteren Spechtarten als den Bunt- und Mittelspechten stammen, wird die Behörde erwägen müssen, insoweit in einem ergänzenden Verfahren eine weitergehende Befreiung zu erteilen. Angesichts der positiven Wirkungen, die der Rückbau der Bestandstrasse im Leutratal und damit auch im Vogelschutzgebiet haben wird, und des Umstandes, dass nur ein kleiner Teil des Waldbestandes im Waldgebiet „Doberau“ in Anspruch genommen wird, dürften auch insoweit die Abweichungsvoraussetzungen nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a letzter Spiegelstrich VRL vorliegen (vgl. Beschluss vom 13. März 2008 - BVerwG 9 VR 9.07 - Rn. 39 ff.). An der Einschätzung des Senats, dass der Artenschutz sich voraussichtlich nicht als unüberwindbares Zulassungshindernis erweisen wird, ändert sich somit nichts.

14 Soweit die Antragstellerin bemängelt, der Antragsgegner habe das Waldgebiet „Doberau“ nicht hinreichend untersucht (Rügen Nr. 21 und 22), macht sie nicht eine Gehörsverletzung geltend, sondern wendet sich gegen die vorläufige tatsächliche und rechtliche Würdigung durch den Senat.

15 Soweit die Antragstellerin rügt (Rügen Nr. 23 bis 34), dass ihr Vortrag zu den fachlichen Kriterien der Abgrenzung des Vogelschutzgebiets Nr. 33, wonach die Einbeziehung des Waldgebiets „Doberau“ erforderlich gewesen sei, in entscheidungserheblicher Weise unberücksichtigt geblieben sei, wendet sie sich ebenfalls gegen die vorläufige rechtliche und tatsächliche Würdigung des tatsächlichen Sachverhalts in dem angegriffenen Beschluss. Der Senat hat sich ausführlich mit den Beanstandungen der Antragstellerin auseinander gesetzt und zudem darauf hingewiesen, dass der Frage, ob das Waldgebiet „Doberau“ die Merkmale eines Vogelschutzgebiets aufweise und deshalb den Schutz eines faktischen Vogelschutzgebiets genieße, noch im Hauptsacheverfahren nachzugehen sein wird.

16 Soweit die Antragstellerin das Übergehen ihres Vortrags zu Haselmausvorkommen beanstandet (Rügen Nr. 35 bis 37), bewertet der Senat im Eilbeschluss ihren Vortrag insbesondere in Bezug auf angebliche Ermittlungsfehler und sich daraus ergebende rechtliche Konsequenzen beim Auffinden weiterer Haselmauspopulationen rechtlich anders als die Antragstellerin. Eine Gehörsverletzung liegt darin nicht.

17 2. Sollte die Antragstellerin darüber hinaus einen Antrag auf Abänderung des Beschlusses stellen wollen, was aus der Überschrift ihres Schriftsatzes vom 3. April 2008 geschlossen werden könnte, wäre dieser abzulehnen. Die Antragstellerin hat keine veränderten oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachten Umstände i.S.d. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO dargelegt. Der Senat sieht auch keine Veranlassung, den angegriffenen Beschluss von Amts wegen zu ändern oder aufzuheben, § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO, weil auch unter Berücksichtigung der Anhörungsrüge keine Umstände ersichtlich sind, die dies rechtfertigen könnten.

18 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum GKG ergibt.