Beschluss vom 23.01.2004 -
BVerwG 5 B 6.03ECLI:DE:BVerwG:2004:230104B5B6.03.0

Beschluss

BVerwG 5 B 6.03

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 25.10.2002 - AZ: OVG 2 A 958/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. R o t h k e g e l und
Prof. Dr. Be r l i t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 000 € festgesetzt.

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Die Beklagte macht geltend, durch die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2001 - BVerwG 5 C 15.00 u.a. - und 12. April 2001 - BVerwG 5 C 19.00 - sei "noch nicht abschließend geklärt, welche beruflichen Funktionen außer hauptamtlichen Parteifunktionen geeignet (seien), den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b BVFG zu erfüllen. Außerdem (sei) der Umfang der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 5 Nr. 2 b BVFG noch nicht genügend abgegrenzt."
Diese Fragen sind jedoch - namentlich durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2001 - BVerwG 5 C 15.00 - <Buchholz 412.3 § 5 BVFG Nr. 3 = DVBl 2001, 156>, welches eine Tätigkeit als "Staatsanwalt-Kriminalist" im Justizsystem der früheren Sowjetunion betrifft - auf rechtsgrundsätzlicher Ebene geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, "dass § 5 Nr. 2 b BVFG in Bezug auf die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems maßgeblich auf eine konkret ausgeübte Funktion abstellt und nicht auf die gesamte Einrichtung, in der die Funktion ausgeübt wird"; dem Ausschlusstatbestand genüge nicht schon "jede Funktion auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene einer staatlichen Einrichtung, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung diente". Ungeachtet des Umstandes, dass die Partei auf die staatlichen, wirtschaftlichen und anderen Einrichtungen Einfluss habe nehmen können und genommen habe, könnten "grundsätzlich alle diejenigen Funktionen, die auch in anderen, nichtkommunistischen Staats- oder Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam geltend angesehen werden" (a.a.O. S. 13).
Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass diese Grundsätze auch für eine Funktion im Bereich der Wirtschaft in der früheren Sowjetunion gelten.
Indem die Beschwerde geltend macht, dass bei einer Konstellation wie derjenigen im vorliegenden Fall "die unmittelbare Lenkung der Tätigkeit (des Klägers zu 1 in seiner Funktion als wirtschaftlicher Leiter eines mittleren Wirtschaftsbetriebes und seiner Eigenschaft als Mitglied der KPdSU) durch die KPdSU geradezu exemplarisch verdeutlicht" werde, geht sie von einem Sachverhalt aus, der so von der Vorinstanz gerade nicht festgestellt wurde. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr darauf abgestellt, dass der Kläger zu 1 keine "Funktion mit einem politischen Aufgabenbereich zum Zwecke der Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems" ausgeübt habe, sondern dass ihm "ein vom Parteikomitee gewählter und bezahlter Parteisekretär zur Seite stand, der in politischen Angelegenheiten ebenso wie der hauptamtliche Gewerkschaftssekretär des Betriebes durch entsprechende Weisungen in den Betriebsablauf tatsächlich eingreifen konnte". Bei dieser Sachlage spricht nichts für eine die von der Beschwerde behauptete "unmittelbare Lenkung der Tätigkeit (des Aufnahmebewerbers) durch die KPdSU".
Ob bei dieser Konstellation - wie die Beklagte rügt - "der durch die Vorschrift des § 5 Nr. 2 b BVFG vorgegebene Umfang der Darlegungs- und Beweislast überschritten" wurde, indem das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung darauf gestützt hat, dass "die Beklagte ... keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen (hat), dass im Fall des Klägers zu 1 in tatsächlicher Hinsicht etwas anderes angenommen werden müsste", ist keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, sondern betrifft die Würdigung des Sachverhalts im Einzelfall.
Ob "die aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgende Forderung, zur Prüfung des Ausschlusstatbestandes ... die konkret ausgeübte Funktion zu betrachten, ... dahingehend verstanden werden (darf), dass die Außenwirkung nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist", beantwortet sich schon unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ("... gewöhnlich als bedeutsam galt oder auf Grund der Umstände des Einzelfalles war") und bedarf deshalb keiner Klärung in einem Revisionsverfahren.
Dass die Aussage, "Funktionen, die auch in anderen, nicht kommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, (dürften) vom Grundsatz her" nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam gewertet werden, "nicht dahingehend verstanden werden (darf), dass der Ausschlusstatbestand ausnahmslos nur dann angenommen werden kann, wenn der Aufnahmebewerber hauptamtliche Parteifunktionen ausgeübt hat", ergibt sich sodann schon aus dem bereits angeführten Urteil des Senats vom 29. März 2001 - BVerwG 5 C 15.00 - (a.a.O.); dort wurde klargestellt, dass einerseits "Parteifunktionen mit der Aufgabe, den Willen der Partei in staatlichen, wirtschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen durchzusetzen, für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galten", dass dies (andererseits aber) "nicht gleichermaßen für alle Funktionen in den staatlichen, wirtschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen (gilt), auf die die Partei Einfluss nehmen konnte und genommen hat". Danach können also an sich auch Funktionen von Personen ohne Parteimitgliedschaft unter den Ausschlusstatbestand fallen (vgl. auch den Beschluss des Senats vom 28. Oktober 2002 - BVerwG 5 B 226.02 - zur Tätigkeit als Berufsoffizier der Streitkräfte im Rang eines Oberstleutnants).
Soweit die Beschwerde unter Bezugnahme auf Gutachten zur Funktion eines Sowchosdirektors u.a. geltend macht, "zentrales konkretes Ziel jedes Betriebsleiters sei die Planerfüllung gewesen, dass ihm zugeordnete Parteiorgan habe für das gleiche Ziel ´gekämpft´ ", "jeder Wirtschaftsfunktionär" sei "ein Teil des Staates" gewesen und "ohne Zustimmung des Gebietskomitees der Partei (habe) der Direktor eines Betriebes weder ernannt noch abberufen werden" können, ist auf Umstände hingewiesen, die, für sich allein betrachtet, nach den oben genannten Grundsätzen zur Annahme einer "Funktion auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene einer staatlichen Einrichtung, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung diente", noch nicht ausreichen.
Indem die Beklagte behauptet, dass "die seit 1984 ausgeübten Funktionen des Klägers nicht vergleichbar mit Leitungsaufgaben waren, die auch in nichtkommunistischen Wirtschaftsordnungen typischerweise wahrgenommen werden, sie (ließen) sich nicht in ein marktwirtschaftliches System übertragen, sondern (hätten) ... eine spezifische Bedeutung für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Wirtschaftssystems", der Kläger sei "als verlängerter Arm der Partei in einem sensiblen für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems wichtigen Wirtschaftsunternehmen tätig" gewesen, wendet die Beklagte sich zum einen abermals gegen die tatrichterliche Würdigung des Einzelfalles und setzt zum anderen - unzulässigerweise - die Aufrechterhaltung des kommunistischen "Wirtschaftssystems" mit einer Aufrechterhaltung des kommunistischen "Herrschaftssystems" im Sinne von § 5 Nr. 2 b BVFG gleich.
Auf der Grundlage der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2001 - BVerwG 5 C 15.00 - besteht auch kein Anlass, wegen der generellen Durchlässigkeit des sowjetischen Systems für politische Einflussnahmen eine Beweislastumkehr zu Lasten des Aufnahmebewerbers in Betracht zu ziehen. Die aus der Mitwirkungspflicht herzuleitenden Auskunftspflichten des Aufnahmebewerbers über Art und Umstände seiner Tätigkeit u.U. in Verbindung mit objektiv nachprüfbaren Unterlagen ermöglichen eine gerichtliche Kontrolle; eine rechtliche Grundlage für eine weitergehende Vermutung dahingehend, dass mit einer Tätigkeit als Leiter eines Wirtschaftsbetriebes eine für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsame Funktion verbunden gewesen wäre, enthält das Gesetz nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.