Beschluss vom 22.12.2004 -
BVerwG 1 B 83.04ECLI:DE:BVerwG:2004:221204B1B83.04.0

Beschluss

BVerwG 1 B 83.04

  • Thüringer OVG - 18.12.2003 - AZ: OVG 3 KO 275/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Dezember 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und H u n d
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2003 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Thüringer Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Die Beklagte rügt zu Recht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung ohne ausreichende Erfüllung seiner Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO getroffen. Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Das Berufungsgericht hat die Rückkehrgefährdung des Klägers auf seine strafrechtliche Verurteilung durch das Landgericht u.a. wegen Zuwiderhandlung gegen ein Vereinsverbot und die damit zusammenhängende Kenntnisnahme der örtlichen Polizeibehörde in Istanbul von dieser Verurteilung gestützt. Es sei davon auszugehen, dass die Polizeibehörde aufgrund der Benachrichtigung vom gesamten Inhalt einer Strafnachricht Kenntnis erlange. Dies hatte das Berufungsgericht in seinem Urteil vom 29. Mai 2002 - 3 KO 540/97 (AuAs 2003, 120) - noch verneint und insofern das ihm vorliegende Erkenntnismaterial zum Strafnachrichtenaustausch anders bewertet (UA S. 22).
Die Beschwerde macht zu Recht geltend, die Beklagte habe mit dieser Änderung der Rechtsprechung nicht rechnen müssen. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles hätte es vielmehr eines Hinweises des Berufungsgerichts nach § 86 Abs. 3 VwGO bedurft. Zwar folgt aus dem Recht auf rechtliches Gehör keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerfGE 84, 188, 190). Auch in der Ausprägung, die dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird dem Gericht keine umfassende Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt. Musste aber - wie hier - ein verständiger Prozessbeteiligter nicht mit einer Änderung der Rechtsprechung rechnen, so war das Berufungsgericht verpflichtet, einen entsprechenden Hinweis zu geben. Dies ist nach Aktenlage nicht geschehen. Weder dem Berufungsurteil und der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2003 noch der Nichtabhilfeentscheidung vom 18. Mai 2004 ist zu entnehmen, dass ein derartiger Hinweis gegeben wurde.
Die Entscheidung beruht auf dem unterlassenen Hinweis. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einem entsprechenden Hinweis und dem in der Beschwerde hierzu angekündigten Vorbringen der Beklagten zu einem für diese günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
Da bereits die verfahrensfehlerhafte Unterlassung eines Hinweises zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führt, bedarf es keiner Entscheidung, ob die weiteren Verfahrensrügen der Beschwerde durchgreifen (vgl. zur Rüge der unzureichenden Auswertung des aktuellen Lageberichts Beschluss vom 20. August 2003 - BVerwG 1 B 463.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 275).