Beschluss vom 22.09.2004 -
BVerwG 1 B 70.04ECLI:DE:BVerwG:2004:220904B1B70.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.09.2004 - 1 B 70.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:220904B1B70.04.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 70.04

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 03.12.2003 - AZ: OVG 4 LB 25/95

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. September 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht R i c h t e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., beigeordnet.
  2. Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2003 aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO).
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), indem es entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Eine derartige Rüge hat die Beschwerde sinngemäß mit ihrem Vorbringen erhoben, das Berufungsgericht sei dem Vortrag des Klägers nicht nachgegangen, dass nach einem weiteren Schwager von ihm - Hüseyin Sari - aufgrund einer Entscheidung des türkischen Staatssicherheitsgerichts Malatya aus dem Jahre 1996 wegen PKK-Aktivitäten landesweit gefahndet werde. Diese Rüge greift durch.
Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet die Gerichte, die entscheidungserheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann allerdings nur angenommen werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat den fraglichen Vortrag des Klägers über (den Tod, vgl. UA S. 3 und 4, und) die (gleichwohl weiter erfolgende landesweite) Fahndung nach seinem Schwager Hüseyin (UA S. 6) ausweislich der Sachverhaltsdarstellung in dem angefochtenen Urteil zwar zur Kenntnis genommen; aus den Entscheidungsgründen ergibt sich aber, dass es dieses Vorbringen gleichwohl nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Es hat sich im Zusammenhang mit der Frage einer möglichen Sippenhaft ausschließlich mit dem Schwager Ali Sari befasst (UA S. 12). Auf den Schwager Hüseyin ist das Gericht in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen. Es kann nicht angenommen werden, dass das Vorbringen des Klägers zum Schicksal seines Schwagers Hüseyin für das Berufungsgericht von vornherein unerheblich gewesen ist. Denn das Berufungsgericht hat das - ungeklärte - Schicksal des Schwagers Hüseyin zum Gegenstand seiner Beweiserhebung gemacht. So hat es das Auswärtige Amt auch um Auskunft zum Schwager Hüseyin gebeten, der bei Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Militär 1991 getötet worden sein soll, von den türkischen Sicherheitskräften offenbar aber nicht für tot gehalten wird (vgl. die Anfrage des Berufungsgerichts vom 22. Januar 2003, Bl. 164 der Berufungsakte). In seiner Auskunft vom 30. Juni 2003 (Bl. 166 der Berufungsakte) hat sich das Auswärtige Amt zum Schwager Hüseyin nicht näher geäußert. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht diesen Teil des klägerischen Vorbringens in der gebotenen Weise berücksichtigt hat.
Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, macht der Senat im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.