Beschluss vom 22.05.2006 -
BVerwG 6 PB 15.05ECLI:DE:BVerwG:2006:220506B6PB15.05.0

Beschluss

BVerwG 6 PB 15.05

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 29.07.2005 - AZ: OVG 5 L 16/04

In der Personalvertretungssache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und
Dr. Bier
beschlossen:

Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt - Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen - vom 29. Juli 2005 wird zurückgewiesen.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe der Divergenz (1.) und der grundsätzlichen Bedeutung (2.) stützt, bleibt ohne Erfolg.

2 1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht gemäß § 78 Abs. 2 SAPersVG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72a Abs. 3 Nr. 2 und § 92a ArbGG wegen Divergenz zuzulassen. Soweit die Beschwerde eine Abweichung von den Urteilen des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Januar 1994 - 6 AZR 541/93 - (BAGE 75, 327) und vom 28. Juni 2001 - 6 AZR 114/00 - (BAGE 98, 175) rügt, ist sie unzulässig. Denn dem auf Grund von § 78 Abs. 2 SAPersVG entsprechend anzuwendenden § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG ist für das Personalvertretungsrecht zu entnehmen, dass allein Abweichungen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, des Bundesverwaltungsgerichts oder, solange dieses zu der Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, von einer Entscheidung eines anderen Senats desselben Oberverwaltungsgerichts oder eines anderen Oberverwaltungsgerichts im Rahmen einer Divergenzrüge erheblich sind. Hingegen ist im personalvertretungsrechtlichen Verfahren eine Divergenzrüge wegen einer Abweichung von Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nicht zulässig (stRspr des Senats, siehe Beschluss vom 13. Januar 1999 - BVerwG 6 PB 16.98 - <juris> m.w.N.).

3 2. Ebenso wenig kann die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtsfrage (§ 78 Abs. 2 SAPersVG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 72a Abs. 3 Nr. 1 und § 92a ArbGG) zugelassen werden. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschriften ist immer dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder mindestens eines größeren Teils von ihr berührt. Die Frage ist klärungsfähig, wenn sie entscheidungserheblich war, das Urteil also auf ihrer Beantwortung beruht. Klärungsbedürftig ist sie grundsätzlich dann, wenn sie höchstrichterlich noch nicht zweifelsfrei entschieden wurde; sie ist es allerdings dann nicht, wenn sie so einfach zu beantworten ist, dass divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte nicht zu erwarten sind (BAG, Beschluss vom 15. Februar 2005 - 9 AZN 982/04 - AP Nr. 63 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz = NJW 2005, 1531). Den Anforderungen, die sich daraus für die Darlegung ergeben, genügt die Beschwerde nicht.

4 a) Sie möchte geklärt wissen, ob es sich bei der vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen regelmäßigen Arbeitszeit um „Kurzarbeit“ im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 SAPersVG handelt; ferner, ob jedes Gegenstück zur Mehrarbeit „Kurzarbeit“ im Sinne dieser Vorschrift ist. Sie meint, die „besondere regelmäßige Arbeitszeit“ (§ 2 Abs. 1 des in Ausfüllung des Tarifvertrages zur sozialen Absicherung geschlossenen Arbeitsplatzsicherungstarifvertrages Schulen LSA vom 1. März 2003), die auf Anordnung des Arbeitgebers nach Bedarf bis zur Höhe der regelmäßigen Arbeitszeit einer vollbeschäftigten Lehrkraft überschritten werden darf („bedarfsbedingte Arbeitszeit“, § 2 Abs. 2 Arbeitsplatzsicherungstarifvertrag) sei keine Kurzarbeit. Denn der dem Arbeitsplatzsicherungstarifvertrag zugrundeliegende Tarifvertrag zur sozialen Absicherung eröffne den Tarifvertragsparteien zwar die Möglichkeit, zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (§ 15 Abs. 1 bis 4 BAT-O) herabzusetzen, beziehe sich aber nicht auf § 15 Abs. 5 BAT-O, der die Einführung von Kurzarbeit für zulässig erkläre. Unter dem Gesichtspunkt der Festsetzung von Kurzarbeit könne daher dem Antragsteller ein Mitbestimmungsrecht im Zusammenhang mit der bedarfsbedingten Arbeitszeit nicht zustehen.

5 Die Fragen, die der Beteiligte aufwirft, rechtfertigen die Zulassung der Rechtsbeschwerde schon deshalb nicht, weil sie sich in dieser allgemeinen Form nicht stellen würden. Entscheidungserheblich wäre vielmehr nur, ob gerade die in § 2 Abs. 2 des Arbeitsplatzsicherungstarifvertrages dem Arbeitgeber eingeräumte Befugnis, abweichend von der tarifvertraglich vereinbarten besonderen regelmäßigen Arbeitszeit eine bedarfsbedingte Arbeitszeit anzuordnen, Teil einer „Festsetzung von Kurzarbeit“ ist und daher die Voraussetzungen des Mitbestimmungstatbestandes des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SAPersVG erfüllt. So gestellt, lässt sich die Frage im Übrigen eindeutig beantworten, ohne dass es dafür der Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens bedarf. Kurzarbeit i.S.d. § 65 Abs. 1 Nr. 1 SAPersVG meint jede vorübergehende Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit, ohne diese auf Dauer herabzusetzen (s. etwa v. Roetteken/Rothländer, Hessisches Beamtenrecht, § 74 HPVG Rn. 417). Um eine derartige vorübergehende Kürzung handelt es sich bei der hier umstrittenen bedarfsbedingten Arbeitszeit, die, wie das Oberverwaltungsgericht zu Recht ausführt, lediglich eine Sonderform der die Regelarbeitszeit verkürzenden „besonderen regelmäßigen Arbeitszeit“ ist.

6 Der von der Beschwerde hervorgehobene Umstand, dass die hier einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen nicht ausdrücklich auf § 15 Abs. 5 BAT-O - Kurzarbeit - Bezug nehmen, ist demgegenüber unerheblich. Zum einen lag ein solcher Hinweis den Tarifvertragsparteien schon deshalb fern, weil die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts § 15 Abs. 5 BAT-O, der die Einführung von Kurzarbeit durch den Arbeitgeber einschränkungslos zugelassen hatte, wegen Umgehung des Kündigungsschutzes für unwirksam erachtet (Urteile vom 27. Januar 1994 - 6 AZR 541/93 - a.a.O. S. 331 und vom 28. Juni 2001 - 6 AZR 114/00 - a.a.O. S. 187). Zum anderen geht der Arbeitsplatzsicherungstarifvertrag Schulen LSA als der speziellere Tarifvertrag den Tarifregelungen des BAT-O ohnehin vor, da eine Rangordnung der Berufsverbände bei der Legitimation zum Abschluss von Tarifverträgen nicht besteht (BAG, Urteil vom 28. Juni 2001 a.a.O. S. 186).

7 Auch der Normzweck des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SAPersVG bestätigt, dass eine Anordnung des Arbeitgebers der hier umstrittenen Art eine Form der Festsetzung von Kurzarbeit betrifft. Geht der Zweck der personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmung bei der Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden dahin, die Beschäftigten vor übermäßiger zeitlicher Inanspruchnahme zu schützen (Beschluss vom 30. Juni 2005 - BVerwG 6 P 9.04 - Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 106 S. 43 m.w.N.), so schützt er umgekehrt bei einer vorübergehenden Verkürzung der Arbeitszeit vor damit einhergehenden Einbußen für die Vergütung, die regelmäßig bei verringerter Arbeitszeit anteilig niedriger ausfällt (v. Roetteken/Rothländer a.a.O. Rn. 373). Der Mitbestimmungstatbestand des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SAPersVG lässt es nicht nur zu, sondern ist darauf angelegt, dass der Personalrat bei der Ausübung seines diesbezüglichen Mitbestimmungsrechts die Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen überwacht (s.a. Beschluss vom 30. Juni 2005 a.a.O. S. 41).

8 b) Die Beschwerde wirft im Hinblick auf den Vorrang tariflicher Regelungen vor der personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmung gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 SAPersVG ferner die Frage auf, ob eine in diesem Sinne vorrangige Regelung (auch) insoweit besteht, als der Tarifvertrag eine Festsetzung von Kurzarbeit ermöglicht. Dazu führt sie aus, die Tarifvertragsparteien seien ausweislich der dem Arbeitsplatzsicherungstarifvertrag beigefügten Niederschriftserklärungen von einer Beteiligung des Antragstellers (lediglich) in Form der Erörterung und nicht der Mitbestimmung ausgegangen. Das nach Voraussetzungen und Grenzen im Tarifvertrag selbst abschließend geregelte Recht des Arbeitgebers, im Rahmen eines flexiblen Modells zur weitgehenden Sicherung der Arbeitsplätze die jeweilige bedarfsbedingte Arbeitszeit festzusetzen, dürfe nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht durch eine Personalratsbeteiligung in Form der Mitbestimmung konterkariert werden.

9 Auch diese Frage rechtfertigt es nicht, die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Abgesehen davon, dass sie weitgehend von den Besonderheiten des vorliegenden Falles geprägt ist, ergibt sich die Antwort auf sie ohne weiteres aus dem Gesetz. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 SAPersVG ist dem Personalrat das Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten, auch im Hinblick auf die Festsetzung von Kurzarbeit, nur eröffnet, „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“. Eine die Mitbestimmung des Personalrats ausschließende gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht dann, wenn darin ein Sachverhalt unmittelbar geregelt ist, es also zum Vollzug keines Ausführungsaktes mehr bedarf. Eine solche Regelung besitzt Ausschließlichkeitscharakter, weil sie vollständig, umfassend und erschöpfend ist. Wenn jedoch auf Grund einer gesetzlichen oder tariflichen Regelung die Ausgestaltung der Einzelmaßnahme den Dienststellenleiter überlassen ist, unterliegt dessen Entscheidung - sogar bei rein normvollziehenden Maßnahmen ohne Ermessensspielraum - der Richtigkeitskontrolle des Personalrats im Wege der Mitbestimmung (Beschluss vom 18. Mai 2004 - BVerwG 6 P 13.03 - BVerwGE 121, 38 <41> = Buchholz 251.0 § 79 BaWüPersVG Nr. 17).

10 Die hier umstrittene tarifvertragliche Regelung schließt die Mitbestimmung nur hinsichtlich der besonderen regelmäßigen Arbeitszeit aus, die in § 2 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsplatzsicherungstarifvertrages für die dort genannten Schulformen und Schuljahre abschließend festgelegt wurde. Der Ausschluss gilt aber nicht im Hinblick auf die bedarfsbedingte Arbeitszeit, die nach Maßgabe der in § 2 Abs. 2 und 3 Arbeitsplatzsicherungstarifvertrag i.V.m. Nr. 6 der Niederschriftserklärungen genannten Kriterien vom Arbeitgeber festgesetzt werden kann. Seine die Arbeitszeitverkürzung modifizierende Anordnungsbefugnis unterliegt der Mitbestimmung des Personalrats, dessen Aufgabe es ist, hierbei die Einhaltung der tarifvertraglichen Bestimmungen zu überwachen.

11 Wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, wirkt der Vorrang des Tarifvertrages auch nicht insofern, als die Vertragschließenden lediglich eine Erörterung mit dem Antragsteller, nicht aber dessen Mitbestimmung vorgesehen haben (s. Nr. 6 der Niederschriftserklärungen). Die Mitbestimmung ist nur dann durch einen vorrangigen Tarifvertrag ausgeschlossen, wenn dieser in der Sache selbst eine abschließende Regelung trifft. In formeller Hinsicht unterliegt das dem Personalrat in § 65 Abs. 1 SAPersVG verbürgte Mitbestimmungsrecht des Personalrats dagegen nicht der Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien; diese können es nicht in ein Beteiligungsrecht minderen Ranges umwandeln (§ 3 SAPersVG).