Beschluss vom 22.05.2003 -
BVerwG 6 B 14.03ECLI:DE:BVerwG:2003:220503B6B14.03.0

Beschluss

BVerwG 6 B 14.03

  • Bayer. VG Regensburg - 15.10.2002 - AZ: RN 4 K 02.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-verwaltungsgericht B ü g e und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 € festgesetzt.

1. Die allein auf die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
a) Mit der unterlassenen Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens hat das Verwaltungsgericht weder formelles Beweisrecht (§ 86 Abs. 2 VwGO) noch den Grundsatz der Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt.
Die Beschwerde sieht einen Rechtsfehler des verwaltungsgerichtlichen Urteils darin, dass es dem vom Kläger vorgelegten Attest des Arztes Dr. P. nicht gefolgt und stattdessen seiner Entscheidung die medizinische Beurteilung durch den ärztlichen Dienst der Beklagten zu Grunde gelegt habe, ohne ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.
Ein Verstoß gegen formelle Grundsätze des Beweisrechts liegt in der unterbliebenen Beweisaufnahme nicht. Insbesondere hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gestellt, der nur durch einen Gerichtsbeschluss hätte zurückgewiesen werden können (§ 86 Abs. 2 VwGO).
Soweit mit dem Beschwerdevorbringen sinngemäß ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) vorgebracht wird, müsste substantiiert dargelegt worden sein, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin hätte entweder dargelegt werden müssen, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265; Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26). Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung hat das Verwaltungsgericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass außer dem Attest von Dr. med. P. vom 20. April 2001, das bereits vom ärztlichen Dienst der Wehrbereichsverwaltung Süd mit gutachtlicher Stellungnahme vom 5. November 2001 ausführlich überprüft und bewertet worden sei, keine konkreten neuen Anhaltspunkte vorgetragen worden seien, aus denen abgeleitet werden könne, dass der Kläger wehrdienstunfähig sei. Soweit die Beschwerde nunmehr vorbringt, es sei nicht auszuschließen, dass ein vom Gericht einzuholendes Gutachten, mit welchem die Beurteilung des medizinischen Dienstes der Beklagten überprüft worden wäre, möglicherweise zu einer anderen Entscheidung hätte führen müssen, genügt sie den Substantiierungsanforderungen nicht.
Abgesehen davon musste sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht aufdrängen. Die Beklagte hat das vom Kläger vorgelegte ärztliche Attest von Dr. P. vom 20. April 2001 zum Anlass genommen, den Kläger im Widerspruchsverfahren in mehrfacher Hinsicht fachärztlich untersuchen zu lassen. Den entsprechenden Befunden sowie der zusammenfassenden gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Beklagten vom 5. November 2001 hat der Kläger seinerseits im gerichtlichen Verfahren keine neuen ärztlichen Stellungnahmen entgegengesetzt, die eine ergänzende gerichtliche Beweisaufnahme hätten gebieten können.
b) Die Verfahrensrüge bleibt auch ohne Erfolg, soweit sinngemäß ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) wegen unterbliebener Vernehmung des Zeugen ... Z. geltend gemacht wird.
Insoweit führt die Beschwerde aus, das Verwaltungsgericht habe die Voraussetzungen einer Zurückstellung des Klägers vom Wehrdienst verneint, weil ein Ausnahmefall gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 WPflG wegen fehlender besonderer Härte nicht vorliege; der Kläger habe nämlich nicht einen eigenen oder elterlichen Betrieb weitergeführt, sondern zusammen mit seinem Vater im Dezember 2000 einen neuen Betrieb in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts gegründet. Das Verwaltungsgericht habe in unzutreffender Weise aus dem Umstand der 1994 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit des Vaters den Schluss gezogen, dieser sei bereits in diesem Jahr berentet worden. Wäre der Vater des Klägers, der Zeuge ... Z., vernommen worden, wäre klar gewesen, dass es sich nicht um einen eigenen neuen Betrieb gehandelt habe, sondern es nur formell um eine neue Firma und eigentlich um die Fortführung des elterlichen Betriebes in einem anderen Gewande gegangen sei.
Das Verwaltungsgericht ist in seinem Urteil davon ausgegangen, eine die Zurückstellung vom Wehrdienst begründende besondere Härte gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 WPflG liege nicht vor, weil der Kläger nicht zur Erhaltung oder Fortführung eines elterlichen Betriebes unentbehrlich sei. Bei dem fraglichen Betrieb handele es sich nämlich um eine aufgrund Gesellschaftsvertrages vom 11. Dezember 2000 zusammen mit seinem Vater vorgenommene Neugründung eines Gewerbebetriebes, dessen Arbeit am 1. Januar 2001 begonnen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. Juni 1984 - BVerwG 8 C 115.82 - Buchholz 448.0 § 24 WPflG Nr. 6) liege bei einer Neugründung eine die Zurückstellung rechtfertigende besondere Härte aber nur dann vor, wenn der Wehrpflichtige die beabsichtigte Gründung des Betriebes im Hinblick auf seine bevorstehende Heranziehung zum Wehrdienst nicht ohne besondere Härte hätte unterlassen bzw. verschieben können; solche unaufschiebbaren Gründe seien aber nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. Wie sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt habe, habe mit der Gründung des neuen Gewerbebetriebes auch nicht ein bisher bestehender Gewerbebetrieb des Vaters fortgeführt werden sollen; einen solchen habe es nicht mehr gegeben, da der Vater seit 1994 in Rente gewesen sei.
Dem Beschwerdevorbringen lässt sich bereits nicht eindeutig entnehmen, was der Vater des Klägers im Falle seiner Zeugenvernehmung zu der vom Verwaltungsgericht als entscheidungserheblich angesehenen Frage "Fortführung oder Neugründung eines Gewerbebetriebes" genau ausgesagt hätte. Zwar wird darauf hingewiesen, der Zeitpunkt der 1994 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit des Vaters sei nicht identisch mit dem Zeitpunkt seiner Verrentung gewesen; doch selbst damit wird nicht behauptet, der Zeuge ... Z. würde für den Fall seiner Vernehmung ausgesagt haben, der elterliche Betrieb habe bis zum Dezember 2000 oder Januar 2001 tatsächlich weiter bestanden. Der Zeitpunkt der Verrentung und der Zeitpunkt der - möglicherweise durch die Arbeitsunfähigkeit ausgelösten - Betriebsaufgabe müssen nämlich genauso wenig zusammenfallen wie derjenige von Verrentung und Arbeitsunfähigkeit.
Die Rüge führt aber auch nicht zum Erfolg, soweit dem Zeugen Z. für den Fall seiner Vernehmung die Aussage zugeschrieben wird, es habe sich bei dem klägerischen Betrieb nicht um einen eigenen neuen Betrieb gehandelt, sondern nur formell um eine neue Firma und eigentlich um die Fortführung des elterlichen Betriebes in einem anderen Gewande. Dem Verwaltungsgericht musste sich nämlich auf der Grundlage seiner Feststellung, der Vater des Klägers sei "seit 1994 in Rente" gewesen, dessen Zeugenvernehmung nicht aufdrängen. Der Kläger beanstandet diese - offenbar durch Auswertung der Anlage K 4 der Klageschrift getroffene - Feststellung zwar als unzutreffend. Eine speziell darauf bezogene ordnungsgemäße Verfahrensrüge enthält die Beschwerdebegründung jedoch nicht (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Im Übrigen ist der Schluss des Verwaltungsgerichts von der Arbeitsunfähigkeit des Vaters auf die fehlende Betriebsfortsetzung auch mit Rücksicht auf den exakten Wortlaut der Anlage K 4 der Klageschrift weder aktenwidrig noch eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Insoweit war das Verwaltungsgericht auch nicht gehalten, seine Auffassung in der mündlichen Verhandlung offen zu legen. Denn seine Schlussfolgerung konnte den im Termin anwaltlich vertretenen Kläger auch mit Rücksicht auf weitere von diesem selbst beigebrachte Unterlagen kaum überraschen:
Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger als Gewerbetreibender bei der Anzeige des Betriebsbeginns nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 GewO ein gesetzlich vorgeschriebenes Formular ausgefüllt ("Gewerbeanmeldung - GewA 1") und der zuständigen Behörde übergeben hat. Dieses Formular sieht für den Fall einer Fortführung unter "26" die Angabe "Name des früheren Betriebsinhabers (falls bekannt)" vor. Der Kläger hat eine Ablichtung dieses Formulars seiner Gewerbeanmeldung als Anlage des Klageschriftsatzes dem Verwaltungsgericht vorgelegt. Die entsprechende Spalte enthält keine Angaben. Darüber hinaus hat der Kläger in der Spalte 23 ("Neuerrichtung des Betriebes") ein Kreuz angebracht. Somit hat er im Zeitpunkt der gewerblichen Anmeldung seinen Betrieb selbst nicht als Fortführung eines früheren väterlichen Betriebes angesehen.
Darüber hinaus hat der Kläger mit dem Klageschriftsatz eine Ablichtung des Gesellschaftsvertrages vom 11. Dezember 2000 vorgelegt. Darin ist kein Hinweis über die Fortführung des väterlichen Betriebes enthalten. Im Gegenteil ist unter "§ 3 Einlagen" für den Vater eine Einlage von 5 000 DM angegeben, während für den Kläger eine Einlage von 15 000 DM sowie als eingebrachte Gegenstände ein LKW Renault Kango Maxi für 20 600 DM und Werkzeuge und Maschinen für 6 000 DM angegeben sind. Hinweise auf übernommenes Vermögen, Material oder sonstige Strukturen eines väterlichen Betriebes finden sich dort ebenfalls nicht.
Der Tatbestand des verwaltungsgerichtlichen Urteils nimmt auf die schriftsätzlichen Ausführungen der Beteiligten ausdrücklich Bezug. Die vorgenannten Unterlagen sind ausnahmslos vom Kläger selbst als Anlagen zum Klageschriftsatz vorgelegt und somit zum tatsächlichen Inhalt des Urteils geworden. Angesichts dessen wäre es Sache des anwaltlich vertretenen Klägers selbst gewesen, dem nahe liegenden Schluss auf eine Betriebsneugründung durch anders lautenden Vortrag spätestens in der mündlichen Verhandlung entgegenzutreten.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.