Beschluss vom 22.03.2017 -
BVerwG 9 B 47.16ECLI:DE:BVerwG:2017:220317B9B47.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.03.2017 - 9 B 47.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:220317B9B47.16.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 47.16

  • VG Meiningen - 08.07.2015 - AZ: VG 5 K 67/11 Me
  • OVG Weimar - 14.04.2016 - AZ: OVG 4 KO 452/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. März 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und Dr. Dieterich
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 14. April 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 14 407,40 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO stützt, bleibt ohne Erfolg. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

2 1. Das Vorbringen des Beklagten führt nicht auf eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).

3 Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 4; Beschluss vom 25. Juni 2015 - 9 B 12.15 - juris Rn. 10). Für die ordnungsgemäße Begründung einer Rüge mangelhafter Sachaufklärung muss u.a. dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände und mit welchen Mitteln ein zusätzlicher Aufklärungsbedarf bestanden hat, ferner, dass auf die unterbliebene Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 S. 14; vom 13. Juli 2007 - 9 B 1.07 - juris Rn. 2 und vom 15. Juli 2015 - 7 B 23.14 - juris Rn. 13). Der Vortrag, das Oberverwaltungsgericht habe versäumt zu ermitteln, dass im Verbandsgebiet lediglich in sechs von 44 Baugebieten nur die zulässige Gebäudehöhe festgesetzt sei und dass sich dort aufgrund der Festsetzung der Traufhöhen auf 4,5 und 5 m der vom Oberverwaltungsgericht beanstandete Umrechnungsfaktor 2,2 nicht vorteilswidrig ausgewirkt habe, führt danach nicht auf eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Dass sich dem Gericht - unter Zugrundelegung seines materiell-rechtlichen Standpunkts - eine weitere Aufklärung hätte aufdrängen müssen, ist nicht dargelegt.

4 Das Berufungsgericht hat einen Verstoß gegen das landesrechtliche Vorteilsprinzip darin gesehen, dass die Beitragssatzungen des Beklagten eine Beitragsbemessung nach einer rechnerisch zu ermittelnden Zahl fiktiver Vollgeschosse ermöglichen, die aufgrund der Mindestgeschosshöhe von 2,30 m gemäß § 92 Abs. 2 ThürBO 2014 zulässigerweise nicht errichtet werden können. Entsprechend diesem Ansatz, wonach die Festlegung eines unterhalb der Höhe des landesrechtlichen Vollgeschosses liegenden Divisors generell rechtswidrig ist, hat das Berufungsgericht den an die Besonderheiten im Verbandsgebiet anknüpfenden Vortrag des Beklagten schon im Ansatz für unbeachtlich befunden. Soweit das Gericht darauf hingewiesen hat, der vom Beklagten gewählte Divisor ermögliche bei Gebieten, in denen die Gebäudehöhe auf 8,80 m festgesetzt sei, eine Beitragsbemessung mit vier Vollgeschossen, obwohl bauordnungsrechtlich lediglich drei Geschosse errichtet werden könnten, diente dies daher lediglich der beispielhaften Darstellung des vom Gericht gewählten materiell-rechtlichen Ansatzes, ohne dass es danach darauf ankam, ob derartige Festsetzungen im Verbandsgebiet tatsächlich bestehen. Hinzu kommt, dass unter Zugrundelegung eines Divisors von 2,2 auch bei einer Traufhöhe von 4,50 m beitragsrechtlich zwei Vollgeschosse angesetzt werden, obwohl nach der irrevisiblen Auslegung des Landesrechts durch das Berufungsgericht bauordnungsrechtlich nur ein Vollgeschoss zulässig ist. Dass der Beitragsberechnung in diesem Fall aufgrund der weiteren Vorgabe der Beitragssatzung, Bruchzahlen kaufmännisch auf- oder abzurunden, auch bei einem Divisor von 2,3 zwei Vollgeschosse zugrunde gelegt würden, ist insoweit unbeachtlich. Denn maßgeblich war für das Berufungsgericht, dass aufgrund des Vorteilsprinzips beitragsrechtlich nicht mehr Vollgeschosse berücksichtigt werden dürfen, als bauordnungsrechtlich zulässigerweise errichtet werden können.

5 Soweit der Beklagte rügt, das Oberverwaltungsgericht habe versäumt zu ermitteln, ob es durch eine Anwendung des beanstandeten Divisors zu Ungleichbehandlungen im Verbandsgebiet kommt, hat das Gericht entscheidungserheblich nicht hierauf, sondern auf einen Verstoß gegen das Vorteilsprinzip abgestellt. Auch die Ausführungen der Beschwerde zu den bestehenden baulichen Verhältnissen im unbeplanten Innenbereich lassen den materiell-rechtlichen Ansatz des Berufungsgerichts unberücksichtigt, welches die Vereinbarkeit des beitragsrechtlichen Divisors mit dem Vorteilsprinzip in beplanten Gebieten betraf. Hinsichtlich unbeplanter Altbaugebiete hat das Gericht lediglich in einem obiter dictum darauf hingewiesen, dass dort möglicherweise eine Umrechnungsformel erforderlich sein könnte.

6 Die Frage, ob ein Verstoß gegen das Vorteilsprinzip auch dann zur Unwirksamkeit der entsprechenden Regelung sowie zur Gesamtnichtigkeit der Beitragssatzung führt, wenn die Vorschrift - wie vom Beklagten geltend gemacht - im Verbandsgebiet aufgrund der dortigen Gegebenheiten keine oder kaum Anwendung findet, betrifft schließlich nicht die gerichtliche Aufklärungspflicht, sondern die Auslegung und Anwendung des materiellen, nicht revisiblen Landesrechts.

7 2. Sofern der Beklagte sinngemäß eine Verletzung des Grundsatzes rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Zulassung der Revision.

8 Dieser verlangt vom Gericht, den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu geben sowie die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist aber nicht gehalten, das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu einem bestimmten Vorbringen eines Beteiligten kann daher noch nicht geschlossen werden, das Gericht habe dieses nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1999 - 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 S. 3).

9 Danach begegnet es keinen Bedenken, dass Gegenstand der rechtlichen Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 Erwägungen der Klägerin aus deren Schriftsatz vom 12. April 2016 waren, welcher dem Beklagten erst am Nachmittag desselben Tages zugestellt worden war. Dies ließ ebenso wie die fast zweistündige Dauer der mündlichen Verhandlung hinreichend Zeit, zur Frage der Vereinbarkeit der Beitragssatzung mit dem Vorteilsprinzip Stellung zu nehmen; im Übrigen wäre es dem Beklagten unbenommen gewesen, gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 ZPO die Gewährung einer Schriftsatzfrist zu beantragen. Dass das Berufungsgericht auf den Einwand des Beklagten, die für nichtig befundene Vorschrift finde kaum Anwendung, in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich eingegangen ist, begründet ebenfalls keinen Gehörsverstoß, da damit zugleich gesagt ist, dass der Regelung, wenngleich nur für eine geringere Zahl von Fällen, praktische Bedeutung zukommt und es im Übrigen nach dem Ansatz des Berufungsgerichts auf die Besonderheiten im Verbandsgebiet nicht ankam.

10 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.