Beschluss vom 21.12.2006 -
BVerwG 8 B 76.06ECLI:DE:BVerwG:2006:211206B8B76.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.12.2006 - 8 B 76.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:211206B8B76.06.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 76.06

  • VGH Baden-Württemberg - 26.05.2006 - AZ: VGH 1 S 78/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Dezember 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Mai 2006 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde des Klägers ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO begründet. Es liegt ein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

2 1. Die mit der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge gemäß § 108 Abs. 1 VwGO greift nicht durch.

3 Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) geltend macht, hat sie schon deswegen keinen Erfolg, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Würdigung des Sachverhalts grundsätzlich dem materiellen Recht zuzurechnen ist. Allenfalls bei einem Verstoß gegen Denkgesetze im Rahmen der Tatsachenwürdigung kann ein Verfahrensmangel vorliegen (Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 225). Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht gegen Denkgesetze verstoßen, weil er die Angaben des Beigeladenen zu 1 zur Begründung seines Nebenwohnsitzes für glaubhaft hält, während er die Einlassung zur Einrichtung des Hauptwohnsitzes anzweifelt. Es waren unterschiedliche Kriterien für ihn entscheidungserheblich. Dies ergibt sich aus der Entscheidung.

4 2. Die mit der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge, der Verwaltungsgerichtshof habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht aufgeklärt (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat Erfolg.

5 Zu Recht rügt die Beschwerde, der Verwaltungsgerichtshof habe es unterlassen, die Behauptung des Beigeladenen zu 1 aufzuklären, er habe zum maßgeblichen Zeitpunkt in Neresheim-Ohmenheim mit Nebenwohnsitz gewohnt, durch die Zeugeneinvernahme der Ehefrau des Beigeladenen zu 1 und zumindest der im Schriftsatz vom 17. März 2006 benannten Zeugen D., St. und
Jürgen L.

6 Dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich die Beweisaufnahme durch Einvernahme der angebotenen Zeugen auch ohne in der mündlichen Verhandlung förmlich gestellten Beweisantrag von Amts wegen aufdrängen müssen.

7 Nach der für den Umfang der Beweisaufnahme maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zum öffentlich-rechtlichen Begriff des Wohnens war der Vortrag des Klägers, dass der Beigeladene zu 1 zum maßgeblichen Zeitpunkt keinen Nebenwohnsitz in Neresheim-Ohmenheim innehatte und somit die Wählbarkeitsvoraussetzungen zum Ortschaftsrat nicht erfüllt hat, entscheidungserheblich. Die Wohnung muss - so der Verwaltungsgerichtshof - als Bleibe dienen, nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume reiche nicht aus.

8 Der Beigeladene zu 1 hat sich nicht von vornherein zu seinem Nebenwohnsitz erklärt. In seiner Ummeldung vom 17. Mai 2004 erwähnt er mit keinem Wort, dass der neue Wohnsitz bereits seit Monaten sein Nebenwohnsitz war, obwohl er als früherer Ortsvorsteher die Wählbarkeitsvoraussetzungen hätte kennen müssen. Erst mit Schreiben vom 5. Juli 2004 teilte er der Stadtverwaltung Neresheim mit, dass er seinen nunmehrigen Hauptwohnsitz bereits seit Ende 2003 zeitweilig genutzt habe.

9 Am 2. Juli 2004 hat eine Besprechung hinsichtlich der melderechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Wählbarkeit des Beigeladenen zu 1 beim Landratsamt Ostalbkreis stattgefunden. Anlässlich dieser Besprechung wurden die Frage des Nebenwohnsitzes und seine rechtliche Bedeutung erörtert. Ob und inwieweit das Schreiben vom 5. Juli 2004 durch das Ergebnis dieser Besprechung beeinflusst war, kann eine Rolle spielen, weil der Beigeladene zu 1 seine Ummeldung beim Oberamtsrat der Beigeladenen zu 2 vorgenommen hat (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. April 2005, UA S. 7), der bei der Besprechung zugegen war.

10 Hinzu kommt, dass die Einlassung des Beigeladenen zu 1 nicht widerspruchsfrei ausgefallen ist. Einesteils stützt er die Begründung des Nebenwohnsitzes auf den Umfang seiner Arbeit, andererseits erklärt er, dass er das Geschäft Anfang 2003 seinem Sohn übergeben habe. Im Durchschnitt habe er einmal die Woche bei seinem Sohn übernachtet. An persönlichen Sachen habe er eine Arbeitshose und einen Anzug zum Umziehen nach der Arbeit bei seinem Sohn deponiert. Verschiedene Sachen zum Anziehen hat er nach seiner Einlassung erst anlässlich der Trennung von seiner Ehefrau mitgenommen. Eine Aufklärung der unpräzisen Angaben im Wege einer Beweisaufnahme ist angezeigt.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht berücksichtigt, dass der Beigeladene zu 1 nach seiner Einlassung die Einliegewohnung seit Juni (wohl 2005) nicht mehr benutzt hat und er vorher einmal die Woche dort gewesen ist (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. April 2005, UA S. 6). In seiner Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof den öffentlich-rechtlichen Begriff des Wohnens an die Voraussetzungen geknüpft, dass Umstände vorliegen müssen, die für eine Beibehaltung der Wohnung sprechen und dafür, dass die Wohnung als Bleibe dient. Dies ist der Fall, wenn sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt werde. Inwieweit die festgestellten Tatsachen den rechtlichen Anforderungen entsprechen und in die richterliche Überzeugungsbildung mit eingeflossen sind, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen.

12 Das Urteil kann auch auf der unterbliebenen Aufklärung beruhen. Der Nachweis des Nebenwohnsitzes zum maßgeblichen Zeitpunkt ist Wählbarkeitsvoraussetzung für den Beigeladenen zu 1 zum Ortschaftsrat.

13 Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch.

14 Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 GKG.