Beschluss vom 21.05.2008 -
BVerwG 4 B 64.07ECLI:DE:BVerwG:2008:210508B4B64.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.05.2008 - 4 B 64.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:210508B4B64.07.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 64.07

  • Hessischer VGH - 24.09.2007 - AZ: VGH 3 UE 1288/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Mai 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. September 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs weicht nicht von den durch die Beschwerde bezeichneten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

3 1.1 Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht sei mit seiner Aussage, die mit der angefochtenen Baugenehmigung erteilte Befreiung sei mit § 31 Abs. 2 BauGB nicht zu vereinbaren, weil sie die nachbarlichen Interessen der Kläger unangemessen zurückstelle, von dem Urteil des Senats vom 19. September 1986 - BVerwG 4 C 8.84 - NVwZ 1987, 409 abgewichen. In diesem Urteil werde als Voraussetzung für eine Befreiung mehr als die Zurückstellung nachbarlicher Interessen, nämlich eine Verletzung von Rechten des Nachbarn gefordert. Damit ist ein Widerspruch zwischen einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz und einem im Berufungsbeschluss zugrunde gelegten Rechtssatz nicht aufgezeigt. Wie im Senatsurteil vom 19. September 1986 ausgeführt, verletzt eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB den Nachbarn in seinen Rechten, wenn die Behörde bei der Ermessensentscheidung die nachbarlichen Interessen nicht ordnungsgemäß würdigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat also auf der Grundlage seiner Feststellung, die Interessen der Kläger seien unangemessen zurückgestellt worden, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Verletzung von Rechten der Kläger angenommen. Die Frage, ob diese Würdigung der nachbarlichen Interessen zutreffend oder, wie die Beschwerde meint, zu beanstanden ist, betrifft die Anwendung der genannten Rechtsgrundsätze im Einzelfall und kann nicht mit Erfolg zum Gegenstand einer Divergenzrüge gemacht werden.

4 1.2 Auch mit der Aussage, die Kläger würden durch den straßenseitigen Vorsprung am Haus des Beigeladenen spürbar tatsächlich beeinträchtigt, geht der Berufungsbeschluss nicht von einem Rechtssatz aus, der im Widerspruch zu dem Senatsurteil vom 19. September 1986 oder zu dem von der Beschwerde weiter angeführten Urteil des Senats vom 25. Februar 1977 - BVerwG 4 C 22.75 - BVerwGE 52,122 stünde. Im Urteil vom 19. September 1986 wird dargelegt, dass die Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht allein deshalb Drittschutz vermitteln, weil von ihnen ein bestimmter Grad von tatsächlichen Beeinträchtigungen eines Nachbarn ausgehen kann. Dies hat auch der Verwaltungsgerichtshof nicht angenommen. Vielmehr prüft er die „spürbare Beeinträchtigung“ lediglich als eine Bagatellgrenze, die zusätzlich zur fehlerhaften Würdigung nachbarlicher Interessen in tatsächlicher Hinsicht überschritten sein muss, damit sich ein gegen die Baugenehmigung klagender Nachbar mit Erfolg auf einen Verstoß gegen § 31 Abs. 2 BauGB berufen kann.

5 2. Die Rechtssache hat nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

6 2.1 Soweit die Beschwerde unter Bezugnahme auf den Gegenstand der beiden Divergenzrügen dem Rechtsstreit auch eine grundsätzliche Bedeutung beimisst, ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen unter Nr. 1.1 und Nr. 1.2, dass die betreffenden Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind.

7 2.2 Mit der Frage, ob die Auslegung der Baulast durch das Berufungsgericht zutreffend ist oder ob demgegenüber, wie die Beschwerde meint, die Baulast keinen deckungsgleichen Anbau an das Nachbarhaus verlangt, wird keine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung bezeichnet. Vielmehr richtet sich die Auslegung der Baulast nach den Umständen des Einzelfalls. Zu den in diesem Zusammenhang angeführten Vorschriften des § 133 BGB (allgemeine Auslegungsgrundsätze) und § 31 Abs. 2 BauGB formuliert die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen.

8 3. Auch die Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht begründet. Zu Unrecht hält die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof einen Gehörsverstoß (§ 108 Abs. 2 VwGO) und einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) vor, weil er das Vorbringen des Beigeladenen im Schriftsatz vom 14. August 2006 zum straßenseitigen Vorsprung des Hauses und die darauf bezogenen Beweisangebote nicht berücksichtigt habe.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hatte in seinem Eilbeschluss vom 6. April 2006 die unangemessene Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen der Kläger u. a. damit begründet, dass die Kläger durch den gegen die Baulast verstoßenden straßenseitigen Hausvorsprung mindestens im Obergeschoss wegen der einengenden Wirkung spürbar tatsächlich beeinträchtigt würden. In den angefochtenen Berufungsbeschluss wurden diese Ausführungen unverändert und ohne zusätzliche Begründung übernommen.

10 Die Beschwerde legt nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar, zu welchen Ausführungen des Schriftsatzes vom 14. August 2006 sie ein Eingehen im Berufungsbeschluss vermisst und aus welchen Gründen eine derartige Auseinandersetzung und gegebenenfalls Beweiserhebung geboten gewesen wäre. Stattdessen verweist sie in ihrer Beschwerdebegründung vom 30. November 2007 (Seite 9/10) lediglich pauschal auf die inhaltliche Wiedergabe des Schriftsatzes vom 14. August 2006 in Abschnitt I) 3) der Beschwerdebegründung. In diesem Abschnitt wird praktisch der gesamte Schriftsatz vom 14. August 2006, gegliedert nach rund zwanzig rechtlich und tatsächlich unterschiedlichen Themenbereichen, zusammenfassend referiert. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sondern wäre Sache der Beschwerde gewesen, konkret darzulegen, welche Ausführungen und Beweisangebote aus dem umfangreichen Vorbringen sich mit der Thematik des straßenseitigen Hausvorsprungs und dessen Wirkungen auf das Grundstück der Kläger befasst haben und aus welchen Gründen der Verwaltungsgerichtshof es verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, auf diese Punkte über die im Berufungsbeschluss enthaltene Begründung hinaus näher einzugehen. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Bei der Festsetzung des Streitwerts nach § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG war zu berücksichtigen, dass Gegenstand der Beschwerde nur noch ein Teil des ursprünglichen Streitgegenstandes ist.