Beschluss vom 21.02.2007 -
BVerwG 6 B 95.06ECLI:DE:BVerwG:2007:210207B6B95.06.0

Beschluss

BVerwG 6 B 95.06

  • VG Leipzig - 16.08.2006 - AZ: VG 1 K 1319/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Februar 2007
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn, Büge
und Dr. Graulich
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 16. August 2006 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die allein auf die Grundsatzrüge gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Sie ist unzulässig und daher zu verwerfen.

2 Eine den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Darlegung setzt im Hinblick auf den Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlichen noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26).

3 An der Formulierung einer solchen Frage lässt es die Beschwerdeschrift vermissen. Stattdessen werden zwei Auslegungsmöglichkeiten von § 48 Abs. 2 Nr. 3 WPflG einander gegenüber gestellt, deren eine nach Ansicht des Klägers zum Erfolg der Klage führt und deren andere das abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts stützen würde. Ohne nähere Darlegung wird dann noch auf „die bisher hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung ... aus dem Jahr 1967, bzw. 1978“ verwiesen, deren Hintergrund sich u.a. „seit den Anschlägen vom 11.09.2001“ verändert habe. Diese Darlegung genügt den Anforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht.

4 Die von dem Kläger angesprochene Problematik ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits behandelt worden. Der Kläger zeigt einen weitergehenden Klärungsbedarf nicht auf.

5 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt vor allem in § 48 Abs. 2 Nr. 3 WPflG zum Ausdruck, dass nach dem Wehrpflichtgesetz die Zurückstellungsfrage im Verteidigungsfall stets neu aufgeworfen und geprüft werden muss, eine vorwegnehmende frühere Prüfung ohne zeitlichen Zusammenhang mit dem Verteidigungsfall also unzulässig ist. Die Vorschrift besagt, dass vorher (nach § 12 Abs. 2, 4 und 5 WPflG ) gewährte Zurückstellungen ausnahmslos entfallen und dass über „erneute“ Zurückstellungen nach § 12 Abs. 4 WPflG neu zu entscheiden ist. Die Regelung über das Außerkrafttreten setzt allerdings voraus, dass bis zum Eintritt des Verteidigungsfalls Zurückstellungen bereits bestehen können. Damit können aber, eben weil sie im Verteidigungsfall untergehen, nur Zurückstellungen gemeint sein, die in Friedenszeiten nach den im Frieden geltenden Maßstäben gewährt worden sind; bereits vorher gewährte Zurückstellungen „für den Verteidigungsfall“ wären sinnlos, weil sie gerade dann außer Kraft träten, wenn sie Bedeutung erlangen müssten. Dass über Zurückstellungen für den Verteidigungsfall nach § 12 Abs. 4 i.V.m. § 48 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 WPflG erst im Verteidigungsfall zu entscheiden ist, folgt nach dieser Rechtsprechung auch daraus, dass dann ein anderer rechtlicher Maßstab gilt und dass nicht im Vorhinein absehbar ist, welche tatsächlichen Verhältnisse im etwaigen Verteidigungsfall bestehen werden. Während normalerweise nach § 12 Abs. 4 WPflG ein Wehrpflichtiger bei Vorliegen einer „besonderen“ Härte vom Wehrdienst zurückgestellt werden „soll“, sind nach § 48 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 WPflG Zurückstellungen im Verteidigungsfall nur „zulässig“, wenn die Heranziehung für den Wehrpflichtigen eine „unzumutbare Härte“ bedeuten würde. Nach dem Wortlaut der letzteren Vorschrift sind also im Verteidigungsfall die Voraussetzungen für eine Zurückstellung enger, der den Wehrersatzbehörden mit der Formulierung „sind zulässig“ eingeräumte Ermessensspielraum dagegen weiter gezogen als nach der Sollvorschrift des § 12 Abs. 4 WPflG; der Prüfung, ob hiernach eine erneute Zurückstellung gerechtfertigt ist, sind die besonderen Verhältnisse des Verteidigungsfalls zugrunde zu legen. Diese Verhältnisse sind nicht absehbar. Wie Art. 115 a GG ergibt, setzt der Verteidigungsfall die von den zuständigen Verfassungsorganen zu treffende Feststellung voraus, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Es ist nicht nur nicht abzusehen, ob jemals und gegebenenfalls wann dieser Fall eintreten wird. Es ist vielmehr darüber hinaus auch nicht ohne Rücksicht auf die Verhältnisse eines konkreten Verteidigungsfalls im Vorhinein abstrakt und abschließend zu beurteilen, welche Verteidigungsanforderungen auch personeller Art sich ergeben werden (Urteil vom 15. November 1978 - BVerwG 8 C 35.76 - BVerwGE 57, 59 <71 ff.> = Buchholz 448.0 § 48 WPflG Nr. 2 S. 3 f.). Dem Beschwerdevorbringen ist keine Fragestellung zu entnehmen, welche über das voran stehend wiedergegebene Rechtsverständnis hinaus führen würde. Auch unter den geltend gemachten veränderten sicherheitspolitischen Gegebenheiten setzt der Eintritt der rechtlichen Bedingung für die Einberufung zum unbefristeten Wehrdienst die Ausrufung des Verteidigungsfalls nach Art. 115 a GG voraus. Vor diesem Hintergrund ist das in der vorangehend zitierten Rechtsprechung enthaltene Verständnis von § 48 Abs. 2 Nr. 3 WPflG weiterhin zutreffend. Von einem entsprechenden Verständnis ist der Senat auch noch in einer jüngeren Entscheidung - hier in Bezug auf die Tauglichkeitsüberprüfung (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 WPflG) - ausgegangen (vgl. Beschluss vom 4. Oktober 2001 - BVerwG 6 B 39.01 - Buchholz 448.0 § 23 WPflG Nr. 11 S. 6). Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind daher nicht gegeben.

II

6 Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 52 Abs. 2 GKG.