Beschluss vom 20.12.2016 -
BVerwG 3 B 39.16ECLI:DE:BVerwG:2016:201216B3B39.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2016 - 3 B 39.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:201216B3B39.16.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 39.16

  • VG Minden - 30.01.2015 - AZ: VG 2 K 83/14
  • OVG Münster - 20.05.2016 - AZ: OVG 20 A 488/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2016
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und Rothfuß
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 20. Mai 2016 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat Erfolg. Der Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Im Revisionsverfahren wird voraussichtlich insbesondere die Frage weiter zu klären sein, unter welchen Voraussetzungen ein vernünftiger Grund im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG gegeben ist und inwieweit wirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen sind.

2 Der Zulassung steht nicht entgegen, dass sich das angefochtene Urteil auch darauf stützt, im Falle eines Verstoßes gegen § 1 Satz 2 TierSchG habe der Beklagte das ihm zustehende Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt.

3 Ist ein Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so setzt die Zulassung der Revision voraus, dass in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt. Anderenfalls käme es auf die Begründung, für die ein Zulassungsgrund gegeben ist, nicht weiter an: Wird - wie hier - eine Grundsatzfrage (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht, so würde sich diese in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen. Ihre Beantwortung wäre daher nicht zu erwarten. Geht es um eine Divergenz oder um einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO), können sie hinweggedacht werden, so dass das angefochtene Urteil nicht darauf beruht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. Juli 1973 - 4 B 92.73 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 109, vom 13. April 1989 - 1 B 54.89 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 37 und vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4).

4 Ein Urteil wird jedoch nicht gleichermaßen von mehreren selbstständigen Begründungen getragen, wenn die Begründung, für die ein Zulassungsgrund gegeben ist, eine Rechtskraftwirkung entfaltet, die über jene der anderen Begründungen hinausgeht und damit den Rechtsmittelführer beschwert. In einem solchen Fall müsste der nicht gleichwertigen, weiter reichenden Begründung in einem Revisionsverfahren nachgegangen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 2003 - 7 B 141.02 - NJW 2003, 2255 sowie Beschlüsse vom 14. August 1962 - 5 B 83.61 - BVerwGE 14, 342 <346 f.> und vom 7. Juli 1997 - 4 BN 11.97 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 22). Folglich lässt sich dann die Entscheidungserheblichkeit einer entsprechenden Grundsatzrüge bzw. das Beruhen auf einer Abweichung oder auf einem Verfahrensfehler nicht verneinen.

5 So liegen die Dinge hier. Die Rechtskraftwirkung des Urteils reicht mit der tragenden Begründung, der Verbotstatbestand des § 1 Satz 2 TierSchG liege nicht vor, das Töten der Küken beruhe auf einem vernünftigen Grund, weiter als mit der des Ermessensfehlers (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 2003 - 7 B 141.02 - NJW 2003, 2255). Führt die Grundsatzfrage zu den Voraussetzungen eines vernünftigen Grundes gemäß § 1 Satz 2 TierSchG zu einer von der angefochtenen Entscheidung abweichenden, gegenteiligen Erkenntnis, so läge darin ein für die Beklagte günstigeres Ergebnis, weil dann eine erneute, ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht von vornherein ausgeschlossen wäre. Im Übrigen ist nicht zu übersehen, dass die Verneinung des Verbotstatbestands durch das Oberverwaltungsgericht auf einer Abwägung beruht, die in einem inneren Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Ermessenskontrolle steht. Sollte der Verbotstatbestand zu bejahen, mithin ein vernünftiger Grund für die Tötung der Küken zu verneinen sein, so könnte damit zugleich die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die belastenden Auswirkungen seien nicht zutreffend und in angemessener Weise berücksichtigt worden, in Frage stehen.

6 Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 3 C 29.16 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.