Beschluss vom 20.08.2007 -
BVerwG 3 B 18.07ECLI:DE:BVerwG:2007:200807B3B18.07.0

Leitsatz:

Ein Spätaussiedler, der nach dem 1. Januar 1993 seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat, ist nach § 230 Abs. 2 Satz 1 LAG von lastenausgleichsrechtlichen Leistungen ausgeschlossen unabhängig davon, ob er die späte Einreise zu vertreten hat.

Beschluss

BVerwG 3 B 18.07

  • VG Osnabrück - 07.12.2006 - AZ: VG 6 A 270/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin Dr. L. beizuordnen, wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 7. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 744,95 € festgesetzt.

Gründe

1 Der als Vertriebener anerkannte Kläger begehrt die Feststellung eines Vertreibungsschadens an landwirtschaftlichem Vermögen. Die Beklagte hat seinen Antrag abgelehnt, weil er erst im Sommer 1997 in das Bundesgebiet eingereist sei und damit nicht vor dem 1. Januar 1993 seinen ständigen Aufenthalt dort genommen habe, wie es § 9 des Feststellungsgesetzes - FG - und § 230 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes - LAG - für den geltend gemachten Anspruch forderten. Die daraufhin erhobene Klage wurde abgewiesen. Das Verwaltungsgericht bestätigte die Auffassung der Behörde, dass es sich bei der Stichtagsregelung um eine Ausschlussfrist handele, die eine Nachsichtgewährung oder Wiedereinsetzung nicht zulasse. Soweit der Kläger sich darauf berufen hatte, dass ihm die späte Wohnsitznahme nicht angelastet werden könne, weil sie auf die zögerliche Bearbeitung seines Antrages auf Anerkennung als Vertriebener zurückzuführen sei, verweist das Verwaltungsgericht ihn auf im Zivilrechtsweg zu verfolgende Schadenersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung.

2 Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ebenfalls ohne Erfolg, so dass ihm auch nicht die für dieses Verfahren beantragte Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.

3 Der Rechtsstreit weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.), noch liegt die gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor (2.).

4 1. Der Kläger hält sinngemäß für klärungsbedürftig, ob es sich bei dem in § 230 Abs. 2 Satz 1 LAG genannten Termin („vor dem 1. Januar 1993“), bis zu dem der ständige Aufenthalt begründet worden sein muss, um eine „endgültige Ausschlussfrist“ handele oder ob die Regelung Ausnahmen zulasse. Die Beantwortung dieser Frage bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil unter Berücksichtigung des Zwecks der Bestimmung und der bisherigen Rechtsprechung auf der Hand liegt, dass der Stichtag eine abschließende, keine Ausnahmen erlaubende Regelung ist.

5 Mit dem durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2094) in § 230 Abs. 2 Satz 1 LAG eingefügten endgültigen Aufenthaltsstichtag verfolgt der Gesetzgeber erklärtermaßen das Ziel, den von vornherein zeitlich befristet konzipierten Lastenausgleich zu einem Abschluss zu bringen (BTDrucks 12/3212 S. 20 f. und 28). Mit diesem Gesetzeszweck ist die Gewährung einer Ausnahme, wie sie der Kläger im Hinblick auf sein persönliches Schicksal erstrebt, nicht vereinbar. Das gilt selbst dann, wenn er infolge rechtswidrigen Verhaltens deutscher Behörden seinen Aufenthalt nicht fristgerecht genommen haben sollte. Anderenfalls würde der Sinn des Termins, der bewusst an eine entsprechende, in den neuen Ländern geltende Regelung des Einigungsvertrages (Anl. I Kap. II Sachgebiet D Abschn. III Nr. 4) anknüpft (BTDrucks a.a.O. S. 28) und mit dem ein genereller Abschluss des Lastenausgleichs erreicht werden sollte, verfehlt. Dieses Ziel ist nur durch einen materiell-rechtlich wirkenden Ausschluss erreichbar. Nur in diesem Sinne kann daher die Einfügung des Stichtages verstanden werden. Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsnatur der übrigen Fristbestimmungen in § 230 Abs. 1 und 2 LAG, die von der Rechtsprechung ebenfalls als einer Nachsichtgewährung nicht zugängliche Ausschlussfristen angesehen werden (Urteil vom 10. Juli 1957 - BVerwG 4 C 47.57 - Buchholz 427.3 § 230 LAG Nr. 8; Beschluss vom 7. April 1960 - BVerwG 3 B 152.59 /3 C 221.59 - Buchholz a.a.O. Nr. 31).

6 Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass § 230 Abs. 2 Satz 2 LAG ausdrücklich Ausnahmetatbestände vorsehe, in denen die Stichtagsregelung nicht anzuwenden sei, verkennt er zum einen, dass sich diese Ausnahmen ausschließlich auf das zusätzliche Fristerfordernis des § 230 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LAG beziehen, und zum anderen, dass es sich dabei um gesetzlich ausdrücklich angeordnete Berechnungsmodalitäten handelt, die an dem Ausschlusscharakter auch dieses zusätzlichen Fristerfordernisses nichts ändern (Beschluss vom 7. April 1960 a.a.O.).

7 Dass an Stichtage anknüpfende Ausschlussvorschriften grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sind, ist in der Rechtsprechung geklärt. Dem Gesetzgeber ist es durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, auch wenn dies unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt (vgl. BVerfGE 49, 260 <275> m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 12. November 1993 - BVerwG 7 C 7.93 - BVerwGE 94, 279 <286 f.> und vom 28. März 1996 - BVerwG 7 C 28.95 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 2). Er muss allerdings im Rahmen seines Gestaltungsspielraums die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Tatsachen hinreichend würdigen und prüfen, ob sich die gewählte Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung rechtfertigen lässt und nicht willkürlich erscheint (BVerfGE 80, 297 <311> m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die hier umstrittene Stichtagsregelung gerecht. Dass der Gesetzgeber nahezu ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende die Kriegsfolgengesetze, die - wie der Lastenausgleich - ihren Zweck erfüllt, zumindest aber weitgehend erfüllt hatten (vgl. BTDrucks a.a.O. S. 19), abschließen durfte, kann nicht ernstlich bezweifelt werden. Für die Sachgerechtigkeit des dafür gewählten Zeitpunkts spricht dabei insbesondere, dass mit der Wiedervereinigung ohnehin eine Zäsur eingetreten war, die es zum einen erforderte, die Kriegsfolgengesetzgebung den geänderten Gegebenheiten anzupassen, es zum anderen aber auch ermöglichte, einen umfassenden Schlussstrich unter weitgehend erledigte Gesetzgebungsmaterien wie den Lastenausgleich zu ziehen. Vor diesem Hintergrund müssen gewisse Härten, wie sie den Kläger wegen seiner verspäteten Wohnsitznahme in Deutschland treffen, hingenommen werden. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass er nicht vollständig schutzlos bleibt, falls seine Einreise durch rechtswidriges Behördenhandeln verzögert worden sein sollte, weil er den Ersatz eines dadurch erlittenen Schadens im Falle schuldhaften Handelns der Amtswalter nötigenfalls im Zivilrechtsweg verfolgen kann.

8 2. Aus dem unter 1. Dargelegten ergibt sich zugleich, dass die vom Kläger gerügte Abweichung des verwaltungsgerichtlichen Urteils von der Entscheidung des Senats vom 7. April 1960 (a.a.O.) nicht besteht. Der Rüge liegt - von allem anderem abgesehen - wiederum das Missverständnis zugrunde, die ausschließlich auf § 230 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LAG bezogenen Fristberechnungsregelungen des § 230 Abs. 2 Satz 2 LAG hätten auch Einfluss auf die Anwendbarkeit der hier umstrittenen Stichtagsregelung.

9 Mit dem verbleibenden Beschwerdevorbringen zeigt der Kläger keine Revisionszulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO auf, so dass der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO von einer weiteren Begründung seines Beschlusses absieht.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.